Open the blog
This commit is contained in:
@@ -0,0 +1,54 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2010-10-18 05:54:00
|
||||
tags: Aufsatz
|
||||
title: Erörtern Sie, warum die jüdische Kultur von großer Bedeutung für Europa ist
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Schon seit dem ersten Jahrhundert vor Christus war Israel unter der römischen
|
||||
Herrschaft, wodurch die Juden schon damals in Europa zu finden waren. Sie
|
||||
werden aber in alle Zeiten verfolgt und verhasst. Die Kreuzzüge und der zweite
|
||||
Weltkrieg, wärend dessen die Juden systematisch vernichtet wurden, können als
|
||||
Beispiele dafür dienen. Aber die Nation, die eine so reiche Geschichte hat, hat
|
||||
einen Einfluss auf die Europäer genommen, der nicht zu leugnen ist.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
Schon seit dem ersten Jahrhundert vor Christus war Israel unter der römischen
|
||||
Herrschaft, wodurch die Juden schon damals in Europa zu finden waren. Sie
|
||||
werden aber in alle Zeiten verfolgt und verhasst. Die Kreuzzüge und der zweite
|
||||
Weltkrieg, wärend dessen die Juden systematisch vernichtet wurden, können als
|
||||
Beispiele dafür dienen. Aber die Nation, die eine so reiche Geschichte hat, hat
|
||||
einen Einfluss auf die Europäer genommen, der nicht zu leugnen ist.
|
||||
|
||||
Als erstes muss man sich daran erinnern, dass die europäische Kultur sehr stark
|
||||
vom Christentum geprägt ist. Und das Christentum seinerseits entstand unter
|
||||
Juden und erbte von ihnen sehr viel. Das alte Testament, die heilige Schrift
|
||||
des Judentums, ist ein Teil der christlichen Bibel.
|
||||
|
||||
Dann möchte ich darauf hinweisen, dass Hebräisch mit vielen Sprachen verwandt
|
||||
ist. Die europäischen Sprachen stammen entweder aus dem Lateinischen oder
|
||||
Slawischen, die ihren Ursprung im Griechischen haben. Die Verwandtschaft des
|
||||
Griechischen mit dem Hebräischen kann man erkennen, wenn man ihre Alphabete
|
||||
vergleicht, wobei man merkt, dass viele Buchstaben fast gleich ausgesprochen
|
||||
werden. Die Juden in Europa hatten auch ihre eigenen Sprachen: Jiddisch und
|
||||
Ladino. Und sowohl einige Wörter als auch einzelne Besonderheiten der Grammatik
|
||||
gelangten über sie ins Deutsche.
|
||||
|
||||
Und das Wichtigste ist, dass viele bedeutendsten Künstler, Musiker,
|
||||
Philosophen, Schriftsteller und Wissenschaftler ursprünglich Juden waren. Es
|
||||
gibt die Namen, die fast jeder seit der Schule kennt, deren Herkunft aber
|
||||
unbekannt ist. Albert Einstein, einer der berühmtesten Physiker des zwanzigsten
|
||||
Jahrhunderts, Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, Baruch de
|
||||
Spinoza, Verbreiter des Pantheismus im Westen, Jakob Ludwig Felix Mendelssohn
|
||||
Bartholdy, Pianist und Organist, stammten aus den jüdischen Familien. Dazu
|
||||
gehören noch solche Maler wie Marc Chagall und Kasimir Sewerinowitsch
|
||||
Malewitsch. Ihre Bilder waren sehr abstrakt, was damit zusammenhängt, dass das
|
||||
Judentum das Bilderverbot hat und keine wirkliche Natur malen darf. So diente
|
||||
diese Tradition der Verbreitung einer neuen Art der Malerei. Man sollte auch
|
||||
große Schriftsteller wie Franz Kafka und Heinrich Heine nicht vergessen.
|
||||
|
||||
Ich halte es für besonders wichtig, dass die Menschen lernen zu verstehen,
|
||||
woher ihre Kultur kommt und was für eine Rolle sie für die ganze Gesellschaft
|
||||
spielt. Dadurch könnte man viele schlechte Ereignisse in der menschlichen
|
||||
Geschichte vermeiden. Jeder, der will, kann sehen, dass die europäische Kultur
|
||||
unter dem starken Einfluss anderer, und besonders der jüdischen, entstand.
|
63
themes/posts/2011/08/beruhmte-zeitgenossen-goethes.tex
Normal file
63
themes/posts/2011/08/beruhmte-zeitgenossen-goethes.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,63 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2011-08-19 04:51:00
|
||||
tags: Aufsatz
|
||||
title: „Der Zauberlehrling“ von Johann Wolfgang von Goethe. Teil 1. Berühmte Zeitgenossen Goethes
|
||||
teaser:
|
||||
<p>
|
||||
Immanuel Kant, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Johann Gottlieb Fichte,
|
||||
Wolfgang Amadeus Mozart, Ludwig van Beethoven.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
\subsection{Immanuel Kant (1724 --- 1804)}
|
||||
|
||||
Goethe schätzte Kants „Kritik der Urteilskraft“ lebenslang sehr hoch und empfahl
|
||||
das Werk zu studieren.\footcite{online:kant-und-goethe}
|
||||
|
||||
Kant trennte die empirische Welt, die Phänomene, von der Welt der Dinge an sich,
|
||||
der Noumenon, und behauptete, dass die menschliche Vernunft die Grenzen der
|
||||
sinnlich erfahrbaren Welt nicht überschreiten könnte. Unsere Kenntnisse können
|
||||
nach Kant nur empirisch bekommen werden und dann mit Denken bearbeitet
|
||||
werden.\footcite[272]{morris:philosophy-for-dummies} Philosophie ist sehr praktisch
|
||||
für Kant. Eine große Rolle spielten Moral und Sittlichkeit für ihn. Seine From
|
||||
der Ethik ist als kategorischer Imperativ geäußert: „Handle so, daß die Maxime
|
||||
deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung
|
||||
gelten könne.“\footcite[125]{morris:philosophy-for-dummies}
|
||||
|
||||
\subsection{Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 --- 1831)}
|
||||
|
||||
Für Goethe gibt es nur die einzige Idee und alle anderen Sachen, die wir sehen,
|
||||
an die wir denken, über die wir reden, sind nur Manifestationen von dieser Idee.
|
||||
Alle pluralische Sachen haben eine
|
||||
Ursache.\footcite{online:goethes-weltanschauung}
|
||||
|
||||
Dieser Gankengang ist sehr nah zur Philosophie von Hegel, der der wichtigste
|
||||
Philosoph des deutschen Idealismi war. „Hegel glaubte, dass der objektive, bzw.\
|
||||
absolute Geist alles sei, was real ist.“\footcite[272]{morris:philosophy-for-dummies}
|
||||
|
||||
\subsection{Johann Gottlieb Fichte (1762 --- 1814)}
|
||||
|
||||
Fichte und Goethe kannten einander und schrieben aneinander. Goethe
|
||||
interessierte sich für Fichte nicht als für Philosoph sondern als für
|
||||
Naturforscher und war von Johann Gottlieb im Bereich der Naturansichten
|
||||
beeinflusst.\footcite{schriften-der-goethe-gesellschaft-71}
|
||||
|
||||
Fichte schrieb Werke sowohl über Politik und Gesellschaft als auch über
|
||||
Wissenschaftslehre.
|
||||
|
||||
\subsection{Wolfgang Amadeus Mozart (1756 --- 1791)}
|
||||
|
||||
Goethe führte mehrmals Mozarts Opern auf.
|
||||
|
||||
Mozart war Genie. In kürzer Zeit schrieb er immer mehr Werke. Er machte Musik
|
||||
für alle Musikgattungen, aber besonders für Klavier.
|
||||
|
||||
\subsection{Ludwig van Beethoven (1770 --- 1827)}
|
||||
|
||||
Beethoven und Goethe sind im Jahre 1812 zusammengetroffen und hatten dann
|
||||
freundschaftliche Beziehungen zueinander. Beethoven hat einige von Goethes
|
||||
Gedichten, u.a.\ „Egmont“, vertont.
|
||||
|
||||
Beethoven hat die Rolle des Komponisten geändert: „Der Komponist wurde nicht
|
||||
mehr als jemand gesehen, der Auftragsarbeiten ausführt…, sondern als
|
||||
Künstler…“\footcite{online:mozart-250}
|
61
themes/posts/2011/08/das-balladenjahr.tex
Normal file
61
themes/posts/2011/08/das-balladenjahr.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,61 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2011-08-21 20:16:00
|
||||
tags: Aufsatz
|
||||
title: „Der Zauberlehrling“ von Johann Wolfgang von Goethe. Lesetagebuch. Teil 2. Das Balladenjahr
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
1797 wurde als Balladenjahr bezeichnet. Dem Jahr hat Schiller den Namen
|
||||
gegeben, weil Deutschland aus Werken
|
||||
von Schiller und Goethe in diesem Jahr eine neue Literaturgattung bekommen hat,
|
||||
und selbst die Ballade eine neue Bedeutung gekriegt hat.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
1797 wurde als Balladenjahr bezeichnet. Dem Jahr hat Schiller den Namen
|
||||
gegeben\footcite{online:schillers-birth-1997}, weil Deutschland aus Werken
|
||||
von Schiller und Goethe in diesem Jahr eine neue Literaturgattung bekommen hat,
|
||||
und selbst die Ballade eine neue Bedeutung gekriegt hat.
|
||||
|
||||
Die Balladen waren
|
||||
schon lange vorher bekannt. Das Wort stammt aus romanischen Ländern von
|
||||
lateinischem ballare (tanzen) und so wurden Tänze genannt, bei denen ein Gedicht
|
||||
vom Tanzenden gesungen wurde. Im 14. Jahrhundert verliert der Begriff „Ballade“
|
||||
die Bedeutung von einem Tanz aber sie ist weiterhin ein gesungenes
|
||||
Gedicht.\footcite{online:buecher-wiki-ballade}
|
||||
|
||||
Seit 1797 beschäftigte
|
||||
sich die beiden großen Dichter mit Studien von antiken Klassikern. Das hat zur
|
||||
Folge eine Diskussion über Inhalt und Form eines literarischen Werkes, „besonders
|
||||
über das Wesen des Epischen und Dramatischen.“\footcite{online:schillers-birth-1997}
|
||||
Danach ging es mit Schreiben von Balladen los. Eine Ballade enthält in sich mehrere Arte
|
||||
von Literatur. Das ist eine Erzählung, die in der Form eines Gedichtes aufgebaut ist.
|
||||
Sie ist einem Märchen ähnlich, das im übertragenen Sinnn eine große Bedeutung hat.
|
||||
Und diese Märchen, diese Geschichten, mit Helden, Hexen, Rittern, Königen sind auch
|
||||
aktuell in der Zeit der Infrormation und der Technologie.
|
||||
|
||||
Die Balladen sind neue
|
||||
Poesie, da die eine Gattungsmischung aus allen „drei Grundarten der Poesie“ sind,
|
||||
„lyrisch, episch, dramatisch beginnen und, nach Belieben die Formen wechselnd,
|
||||
fortfahren“\footcite[400]{goethe:hamburger}. „Lyrische Dramen, dramatischen
|
||||
Novellen oder episches Theater sind unbestreitbar Begriffe der neueren
|
||||
Poetik.“\autocite[19f]{mueller-seidel:ballade} Darin gibt es viele Gefühle,
|
||||
Handlungen, Hoffnungen, Leid und dann am Ende eine Kulmination mit der Lösung des
|
||||
Problems, vor dem der Autor den Leser stellt.
|
||||
|
||||
\begin{quote}
|
||||
Balladendichtung. Ein Stück Welt
|
||||
öffnet sich, in dem es dröhnt von dem Hufschlag anstürmender Pferde, Rüstungen blitzen,
|
||||
herrische Rufe werden laut, es gibt nur Sieg oder Tod im Zusammenprall, aber über dem
|
||||
Sterbenden noch steht das Ziel, dem er treu blieb, und der einzelne wird zu einem aud
|
||||
der Schar der ewig männlichen Kämpfer.\footcite[VII]{kayser:ballade}
|
||||
\end{quote}
|
||||
|
||||
Im 1797 von Goethe wurden geschrieben: „Der Schatzgräber“, „Die Braut von Corinth“,
|
||||
„Der Gott und die Bajadere“ und „Der Zauberlehrling“; von Schiller: „Der Ring des Polykrates“,
|
||||
„Der Taucher“, „Der Handschuh“ und „Die Kraniche des Ibykus“.
|
||||
|
||||
Eine Ballade besteht aus gereimten Strophen und kann, wie ein Lied, einen Refrain haben.
|
||||
|
||||
Die Balladen wurden auch später entwickelt, z. B. sozialkritische Balladen von Heinrich Heine.
|
||||
Dann folgen neue Balladen im 20. Jahrhundert, die auch satirisch sein konnten. In manchen
|
||||
Ländern entstanden Balladen in Form der Volkslieder.\footcite{online:buecher-wiki-ballade}
|
@@ -0,0 +1,92 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2011-08-05 05:28:00
|
||||
tags: Aufsatz
|
||||
title: Interpretieren Sie, welche Aussage das Lied „Letzter Tag“ besitzt
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Das vorliegende Lied „Letzter Tag“ ist vom deutschen Musikproduzenten, Sänger
|
||||
und Schauspieler aus Göttingen, Herbert Grönemeyer, geschrieben worden. Es
|
||||
erschien im Jahr 2002 im Album „Mensch“.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
Das vorliegende Lied „Letzter Tag“ ist vom deutschen Musikproduzenten, Sänger
|
||||
und Schauspieler aus Göttingen, Herbert Grönemeyer, geschrieben worden. Es
|
||||
erschien im Jahr 2002 im Album „Mensch“.
|
||||
|
||||
Am Beginn des Liedes hört man eine langsame, traurige Musik, die eine Reihe
|
||||
tiefer Fragen zum Leben begleitet, wie zum Beispiel: „Lohnen sich die Gefühle?“,
|
||||
„Warum wacht man auf?“ und „Was heilt die Zeit?“. Schon an dieser Musik und
|
||||
diesen Fragen kann man erkennen, dass die unglückliche Liebe das Hauptmotiv des
|
||||
Werkes ist.
|
||||
|
||||
Diese Fragen sind kaum zu beantworten aber der Hörer wird mit der Erwartung
|
||||
erfüllt, eine Antwort des Autors auf einige von denen zu bekommen. Andere sind
|
||||
ihrerseits deutlich rhetorisch. So benötigt die Frage „Weiß man, wie oft ein
|
||||
Herz brechen kann?“ keine Antwort.
|
||||
|
||||
Dann ändert sich die Musik, sie wird sicherer, lebendiger und beweglicher, und
|
||||
es folgen die Worte, die im Laufe des Liedes immer wieder wiederholt werden:
|
||||
|
||||
\begin{quote}
|
||||
Ich bin dein siebter Sinn,\\
|
||||
Dein doppelter Boden,\\
|
||||
Dein zweites Gesicht.
|
||||
\end{quote}
|
||||
|
||||
Und das ähnelt sich schließlich dem Ruf eines einstmals vollkommenen Menschen,
|
||||
eines Androgyns, der seinen zweiten, d.h.\ weiblichen Teil verloren hat. Dieses
|
||||
Wortspiel: „Ich bin dein…“ klingt wie „Ich bin ein Teil von dir“ und
|
||||
wiederholt sich ständig.
|
||||
|
||||
Danach kommen die Zeilen, die auch mehrmals gesungen werden. Nur in der
|
||||
vorletzen Strophe werden die beiden letzen Verse weggelassen, da sie durch die
|
||||
letzte Strophe ersetzt werden, die ihre Bedeutung vervollständigt und erläutert.
|
||||
In der dritten Stroßhe wird die Hoffnung hervorgehoben. Eine kluge, sichere
|
||||
bzw.\ gute Prognose ist doch eine Prognose, die die Sicherheit und
|
||||
Glückseligkeit hervorsagt. „Ein Leuchtstreifen aus der Nacht“ ist die notwendige
|
||||
Hilfe, mit der man sogar nachts ein bisschen sehen kann.
|
||||
|
||||
Im folgenden äußert Grönemeyer immer stärker das Vertrauen zu seiner Liebe und
|
||||
das Wollen keine Geheimnisse vor ihr zu haben: „Verrat dir alle Geheimzahlen“.
|
||||
Er verspricht alles für seine Gefährte zu tun, ihr ein neues Leben zu schenken,
|
||||
es „auf einem goldenen Tablett“ zu servieren. Und das spricht dafür, dass sie
|
||||
ihn aus dem Albtraum es Lebens rettet:
|
||||
|
||||
\begin{quote}
|
||||
Du holst mich aus dem grauen Tal der Tränen,\\
|
||||
Lässt alle Wunder auf einmal gescheh'n.
|
||||
\end{quote}
|
||||
|
||||
In der letzten Strophe wird dem Hörer besonders deutlich verraten, dass die
|
||||
Frau, an die der Autor sich wendet, gar nicht da ist. Sie ist nur ein Ideal.
|
||||
Viermal wird gesagt: „Ich finde dich“ aber der letzte lautet: „Ich finde dich
|
||||
oder nicht“. Der Autor deutet damit an, dass seine Suche nach seinem zweiten
|
||||
„Ich“ vielleicht gar kein Ergebnis haben kann. Aber er sieht in dieser Suche
|
||||
offensichtlich den Sinn seines ganzen Lebens und will sie niemals aufgeben.
|
||||
|
||||
Der Text des Liedes ist sehr reich an Anaphern: „Ich finde dich“ in der letzen
|
||||
Strophe oder „Kannst sie…“ in der vierten. Man findet auch eine ganze Menge
|
||||
von Allegorien, z.B.:
|
||||
|
||||
\begin{quote}
|
||||
Ich bin dein siebter Sinn,\\
|
||||
Dein doppelter Boden,\\
|
||||
Dein zweites Gesicht.
|
||||
\end{quote}
|
||||
|
||||
oder:
|
||||
|
||||
\begin{quote}
|
||||
Du bist eine gute Prognose.\\
|
||||
Das Prinzip Hoffnung…
|
||||
\end{quote}
|
||||
|
||||
Man stößt ferner auch auf Hyperbeln: „Wie viele Tränen passen in einen Kanal?“
|
||||
und „Tal der Tränen“.
|
||||
|
||||
Eine „kluge“ Prognose kann als eine Personifikation gelten.
|
||||
|
||||
Meiner Meinung nach ist das Lied ein schönes Beispiel eines Textes, in dem
|
||||
moderne Wörter wie „sportlichster Wagen“ vorkommen und ein ewiges und tiefes
|
||||
Gefühl der Liebe geäußert wird. Es vereinigt die Klassik mit dem Modernismus.
|
64
themes/posts/2011/08/roman-die-fische-von-berlin-von.tex
Normal file
64
themes/posts/2011/08/roman-die-fische-von-berlin-von.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,64 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2011-08-09 04:29:00
|
||||
tags: Aufsatz
|
||||
title: Roman „Die Fische von Berlin“ von Eleonora Hummel
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Im Buch „Die Fische von Berlin“ von Eleonora Hummel geht es um ein Mädchen
|
||||
aus einer russlanddeutschen Familie, das alles von ihren Vorfahren wissen
|
||||
will. Eines Tages entdeckt dieses Mädchen, Alina, die verblüffende
|
||||
Gewohnheit ihres Großvaters mit einem Messer unter seinem Kissen zu
|
||||
schlafen. Diesem Messer begegnet man im Laufe des Buches immer wieder.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
\subsection{
|
||||
Untersuchen und bewerten Sie ausgehend von Ihrer Lektüre das „Leitmotiv des
|
||||
Messers“\footnote{
|
||||
Vgl. S. 17ff, 20, 36f, 43, 44, 53, 65f, 80, 83, 99, 128, 133, 144, 147,
|
||||
149, 152, 213f.
|
||||
}
|
||||
}
|
||||
|
||||
Im Buch „Die Fische von Berlin“ von Eleonora Hummel geht es um ein Mädchen aus
|
||||
einer russlanddeutschen Familie, das alles von ihren Vorfahren wissen will.
|
||||
Eines Tages entdeckt dieses Mädchen, Alina, die verblüffende Gewohnheit ihres
|
||||
Großvaters mit einem Messer unter seinem Kissen zu schlafen. Diesem Messer
|
||||
begegnet man im Laufe des Buches immer wieder.
|
||||
|
||||
Alina fand das Messer, als sie eine Aufgabe von ihrer Großmutter bekam, die
|
||||
Betten im Schlafzimmer Alinas Großeltern zu machen. Die Enkelin dachte
|
||||
zunächst, dass das Messer in die Küche gehört. Aber die Großmutter befahl, es
|
||||
unter das Kissen zurückzulegen und sagte, dass dieses Messer gut gegen
|
||||
Großvaters Krankheiten sei. Alina machte das aber nicht. Alles schien ein
|
||||
rätselhaftes Geheimnis zu sein. Sie befragte alle Verwandten und keiner sagte
|
||||
etwas. Die Enkelin versuchte viel später, als ihre Familie außer den Großeltern
|
||||
in den Kaukasus zog, das Messer zurückgeben aber Großvater überließ es ihr und
|
||||
versprach später Alles zu erklären. „Das Messer hat eine Vorgeschichte.“
|
||||
|
||||
Das Messer kaufte Großvaters Bruder, Konrad, als der Großvater nach Großen
|
||||
Säuberungen in sein Dorf zurückkam „… und wenn es nur ein Kampfmesser ist,
|
||||
lebend kriegen sie mich nicht noch mal“ — sagte Konrad damals. Der Großvater
|
||||
antwortete, dass er seinem Bruder das Messer schenkt. Später wurden die beiden
|
||||
Brüder verhaftet und in die Trudarmija geschickt. Konrad ritzte dann die
|
||||
Initialen seines Namens auf dem Messer und gab es dem Großvater, weil Konrad
|
||||
eine Familie hatte und sich nicht töten durfte. In der Tat war Konrad Alinas
|
||||
Großvater, er ist aber verschwunden.
|
||||
|
||||
Konrad Bachmeier wollte sich mit dem Messer töten, um Leiden zu vermeiden, wenn
|
||||
er verhaftet wird. Dieses Taschenmesser ist Symbol seines Lebens. Und er
|
||||
schickt es seinem Bruder mit der Hoffnung, dass der Großvater Konrads Leben
|
||||
fortsetzen bzw. ersetzen kann. Eine Waffe kann auch ein Schutz für das Leben
|
||||
sein. Der Großvater bekam deswegen mit dem Messer die Verantwortung für eine
|
||||
fremde Familie. Mit dem Messer kann man auch jagen und seine Familie mit Brot
|
||||
sichern. Der Großvater musste mit der Frau seines Bruders zusammenleben.
|
||||
Wahrscheinlich legte er das Messer deswegen unter sein Kissen, um sich ständig
|
||||
an seinen Bruder zu erinnern.
|
||||
|
||||
Und als endlich die ganze Geschichte erzählt wurde, bekam Alina das Messer,
|
||||
damit das Leben dieser Familie nicht beendet wird.
|
||||
|
||||
Ein Messer kann nicht schlecht oder gut sein. Mit einem Messer kann man Brot
|
||||
schneiden und mit demselben Messer auch Menschen töten. Der Großvater musste
|
||||
seine ganzes Leben Entscheidungen treffen, wie er sich verhalten soll und dabei
|
||||
konnte ihm des Bruders Messer helfen.
|
13
themes/posts/2011/09/das-leben-und-geld.tex
Normal file
13
themes/posts/2011/09/das-leben-und-geld.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,13 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2011-12-21 21:00:00
|
||||
tags: Aufzeichnungen eines Pessimisten
|
||||
title: Das Geld zum Leben
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Die Anzahl der Lebenstage ähnelt sich dem Geld: Es ist niemals genug, obwohl
|
||||
beides nichts wert ist.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
Die Anzahl der Lebenstage ähnelt sich dem Geld: Es ist niemals genug, obwohl
|
||||
beides nichts wert ist.
|
261
themes/posts/2011/09/textzusammenfassung.tex
Normal file
261
themes/posts/2011/09/textzusammenfassung.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,261 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2011-09-01 23:20:00
|
||||
tags: Aufsatz
|
||||
title: „Der Zauberlehrling“ von Johann Wolfgang von Goethe. Teil 3. Analyse der Ballade
|
||||
teaser:
|
||||
<p>
|
||||
Es geht in der Ballade „Der Zauberlehrling“ von Johann Wolfgang von Goethe, die
|
||||
im Jahr 1797 erschienen ist, um einen Hexenmeister, der einmal irgendwohin
|
||||
weggegangen ist und seinen Lehrling allein ließ. Der Zauberlehrling wollte seine
|
||||
Macht und seinen Zauber ausprobieren und Geister im Haus steuern. Von
|
||||
seinem Meister konnte er die Wörter, mit denen er diese Geister rufen könnte.
|
||||
Mit Geistesstärke hat der Zauberlehrling einen Besen lebendig gemacht. Um ein
|
||||
Wunder zu tun, wurde dem Besen befohlen, auf zwei Beinen zu stehen, die
|
||||
schlechten Lumpenhüllen zu nehmen und ein Becken voll mit Wasser zu füllen. Der
|
||||
Besen musste als Knecht dienen, zu einer Fluss laufen und Wasser bringen.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
\subsection{Textzusammenfassung}
|
||||
|
||||
Es geht in der Ballade „Der Zauberlehrling“ von Johann Wolfgang von Goethe, die
|
||||
im Jahr 1797 erschienen ist, um einen Hexenmeister, der einmal irgendwohin
|
||||
weggegangen ist und seinen Lehrling allein ließ. Der Zauberlehrling wollte seine
|
||||
Macht und seinen Zauber ausprobieren und Geister im Haus steuern. Von
|
||||
seinem Meister konnte er die Wörter, mit denen er diese Geister rufen könnte.
|
||||
Mit Geistesstärke hat der Zauberlehrling einen Besen lebendig gemacht. Um ein
|
||||
Wunder zu tun, wurde dem Besen befohlen, auf zwei Beinen zu stehen, die
|
||||
schlechten Lumpenhüllen zu nehmen und ein Becken voll mit Wasser zu füllen. Der
|
||||
Besen musste als Knecht dienen, zu einer Fluss laufen und Wasser bringen.
|
||||
|
||||
Der Besen führte seine Aufgabe so behände aus, dass das seinen „Wirt“ wunderte.
|
||||
Als das Ziel erreicht wurde, sagte der Zauberlehrling seinem Knecht, dass alles,
|
||||
was nötig gewesen war, jetzt gemacht ist. Und er merkte gleich, dass er die
|
||||
Wörter vergessen hat, mit denen er den Besen zum vorherigen Zustand hätte machen
|
||||
können, und der Besen setzte fort, das Wasser zu tragen, bis das Wasser auf den
|
||||
Zauberlehrling aufstürzte und das Haus angefangen hat, zu ersaufen.
|
||||
|
||||
Das Haus wurde immer mehr mit Wasser gefüllt. Der Zauberlehrling war wütend und
|
||||
schrie dem Besen davor, aber es war umsonst, weil der Besen nicht hören wollte.
|
||||
Der Zauberlehrling hat gesagt, dass er den Besen fassen und halten will. Dann
|
||||
hat der Zauberlehrling ein scharfes Beil genommen, sich auf den Besen geworfen
|
||||
und ihn damit gespaltet. Sein Feind war entzwei, und der Lehrling hörte auf
|
||||
sich Sorgen um ihn zu machen.
|
||||
|
||||
Plötzlich sind die beiden Teile doch aufgestanden und trugen schon das Wasser zu
|
||||
zweit und selbstverständlich noch schneller. Der Zauberlehrling wusste überhaupt
|
||||
nicht, was er in dieser Situation machen könnte und fing an, den Meister zu
|
||||
rufen. Endlich kam der erwartete Meister, den der Zauberlehrling bat zu helfen.
|
||||
Der Meister hat den Besen rasch in die Ecke geschickt und gesagt, dass der
|
||||
Meister für das Spiel mit Geistern zunächst gerufen werden soll.
|
||||
|
||||
\subsection{Formaler Aufbau}
|
||||
|
||||
Die Ballade besteht aus 14 Strophen. Jede zweite hat ein anderes Reimschema als
|
||||
die anderen und ist einem Refrein ähnlich. Das sieht folgendermaßen aus:
|
||||
|
||||
\begin{tabular}{l r}
|
||||
Hat der alte Hexenmeister & a\\
|
||||
Sich doch einmal wegbegeben! & b\\
|
||||
Und nun sollen seine Geister & a\\
|
||||
Auch nach meinem Willen leben. & b\\
|
||||
Seine Wort und Werke & c\\
|
||||
Merkt ich, und den Brauch, & d\\
|
||||
Und mit Geistesstärke & c\\
|
||||
Tu ich Wunder auch. & d\\
|
||||
\ & \\
|
||||
|
||||
Walle! walle & e\\
|
||||
Manche Strecke, & f\\
|
||||
Daß, zum Zwecke, & f\\
|
||||
Wasser fließe, & g\\
|
||||
Und mit reichem vollem Schwalle & e\\
|
||||
Zu dem Bade sich ergieße. & g
|
||||
\end{tabular}
|
||||
|
||||
Ungerade Strophen bestehen aus 8 Versen, die mit Kreuzreim verbunden sind.
|
||||
Gerade Strophen haben nur 6 Verse mit Reim e-f-f-g-e-g. Das Versmaß ist
|
||||
Trochäus.
|
||||
|
||||
Die Sätze sind meistens kurz und sind oft koordinierend verbunden, was für Leser
|
||||
leicht zu verstehen ist, trotzdem sind viele Wörter vorhanden, die heute
|
||||
schwierig zu kapieren sind.
|
||||
|
||||
\subsubsection{Stilmittel}
|
||||
|
||||
Personifikation in dieser Ballade ist der lebendige Besen, der zwar nicht
|
||||
richtig denken kann, aber kann sich bewegen, Befehle ausführen. Ich würde sagen,
|
||||
dass das Holz die Rolle von Menschen spielt, weil nachdem sie gespaltet worden
|
||||
waren, konnten die beiden Teilen handeln. Zum Besen werden viele menschliche
|
||||
Eigenschaften verwendet: böse, verrucht; er kann Knecht sein, steht auf zwei
|
||||
Beinen und hat einen Kopf oben. Das Wasser kann auch als Personifikation
|
||||
verstanden sein.
|
||||
|
||||
Es gibt eine Antithese in der zwölften Strophe: Knechte — Mächte.
|
||||
|
||||
Die Parabel sind hundert Flüsse, die auf den Zauberlehrling aufstürzen.
|
||||
|
||||
Ein Zauberlehrling, ein Hexenmeister und die Geister, von denen eine Sache
|
||||
lebendig werden kann, können im realen Leben kaum existieren, also sind sie
|
||||
Metaphern.
|
||||
|
||||
Behende würde man mit „ä“ schreiben (behände). Das ist ein Archaismus.
|
||||
|
||||
\subsection{Analysieren des Inhalts der Ballade}
|
||||
|
||||
\subsubsection{Der Titel und das Thema der Ballade}
|
||||
|
||||
Der Titel der Ballade bezieht sich auf die Hauptperson, den Zauberlehrling.
|
||||
|
||||
Das Thema: mit dem Werk wollte der Autor zeigen, wie wichtig die Rolle von
|
||||
Lehrer bzw.\ guter Regierung im Leben ist.
|
||||
|
||||
\subsubsection{Gliederung}
|
||||
|
||||
Die Ballade wird mit einem Vorwort angefangen, in dem der Leser in die
|
||||
beschriebene Situation eingeführt (Weggang des Meisters) und mit handelnden
|
||||
Personen (mit dem Zauberlehrling und den Geistern) bekanntgemacht wird. Das
|
||||
sind die ersten vier Verse.
|
||||
|
||||
Dann entwickelt sich die Geschichte, bis der Zauberlehrling gemerkt hat, das er
|
||||
ein wichtiges Wort vergessen hat.
|
||||
|
||||
Danach stellt sich das Problem. Das Geschehene wird total geändert und wendet
|
||||
sich gegen den Zauberlehrling.
|
||||
|
||||
Als nächstes kommt die Kulmination. Die Hauptfigur sucht einen Ausgang und
|
||||
greift das Beil. Der alte Besen ist gespalten und der Zauberlehrling denkt,
|
||||
dass er den Sieg errungen hat. Die Spannung fällt ab. Aber kurz nachher hat der
|
||||
Lehrling schon „zwei Probleme“ statt einem. Man beobachtet kurz neue Entwicklung
|
||||
des Erzählten. Die Spannung nimmt wieder zu.
|
||||
|
||||
Die vier letzten Verse der vorletzten Strophe sind schon die Lösung, denn
|
||||
endlich kommt der Meister.
|
||||
|
||||
Die letzte Strophe kann man zum Nachwort zählen, da der alte Hexenmeister sagt,
|
||||
was man machen sollen hätte.
|
||||
|
||||
\subsubsection{Typisierung der handelnden Personen}
|
||||
|
||||
<i>Den Hexenmeister</i> begegnet man nur am Anfang und am Ende. Am Anfang
|
||||
erwähnt der Autor ihn nur. Am Ende zieht er die Schlussfolgerung. Der Meister
|
||||
scheint nicht böse zu sein, er fühlt sich sicher, ist ruhig und hat
|
||||
ausgezeichnete Kenntnisse, kennt seine Arbeit sehr gut.
|
||||
|
||||
Der Zauberlehrling ist, wie bereits erwähnt, die Hauptperson. Er benimmt sich
|
||||
wie ein Jugendlicher oder ein Kind. Er ist ungehorsam und verwegen, will mit dem
|
||||
Feuer spielen, ohne bevor nachzudenken. Der Lehrling wollte, dass alle (z.B. der
|
||||
Besen) ihn hören und selber macht schlimme Sachen ohne Erlaubnis. Er kriegt sehr
|
||||
schnell Ärger, wird wütend und kann sich nicht kontrollieren (greift das Beil).
|
||||
Nur wenn es keine andere Wahl gibt, trifft der Zauberlehrling vernünftige
|
||||
Entscheidung — ruft seinen erfahrenen Meister.
|
||||
|
||||
<i>Der Besen</i> macht alles unbewusst. Er ist von den Geistern des Meisters
|
||||
gesteuert. <i>Den Geistern</i> ist egal, wen zu hören. Sie sind brav, sogar wenn
|
||||
dass unnötig und schädlich ist, haben keinen Willen und können ohne guten Chef
|
||||
alles vor sich zerstören.
|
||||
|
||||
\subsection{Interpretation}
|
||||
|
||||
Die Ballade wurde das erste Mal im von Friedrich Schiller herausgegebenen
|
||||
„Musen-Almanach“ für das Jahr 1798 erschienen. Die Geschichte, die in der
|
||||
Goethes „Der Zauberlehrling“ erzählt wurde, ist nicht neu. Vermutlich wurde
|
||||
ein Teil aus „Der Lügenfreund oder der Ungläubige“ vom griechischen Dichter
|
||||
Lukian von Samosata genommen, ergänzt bzw.\ verändert und umgeschrieben.
|
||||
Die Stelle, die als ein Muster dienen könnte, lautet folgendermaßen:
|
||||
|
||||
\begin{quote}
|
||||
Endlich fand ich doch einmal Gelegenheit, mich in einem dunkeln Winkel
|
||||
verborgen zu halten und die Zauberformel, die er dazu gebrauchte,
|
||||
aufzuschnappen, indem sie nur aus drei Silben bestand. Er ging darauf, ohne mich
|
||||
gewahr zu werden, auf den Marktplatz, nachdem er dem Stößel befohlen hatte, was
|
||||
zu tun sei. Den folgenden Tag, da er geschäftehalber ausgegangen war, nehm' ich
|
||||
den Stößel, kleide ihn an, spreche die besagten drei Silben und befehle ihm,
|
||||
Wasser zu holen. Sogleich bringt er mir einen großen Krug voll. Gut, sprach ich,
|
||||
ich brauche kein Wasser mehr, werde wieder zum Stößel! Aber er kehrte sich nicht
|
||||
an meine Reden, sondern fuhr fort, Wasser zu tragen, und trug so lange, daß
|
||||
endlich das ganze Haus damit angefüllt war. Mir fing an, bange zu werden,
|
||||
Pankrates, wenn er zurückkäme, möcht' es übelnehmen — wie es dann auch
|
||||
geschah -, und weil ich mir nicht anders zu helfen wußte, nahm ich eine Axt un
|
||||
hieb den Stößel mitten entzwei. Aber da hatte ich es übel getroffen; denn nun
|
||||
packte jede Hälfte einen Krug an und holte Wasser, so daß ich für einen
|
||||
wasserträger nun ehrer zwei hatte. Inmittelst kommt mein Pankrates zurück, und
|
||||
wie er sieht, was passiert war, gibt er ihnen ihre vorige Gestalt wieder; er
|
||||
selbst aber machte sich heimlich aus dem Staube, und ich habe ihn nie wieder
|
||||
gesehen.\footcite{moritz:balladen}
|
||||
\end{quote}
|
||||
|
||||
Im Jahr 1940 Walt Disney machte aus der Goethes Ballade einen Zeichentrickfilm
|
||||
mit Micky Maus.
|
||||
|
||||
Wer Erzähler ist, ist ein bisschen unklar. Er scheint der Zauberlehrling selber
|
||||
zu sein. Aber er muss dann allein mit Geistern und dem Besen zu Hause sein,
|
||||
trotzdem wendet er sich in der fünften Strophe an jemanden noch: „<i>Seht</i>,
|
||||
er läuft zum Ufer nieder…“ (Herv. — Eugen Wissner). In der nächsten Strophe
|
||||
sagt der Zauberlehrling: „Stehe! Stehe! Denn <i>wir</i> haben deiner Gaben
|
||||
vollgemessen!…“ (Herv. — Eugen Wissner). Die erste Stelle kann man verstehen
|
||||
als Anrede an Leser; die zweite ist Ruf nicht nur vom Autor, sondern von anderen
|
||||
Menschen auch. Die letzte Strophe in der Ballade spricht der Hexenmeister aus
|
||||
und sie sind von Goethe in Anführungszeichen gesetzt. Fast alles ist in Präsens
|
||||
geschrieben, folglich ist das Gegenwart.
|
||||
|
||||
Die Ballade hat die ewige Bedeutung für Menschheit, da sie Probleme beschreibt,
|
||||
die mit menschlicher Psychologie zu tun haben und deshalb waren immer
|
||||
vorhanden, sind zur Zeit vorhanden und werden noch vorhanden sein. Das Werk ist
|
||||
mit Ereignissen der Zeit verbunden, in der Goethe gelebt hat, aber die Geschichte
|
||||
wiederholt sich wegen der schon erwähnten menschlichen Psychologie.
|
||||
|
||||
Der Meister ist als „der alte Hexenmeister“ bezeichnet. Das Wort „alt“ bezieht
|
||||
sich nicht auf sein Alter, sondern auf seine Erfahrung. Das ist also ein guter
|
||||
Lehrer, der vielleicht schon alles im Leben gesehen hat. Sein Lehrling ist
|
||||
kindisch.\footnote{Vgl.: Typisierung der handelnden Personen.} Er will prahlen und seine
|
||||
Kenntnisse zeigen, die er vielleicht noch nicht hat, obwohl der berühmteste Satz
|
||||
von einem der weisesten Männer antikes Griechenlands, Sokrates, lehrt darüber,
|
||||
was man an sein Wissen immer denken sollte: „Ich weiß, dass ich nichts weiß“.
|
||||
Der Lehrling hat nicht vor, seinen Meister um Rat zu fragen sondern ruft die
|
||||
Geister, die er wahrscheinlich überhaupt nicht kennt, ruft irgendwelche fremde
|
||||
Geister, die im helfen müssten, ein Wunder zu machen. Das ist vergleichbar mit
|
||||
Ereignissen in der Geschichte von Israel, denen man zahlreich in der Heiligen
|
||||
Schrift begegnen kann. Als Mose weggegangen ist, um das Gottesgesetz (zehn
|
||||
Gebote) von dem Berge zu holen, bat das Volk Aaron einen anderen Gott für sie
|
||||
zu machen. Aaron sammelte die goldenen Ohrringe „und bildete das Gold in einer
|
||||
Form und machte ein gegossenes Kalb. Und sie sprachen: Das ist dein Gott,
|
||||
Israel, der dich aus Ägyptenland geführt hat!“ (2. Mose 32).
|
||||
Als Mose zurückkam, zerbrach er Tafeln unten am Berg. Zorn wurde über die
|
||||
Israeliten entbrannt und der Zauberlehrling wird auch bestraft.
|
||||
|
||||
Die Situation scheint zunächst lustig zu sein. Der Lehrling ist zufrieden, kann
|
||||
sich gönnen zu faulenzen, da der Besen alle Arbeiten ausführt und Spaß für
|
||||
seinen Wirt machen kann. Aber ein paar Verse später gehorcht der Besen nicht
|
||||
mehr und macht seine Arbeit, die am Anfang so nützlich schien, weiter. Der
|
||||
Lehrling versucht erstmal den Besen und die Geister mit Wörtern zur Ruhe zu
|
||||
bringen. Wenn das nicht gelingt, greift er zu den Waffen. Dem wird bange. Aber
|
||||
mit allen seinen Handlungen macht der Lehrling nur schlimmer. Mit der Waffe
|
||||
kann ein Problem nicht gelöst werden. Und endlich, wenn fast alles mit dem
|
||||
Wasser voll ist, und es gibt keine andere Chance sich zu retten, versteht der
|
||||
Lehrling, dass er zu schwach ist, und ruft den Meister. Der alte Hexenmeister
|
||||
hört ihn im Unterschied zu den Geistern.
|
||||
|
||||
Es passiert, dass Lehrlinge um ihre Lehrer klagen, weil sie nicht alles
|
||||
verstehen können und schließlich gegen sie gehen. Das Gleiche kann in einer
|
||||
Familie betrachtet werden, wenn man die Eltern für die Lehrer und die Kinder für
|
||||
die Lehrlinge hält. Zwischen Kindern und Eltern ist eines der häufigsten
|
||||
Probleme, das sowohl in der russischen als auch in der deutschen Literatur
|
||||
behandelt wird. Einem fremden Menschen ist oft leichter zuzuhören, als den
|
||||
Menschen, die in der Nähe von uns sind und die uns sogar lieben, wenn wir das
|
||||
nicht verstehen.
|
||||
|
||||
Die Ebene, auf der die Ballade betrachtet werden kann, kann immer breiter
|
||||
werden. Das kann ganz persönlich sein, eine Familie. Das kann eine Gesellschaft
|
||||
sein, wie z.B. Schule, Universität o.Ä. Das kann aber auch geschichtlich auf das
|
||||
ganze Volk bezogen sein und dann auf die ganze Welt, z.B. französische
|
||||
Revolution. Damals versuchten ganz viele Menschen zunächst in einem Land, dann
|
||||
in ganz Europa, auf ihre alten Ideale, alten Traditionen verzichten und nur sich
|
||||
selbst und ihrer Vernunft zu vertrauen. Egozentrismus ist die Idee der
|
||||
Aufklärung. Da bringt aber noch lange Zeit nichts, weil nichts in Herzen
|
||||
verändert ist. Der König und viele Adlige wurden getötet und andere Räuber haben
|
||||
Macht bekommen aber viele verhungern immer noch. Man muss nach Besserem streben,
|
||||
aber sehr vorsichtig und ohne Eile, sonst können noch weitere Probleme
|
||||
entstehen. Das ist die Idee der Ballade.
|
||||
|
||||
% Erstelldatum: 19.02.2010
|
7
themes/posts/2011/10/bestraft.tex
Normal file
7
themes/posts/2011/10/bestraft.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,7 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2011-10-28 14:00:00
|
||||
tags: Aufzeichnungen eines Pessimisten
|
||||
title: Bestraft
|
||||
---
|
||||
Meine Geburt ist meine Strafe.
|
7
themes/posts/2011/10/das-weise-alter.tex
Normal file
7
themes/posts/2011/10/das-weise-alter.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,7 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2011-10-22 12:59:00
|
||||
tags: Aufzeichnungen eines Pessimisten
|
||||
title: Das hohe weise Alter
|
||||
---
|
||||
Jugendlicher Maximalismus, greisenhafte Torheit… wer hat den Scwachsinn ausgedacht?
|
83
themes/posts/2011/11/18.tex
Normal file
83
themes/posts/2011/11/18.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,83 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2007-07-20 05:22:00
|
||||
tags: Стихотворение
|
||||
title: Рыжик (Дивеево, 18 июля)
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Средь суетящихся людей<br>
|
||||
Ваш дерзкий взгляд я заприметил.<br>
|
||||
Ему взаимностью ответив,<br>
|
||||
Попал в плен Ваших я очей.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Они пронзили душу мне,<br>
|
||||
И сердце трепетное сжалось<br>
|
||||
Так, что внезапно показалось:<br>
|
||||
Пылает лед в кромешной тьме.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Вся похоть сердца подлеца<br>
|
||||
Подвластна женственности вечно;<br>
|
||||
А Ваше тело безупречно,<br>
|
||||
И тайной веет от лица.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Не смел я оторвать и глаз,<br>
|
||||
Когда Вы сделали то первой,<br>
|
||||
Чтоб подойти походкой верной,<br>
|
||||
Явить ликующий свой глас.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Сей встречи грянувшей как гром<br>
|
||||
Прошли счастливые мгновенья,<br>
|
||||
Но не терзало грудь сомненья<br>
|
||||
С заветным в кулаке листом.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
К чему нежданная мечта?<br>
|
||||
Волнами рыжими ложится<br>
|
||||
Заря на небо. Ах, зорница!<br>
|
||||
Мила…<br>
|
||||
И снова грезится она…
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
% Об удивительном мимолетном знакомстве во время экскурсии в Дивеево (село в
|
||||
% Нижегородской области) при ожидании очереди на одном из имеющихся источников.
|
||||
% Чудеса там со всеми происходят разные, со мной, видимо, ничего иного случиться
|
||||
% и не могло. Рассказала, что ее в школе „рыжиком“ дразнили, и она за это всех
|
||||
% била. Полученным листком с ее адресом я воспользовался, но ответа не получил:
|
||||
% может, письмо не дошло, может, стихотворение не понравилось.
|
||||
|
||||
\textit{Марине Кривцовой}
|
||||
|
||||
Средь суетящихся людей\\
|
||||
Ваш дерзкий взгляд я заприметил.\\
|
||||
Ему взаимностью ответив,\\
|
||||
Попал в плен Ваших я очей.
|
||||
|
||||
Они пронзили душу мне,\\
|
||||
И сердце трепетное сжалось\\
|
||||
Так, что внезапно показалось:\\
|
||||
Пылает лед в кромешной тьме.
|
||||
|
||||
Вся похоть сердца подлеца\\
|
||||
Подвластна женственности вечно;\\
|
||||
А Ваше тело безупречно,\\
|
||||
И тайной веет от лица.
|
||||
|
||||
Не смел я оторвать и глаз,\\
|
||||
Когда Вы сделали то первой,\\
|
||||
Чтоб подойти походкой верной,\\
|
||||
Явить ликующий свой глас.
|
||||
|
||||
Сей встречи грянувшей как гром\\
|
||||
Прошли счастливые мгновенья,\\
|
||||
Но не терзало грудь сомненья\\
|
||||
С заветным в кулаке листом.
|
||||
|
||||
К чему нежданная мечта?\\
|
||||
Волнами рыжими ложится\\
|
||||
Заря на небо. Ах, зорница!\\
|
||||
Мила…\\
|
||||
И снова грезится она…
|
51
themes/posts/2011/11/blog-post.tex
Normal file
51
themes/posts/2011/11/blog-post.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,51 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2006-10-17 01:00:00
|
||||
tags: Стихотворение
|
||||
title: Последняя записка
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Простив, прошу за все прощенья;<br>
|
||||
За все, что можешь мне простить,<br>
|
||||
За страстной юности влеченья,<br>
|
||||
За все, чего не воротить.<br>
|
||||
Пишу тебе в последний раз…<br>
|
||||
Прости за сей нескладный сказ.
|
||||
</p>
|
||||
|
||||
---
|
||||
% Опубликую постепенно все стихотворения, которые я за свою жизнь написал и за
|
||||
% которые мне не стыдно. Несколько стихов 2004 года еще ждут своей очереди на
|
||||
% творческую реставрацию.
|
||||
|
||||
% Начинается мое собрание с „трилогии“, посвященной Марии Гашковой, на то время
|
||||
% воспитаннице Регентской школы Тобольской Духовной Семинарии, а ныне регенту
|
||||
% храмового хора в Красноярске. Повод к написанию достаточно очевидно исходит из
|
||||
% названия. Первое шестистишие было передано через посредника адресату, а вот
|
||||
% следующее за ним четверостишие именуется в моем дневнике „Нереализованным
|
||||
% вариантом“. Ответа мне, кстати, так и не предложили. Только, примерно, через
|
||||
% месяц поблагодарили ради приличия при случайной встрече.
|
||||
|
||||
% Заключительная „Поправка“ писалась годом позже, что, между прочим, видно из
|
||||
% ее настроения.
|
||||
|
||||
\textit{Марии Гашковой}
|
||||
|
||||
Простив, прошу за все прощенья;\\
|
||||
За все, что можешь мне простить,\\
|
||||
За страстной юности влеченья,\\
|
||||
За все, чего не воротить.\\
|
||||
Пишу тебе в последний раз…\\
|
||||
Прости за сей нескладный сказ.
|
||||
|
||||
\subsection{Нереализованный вариант}
|
||||
|
||||
Прости за все, прости коль можешь\\
|
||||
За юность страстную мою.\\
|
||||
Пусть мне ответа не предложишь,\\
|
||||
Прости, в последний раз пишу.
|
||||
|
||||
\subsection{Поправка (к „Последней записке“) 2007\footnote{8 августа 2007}}
|
||||
|
||||
В последний раз тебе пишу,\\
|
||||
Прости безграмотность прошу.
|
52
themes/posts/2011/11/blog-post_14.tex
Normal file
52
themes/posts/2011/11/blog-post_14.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,52 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2004-02-05 05:40:00
|
||||
tags: Стихотворение
|
||||
title: Предвидение
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Над крышею дома<br>
|
||||
Кружит черный ворон,<br>
|
||||
О судьбе беспощадной предупреждая меня,<br>
|
||||
Стало быть снова<br>
|
||||
К родимому крову,<br>
|
||||
Снова ко мне пришла беда.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Печали я полон:<br>
|
||||
Принес черный ворон<br>
|
||||
Столь жестокую весть, дал мне горя отпить.<br>
|
||||
Ехать мне завтра<br>
|
||||
Родимого брата,<br>
|
||||
Родного брата на погост хоронить.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Может быть завтра,<br>
|
||||
Прямо как с братом,<br>
|
||||
Может быть скоро будет со мной;<br>
|
||||
За жизнь столь лихую, За горесть людскую<br>
|
||||
Следом за братом уйду на покой.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
% Насколько я сейчас помню, было написано незадолго до смерти двоюродной сестры,
|
||||
% почему позже так и названо.
|
||||
|
||||
Над крышею дома\\
|
||||
Кружит черный ворон,\\
|
||||
О судьбе беспощадной предупреждая меня,\\
|
||||
Стало быть снова\\
|
||||
К родимому крову,\\
|
||||
Снова ко мне пришла беда.
|
||||
|
||||
Печали я полон:\\
|
||||
Принес черный ворон\\
|
||||
Столь жестокую весть, дал мне горя отпить.\\
|
||||
Ехать мне завтра\\
|
||||
Родимого брата,\\
|
||||
Родного брата на погост хоронить.
|
||||
|
||||
Может быть завтра,\\
|
||||
Прямо как с братом,\\
|
||||
Может быть скоро будет со мной;\\
|
||||
За жизнь столь лихую, За горесть людскую\\
|
||||
Следом за братом уйду на покой.
|
65
themes/posts/2011/11/blog-post_16.tex
Normal file
65
themes/posts/2011/11/blog-post_16.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,65 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2007-01-08 10:11:00
|
||||
tags: Стихотворение
|
||||
title: Рождество
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
В грехов болоте с головою<br>
|
||||
Увяз. Тоска, уныние, нет сил.<br>
|
||||
Не совладать никак с собою,<br>
|
||||
И жизни бы себя лишил.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Но выпал снег, замел печали,<br>
|
||||
Надеждою на сердце лег.<br>
|
||||
Год Новый людям даровали!<br>
|
||||
Покайся — призывает Бог.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Зажег звезду Он на Востоке,<br>
|
||||
Что б ночью к Солнцу нас вела,<br>
|
||||
Узрели наши чтоб пороки,<br>
|
||||
Худые мысли все, дела.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Смирился, Боже, до вертепа,<br>
|
||||
До немощи снизшел людской,<br>
|
||||
Спустил на землю благость Неба,<br>
|
||||
Явил Свет Истины Собой.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Родился в мире Искупитель!<br>
|
||||
Помилуй, Боже, вновь и вновь,<br>
|
||||
Открой для нас Свою Обитель.<br>
|
||||
О, дай нам все познать любовь!
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
% А за это стихотворение я, соревнуясь и с коллективами, даже получил то ли
|
||||
% третье, то ли второе место на рождественском концерте в ТДС. Почему-то
|
||||
% датировано, судя по всему, датой самого концерта.
|
||||
|
||||
В грехов болоте с головою\\
|
||||
Увяз. Тоска, уныние, нет сил.\\
|
||||
Не совладать никак с собою,\\
|
||||
И жизни бы себя лишил.
|
||||
|
||||
Но выпал снег, замел печали,\\
|
||||
Надеждою на сердце лег.\\
|
||||
Год Новый людям даровали!\\
|
||||
Покайся — призывает Бог.
|
||||
|
||||
Зажег звезду Он на Востоке,\\
|
||||
Что б ночью к Солнцу нас вела,\\
|
||||
Узрели наши чтоб пороки,\\
|
||||
Худые мысли все, дела.
|
||||
|
||||
Смирился, Боже, до вертепа,\\
|
||||
До немощи снизшел людской,\\
|
||||
Спустил на землю благость Неба,\\
|
||||
Явил Свет Истины Собой.
|
||||
|
||||
Родился в мире Искупитель!\\
|
||||
Помилуй, Боже, вновь и вновь,\\
|
||||
Открой для нас Свою Обитель.\\
|
||||
О, дай нам все познать любовь!
|
23
themes/posts/2011/11/blog-post_17.tex
Normal file
23
themes/posts/2011/11/blog-post_17.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,23 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2006-10-25 00:00:00
|
||||
tags: Стихотворение
|
||||
title: Скажи, насколько безнадежно…
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Скажи, насколько безнадежно<br>
|
||||
Мое влечение к тебе?<br>
|
||||
О, если б знала как тревожно<br>
|
||||
Ответа ждать! и лгать себе…
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
% Четверостишие была написано для приятеля и отправлено в sms подруге моей
|
||||
% подруги. Приятель и получатель sms ныне счастливо женаты. Мне вот повезло
|
||||
% меньше (больше?).
|
||||
|
||||
\textit{Веронике Стоговой}
|
||||
|
||||
Скажи, насколько безнадежно\\
|
||||
Мое влечение к тебе?\\
|
||||
О, если б знала как тревожно\\
|
||||
Ответа ждать! и лгать себе…
|
83
themes/posts/2011/11/blog-post_18.tex
Normal file
83
themes/posts/2011/11/blog-post_18.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,83 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2004-05-06 06:28:00
|
||||
tags: Стихотворение
|
||||
title: Просто помолчим (Горит свеча)
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Спит весь город в полумраке.<br>
|
||||
Тишина.<br>
|
||||
И сегодня в старом парке<br>
|
||||
Меня не ждет она.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
В комнате горит свеча в твою честь.<br>
|
||||
Сколько я их сжег, уже не счесть.<br>
|
||||
Давай не будем верить словам чужим<br>
|
||||
И в этот вечер вдали друг от друга<br>
|
||||
Помолчим.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Февраль засыпал улицу снегом.<br>
|
||||
Зима.<br>
|
||||
И не спешить на свиданье,<br>
|
||||
Пусть без букета, —<br>
|
||||
Слишком далеко она.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
В комнате горит свеча за нас.<br>
|
||||
Надежда будет пока огонь не погас.<br>
|
||||
Ты меня за жизнь мою здесь,<br>
|
||||
Дорогая, не кори,<br>
|
||||
Давай сегодня просто помолчим.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
День все ближе к закату клонит.<br>
|
||||
Скукота.<br>
|
||||
Каждую ночь ко мне приходит<br>
|
||||
Во сне она.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
В комнате горит свеча по нашей встрече.<br>
|
||||
Я снова видел тебя во сне недавече.<br>
|
||||
Мы, как прежде, в глаза друг другу глядели<br>
|
||||
И даже слова сказать не посмели.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
\textit{Марине Княжевой}
|
||||
|
||||
% Еще одно стихотворение c „кривой рифмой“, но просили ничего не менять:
|
||||
% деваться некуда.
|
||||
|
||||
Спит весь город в полумраке.\\
|
||||
Тишина.\\
|
||||
И сегодня в старом парке\\
|
||||
Меня не ждет она.
|
||||
|
||||
В комнате горит свеча в твою честь.\\
|
||||
Сколько я их сжег, уже не счесть.\\
|
||||
Давай не будем верить словам чужим\\
|
||||
И в этот вечер вдали друг от друга\\
|
||||
Помолчим.
|
||||
|
||||
Февраль засыпал улицу снегом.\\
|
||||
Зима.\\
|
||||
И не спешить на свиданье,\\
|
||||
Пусть без букета, —\\
|
||||
Слишком далеко она.
|
||||
|
||||
В комнате горит свеча за нас.\\
|
||||
Надежда будет пока огонь не погас.\\
|
||||
Ты меня за жизнь мою здесь,\\
|
||||
Дорогая, не кори,\\
|
||||
Давай сегодня просто помолчим.
|
||||
|
||||
День все ближе к закату клонит.\\
|
||||
Скукота.\\
|
||||
Каждую ночь ко мне приходит\\
|
||||
Во сне она.
|
||||
|
||||
В комнате горит свеча по нашей встрече.\\
|
||||
Я снова видел тебя во сне недавече.\\
|
||||
Мы, как прежде, в глаза друг другу глядели\\
|
||||
И даже слова сказать не посмели.
|
77
themes/posts/2011/11/blog-post_19.tex
Normal file
77
themes/posts/2011/11/blog-post_19.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,77 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2007-08-08 00:17:00
|
||||
tags: Стихотворение
|
||||
title: Фотокарточка
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Фотокарточка в альбоме<br>
|
||||
разожгла былую страсть —<br>
|
||||
вспомнил я как в счастья доме<br>
|
||||
нам жизнь была обоим всласть.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
От сна восстав желал увидеть<br>
|
||||
я блеск прекрасных карих глаз,<br>
|
||||
любовью жизнь хотел насытить,<br>
|
||||
с тобой судьбы сложить рассказ.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Мечтал ласкать твои я губы.<br>
|
||||
Я каждый час мечтал. Мечтал!<br>
|
||||
В лобзании сплетались судьбы.<br>
|
||||
Еще любви такой не знал.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Но вот уплыло наше время:<br>
|
||||
разошлись мы кто куда.<br>
|
||||
Теперь нести и горя бремя,<br>
|
||||
разлука – вечная беда.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
С тех пор не видел сна такого,<br>
|
||||
в котором не было б тебя.<br>
|
||||
Обнять твои колени снова<br>
|
||||
хочу. Хочу как никогда!
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Но ведь пройдет разлуки время!<br>
|
||||
Как очи карие увижу вновь.<br>
|
||||
Мы понесем и счастья бремя,<br>
|
||||
и прошепчу: Моя любовь…
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
% Тоже просили не менять, а так хотелось…
|
||||
% (1 мая 2004, Редакция 8.08.2007)
|
||||
|
||||
\textit{Марине Княжевой}
|
||||
|
||||
Фотокарточка в альбоме\\
|
||||
разожгла былую страсть —\\
|
||||
вспомнил я как в счастья доме\\
|
||||
нам жизнь была обоим всласть.
|
||||
|
||||
От сна восстав желал увидеть\\
|
||||
я блеск прекрасных карих глаз,\\
|
||||
любовью жизнь хотел насытить,\\
|
||||
с тобой судьбы сложить рассказ.
|
||||
|
||||
Мечтал ласкать твои я губы.\\
|
||||
Я каждый час мечтал. Мечтал!\\
|
||||
В лобзании сплетались судьбы.\\
|
||||
Еще любви такой не знал.
|
||||
|
||||
Но вот уплыло наше время:\\
|
||||
разошлись мы кто куда.\\
|
||||
Теперь нести и горя бремя,\\
|
||||
разлука – вечная беда.
|
||||
|
||||
С тех пор не видел сна такого,\\
|
||||
в котором не было б тебя.\\
|
||||
Обнять твои колени снова\\
|
||||
хочу. Хочу как никогда!
|
||||
|
||||
Но ведь пройдет разлуки время!\\
|
||||
Как очи карие увижу вновь.\\
|
||||
Мы понесем и счастья бремя,\\
|
||||
и прошепчу: Моя любовь…\footnote{1 мая 2004}
|
54
themes/posts/2011/11/blog-post_20.tex
Normal file
54
themes/posts/2011/11/blog-post_20.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,54 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2007-07-11 05:18:00
|
||||
tags: Стихотворение
|
||||
title: Встреча
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Как ясный день после тумана,<br>
|
||||
Вернулось прошлое мое.<br>
|
||||
Пьян от весны ли я дурмана,<br>
|
||||
Иль впрямь знакомое лицо?
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Твой лучезарный лик развеял<br>
|
||||
Остаток канувших дождей.<br>
|
||||
Как долго я в душе лелеял<br>
|
||||
Тепло зимы ушедших дней!
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Как долго я забыть пытался,<br>
|
||||
Что мне казалось, не вернуть.<br>
|
||||
Ожило все: в любви как клялся,<br>
|
||||
Как страстно пала мне на грудь!
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Былой туман воспоминаний<br>
|
||||
Рассеял взгляд знакомых глаз.<br>
|
||||
Питья ль вина не знаю граней,<br>
|
||||
Души огонь ли не погас?
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
% Сотворено после одного нанесенного мне в Тобольске визита.
|
||||
|
||||
\textit{Марине Княжевой}
|
||||
|
||||
Как ясный день после тумана,\\
|
||||
Вернулось прошлое мое.\\
|
||||
Пьян от весны ли я дурмана,\\
|
||||
Иль впрямь знакомое лицо?
|
||||
|
||||
Твой лучезарный лик развеял\\
|
||||
Остаток канувших дождей.\\
|
||||
Как долго я в душе лелеял\\
|
||||
Тепло зимы ушедших дней!
|
||||
|
||||
Как долго я забыть пытался,\\
|
||||
Что мне казалось, не вернуть.\\
|
||||
Ожило все: в любви как клялся,\\
|
||||
Как страстно пала мне на грудь!
|
||||
|
||||
Былой туман воспоминаний\\
|
||||
Рассеял взгляд знакомых глаз.\\
|
||||
Питья ль вина не знаю граней,\\
|
||||
Души огонь ли не погас?
|
27
themes/posts/2011/11/blog-post_21.tex
Normal file
27
themes/posts/2011/11/blog-post_21.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,27 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2007-07-13 06:48:00
|
||||
tags: Стихотворение
|
||||
title: Эсэмэска
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Сонечко, сэрдэнько, ясочка моя, Гануся,<br>
|
||||
Потерпи еще малек и я к тебе вернуся…
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
% Следующие три стихотворения были „эсэмэсками“. Я, уехав на каникулы,
|
||||
% пообещался ежедневно отправлять на ниже частично указанный в посвящении
|
||||
% номер (чтобы его отгадать, нужно перебрать всего лишь 10000 комбинаций, хотя
|
||||
% он, кажется, уже не существует) по несколько стихотворных строк. Мой
|
||||
% энтузиазм на третий день кончился, но вот кое-какое наследие осталось.
|
||||
% Кроме того следует отметить, что два первых из них методом насилия над собой
|
||||
% написаны хореем (большинство прочих ямбом). Мой украинский вызван влиением,
|
||||
% какой уже не помню книги, где речь шла, в том числе и о „Ганне“ с ее мужем,
|
||||
% который называл ее и „сонечко“, и „сэрденько“, и „моя ясочка“, и поскольку уж
|
||||
% у меня тоже Ганнуся была…, которой будет еще одно посвящение позже, и о
|
||||
% котором она к тому же не ведает.
|
||||
|
||||
\textit{+7918902xxxx}
|
||||
|
||||
Сонечко, сэрдэнько, ясочка моя, Гануся,\\
|
||||
Потерпи еще малек и я к тебе вернуся…
|
24
themes/posts/2011/11/blog-post_22.tex
Normal file
24
themes/posts/2011/11/blog-post_22.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,24 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2007-07-14 05:21:00
|
||||
tags: Стихотворение
|
||||
title: Опыт хорея
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Симферополь, Любик — точки, —<br>
|
||||
Сей отрезок жутко длинный<br>
|
||||
(Плюс таможня Украины);<br>
|
||||
Но для Ангелов — цветочки,<br>
|
||||
Ведь у нас сердца магниты<br>
|
||||
(Лю́бой страсти монолиты).
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
% Почему название, было сказано до этого. Расстояние искусственно несколько
|
||||
% увеличено: (Г)Анна была в Симферополе; а я-то — во Владимирской области.
|
||||
|
||||
Симферополь, Любик — точки, —\\
|
||||
Сей отрезок жутко длинный\\
|
||||
(Плюс таможня Украины);\\
|
||||
Но для Ангелов — цветочки,\\
|
||||
Ведь у нас сердца магниты\\
|
||||
(Лю́бой страсти монолиты).
|
27
themes/posts/2011/11/blog-post_23.tex
Normal file
27
themes/posts/2011/11/blog-post_23.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,27 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2007-07-16 05:18:00
|
||||
tags: Стихотворение
|
||||
title: Я весь измучился тобою…
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Я весь измучился тобою,<br>
|
||||
Земной твоею красотою.<br>
|
||||
И ад вошел прям в душу мне,<br>
|
||||
Томлюся дико в том огне.<br>
|
||||
Бога жизнью проклянул,<br>
|
||||
За собой тебя втянул.<br>
|
||||
Нет! Не ты измучила меня,<br>
|
||||
А плоть похабная моя.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
Было отмечено получателем как самое удавшееся из трех в те каникулы отправленных.
|
||||
|
||||
Я весь измучился тобою,\\
|
||||
Земной твоею красотою.\\
|
||||
И ад вошел прям в душу мне,\\
|
||||
Томлюся дико в том огне.\\
|
||||
Бога жизнью проклянул,\\
|
||||
За собой тебя втянул.\\
|
||||
Нет! Не ты измучила меня,\\
|
||||
А плоть похабная моя.
|
19
themes/posts/2011/11/blog-post_24.tex
Normal file
19
themes/posts/2011/11/blog-post_24.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,19 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2007-07-24 05:49:00
|
||||
tags: Стихотворение
|
||||
title: Каникулы
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Ох, отпуск выдался мне летом!<br>
|
||||
Между кухней и клозетом…<br>
|
||||
Чего еще же пожелать?<br>
|
||||
В ночь — писа́ть,<br>
|
||||
Под утро — спать.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
Ох, отпуск выдался мне летом!\\
|
||||
Между кухней и клозетом…\\
|
||||
Чего еще же пожелать?\\
|
||||
В ночь — писа́ть,\\
|
||||
Под утро — спать.
|
96
themes/posts/2011/11/blog-post_26.tex
Normal file
96
themes/posts/2011/11/blog-post_26.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,96 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2007-08-06 07:31:00
|
||||
tags: Стихотворение
|
||||
title: Давай останемся просто друзьями?
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
„Давай останемся друзьями?“ -<br>
|
||||
вот кульминация кина.<br>
|
||||
Угрозы, просьбы, обещанья.<br>
|
||||
Да… ты унизился сполна.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Пойти бы с горя что ль напиться, —<br>
|
||||
да года два уже не пил;<br>
|
||||
иль в Церковь Божью помолиться, —<br>
|
||||
уйти в молитву нету сил.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Вот друг совсем другое дело —<br>
|
||||
тот всегда готов понять —<br>
|
||||
сказал: „В пятак ей дал бы смело!“,<br>
|
||||
иной пустился утешать.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
„Два пальца в рот“ — кричит тут третий, —<br>
|
||||
„забудешь все и обо всем!“,<br>
|
||||
и вся печаль тысячелетий<br>
|
||||
сбежит по трубам с ветерком…
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Но я томлюсь советом скромным:<br>
|
||||
забыть, простить; простить, забыть.<br>
|
||||
Ах, совесть, скверно быть влюбленным!<br>
|
||||
Скверней лишь не влюбленным быть.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
% Стихотворение, за которое мне когда-то было по-настоящему стыдно, а именно в
|
||||
% тот момент, когда его, неккуратно оставленное на столе в столовой, нашла одна
|
||||
% из подразумевавшихся в строках.
|
||||
|
||||
\textit{РОиИкО ТПДС\\и другу Шуре}
|
||||
|
||||
\subsubsection{I}
|
||||
|
||||
„Давай останемся друзьями?“ -\\
|
||||
вот кульминация кина.\\
|
||||
Угрозы, просьбы, обещанья.\\
|
||||
Да… ты унизился сполна.
|
||||
|
||||
Пойти бы с горя что ль напиться, —\\
|
||||
да года два уже не пил;\\
|
||||
иль в Церковь Божью помолиться, —\\
|
||||
уйти в молитву нету сил.
|
||||
|
||||
Вот друг совсем другое дело —\\
|
||||
тот всегда готов понять —\\
|
||||
сказал: „В пятак ей дал бы смело!“,\\
|
||||
иной пустился утешать.
|
||||
|
||||
„Два пальца в рот“ — кричит тут третий, —\\
|
||||
„забудешь все и обо всем!“,\\
|
||||
и вся печаль тысячелетий\\
|
||||
сбежит по трубам с ветерком…
|
||||
|
||||
Но я томлюсь советом скромным:\\
|
||||
забыть, простить; простить, забыть.\\
|
||||
Ах, совесть, скверно быть влюбленным!\\
|
||||
Скверней лишь не влюбленным быть.
|
||||
|
||||
\subsubsection{II}
|
||||
|
||||
Когда захочешь бросить друга,\\
|
||||
не философствуй о любви,\\
|
||||
а прямо: „Более не буду\\
|
||||
с тобой встречаться“ — „Что ж, мир ти“.
|
||||
|
||||
И с оскорбленьем не тяни,\\
|
||||
не мучь бессоницею в ночь.\\
|
||||
А ушла – не приходи,\\
|
||||
не мучь! Сомненья все прочь!
|
||||
|
||||
Себя не чувствуй виноватой,\\
|
||||
что мне услужливость теперь?\\
|
||||
Оно ль избавит от утраты?\\
|
||||
Приветливость что? от потерь?
|
||||
|
||||
Мы не останемся друзьями,\\
|
||||
прошу не лги сама себе.\\
|
||||
Благословишь ли день свиданья,\\
|
||||
я прокляну свиданья день.
|
||||
|
||||
И не проси забыть, что было,\\
|
||||
все вспомню я до мелочей.\\
|
||||
Тем поделюсь, что сердцу мило\\
|
||||
даже с будущей своей.
|
84
themes/posts/2011/11/blog-post_28.tex
Normal file
84
themes/posts/2011/11/blog-post_28.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,84 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2007-08-16 01:00:00
|
||||
tags: Стихотворение
|
||||
title: Дневник
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Ах, друг единственный и верный,<br>
|
||||
содержащий весь мой быт,<br>
|
||||
прости за то, что сердцем ленным<br>
|
||||
и ты давным-давно забыт.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
А помнишь как с тобой делился<br>
|
||||
всей суетой летящих дней?<br>
|
||||
Но для себя ли я трудился<br>
|
||||
или для будущих людей…
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Боялся я, что прочитает<br>
|
||||
тебя моя родная мать;<br>
|
||||
мечтал о том, как мир узнает<br>
|
||||
души поэта благодать!
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Прости ж неискренность, лукавство,<br>
|
||||
что я порою призывал.<br>
|
||||
Ты знаешь сам: всегда коварство<br>
|
||||
в душе юнца найдет причал.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Когда убить хотел былое,<br>
|
||||
тебя имел желанье сжечь.<br>
|
||||
О, если б сделал я такое,<br>
|
||||
как письма, бросив тебя в печь!?
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
То что бы я, скрипя зубами,<br>
|
||||
да с удивленьем на лице,<br>
|
||||
читал, чуть шевеля губами?..<br>
|
||||
Тебя, жизнь, видел лишь во сне.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
Ах, друг единственный и верный,\\
|
||||
содержащий весь мой быт,\\
|
||||
прости за то, что сердцем ленным\\
|
||||
и ты давным-давно забыт.
|
||||
|
||||
А помнишь как с тобой делился\\
|
||||
всей суетой летящих дней?\\
|
||||
Но для себя ли я трудился\\
|
||||
или для будущих людей…
|
||||
|
||||
Боялся я, что прочитает\\
|
||||
тебя моя родная мать;\\
|
||||
мечтал о том, как мир узнает\\
|
||||
души поэта благодать!
|
||||
|
||||
Прости ж неискренность, лукавство,\\
|
||||
что я порою призывал.\\
|
||||
Ты знаешь сам: всегда коварство\\
|
||||
в душе юнца найдет причал.
|
||||
|
||||
Когда убить хотел былое,\\
|
||||
тебя имел желанье сжечь.\\
|
||||
О, если б сделал я такое,\\
|
||||
как письма, бросив тебя в печь!?
|
||||
|
||||
То что бы я, скрипя зубами,\\
|
||||
да с удивленьем на лице,\\
|
||||
читал, чуть шевеля губами?..\\
|
||||
Тебя, жизнь, видел лишь во сне.
|
||||
|
||||
\subsubsection{Мораль}
|
||||
|
||||
Писать стихи и мемуары —\\
|
||||
порыв весенних жизни лет.\\
|
||||
Стыдишься их иль ищешь славы;\\
|
||||
с кем спеть, мечта твоя, дуэт?
|
||||
|
||||
Учебник по литературе\\
|
||||
ну, сохранит ли твой портрет,\\
|
||||
что списан век назад с натуры,\\
|
||||
как думаешь… хм.., поэт?
|
85
themes/posts/2011/11/blog-post_29.tex
Normal file
85
themes/posts/2011/11/blog-post_29.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,85 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2007-08-20 04:58:00
|
||||
tags: Стихотворение
|
||||
title: Электричка
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Постой хотя б еще немного,<br>
|
||||
электропоезд, на пути.<br>
|
||||
Кто может знать насколько долго<br>
|
||||
мне вновь с ней речи не вести?
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Ты уезжаешь на неделю,<br>
|
||||
я на перроне остаюсь,<br>
|
||||
но все же дерзостно осмелюсь:<br>
|
||||
в румянец щек ее вгляжусь,
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
в глаза небесно-голубые<br>
|
||||
(без лести: к ним идет платок)<br>
|
||||
и губы алые простые —<br>
|
||||
ну чем не красочный цветок?
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Что видно сквозь стекло вагона<br>
|
||||
со слоем пыли вековым…<br>
|
||||
Зачем в мгновение с перрона,<br>
|
||||
как птичка, упорхнула в дым?
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Да знаю, знаю, что имею<br>
|
||||
невесту и уже давно.<br>
|
||||
Но ведь ее я и не клею!<br>
|
||||
Тогда упреки мне за что?
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Помашет ручкой ли прощаясь?<br>
|
||||
Топчусь пред нею как дитя…<br>
|
||||
И чтобы в жизни не случалось<br>
|
||||
будет ли ко мне тепла,
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
позволит ль встретить с электрички,<br>
|
||||
за нею сумки понести;<br>
|
||||
не как жене, а как сестричке,<br>
|
||||
свою любовь к ней принести.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
\textit{Тобольск-Тюмень}
|
||||
|
||||
Постой хотя б еще немного,\\
|
||||
электропоезд, на пути.\\
|
||||
Кто может знать насколько долго\\
|
||||
мне вновь с ней речи не вести?
|
||||
|
||||
Ты уезжаешь на неделю,\\
|
||||
я на перроне остаюсь,\\
|
||||
но все же дерзостно осмелюсь:\\
|
||||
в румянец щек ее вгляжусь,
|
||||
|
||||
в глаза небесно-голубые\\
|
||||
(без лести: к ним идет платок)\\
|
||||
и губы алые простые —\\
|
||||
ну чем не красочный цветок?
|
||||
|
||||
Что видно сквозь стекло вагона\\
|
||||
со слоем пыли вековым…\\
|
||||
Зачем в мгновение с перрона,\\
|
||||
как птичка, упорхнула в дым?
|
||||
|
||||
Да знаю, знаю, что имею\\
|
||||
невесту и уже давно.\\
|
||||
Но ведь ее я и не клею!\\
|
||||
Тогда упреки мне за что?
|
||||
|
||||
Помашет ручкой ли прощаясь?\\
|
||||
Топчусь пред нею как дитя…\\
|
||||
И чтобы в жизни не случалось\\
|
||||
будет ли ко мне тепла,
|
||||
|
||||
позволит ль встретить с электрички,\\
|
||||
за нею сумки понести;\\
|
||||
не как жене, а как сестричке,\\
|
||||
свою любовь к ней принести.
|
74
themes/posts/2011/11/blog-post_30.tex
Normal file
74
themes/posts/2011/11/blog-post_30.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,74 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2007-09-22 06:13:00
|
||||
tags: Стихотворение
|
||||
title: Я подарю подсохший веник душистых луговых цветов…
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Я подарю подсохший веник<br>
|
||||
душистых луговых цветов,<br>
|
||||
который мне не стоил денег,<br>
|
||||
что первой встречу средь миров.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Поляны аромат прелестной<br>
|
||||
не вем кому как дар отдам,<br>
|
||||
жене совсем мне неизвестной:<br>
|
||||
возьмите, передал лес Вам.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Я с малых лет в ладах с природой.<br>
|
||||
Порадуйте ж и Вы теперь<br>
|
||||
душевной радужной погодой,<br>
|
||||
откройте в Ваше сердце дверь.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
На языке любви, дворянства:<br>
|
||||
Je n’aime pas du tout Vous, madam, —<br>
|
||||
что говорю Вам без лукавства,<br>
|
||||
ибо я не Don Juan;
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
я не того герой романа,<br>
|
||||
которым средь людей прослыл.<br>
|
||||
Все слухи живы от обмана.<br>
|
||||
Простите коль чем оскорбил.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Возьмите же букетик скромный,<br>
|
||||
как первая, кого в пути домой<br>
|
||||
я встретил. Может в день всеновый<br>
|
||||
поговоришь хоть <u>ты</u> со мной.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
\textit{Мадине}
|
||||
|
||||
Я подарю подсохший веник\\
|
||||
душистых луговых цветов,\\
|
||||
который мне не стоил денег,\\
|
||||
что первой встречу средь миров.
|
||||
|
||||
Поляны аромат прелестной\\
|
||||
не вем кому как дар отдам,\\
|
||||
жене совсем мне неизвестной:\\
|
||||
возьмите, передал лес Вам.
|
||||
|
||||
Я с малых лет в ладах с природой.\\
|
||||
Порадуйте ж и Вы теперь\\
|
||||
душевной радужной погодой,\\
|
||||
откройте в Ваше сердце дверь.
|
||||
|
||||
На языке любви, дворянства:\\
|
||||
Je n’aime pas du tout Vous, madam,\footnote{Я Вас вовсе не люблю, госпожа (франц.)} —\\
|
||||
что говорю Вам без лукавства,\\
|
||||
ибо я не Don Juan;
|
||||
|
||||
я не того герой романа,\\
|
||||
которым средь людей прослыл.\\
|
||||
Все слухи живы от обмана.\\
|
||||
Простите коль чем оскорбил.
|
||||
|
||||
Возьмите же букетик скромный,\\
|
||||
как первая, кого в пути домой\\
|
||||
я встретил. Может в день всеновый\\
|
||||
поговоришь хоть \underline{ты} со мной.
|
17
themes/posts/2011/11/staatsreligion_27.tex
Normal file
17
themes/posts/2011/11/staatsreligion_27.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,17 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2011-11-27 21:26:00
|
||||
tags: Aufzeichnungen eines Pessimisten
|
||||
title: Staatsreligion
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Wie kann derjenige Ostern feiern, der kein durch die Kirche erzogener und
|
||||
gebildeter Christ ist? Wie kann derjenige den Glauben belachen, der von
|
||||
Angst ergriffen ist, einen Spiegel zu zerbrechen? Macht mir ein Geschenk zu
|
||||
Ostern: schenkt mir nichts.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
Wie kann derjenige Ostern feiern, der kein durch die Kirche erzogener und
|
||||
gebildeter Christ ist? Wie kann derjenige den Glauben belachen, der von
|
||||
Angst ergriffen ist, einen Spiegel zu zerbrechen? Macht mir ein Geschenk zu
|
||||
Ostern: schenkt mir nichts.
|
63
themes/posts/2011/12/blog-post.tex
Normal file
63
themes/posts/2011/12/blog-post.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,63 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2007-10-30 00:04:00
|
||||
tags: Стихотворение
|
||||
title: Навязчивая свобода или любовь по просьбе
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Моей навязчивой свободы<br>
|
||||
как надоел тяжелый груз!<br>
|
||||
Когда же прейдет год и<br>
|
||||
я от любви освобожусь…
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Любить себя просить коль должен;<br>
|
||||
просить и слов, и дел, и встреч, —<br>
|
||||
то что же сердце мне так гложет,<br>
|
||||
сойдет ль гора такая с плеч?
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Что называешь ты свободой:<br>
|
||||
мое ли рабство у тебя?<br>
|
||||
Хотя б к „моей“ плите надгробной<br>
|
||||
придешь ли навестить меня?
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Найдешь хоть часик для помину,<br>
|
||||
свой победишь ли робкий страх?<br>
|
||||
Не обижайся, что к обрыву<br>
|
||||
мой не придет для встречи прах.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Не лей молю я соль напрасно —<br>
|
||||
в земле же заживо сгорю:<br>
|
||||
гляди как в луже мир прекрасен,<br>
|
||||
как котик цапает луну.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
\textit{Анне Курушкиной}
|
||||
|
||||
Моей навязчивой свободы\\
|
||||
как надоел тяжелый груз!\\
|
||||
Когда же прейдет год и\\
|
||||
я от любви освобожусь…
|
||||
|
||||
Любить себя просить коль должен;\\
|
||||
просить и слов, и дел, и встреч, —\\
|
||||
то что же сердце мне так гложет,\\
|
||||
сойдет ль гора такая с плеч?
|
||||
|
||||
Что называешь ты свободой:\\
|
||||
мое ли рабство у тебя?\\
|
||||
Хотя б к „моей“ плите надгробной\\
|
||||
придешь ли навестить меня?
|
||||
|
||||
Найдешь хоть часик для помину,\\
|
||||
свой победишь ли робкий страх?\\
|
||||
Не обижайся, что к обрыву\\
|
||||
мой не придет для встречи прах.
|
||||
|
||||
Не лей молю я соль напрасно —\\
|
||||
в земле же заживо сгорю:\\
|
||||
гляди как в луже мир прекрасен,\\
|
||||
как котик цапает луну.
|
83
themes/posts/2011/12/blog-post_03.tex
Normal file
83
themes/posts/2011/12/blog-post_03.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,83 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2008-12-24 16:33:00
|
||||
tags: Стихотворение
|
||||
title: Миф об Орфее и Эвридике
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Несбыточной томясь мечтою,<br>
|
||||
любовь, умершую, вернуть,<br>
|
||||
гоним безумною тоскою,<br>
|
||||
Орфей себя готовит в путь.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Не помянув отца гордыни,<br>
|
||||
прельстившись нимфы красотой,<br>
|
||||
в Аида мрачные глубины<br>
|
||||
не взял он и меча с собой.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Он песней арфы златострунной,<br>
|
||||
подмогой муз имея сонм,<br>
|
||||
сопровождаемый Фортуной,<br>
|
||||
на Цербера нагнал вмиг сон.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Молю, о, сжалься, Персефона!<br>
|
||||
Тебе ль не знать то, как<br>
|
||||
невыносимо беспардонно<br>
|
||||
от солнца взяться в ночи мрак?
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
— Я упрошу о том владыку<br>
|
||||
с одним условием всего:<br>
|
||||
Как знак, что любишь Эвридику,<br>
|
||||
былому не взгляни в лицо.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
О, малодушие героя!<br>
|
||||
о, отблеск тленной красоты!<br>
|
||||
Бога смеялись над тобою,<br>
|
||||
смотря с Олимпа высоты.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Орфея подвиг бесподобный<br>
|
||||
моей души не вдохновит.<br>
|
||||
Сын бога шел стезею мертвых…<br>
|
||||
хотел ли вечно с нею жить?
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
Несбыточной томясь мечтою,\\
|
||||
любовь, умершую, вернуть,\\
|
||||
гоним безумною тоскою,\\
|
||||
Орфей себя готовит в путь.
|
||||
|
||||
Не помянув отца гордыни,\\
|
||||
прельстившись нимфы красотой,\\
|
||||
в Аида мрачные глубины\\
|
||||
не взял он и меча с собой.
|
||||
|
||||
Он песней арфы златострунной,\\
|
||||
подмогой муз имея сонм,\\
|
||||
сопровождаемый Фортуной,\\
|
||||
на Цербера нагнал вмиг сон.
|
||||
|
||||
Молю, о, сжалься, Персефона!\\
|
||||
Тебе ль не знать то, как\\
|
||||
невыносимо беспардонно\\
|
||||
от солнца взяться в ночи мрак?
|
||||
|
||||
— Я упрошу о том владыку\\
|
||||
с одним условием всего:\\
|
||||
Как знак, что любишь Эвридику,\\
|
||||
былому не взгляни в лицо.
|
||||
|
||||
О, малодушие героя!\\
|
||||
о, отблеск тленной красоты!\\
|
||||
Бога смеялись над тобою,\\
|
||||
смотря с Олимпа высоты.
|
||||
|
||||
Орфея подвиг бесподобный\\
|
||||
моей души не вдохновит.\\
|
||||
Сын бога шел стезею мертвых…\\
|
||||
хотел ли вечно с нею жить?
|
43
themes/posts/2011/12/blog-post_04.tex
Normal file
43
themes/posts/2011/12/blog-post_04.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,43 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2009-01-17 09:48:00
|
||||
tags: Стихотворение
|
||||
title: Рассекая мглу страданий…
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Рассекая мглу страданий,<br>
|
||||
маня собой, что век уж спит, —<br>
|
||||
вот скрипки нежное звучание<br>
|
||||
вечерним небом жизни мчит.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Дари и прочим утешение,<br>
|
||||
будь светом следующего дня!<br>
|
||||
Одно безумное волнение,<br>
|
||||
как страх восстания со дна…
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
И сей ликующей игрою<br>
|
||||
разбей оковы тишины,<br>
|
||||
томящей вечною тоскою,<br>
|
||||
чтоб обновление души<br>
|
||||
достигло и до нас с тобою.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
\textit{Darja V.}
|
||||
|
||||
Рассекая мглу страданий,\\
|
||||
маня собой, что век уж спит, —\\
|
||||
вот скрипки нежное звучание\\
|
||||
вечерним небом жизни мчит.
|
||||
|
||||
Дари и прочим утешение,\\
|
||||
будь светом следующего дня!\\
|
||||
Одно безумное волнение,\\
|
||||
как страх восстания со дна…
|
||||
|
||||
И сей ликующей игрою\\
|
||||
разбей оковы тишины,\\
|
||||
томящей вечною тоскою,\\
|
||||
чтоб обновление души\\
|
||||
достигло и до нас с тобою.
|
29
themes/posts/2011/12/blog-post_05.tex
Normal file
29
themes/posts/2011/12/blog-post_05.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,29 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2009-06-28 05:42:00
|
||||
tags: Стихотворение
|
||||
title: Так далеко от родного окна…
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Так далеко от родного окна<br>
|
||||
воссияла сегодня на небе звезда.<br>
|
||||
Дотянуться бы только до этой звезды,<br>
|
||||
с неба сорвать и с собой унести,<br>
|
||||
никогда не отстать от нее, не уйти.<br>
|
||||
Чтобы во век неотлучна была<br>
|
||||
но светом своим моих рук не сожгла.<br>
|
||||
Как далек самый близкий огонек…
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
Оно очень старое, валялось где-то и когда-то позже было дописано и переписано.
|
||||
|
||||
\textit{Марине Княжевой}
|
||||
|
||||
Так далеко от родного окна\\
|
||||
воссияла сегодня на небе звезда.\\
|
||||
Дотянуться бы только до этой звезды,\\
|
||||
с неба сорвать и с собой унести,\\
|
||||
никогда не отстать от нее, не уйти.\\
|
||||
Чтобы во век неотлучна была\\
|
||||
но светом своим моих рук не сожгла.\\
|
||||
Как далек самый близкий огонек…
|
72
themes/posts/2011/12/blog-post_06.tex
Normal file
72
themes/posts/2011/12/blog-post_06.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,72 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2009-07-23 06:05:00
|
||||
tags: Стихотворение
|
||||
title: Опять я вижу тень его…
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Опять я вижу тень его,<br>
|
||||
бродящей по чужим домам<br>
|
||||
из жажды мира своего,<br>
|
||||
воссозданного по мечтам.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Вот в келью новую зашла,<br>
|
||||
с надеждою садясь за стол,<br>
|
||||
раскрыла мертвые уста,<br>
|
||||
вести что б снова старый спор.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
И часть гостей уходит тут же.<br>
|
||||
Хозяин, выслушав сполна,<br>
|
||||
ведь сам уж жизнью весь измучен,<br>
|
||||
прочь гонит тень из-за стола.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Она идет, пусть неохотно,<br>
|
||||
пусть обижаяся порой,<br>
|
||||
все тверже зная: безнадежна<br>
|
||||
борьба ее с самой собой.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Вернется может и назад,<br>
|
||||
но что заучено давно<br>
|
||||
не станет молвить невпопад,<br>
|
||||
доверчиво твердя одно.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Владельца тени дни беспечны —<br>
|
||||
всегда есть в обществе успех.<br>
|
||||
Вот только выйти как из тени,<br>
|
||||
забыться как во тьме потех?
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
Опять я вижу тень его,\\
|
||||
бродящей по чужим домам\\
|
||||
из жажды мира своего,\\
|
||||
воссозданного по мечтам.
|
||||
|
||||
Вот в келью новую зашла,\\
|
||||
с надеждою садясь за стол,\\
|
||||
раскрыла мертвые уста,\\
|
||||
вести что б снова старый спор.
|
||||
|
||||
И часть гостей уходит тут же.\\
|
||||
Хозяин, выслушав сполна,\\
|
||||
ведь сам уж жизнью весь измучен,\\
|
||||
прочь гонит тень из-за стола.
|
||||
|
||||
Она идет, пусть неохотно,\\
|
||||
пусть обижаяся порой,\\
|
||||
все тверже зная: безнадежна\\
|
||||
борьба ее с самой собой.
|
||||
|
||||
Вернется может и назад,\\
|
||||
но что заучено давно\\
|
||||
не станет молвить невпопад,\\
|
||||
доверчиво твердя одно.
|
||||
|
||||
Владельца тени дни беспечны —\\
|
||||
всегда есть в обществе успех.\\
|
||||
Вот только выйти как из тени,\\
|
||||
забыться как во тьме потех?
|
76
themes/posts/2011/12/blog-post_07.tex
Normal file
76
themes/posts/2011/12/blog-post_07.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,76 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2010-08-31 13:36:00
|
||||
tags: Стихотворение
|
||||
title: Когда я жаждал избавленья…
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Когда я жаждал избавленья<br>
|
||||
от повседневной суеты,<br>
|
||||
предстало предо мной виденье<br>
|
||||
живей всей тленной красоты.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Я видел голый сад бесхозный.<br>
|
||||
Всходило солнце над главой.<br>
|
||||
Но небеса вдруг взгляд свой грозный<br>
|
||||
сменили мокрою слезой.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Тогда среди пустыни этой<br>
|
||||
пророс сквозь землю стебелек,<br>
|
||||
и тьма в мгновенье стала светом —<br>
|
||||
зажегся жизни огонек.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Так шли года чредою стройной,<br>
|
||||
пока цветок не начал цвесть,<br>
|
||||
озаряя силой новой<br>
|
||||
все, что только в мире есть.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Вокруг него под вдохновеньем<br>
|
||||
природа стала воскресать,<br>
|
||||
что перестал быть сон виденьем,<br>
|
||||
что явью стал волшебный сад.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Чудесное сие забвенье<br>
|
||||
боюсь еще раз пережить,<br>
|
||||
ничто чтоб этого мгновенья<br>
|
||||
не в силах было бы затмить.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
\textit{LW}
|
||||
|
||||
Еще один подарок на день рожденья. Дата на несколько дней не правдива.
|
||||
|
||||
Когда я жаждал избавленья\\
|
||||
от повседневной суеты,\\
|
||||
предстало предо мной виденье\\
|
||||
живей всей тленной красоты.
|
||||
|
||||
Я видел голый сад бесхозный.\\
|
||||
Всходило солнце над главой.\\
|
||||
Но небеса вдруг взгляд свой грозный\\
|
||||
сменили мокрою слезой.
|
||||
|
||||
Тогда среди пустыни этой\\
|
||||
пророс сквозь землю стебелек,\\
|
||||
и тьма в мгновенье стала светом —\\
|
||||
зажегся жизни огонек.
|
||||
|
||||
Так шли года чредою стройной,\\
|
||||
пока цветок не начал цвесть,\\
|
||||
озаряя силой новой\\
|
||||
все, что только в мире есть.
|
||||
|
||||
Вокруг него под вдохновеньем\\
|
||||
природа стала воскресать,\\
|
||||
что перестал быть сон виденьем,\\
|
||||
что явью стал волшебный сад.
|
||||
|
||||
Чудесное сие забвенье\\
|
||||
боюсь еще раз пережить,\\
|
||||
ничто чтоб этого мгновенья\\
|
||||
не в силах было бы затмить.
|
61
themes/posts/2011/12/blog-post_10.tex
Normal file
61
themes/posts/2011/12/blog-post_10.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,61 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2010-09-29 22:02:00
|
||||
tags: Стихотворение
|
||||
title: Что значит жизнь?
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Что значит жизнь?<br>
|
||||
Толпа людей, идущих стройно нога в ногу.<br>
|
||||
Какой из одного путей<br>
|
||||
избрать нам как свою дорогу?
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Споткнулся некто и упал,<br>
|
||||
и вмиг другими был затоптан.<br>
|
||||
Очнулся он и снова встал,<br>
|
||||
иль в землю был ногами втоптан?
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
То ничего! Зачем не вем<br>
|
||||
придет другой из неоткуда.<br>
|
||||
Пусть не другой — такой как все<br>
|
||||
Вобьется в строй заместо друга.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Продолжим дальше так шагать,<br>
|
||||
Всдыхая дружно в один голос:<br>
|
||||
„Моя величественная стать,<br>
|
||||
как в поле одинокий колос.“
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Слепы от солнца не поймем,<br>
|
||||
что по проложенному следу<br>
|
||||
мы все за веком в век идем,<br>
|
||||
задравши подбородки к небу.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
Что значит жизнь?\\
|
||||
Толпа людей, идущих стройно нога в ногу.\\
|
||||
Какой из одного путей\\
|
||||
избрать нам как свою дорогу?
|
||||
|
||||
Споткнулся некто и упал,\\
|
||||
и вмиг другими был затоптан.\\
|
||||
Очнулся он и снова встал,\\
|
||||
иль в землю был ногами втоптан?
|
||||
|
||||
То ничего! Зачем не вем\\
|
||||
придет другой из неоткуда.\\
|
||||
Пусть не другой — такой как все\\
|
||||
Вобьется в строй заместо друга.
|
||||
|
||||
Продолжим дальше так шагать,\\
|
||||
Всдыхая дружно в один голос:\\
|
||||
„Моя величественная стать,\\
|
||||
как в поле одинокий колос.“
|
||||
|
||||
Слепы от солнца не поймем,\\
|
||||
что по проложенному следу\\
|
||||
мы все за веком в век идем,\\
|
||||
задравши подбородки к небу.
|
107
themes/posts/2011/12/blog-post_11.tex
Normal file
107
themes/posts/2011/12/blog-post_11.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,107 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2011-04-09 08:19:00
|
||||
tags: Стихотворение
|
||||
title: Меня обидеть зря стремишься…
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Меня обидеть зря стремишься,<br>
|
||||
я не подвластен силам зла.<br>
|
||||
Ты успокойся, ты уймися.<br>
|
||||
Не сей по ветру зря слова.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
То, что дурак я бородатый,<br>
|
||||
открыто было не вчера,<br>
|
||||
иначе гением объятый,<br>
|
||||
встречал бы дома вечера.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Да, да, теперь уж и не спрячу,<br>
|
||||
что пьянством горько досаждал,<br>
|
||||
но вот ведь сам сижу да плачу<br>
|
||||
прокурен, пьян, прогнил, устал.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Не пустишь ныне на порог,<br>
|
||||
не навестишь при восполеньи<br>
|
||||
и не ответишь на звонок,<br>
|
||||
не дашь сопливым наставленья.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Оставь, не то одно мне вовсе,<br>
|
||||
что разжигало нас всегда,<br>
|
||||
ну или не только это, впрочем…<br>
|
||||
мне нужно было от тебя.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Храня на черный день надежду,<br>
|
||||
влачишь бездетной дни свои.<br>
|
||||
Ну а чем я? Чем я утешу?<br>
|
||||
В семейной жизни нет любви.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
И все пройдет, бесспорно, знаю;<br>
|
||||
потом начнется вновь и вновь.<br>
|
||||
Зато теперь-то понимаю:<br>
|
||||
не врал, промолвив про любовь.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Пусть изначально безнадежна<br>
|
||||
та дружба глупая была.<br>
|
||||
Но почему понять так сложно:<br>
|
||||
не тьма она, а вся светла!
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Меня обидеть зря стремишься,<br>
|
||||
я не подвластен силам зла,<br>
|
||||
через года угомонишься —<br>
|
||||
ты знаешь, где найти меня.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
\textit{Irina Cornies}
|
||||
|
||||
Меня обидеть зря стремишься,\\
|
||||
я не подвластен силам зла.\\
|
||||
Ты успокойся, ты уймися.\\
|
||||
Не сей по ветру зря слова.
|
||||
|
||||
То, что дурак я бородатый,\\
|
||||
открыто было не вчера,\\
|
||||
иначе гением объятый,\\
|
||||
встречал бы дома вечера.
|
||||
|
||||
Да, да, теперь уж и не спрячу,\\
|
||||
что пьянством горько досаждал,\\
|
||||
но вот ведь сам сижу да плачу\\
|
||||
прокурен, пьян, прогнил, устал.
|
||||
|
||||
Не пустишь ныне на порог,\\
|
||||
не навестишь при восполеньи\\
|
||||
и не ответишь на звонок,\\
|
||||
не дашь сопливым наставленья.
|
||||
|
||||
Оставь, не то одно мне вовсе,\\
|
||||
что разжигало нас всегда,\\
|
||||
ну или не только это, впрочем…\\
|
||||
мне нужно было от тебя.
|
||||
|
||||
Храня на черный день надежду,\\
|
||||
влачишь бездетной дни свои.\\
|
||||
Ну а чем я? Чем я утешу?\\
|
||||
В семейной жизни нет любви.
|
||||
|
||||
И все пройдет, бесспорно, знаю;\\
|
||||
потом начнется вновь и вновь.\\
|
||||
Зато теперь-то понимаю:\\
|
||||
не врал, промолвив про любовь.
|
||||
|
||||
Пусть изначально безнадежна\\
|
||||
та дружба глупая была.\\
|
||||
Но почему понять так сложно:\\
|
||||
не тьма она, а вся светла!
|
||||
|
||||
Меня обидеть зря стремишься,\\
|
||||
я не подвластен силам зла,\\
|
||||
через года угомонишься —\\
|
||||
ты знаешь, где найти меня.
|
130
themes/posts/2011/12/das-ewig-mannliche.tex
Normal file
130
themes/posts/2011/12/das-ewig-mannliche.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,130 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2008-08-31 06:00:00
|
||||
tags: Стихотворение
|
||||
title: Das Ewig-Männliche
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Ее семье нужна глава,<br>
|
||||
я не гожусь для этой роли!<br>
|
||||
Ах, столь обидные слова!<br>
|
||||
Ох!, сколь доставили мне боли.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Сперва ж, подобно дерзкой Шмидт,<br>
|
||||
меня мой друг обожествляла,<br>
|
||||
и свечкой, что в груди горит,<br>
|
||||
во мне аскета разлагала.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Чем идеал не украшай —<br>
|
||||
пусть бьют меня за то мужчины, —<br>
|
||||
но, что детенышу скотины,<br>
|
||||
нам титьку мамки всем давай!
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Хай мнят, что я последний бабник<br>
|
||||
(познали б как то тяжело);<br>
|
||||
будь деспот муж или романтик —<br>
|
||||
без страха правды: все одно.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Тогда в чем разница меж ними,<br>
|
||||
быть может, спросите Вы вдруг?<br>
|
||||
Икону девственной богини<br>
|
||||
вторые в ликах чтут подруг.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
А первые, рабы Аллаха,<br>
|
||||
не видят в бабе и души.<br>
|
||||
А сами-то глупцы из праха,<br>
|
||||
этап творения Земли.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Подруга давняя, спаси!<br>
|
||||
Не уж то нет жестокости?<br>
|
||||
Фортит всю жизнь мне тряпкой быть?!<br>
|
||||
Как пост пройдет, начну я пить…
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Она: должна быть, мол, глава<br>
|
||||
на плечах у всех своя,<br>
|
||||
коль не имеет кто такой,<br>
|
||||
что терзает ум больной?
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Я больше года сам живу!..<br>
|
||||
Меня простите, христианки,<br>
|
||||
но лишь язычницы-крестьянки<br>
|
||||
душой здоровы… Посему…
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
…Знай же, что Вечная Женственность в веки<br>
|
||||
в мир наш, Владимир, увы, не придет.<br>
|
||||
(Рифму сию да простят человеки).<br>
|
||||
Я уж скорее продолжу свой род.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
Добрая пародия и ответ сквозь время Владимиру Соловьеву на его „Das Ewig-Weibliche“.
|
||||
|
||||
\epigraph{
|
||||
Хочу также, чтобы вы знали,\\
|
||||
что всякому мужу глава\\
|
||||
Христос, жене глава – муж, а\\
|
||||
Христу глава – Бог.
|
||||
}{\textbf{(1 Кор. XI, 3)}}
|
||||
|
||||
\epigraph{
|
||||
Придет к нам, верно, из Лесбо́са\\
|
||||
Решенье женского вопроса.
|
||||
}{\textbf{В. С. Соловьев}}
|
||||
|
||||
Ее семье нужна глава,\\
|
||||
я не гожусь для этой роли!\\
|
||||
Ах, столь обидные слова!\\
|
||||
Ох!, сколь доставили мне боли.
|
||||
|
||||
Сперва ж, подобно дерзкой Шмидт,\\
|
||||
меня мой друг обожествляла,\\
|
||||
и свечкой, что в груди горит,\\
|
||||
во мне аскета разлагала.
|
||||
|
||||
Чем идеал не украшай —\\
|
||||
пусть бьют меня за то мужчины, —\\
|
||||
но, что детенышу скотины,\\
|
||||
нам титьку мамки всем давай!
|
||||
|
||||
Хай мнят, что я последний бабник\\
|
||||
(познали б как то тяжело);\\
|
||||
будь деспот муж или романтик —\\
|
||||
без страха правды: все одно.
|
||||
|
||||
Тогда в чем разница меж ними,\\
|
||||
быть может, спросите Вы вдруг?\\
|
||||
Икону девственной богини\\
|
||||
вторые в ликах чтут подруг.
|
||||
|
||||
А первые, рабы Аллаха,\\
|
||||
не видят в бабе и души.\\
|
||||
А сами-то глупцы из праха,\\
|
||||
этап творения Земли.
|
||||
|
||||
Подруга давняя, спаси!\\
|
||||
Не уж то нет жестокости?\\
|
||||
Фортит\footnote{От латинского fortūna (судьба)} всю жизнь мне тряпкой быть?!\\
|
||||
Как пост пройдет, начну я пить…
|
||||
|
||||
Она: должна быть, мол, глава\\
|
||||
на плечах у всех своя,\\
|
||||
коль не имеет кто такой,\\
|
||||
что терзает ум больной?
|
||||
|
||||
Я больше года сам живу!..\\
|
||||
Меня простите, христианки,\\
|
||||
но лишь язычницы-крестьянки\\
|
||||
душой здоровы… Посему…
|
||||
|
||||
…Знай же, что Вечная Женственность в веки\\
|
||||
в мир наш, Владимир, увы, не придет.\\
|
||||
(Рифму сию да простят человеки).\\
|
||||
Я уж скорее продолжу свой род.
|
50
themes/posts/2012/01/blog-post.tex
Normal file
50
themes/posts/2012/01/blog-post.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,50 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2012-01-06 09:40:00
|
||||
tags: Стихотворение
|
||||
title: Хвалебное пение женщине средних лет
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Скучна, беспомощна, ничтожна<br>
|
||||
двадцатилетних красота,<br>
|
||||
пуста, искусственна и ложна,<br>
|
||||
забвенна завтра навсегда.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
В лихом кругу студенток юных<br>
|
||||
сижу безмерно тих и сух.<br>
|
||||
Как перетянутые струны,<br>
|
||||
столь рано поседевший дух.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
В глаза, уставшие от жизни,<br>
|
||||
смотрю, как в утренний туман.<br>
|
||||
Движенье губ — тень укоризны,<br>
|
||||
тяжелый вздох — след давних ран.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Бесзлобно над строкой смеется:<br>
|
||||
у ней есть сын — ровесник мой.<br>
|
||||
А сердце бьется, снова бьется, сильнее бьется..,<br>
|
||||
не зная даже возраст свой.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
Скучна, беспомощна, ничтожна\\
|
||||
двадцатилетних красота,\\
|
||||
пуста, искусственна и ложна,\\
|
||||
забвенна завтра навсегда.
|
||||
|
||||
В лихом кругу студенток юных\\
|
||||
сижу безмерно тих и сух.\\
|
||||
Как перетянутые струны,\\
|
||||
столь рано поседевший дух.
|
||||
|
||||
В глаза, уставшие от жизни,\\
|
||||
смотрю, как в утренний туман.\\
|
||||
Движенье губ — тень укоризны,\\
|
||||
тяжелый вздох — след давних ран.
|
||||
|
||||
Бесзлобно над строкой смеется:\\
|
||||
у ней есть сын — ровесник мой.\\
|
||||
А сердце бьется, снова бьется, сильнее бьется..,\\
|
||||
не зная даже возраст свой.
|
9
themes/posts/2012/01/das-gesagte-und-das-gehorte.tex
Normal file
9
themes/posts/2012/01/das-gesagte-und-das-gehorte.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,9 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2012-01-29 21:38:00
|
||||
tags: Aufzeichnungen eines Pessimisten
|
||||
title: Das Gesagte und das Gehörte
|
||||
---
|
||||
\emph{Das Gesagte:} Gehen wir einen Kaffee trinken?
|
||||
|
||||
\emph{Das Gehörte:} Ja, ich werde deine Frau.
|
21
themes/posts/2012/02/blog-post.tex
Normal file
21
themes/posts/2012/02/blog-post.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,21 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2012-02-09 03:27:00
|
||||
tags: Стихотворение
|
||||
title: Желанней женщин лишь вино...
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Желанней женщин лишь вино,<br>
|
||||
лишь рифмой связываю речь.<br>
|
||||
Очаг семейный все равно<br>
|
||||
мне не заменит в холод печь.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
Навеяно гамбургскими морозами и не только ими.
|
||||
|
||||
Желанней женщин лишь вино,\\
|
||||
лишь рифмой связываю речь.\\
|
||||
Очаг семейный все равно\\
|
||||
мне не заменит в холод печь.\footnote{Как двусмысленно получилось-то…
|
||||
Позволю себе сделать небольшое грамматическое пояснение: „очаг“ является
|
||||
подлежащим, „печь“ — прямым дополнением.}
|
9
themes/posts/2012/02/lto.tex
Normal file
9
themes/posts/2012/02/lto.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,9 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2012-02-10 23:33:00
|
||||
tags: Aufzeichnungen eines Pessimisten
|
||||
title: LTO
|
||||
---
|
||||
\emph{Sapientia Sciurus:} Was hast du am Valentinstag vor?
|
||||
|
||||
\emph{Ich:} Ich werde mich verlieben.
|
12
themes/posts/2012/03/zur-kindererziehung.tex
Normal file
12
themes/posts/2012/03/zur-kindererziehung.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,12 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2012-03-18 18:14:00
|
||||
tags: Aufzeichnungen eines Pessimisten
|
||||
title: Zur Kindererziehung
|
||||
---
|
||||
Wir verstehen, dass unsere Eltern Recht hatten, wenn es schon zu spät ist.
|
||||
Genauso geschah Sapientia Sciurus. Als sie noch klein war und Ärger gemacht hatte,
|
||||
hat ihre Mutter zu ihr gesagt: „Ich bin so müde von dir! Warum bist du nicht als
|
||||
kleines Kind gestorben!“ Sapientia wurde damals beleidigt und erst jetzt versteht
|
||||
sie ihre Mutter und stellt sich jeden Tag dieselbe Frage: „Warum bin ich nicht als
|
||||
kleines Kind gestorben?“
|
43
themes/posts/2012/05/geboren-sein-ist-keine-tugend.tex
Normal file
43
themes/posts/2012/05/geboren-sein-ist-keine-tugend.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,43 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2012-05-16 01:09:00
|
||||
tags: Gedicht
|
||||
title: Geboren sein ist keine Tugend
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Gelebt zu haben ist nichts wert,<br>
|
||||
geboren sein ist keine Tugend.<br>
|
||||
Gekommen gestern auf die Welt<br>
|
||||
beweint man morgen seine Jugend.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Du schaffst mit eig’nen Geisteskräften<br>
|
||||
das Dasein heute wieder neu.<br>
|
||||
Am achten Tage werd’ allmächtig,<br>
|
||||
nur bleib gekrümmten Wegen treu!
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Gepries’nes Menschentöchterlein,<br>
|
||||
gesegnet sei dein jeder Schritt!<br>
|
||||
Verzeih des Dichters armen Reim<br>
|
||||
und seinen ersten Auftritt.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
Der holden Muse.
|
||||
|
||||
\textit{Julia Marie Gramlich}
|
||||
|
||||
Gelebt zu haben ist nichts wert,\\
|
||||
geboren sein ist keine Tugend.\\
|
||||
Gekommen gestern auf die Welt\\
|
||||
beweint man morgen seine Jugend.
|
||||
|
||||
Du schaffst mit eig’nen Geisteskräften\\
|
||||
das Dasein heute wieder neu.\\
|
||||
Am achten Tage werd’ allmächtig,\\
|
||||
nur bleib gekrümmten Wegen treu!
|
||||
|
||||
Gepries’nes Menschentöchterlein,\\
|
||||
gesegnet sei dein jeder Schritt!\\
|
||||
Verzeih des Dichters armen Reim\\
|
||||
und seinen ersten Auftritt.
|
12
themes/posts/2012/06/eure-perlen-sollt-ihr-nicht-vor-die.tex
Normal file
12
themes/posts/2012/06/eure-perlen-sollt-ihr-nicht-vor-die.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,12 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2012-06-09 21:51:00
|
||||
tags: Aufzeichnungen eines Pessimisten
|
||||
title: Eure Perlen sollt ihr nicht vor die Säue werfen
|
||||
---
|
||||
\emph{Sapientia Sciurus:} Es gibt Menschen, die man vermeiden sollte. Wenn
|
||||
man viel mit psychisch Kranken zu tun hat, kann man selbst bald krank werden.
|
||||
Mein verstorbener Vater war so, ich weiß, wie das ist.
|
||||
|
||||
\emph{Ich:} Du weißt, wie das ist, mit so einem Menschen zu leben. Du hast aber
|
||||
keine Ahnung davon, wie das ist, so ein Mensch zu sein.
|
19
themes/posts/2012/07/abschied.tex
Normal file
19
themes/posts/2012/07/abschied.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,19 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2012-07-17 21:32:00
|
||||
tags: Gedicht
|
||||
title: Abschied
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Die Liebe ist wie Staub vergänglich,<br>
|
||||
ich fühle mich erschöpft und krank.<br>
|
||||
Wem nun gehört die Schuld letztendlich<br>
|
||||
und der BH im Kleiderschrank?
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
\textit{Gewidmet dem Besitzer}
|
||||
|
||||
Die Liebe ist wie Staub vergänglich,\\
|
||||
ich fühle mich erschöpft und krank.\\
|
||||
Wem nun gehört die Schuld letztendlich\\
|
||||
und der BH im Kleiderschrank?
|
19
themes/posts/2012/07/blog-post.tex
Normal file
19
themes/posts/2012/07/blog-post.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,19 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2012-07-17 22:07:00
|
||||
tags: Стихотворение
|
||||
title: Расставание
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Уехала, побыв немного.<br>
|
||||
Мой обратился мир во мглу.<br>
|
||||
Остались грусть, тоска, тревога;<br>
|
||||
прокладки, лифчик на шкафу.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
\textit{Владельцу}
|
||||
|
||||
Уехала, побыв немного.\\
|
||||
Мой обратился мир во мглу.\\
|
||||
Остались грусть, тоска, тревога;\\
|
||||
прокладки, лифчик на шкафу.
|
9
themes/posts/2012/08/am-scheideweg.tex
Normal file
9
themes/posts/2012/08/am-scheideweg.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,9 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2012-08-05 18:09:00
|
||||
tags: Aufzeichnungen eines Pessimisten
|
||||
title: Am Scheideweg
|
||||
---
|
||||
\emph{Sapientia Sciurus:} Alkohol ist keine Lösung!
|
||||
|
||||
\emph{Ich:} Nüchternheit ebenfalls nicht.
|
69
themes/posts/2012/08/blog-post.tex
Normal file
69
themes/posts/2012/08/blog-post.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,69 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2012-08-16 22:10:00
|
||||
tags: Стихотворение
|
||||
title: Во мраке дня, во свете ночи…
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Во мраке дня, во свете ночи<br>
|
||||
заточены под камень стен,<br>
|
||||
от возведенья перемен<br>
|
||||
не знавших. Если бы короче<br>
|
||||
пусть на мгновение одно<br>
|
||||
предстало древнее сукно.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Пространство тесностью налито.<br>
|
||||
Часы настенные стоят:<br>
|
||||
покой нарушить не хотят, —<br>
|
||||
обрушится ненаровито<br>
|
||||
зелено-желтый потолок,<br>
|
||||
раздайся неуклюжий слог.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Была ли где входная дверь?<br>
|
||||
Не можно было здесь родиться?!<br>
|
||||
Как два звена цепи влачиться,<br>
|
||||
что тащит в век бездомный зверь.<br>
|
||||
Нет окон. Бледно-синий свет<br>
|
||||
во все концы струит рассвет.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Когда нас страх зажал в углу,<br>
|
||||
вонзилась в кожу мне до боли —<br>
|
||||
легли печатью на полу<br>
|
||||
хладные капли первой крови.<br>
|
||||
Век на двоих свой доживать,<br>
|
||||
не лгать, не думать, не стяжать.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
Еще в ранней стадии написания одной из моих уважаемых рецензоров было
|
||||
причислено к сюрреализму. В любом случае это нечто новое для меня в плане стиля.
|
||||
|
||||
Во мраке дня, во свете ночи\\
|
||||
заточены под камень стен,\\
|
||||
от возведенья перемен\\
|
||||
не знавших. Если бы короче\\
|
||||
пусть на мгновение одно\\
|
||||
предстало древнее сукно.
|
||||
|
||||
Пространство тесностью налито.\\
|
||||
Часы настенные стоят:\\
|
||||
покой нарушить не хотят, —\\
|
||||
обрушится ненаровито\\
|
||||
зелено-желтый потолок,\\
|
||||
раздайся неуклюжий слог.
|
||||
|
||||
Была ли где входная дверь?\\
|
||||
Не можно было здесь родиться?!\\
|
||||
Как два звена цепи влачиться,\\
|
||||
что тащит в век бездомный зверь.\\
|
||||
Нет окон. Бледно-синий свет\\
|
||||
во все концы струит рассвет.
|
||||
|
||||
Когда нас страх зажал в углу,\\
|
||||
вонзилась в кожу мне до боли —\\
|
||||
легли печатью на полу\\
|
||||
хладные капли первой крови.\\
|
||||
Век на двоих свой доживать,\\
|
||||
не лгать, не думать, не стяжать.
|
39
themes/posts/2012/10/blog-post.tex
Normal file
39
themes/posts/2012/10/blog-post.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,39 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2012-10-08 07:16:00
|
||||
tags: Стихотворение
|
||||
title: Когда-то я берег здоровье…
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Когда-то я берег здоровье<br>
|
||||
и окруженьем дорожил.<br>
|
||||
— Присядьте, ешьте на здоровье.<br>
|
||||
— Спасибо, уж перекусил.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Как ненавижу ярко солнце.<br>
|
||||
Ни дня жить больше не хочу.<br>
|
||||
Прикрыл поганый тюль оконце,<br>
|
||||
соседей дымом отравлю.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Давно не радуют рассветы,<br>
|
||||
давно средь сумерек встаю,<br>
|
||||
давно грущу под песню эту,<br>
|
||||
что сам скрипя душой пою.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
Когда-то я берег здоровье\\
|
||||
и окруженьем дорожил.\\
|
||||
— Присядьте, ешьте на здоровье.\\
|
||||
— Спасибо, уж перекусил.
|
||||
|
||||
Как ненавижу ярко солнце.\\
|
||||
Ни дня жить больше не хочу.\\
|
||||
Прикрыл поганый тюль оконце,\\
|
||||
соседей дымом отравлю.
|
||||
|
||||
Давно не радуют рассветы,\\
|
||||
давно средь сумерек встаю,\\
|
||||
давно грущу под песню эту,\\
|
||||
что сам скрипя душой пою.
|
17
themes/posts/2012/12/kleine-kommunikationstheorie.tex
Normal file
17
themes/posts/2012/12/kleine-kommunikationstheorie.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,17 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2012-12-18 07:45:00
|
||||
tags: Gedicht
|
||||
title: Kleine Kommunikationstheorie
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Zwei Wörter lassen sich nicht binden,<br>
|
||||
ein Satz ergibt bloß subjektiven Wert.<br>
|
||||
Gespräche lass’n sich besser singen —<br>
|
||||
so bleibt Verlust an Sinn verdeckt.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
Zwei Wörter lassen sich nicht binden,\\
|
||||
ein Satz ergibt bloß subjektiven Wert.\\
|
||||
Gespräche lass’n sich besser singen —\\
|
||||
so bleibt Verlust an Sinn verdeckt.
|
8
themes/posts/2013/04/das-dunkle-wissenschaftsalter.tex
Normal file
8
themes/posts/2013/04/das-dunkle-wissenschaftsalter.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,8 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2013-04-29 21:44:00
|
||||
tags: Aufzeichnungen eines Pessimisten
|
||||
title: Das dunkle Wissenschaftsalter
|
||||
---
|
||||
Gestern war die Philosophie die Magd der Theologie, heute hat man für die Kunst
|
||||
und Mystik das Wort „Geisteswissenschaft“ ausgedacht.
|
259
themes/posts/2013/05/dubito-ergo-non-esse-possim.tex
Normal file
259
themes/posts/2013/05/dubito-ergo-non-esse-possim.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,259 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2013-05-25 06:16:00
|
||||
tags: Aufsatz
|
||||
title: Dubitō ergō nōn esse possim
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Seit der Entstehung der Menschheit wunderte man sich über die Welt, die einen
|
||||
umgibt. Man fragte sich, wie die Umwelt funktioniert, was hinter den natürlichen
|
||||
Ereignissen steht, suchte nach Gesetzmäßigkeiten und legte auf diese Weise den
|
||||
ersten Grundstein für das Gebäude der Physik. Dieses Projekt war jedoch
|
||||
anscheinend so komplex, dass manche Philosophen sich wenige Jahrhunderte später
|
||||
die Ansicht aneigneten, dass es überhaupt keine Wahrheit sondern nur Schein und
|
||||
Täuschung gebe. Durch Grübelei und Diskutieren gelangte man schließlich zum
|
||||
Zentrum seines Daseins, zu seinem Selbst, und stellte sich nun die Frage: „Was
|
||||
bin ich? Habe ich zumindest eine sichere Erkenntnis, dass es mich selbst
|
||||
tatsächlich gibt, oder bin ich auch ein bloßer Schein, eine Selbsttäuschung?“
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
\subsection{Der Heimweg ins Reich des Selbst}
|
||||
|
||||
\epigraph{Nosce te ipsum.}{\textbf{Oraculum Delphis}}
|
||||
|
||||
Seit der Entstehung der Menschheit wunderte man sich über die Welt, die einen
|
||||
umgibt. Man fragte sich, wie die Umwelt funktioniert, was hinter den natürlichen
|
||||
Ereignissen steht, suchte nach Gesetzmäßigkeiten und legte auf diese Weise den
|
||||
ersten Grundstein für das Gebäude der Physik. Dieses Projekt war jedoch
|
||||
anscheinend so komplex, dass manche Philosophen sich wenige Jahrhunderte später
|
||||
die Ansicht aneigneten, dass es überhaupt keine Wahrheit sondern nur Schein und
|
||||
Täuschung gebe. Durch Grübelei und Diskutieren gelangte man schließlich zum
|
||||
Zentrum seines Daseins, zu seinem Selbst, und stellte sich nun die Frage: „Was
|
||||
bin ich? Habe ich zumindest eine sichere Erkenntnis, dass es mich selbst
|
||||
tatsächlich gibt, oder bin ich auch ein bloßer Schein, eine Selbsttäuschung?“
|
||||
|
||||
Die so für den gemeinen Menschen merkwürdige Frage nach dem eigenen Sein
|
||||
wurde schon so oft gestellt, obwohl nichts sicherer zu sein scheint, als, dass
|
||||
es mich, wie ich mich empfinde, tatsächlich gibt. „Sei du selbst!“ hört man oft.
|
||||
Was soll ich sein? Immer wieder versuchen die Philosophen auf diese Frage eine
|
||||
Antwort zu geben, abstrahieren sich von ihren Vorgängern, um ihre Fehler nicht
|
||||
zu erben und versuchen ihr System komplett und vollständig vom Anfang an
|
||||
aufzubauen.
|
||||
|
||||
René Descartes erhob den Anspruch, das menschliche Denken auf einen festen
|
||||
Boden zu stellen. 1637 veröffentlichte er den „Discours de la Méthode“, wo er
|
||||
unter Anderem das Thema, was der Mensch ist und was der Mensch nicht ist,
|
||||
behandelt. Wie gründlich und sicher der von ihm gelegte Weg ist, möchte ich im
|
||||
Folgenden einer Prüfung unterziehen.
|
||||
|
||||
\subsection{Kritik an Descartes' Grundsatz}
|
||||
|
||||
\subsubsection{Die heimatlose Seele}
|
||||
|
||||
\epigraph{%
|
||||
„Danach prüfte ich mit Aufmerksamkeit, was ich
|
||||
war, und sah, daß ich so tun konnte, als ob ich keinen Körper hätte und es weder
|
||||
eine Welt noch einen Ort gäbe, an dem ich mich befand\@. [\dots] Deshalb ist dieses
|
||||
Ich, d.h.\ die Seele, durch die ich das bin, was ich bin, vollkommen
|
||||
unterschieden vom Körper [\dots].“
|
||||
}{}
|
||||
|
||||
Der Leib sei kein notwendiger Bestandteil des Menschen, da die Seele (die
|
||||
eigentliche Substanz, das Denkende) von keinem materiellen Ding
|
||||
abhänge.\footcite[59]{discours} Mein Vorstellungsvermögen
|
||||
reicht weder aus, um eine Seele, noch überhaupt etwas Nicht-Materielles
|
||||
vorzustellen. Descartes verwechselt einen Begriff mit einer Vorstellung. Man hat
|
||||
einen Begriff der Seele, aber keine Vorstellung davon, man hat einen Begriff der
|
||||
Unendlichkeit, aber keine Vorstellung des Unendlichen,\footnote{Übrigens
|
||||
entspringen die bekannten Paradoxa Zenos von Elea daraus, z.B. jenes, dass ein
|
||||
Stab in zwei Teile getrennt werden kann, einer dieser Teile noch in zwei und so
|
||||
ad infinitum. Es gibt folglich einen Begriff vom Unendlichen (unendlichen Teilen
|
||||
in diesem Beispiel), mit dem man jedoch nichts anfangen kann, weil keine
|
||||
Vorstellung gegeben ist. Wo das Fehlen der Vorstellung mit einem vorhandenen
|
||||
Begriff zusammenstößt, entsteht ein Parodoxon (eine Antinomie bei Kant).}
|
||||
einen Gottesbegriff, aber keine Vorstellung von Gott. Deswegen werden die
|
||||
Gespenster in den Filmen zwar nicht als Menschen dargestellt, aber als
|
||||
einigermaßen materielle Wesen, die man entweder sieht oder hört oder auf eine
|
||||
andere Weise spürt (etwas Anderes ist gar nicht vorstellbar); deswegen gibt es
|
||||
kirchliche Ikonen und Pilgerfahrten, weil man etwas Übersinnliches kaum verehren
|
||||
kann.
|
||||
|
||||
\subsubsection{Meine Gedanken sind meine Gäste}
|
||||
|
||||
\epigraph{%
|
||||
„Daraus erkannte ich, daß ich eine
|
||||
Substanz war, deren ganzes Wesen oder deren ganze Natur nur darin bestand, zu
|
||||
denken [\dots].“
|
||||
}{}
|
||||
|
||||
Descartes definiert den Menschen als \textit{res
|
||||
cogitans},\footcite[Vgl.][14--16]{principia} die Wladimir Solowjow
|
||||
seinerseits als „cartesianisch[en]
|
||||
Bastard“\footcite[115]{solowjow8} bezeichnet, weil jener dem
|
||||
Subjekt das zuschreibe, was ihm nicht mit Sicherheit gehöre. Kein Mensch hat
|
||||
sich jemals mit seinen Gedanken identifiziert, was schon aus dem Sprachgebrauch
|
||||
zu sehen ist: eine Idee \textit{haben}, \textit{to have} an idea (englisch),
|
||||
\textit{avoir} une idée (französisch), \textit{иметь} идею (russisch) --- und
|
||||
ähnlichen Ausdrücken, wie mir ist \textit{etwas eingefallen}, mir ist \textit{ein
|
||||
Gedanke gekommen}.
|
||||
|
||||
Andererseits haben viele Menschen ein Gewissen. Wie oft bereut ein
|
||||
Erwachsener, dass er seinen Eltern Unrecht getan hat, indem er ihnen falsche
|
||||
Motive unterstellte. Ich bereue also Gedanken, die ich hatte, als ob sie mir
|
||||
fremd gewesen wären. Auf dasselbe läuft die christliche Patrologie hinaus:
|
||||
„denn es fordert von dir der Herr, daß du über dich selbst zürnest und gegen
|
||||
deinen Sinn kämpfest, nicht übereinstimmest und liebäugelst mit den Gedanken
|
||||
\textit{der Bosheit}.“\footcite[17]{makarius}[Eigene
|
||||
Hervorhebung] Folglich kann man sehr wohl glauben, dass, was nach Descartes
|
||||
den Menschen ausmacht, das Denken, nicht das Subjekt selbst ist, sondern,
|
||||
zumindest teilweise, von außen kommt (von Gott oder dem Teufel zum Exempel).
|
||||
|
||||
\subsection{Die Traumwelt oder die Welt des Traumes}
|
||||
|
||||
\epigraph{%
|
||||
Die Nacht, die wir in tiefem Schlummer sehen,\\
|
||||
Ein Engel schuf sie hier aus diesem Stein,\\
|
||||
Und weil sie schläft, muss sie lebendig sein,\\
|
||||
Geh, wecke sie, sie wird dir Rede stehen.}{\textbf{Giovanni Strozzi auf die „la Notte“ von Michelangelo}}
|
||||
|
||||
Descartes behauptet, dass die Gedankenwelt eines Traumes niemals so evident
|
||||
und vollständig wie diese der Realität
|
||||
sei.\footcite[Vgl.][69 f]{discours} Wie kann man zu diesem Schluss
|
||||
kommen? Man vergleicht das Realitätsbewusstsein mit demjenigen eines Traumes,
|
||||
was allerdings gar nicht in die umgekehrte Richtung geht: Im Traum gelten andere
|
||||
Gesetze, die \textit{in diesem Moment} unvergleichbare Evidenz und
|
||||
Vollständigkeit haben. Wenn ich also eine zweite Realität annehme und ich nur
|
||||
das Produkt eines Traumes eines Marsianers bin, dann sind die Gedankengänge
|
||||
meiner Wirklichkeit genauso lächerlich und absurd für die zweite Realität.
|
||||
|
||||
Die zweite Bedingung für die Vergleichbarkeit zweier Welten (Schlaf- und
|
||||
Wachzustandes) ist die Zeit, da man momentanes Bewusstseinsgut mit einem in der
|
||||
Vergangenheit liegenden Traum vergleicht. „Aber was ist eigentlich diese Summe
|
||||
des Vergangenen? Liegt sie in meiner Hosentasche oder befindet sie sich auf
|
||||
meinem Konto in der Bank? Sie existiert doch nur in dieser Minute, bloß als eine
|
||||
Erinnerung, d.h.\ ein Bewusstseinszustand, ungetrennt davon, was ich nun
|
||||
empfinde, und es ist selbstverständlich, dass im Fall einer Illusion des
|
||||
Bewusstseins, sie auch eine Illusion des Gedächtnisses beinhaltet:
|
||||
[\dots]“\footcite[121]{solowjow8} Warum, wenn unsere Sinnesorgane
|
||||
uns keine objektive Darstellung des Raumes liefern, soll ich annehmen, dass die
|
||||
Zeit nicht auch so ein Betrug ist.
|
||||
|
||||
Man kann seine Vergangenheit ganz leicht und schnell rekonstruiren, auch wenn
|
||||
diese Rekonstruktion nicht im Geringsten der Wahrheit entspricht, ohne dabei
|
||||
die Absicht zu lügen zu haben. Juristen sind so genannte \textit{Knallzeugen}
|
||||
bekannt. „Der Knallzeuge funktioniert so: Es hat sich ein Autounfall ereignet,
|
||||
zwei Fahrzeuge sind auf einer Kreuzung ineinander gerast; nun gilt es
|
||||
herauszufinden, wer die Schuld trägt. Glücklicherweise existiert ein Zeuge, der
|
||||
vor Gericht den Unfallhergang in allen Einzelheiten beschreiben kann\@. [\dots]
|
||||
[D]er erfahrene Richter hat das Kinn in die Hand gestützt, hört dem Zeugen
|
||||
aufmerksam zu und stellt schließlich die Frage, die man ihm im Referendariat
|
||||
beigebracht hat: ‚Und wie sind Sie auf das Unfallgeschehen aufmerksam geworden?‘
|
||||
Der Zeuge antwortet: ‚Als es so schrecklich knallte, habe ich mich
|
||||
umgedreht.‘“\footcite[17]{psyche} Der Zeuge erzählte, was er
|
||||
gar nicht gesehen hatte, wobei er selbst von seiner Geschichte so überzeugt war,
|
||||
dass er die Widersprüchlichkeit seiner Aussagen gar nicht bemerkte. Umso mehr
|
||||
kann ich daran glauben, dass ich ein seine Seminararbeit schreibender
|
||||
Philosophiestudent bin, der sich ganz deutlich an sein Abitur erinnern kann,
|
||||
auch wenn ein Marsianer von mir erst seit zwei Minuten
|
||||
träumt.\footcite[Vgl.][121]{solowjow8}
|
||||
|
||||
\subsection{Auf den Kredit Gottes\footcite[Vgl.][13]{schopenhauer}}
|
||||
|
||||
\epigraph{%
|
||||
„Denn erstens ist sogar das, was ich soeben als Regel angenommen habe --- nämlich
|
||||
daß alle die Dinge, die wir sehr klar und sehr deutlich verstehen, wahr sind ---,
|
||||
nur sicher, weil es Gott gibt oder er existiert und er ein vollkommenes Sein ist
|
||||
und alles, was es in uns gibt, von ihm herkommt.“
|
||||
}{}
|
||||
|
||||
Den nächsten Schritt, den Descartes tut, um die wirkliche Existenz von
|
||||
\textit{res cogitans} und \textit{res
|
||||
extensa}\footcite[Vgl.][14--16]{principia} zu rechtfertigen, ist
|
||||
der Gottesbeweis, wobei bereits Schopenhauer bemerkte, dass dieser Vorgang
|
||||
selbst „freilich wunderlich“ ist: „[\dots] es ist der umgekehrte kosmologische
|
||||
[von der Existenz der Welt auf einen Urheber schließende]
|
||||
Beweis.“\footcite[13]{schopenhauer} Der Autor des Discours'
|
||||
schließt vom Vorhandensein des Begriffes der Vollkommenheit bei dem selbst
|
||||
unvolkommenen Menschen auf die Existenz eines vollkommenen Wesens. Diese
|
||||
Vollkommenheit muss bei Descartes das Gute bedeuten, weil er aus ihr den Schluss
|
||||
zieht, dass die Außenwelt wirklich ist, weil dieses Wesen uns anscheinend nicht
|
||||
betrügen darf. Es stellt sich allerdings die Frage, was „gut“ bedeutet. Der
|
||||
Begriff des Guten ist in uns gelegt, aber er hat keine übermenschliche Bedeutung.
|
||||
Es könnte eine Welt geben, wo der Mord als gut betrachtet wird, aus dem Grund,
|
||||
dass das oberste Wesen dies als etwas Gutes definiert und in uns legt. Man kann
|
||||
also von unserem Begriff der Vollkommenheit beziehungsweise des Guten nicht auf
|
||||
die Begrifflichkeit des Schöpfers schließen, der selbst diese Begriffe
|
||||
definierte und definieren kann. Unser Schöpfer könnte ein Dämon sein, der um uns
|
||||
herum eine Illusion erschuf und uns glauben ließ, dass er ein vollkommen gutes
|
||||
Wesen sei (also von meiner Sicht dessen, was gut ist).
|
||||
|
||||
Außerdem widerspricht sich Descartes, wenn er behauptet, dass man von der
|
||||
Vorstellbarkeit der Vollkommenheit auf einen volkommenen Gott schließen
|
||||
kann\footcite[Vgl.][59--63]{discours} und an einer anderen Stelle
|
||||
schreibt, dass man von der Vorstellbarkeit einer Chimäre nicht auf ihre Existenz
|
||||
schließen darf\footcite[Vgl.][69]{discours} (zwar ist
|
||||
offensichtlich, dass er im letzten Fall eine bildliche Anschauung meint, aber
|
||||
zumindest kann ich mir eine Chimäre anhand meines Anschauungsvermögens leichter
|
||||
als Gott vorstellen, von dem ich nichts Sicheres sagen kann).
|
||||
|
||||
Einen anderen treffenden Einwand bringt Schopenhauer: „Hiebei läßt er
|
||||
überdies sich nun eigentlich noch einen bedeutenden \textit{circulus vitiosus}
|
||||
[Zirkelschluß] zu Schulden kommen. Er beweist nämlich die objektive Realität der
|
||||
Gegenstände aller unserer anschaulichen Vorstellungen aus dem Daseyn Gottes, als
|
||||
ihres Urhebers, dessen Wahrhaftigkeit nicht zuläßt, daß er uns täusche: das
|
||||
Daseyn Gottes selbst aber beweist er aus der uns angeborenen Vorstellung, die
|
||||
wir von ihm, als dem allervollkommensten Wesen angeblich
|
||||
hätten.“\footcite[91]{schopenhauer} --- und macht einen
|
||||
angemessenen Schluss, indem er einen von Descartes' Landesleute zitiert: „Il
|
||||
commence par douter de tout, et finit par tout croire [Er fängt damit an, daß er
|
||||
alles bezweifelt, und hört damit auf, daß er alles
|
||||
glaubt] [\dots].“\footcite[91]{schopenhauer}
|
||||
|
||||
\subsection{Das Ich und seine Subjekte}
|
||||
|
||||
Man könne an seinem eigenen Dasein nicht zweifeln, behauptet der Autor, was
|
||||
allein der Tatsache widrig ist, dass man daran tatsächlich zweifelt. Was man
|
||||
nicht behaupten kann, ist, dass man an etwas nicht zweifeln kann, woran man
|
||||
schon Jahrtausende lang und bis in unsere Tage erfolgreich zweifelt und was
|
||||
daher verständlicherweise nicht so einfach zu leugnen
|
||||
ist.\footcite[Vgl.][109]{solowjow8} Andererseits muss man
|
||||
Descartes Recht geben, dass es etwas gibt, was ich nicht bezweifeln kann, weil,
|
||||
wenn ich sage: „Ich bezweifle etwas“, identifiziere ich mich doch mit einem
|
||||
\textit{Ich}. Ganz unabhängig davon, ob ich jetzt träume oder wach bin, ist mir
|
||||
etwas bewusst, was meinerseits als Ich bezeichnet wird. Dieses Ich empfindet
|
||||
sich als ein Subjekt, eine Form, deren Inhalt zweifelhaft ist.
|
||||
|
||||
Folglich muss die cartesianische denkende Substanz in zwei Teile
|
||||
ausdifferenziert werden, wobei ich auf Solowjows Termini zurückgreifen möchte
|
||||
und den einen Teil als reines (phänomenologisches) Subjekt und den anderen als
|
||||
psychisches (empirisches) Subjekt bezeichnen. Jenes ist sicher und
|
||||
unerschütterlich, da es uns auf dem unmittelbarsten Wege gegeben ist, aber leer,
|
||||
dieses erfüllt und bunt, weil es die ganze Persönlichkeit enthält, dennoch
|
||||
wackelig und grundlos.\footcite[Vgl.][123]{solowjow8}
|
||||
|
||||
\subsection{Ego cogito ergo sum sed quis ego sum?}
|
||||
|
||||
\epigraph{„Cartesius gilt mit Recht für den Vater der neuern Philosophie [\dots].“}
|
||||
{\textbf{Arthur Schopenhauer\footcite[13]{schopenhauer}}}
|
||||
|
||||
Das große Verdienst Descartes' ist, dass er die spätere Philosophie auf den
|
||||
Weg hinwies, auf dem man nicht von eingebildeten Pseudo-Wahrheiten lebt, sondern
|
||||
konstruktiv zweifelt, um einen Fortschritt der philosophischen Forschung zu
|
||||
ermöglichen, ohne dabei in der Sackgasse des Skeptizismus zu enden. Einmal auf
|
||||
diesen Weg getreten wollte er ihn unglücklicherweise selber nicht zu Ende gehen.
|
||||
Allein daran, dass seine Schriften immer noch Aufregung, Nachdenken und
|
||||
Diskussionen in der philosophierenden Welt hervorrufen, kann man ersehen, wie
|
||||
unentbehrlich seine Erbe an das Moderne ist.
|
||||
|
||||
Nun ist das reine Ich menschlicher Erkenntnis unzugänglich. Man ist nur fähig
|
||||
reflexiv über das empirische Ich --- über seinen Charakter und die Summe psychischer
|
||||
Zustände --- die einen zum Individuum machen, nachzudenken. Das reine Ich macht in
|
||||
dieser Hinsicht dieselben Schwierigkeiten, wie der Versuch, die eigenen Ohren
|
||||
ohne einen Spiegel zu betrachten. Bin ich eine willensfreie Persönlichkeit?,
|
||||
eine Puppe im Theater eines mir fremden Wesens?, ein Splitter, der eigentlich
|
||||
mit einer Gottheit zusammen, die zugleich die Welt ist, und die aus nur ihr
|
||||
bekannten Gründen plötzlich ihre Harmonie und ihr Gleichgewicht verlor, ein
|
||||
Ganzes bildet?, ein armer und einsamer Knecht seines Schicksals, der sich
|
||||
einbildet, dass er etwas sieht, hört, mit jemandem spricht?, das zufällige
|
||||
Produkt der blinden Natur, die kein einziges Gramm Geist
|
||||
enthält?
|
256
themes/posts/2013/06/ein-sklave-der-freiheit.tex
Normal file
256
themes/posts/2013/06/ein-sklave-der-freiheit.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,256 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2013-06-02 15:27:00
|
||||
tags: Aufsatz
|
||||
title: Ein Sklave der Freiheit
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Georg Wilhelm Friedrich Hegel versteht dagegen das Recht als das Dasein der
|
||||
Idee der Freiheit, die ihrerseits existenziell für das menschliche Wesen ist.
|
||||
Diese Idee wird nicht wie die ewige Pest von Eltern zu ihren Kindern
|
||||
weitergegeben, sondern vielmehr werden immer mehr ihrer Momente vom Geist
|
||||
aufgenommen und verwirklicht, sie ist die Einheit von Begriff und
|
||||
Wirklichkeit, die der Begriff sich selbst gibt. Die Freiheit, die die
|
||||
Substanz des Rechts darstellt, wird von Hegel nicht als etwas Schlechtes,
|
||||
Gesetzloses, Anarchisches verstanden, sondern als etwas moralisch
|
||||
Positives, sodass man auf höheren Entfaltungsstufen des Geistes von einem
|
||||
vollkommeneren Recht reden kann.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
\subsection{Begriff des Rechts in Hegels Rechtsphilosophie}
|
||||
|
||||
\epigraph{%
|
||||
Es erben sich Gesetz’ und Rechte\\
|
||||
Wie eine ew’ge Krankheit fort,\\
|
||||
Sie schleppen von Geschlecht sich zum Geschlechte\\
|
||||
Und rücken sacht von Ort zu Ort.\\
|
||||
Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage;\\
|
||||
Weh dir, dass du ein Enkel bist!\\
|
||||
Vom Rechte, das mit uns geboren ist,\\
|
||||
Von dem ist leider! nie die Frage.}{\textbf{Johann Wolfgang von Goethe\footcite[55]{faust}}}
|
||||
|
||||
Johann Wolfgang von Goethe legt diese Worte dem Teufel in den Mund, der einen
|
||||
Schüler belehrt. Man spricht davon, dass klassische Dichter wie Goethe immer
|
||||
aktuell bleiben oder sogar mit der Zeit an Aktualität gewinnen. Ist es so?
|
||||
Goethes Zeitgenosse, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, versteht dagegen das Recht
|
||||
als das Dasein der Idee der Freiheit, die ihrerseits existenziell für das
|
||||
menschliche Wesen ist. Diese Idee wird nicht wie die ewige Pest von Eltern zu
|
||||
ihren Kindern weitergegeben, sondern vielmehr werden immer mehr ihrer Momente
|
||||
vom Geist aufgenommen und verwirklicht, sie ist die Einheit von Begriff und
|
||||
Wirklichkeit, die der Begriff sich selbst
|
||||
gibt\footcite[Vgl.][234 f]{schnaedelbach}. So befindet sich auch das Recht
|
||||
im permanenten Progress, denn „[j]ede Stufe der Enwticklung der Idee der
|
||||
Freiheit hat ihr eigentümliches
|
||||
Recht [\dots]“\footcite[43]{grund}. Die Freiheit, die die
|
||||
Substanz des Rechts darstellt, wird von Hegel nicht als etwas Schlechtes,
|
||||
Gesetzloses, Anarchisches verstanden, sondern als etwas moralisch
|
||||
Positives\footcite[Vgl.][40 f]{thought}, sodass man auf höheren
|
||||
Entfaltungsstufen des Geistes von einem vollkommeneren Recht reden kann.
|
||||
|
||||
Der Mensch geht einen dornigen Weg in der Geschichte, reinigt sein
|
||||
Menschenbild. Es ist kaum zu bestreiten, dass ein Bürger eines modernen
|
||||
Rechtsstaates, rechtstheoretisch gesehen, freier als zuvor ist; aber was ist
|
||||
jenes Recht, das uns diese Freiheit gibt: Ist es ein Segen, wie es Hegel
|
||||
beschreibt, oder doch eine beständig anschwellende Bürde, wie es der als Faust
|
||||
verkleidete Mephisto behaupten würde? Im Folgenden wird mich die Frage
|
||||
beschäftigen, inwiefern das Rechtssystem eines Staates das Wohlergehen seiner
|
||||
Bürger widerspiegelt; ob ein höheres Recht sich im immer menschlicher werdenden
|
||||
Menschen spürbar macht.
|
||||
|
||||
\subsection{Wie ist die Entwicklung in der Geschichte möglich?}
|
||||
|
||||
Der erste Punkt, der in diesem Zusammenhang von Belang ist, ist, wie Hegel
|
||||
denkt, die Verbindung zwischen dem staatlichen Recht und den Bürgern dieses
|
||||
Staates herstellen zu können. Es ist bei Hegel so, dass das Recht zu einem
|
||||
bestimmten Zeitpunkt die Entwicklungsstufe des Volksgeistes darstellt. Es sei
|
||||
deswegen gar nicht möglich, dass irgendein Mensch seine Zeit überholt. Als
|
||||
Beispiel erwähnt Hegel den platonischen Staat und behauptet, dass er kein
|
||||
Vorbild in alle Ewigkeit, sondern nur „die Natur der griechischen
|
||||
Sittlichkeit“\footcite[Vgl.][13]{grund} jener Zeit sei. Ein noch
|
||||
besseres Beispiel wäre, dass Hegel zwar den Anspruch erhebt, nicht über einen
|
||||
konkreten Staat bzw.\ ein politisches System zu
|
||||
schreiben,\footcite[Vgl.][15]{grund} seinem Vorhaben selbst aber
|
||||
nicht immer treu bleibt. So vertritt er die konstitutionelle Monarchie als die
|
||||
beste der bekannten Staatsformen, womit man heutzutage nicht unbedingt zufrieden
|
||||
wäre,\footcite[Vgl.][249 ff]{schnaedelbach} d.h.\ er hielt für etwas
|
||||
allgemein Vernünftiges und einem Rechtsstaat Unentbehrliches, was bloß der
|
||||
Tradition seiner Zeit angemessen war.
|
||||
|
||||
Vielmehr schreibt Hegel, dass die Philsophie mit ihren Belehrungen immer zu
|
||||
spät sei, „[a]ls der Gedanke der Welt erscheint sie erst in der Zeit, nachdem
|
||||
die Wirklichkeit ihren Bildungsprozeß
|
||||
vollendet [\dots] hat.“\footcite[Vgl.][17]{grund} Es scheint Hegels
|
||||
Antwort auf die Frage zu sein, wie überhaupt geschichtlicher Fortschritt möglich
|
||||
ist, wenn der Mensch seiner eigenen Zeit nicht voraus sein kann, dass der Geist,
|
||||
das freie Bewusstsein und damit das Recht sich unabhängig vom menschlichen
|
||||
Wollen entwickeln. In der Tat wird das Menschenbild in Europa immer
|
||||
fortschrittlicher: es gibt keine offizielle Sklaverei, die Hautfarbe entscheidet
|
||||
nicht über die menschliche Würde und die Eltern haben keine Macht über ihre
|
||||
Kinder wie über einen Gegenstand. In Deutschland werden diese Ansichten auch
|
||||
juristisch im Grundgesetz verankert.
|
||||
|
||||
Ferner sieht Hegel das Ziel der Philosophie in der Erforschung des
|
||||
Wirklichen, das auch vernünftig ist.\footcite[Vgl.][15 f]{grund}
|
||||
Somit ist alles Klagen über den wirklichen Staat unvernünftig. Es gibt jedoch
|
||||
auch Rückschritte. Was ist mit den Zeiten, die von den meisten Menschen im
|
||||
Nachhinein als höchst unvernünftig und sogar unmenschlich betrachtet werden, wie
|
||||
z.B. die des deutschen Nationalsozialismus: musste man dem Staat gehorchen, weil
|
||||
er wirklich und vernünftig gewesen war? „[\dots] Hegel distinguished between
|
||||
phenomena that embody a rational structure and those that do
|
||||
not“\footcite[234]{cambridge}, heißt es bei Kenneth Westphal mit
|
||||
dem Verweis auf das Vorwort der Philosophie des Rechts. Wann ist dennoch diese
|
||||
Grenze des Vernünftigen überschritten? Hier stolpern wir über das erste Problem,
|
||||
was die Entfaltung des Geistes angeht: Es gibt kein wirkliches Kriterium, um die
|
||||
jeweilige politische Situation bewerten zu können. Hegel sucht nach dem
|
||||
Vernünftigen trotzdem im Transzendentalen und setzt damit anstelle der Willkür
|
||||
seiner unvernünftigen Mitbürger, die ständig über ihren Staat klagen, seine
|
||||
eigene Willkür.\footnote{Zu demselben Gedanken führt Hegels Plädieren für die
|
||||
konstitutionelle Monarchie, die ich oben erwähnte.} Da man jedoch, wenn
|
||||
man die Gegenwart mit der Vergangenheit vergleicht, den Fortschritt feststellen
|
||||
kann, muss die blinde Menschheit von der Geschichte an der Hand geführt werden,
|
||||
sie stößt gegen Gegenstände im dunklen Raum und zieht sich blutige Wunden im
|
||||
Gesicht zu, nähert sich aber immer mehr dem Funken der Freiheit. Doch frage ich
|
||||
mich: Was ist diese Menschheit in ihren Einzelteilen, wirken die Organen im
|
||||
Ganzen des Organismus mit?
|
||||
|
||||
\subsection{Zusammenhang des Menschenbildes und seiner Verwirklichung}
|
||||
|
||||
Die Behandlung dieser Frage beginne ich mit einer kurzen Geschichte. Ich
|
||||
wurde einmal in Hamburg von einer Gruppe junger Leute angesprochen. Sie seien
|
||||
von einem Unternehmen angestellt, dessen Auftrag es sei, Jugendlichen aus
|
||||
schwierigen Verhältnissen zu helfen, ins Berufsleben einzusteigen, und zwar
|
||||
sollen die Letzteren Zeitschriften austragen. Meine Aufgabe sei es, dabei zu
|
||||
helfen, sie zu kontrollieren. Dafür sollte ich eine Zeitschrift beantragen; ich
|
||||
werde regelmäßig ein Formular zugeschickt bekommen, in dem ich einzutragen
|
||||
hätte, ob ich alle Zeitschriften in dieser Periode erhalten hatte. Meine
|
||||
Belohnung sei, dass ich die Zeitschrift ein halbes Jahr lang gratis bekäme. Ich
|
||||
unterzeichnete den Vertrag. Mehrere Wochen danach bekam ich mein erstes Magazin
|
||||
zusammen mit einem zweijährigen Abonnement, das ich selbstverständlich bezahlen
|
||||
musste. Die Angelegenheit entpuppte sich also als eine sogenannte „Abofalle“. Da
|
||||
ist auch klar, warum der Vertrag erst zwei Wochen später zugesandt wurde (damit
|
||||
ich Angst habe, dass ich nach vierzehn Tagen nicht mehr kündigen kann, was in
|
||||
der AGB auf der Rückseite des Vertrages klein geschrieben steht). Seitdem
|
||||
erhielt ich eine Sammlung von Briefen, die mir meine letzte Chance ankündigen,
|
||||
meine Schulden zu begleichen, bevor ich vor Gericht gezogen werde. Dabei
|
||||
handelte es sich nicht um einen harmlosen Einzelfall. Auf der Suche nach Hilfe
|
||||
bin ich weiteren Opfern begegnet. Wir waren mit einer Organisation konfrontiert,
|
||||
die schon seit Jahren auf verschiedene Weisen, aber immer mit gut ausgesuchten
|
||||
und bis ins Detail durchdachten Methoden die Menschen betrügt, den naiven
|
||||
Bürgern das letzte Vertrauen entzieht und Rentner ohne ihre Ersparnisse im Stich
|
||||
lässt.\footnote{Viel extremer sind die Rechtsstreitigkeiten der letzten Jahre in
|
||||
der IT-Industrie zwischen großen Unternehmen, wie 2012 zwischen Apple und Samsung
|
||||
oder Oracle und Google. Ohne weiter auf die Details eingehen zu wollen, muss man
|
||||
doch feststellen, dass zwar ein an sich ganz gerechtes Anliegen vertreten wurde,
|
||||
doch bei näherer Betrachtung der Gründe ähnelten die Prozesse doch einem Abzock
|
||||
des jeweils angeklagten Unternehmens.} Hier kommt die
|
||||
Schattenseite des modernen Rechts zum Vorschein: Die Freiheit bietet auch
|
||||
Freiheit für Verbrecher. Wozu muss jemand altmodisch in einer dunklen Gasse auf
|
||||
seine Opfer stechen und sie berauben, wenn es anhand des vorhandenen
|
||||
Rechtssystems viel eleganter und sicherer gelingt? Und es geht gar nicht um das
|
||||
Gesetz, dass in dicken Büchern niedergeschrieben ist und das bloß ausgenutzt
|
||||
wird, aber an sich ganz angemessen ist, natürlich hätten z.B. die Betrüger in
|
||||
meinem Fall keine Chance vor Gericht gehabt, wenn ich zum Anwalt gegangen wäre;
|
||||
es geht um Menschen aus Fleisch und Blut mit ihren Schwächen, Menschen, von
|
||||
denen nicht jeder Spaß daran hat, nach der Arbeit seine Rechte zu studieren,
|
||||
Menschen, die um die Freiheit des Rechts fürchten.
|
||||
|
||||
Noch ein paar Worte möchte ich zur Freiheit sagen, die Hegel nach dem Recht
|
||||
innewohnt. Die Würde des Menschen als eines freien Wesens wird immer mehr
|
||||
ausgeprägt und legitimiert; in einer anderen Hinsicht wird dem Menschen seine
|
||||
persönliche Freiheit entzogen. Es finden sich immer Menschen, die einen solchen
|
||||
Fall, wie den, den ich geschildert habe, ungefähr folgendermaßen kommentieren
|
||||
würden: „Du solltest nicht so dumm sein, du bist selber schuld.“ Welcher Unfug!
|
||||
Das Vertrauen in andere Menschen wird dabei mit Naivität und Dummheit
|
||||
gleichgesetzt. Der Mensch wird immer verschlossener, kann nicht mehr frei
|
||||
handeln: die Anderen umgeben ihn. Wem vertrauen wir? Unseren Nachbarn? Einem neu
|
||||
geöffneten Online-Shop? Dem Priester? Der Gnade der Politiker? Bankberatern?
|
||||
Deswegen ist vielleicht der lateinische Satz „homo homini lupus“ zu einem
|
||||
international bekannten Sprichwort geworden. Hegel sieht Freiheit einseitig,
|
||||
deswegen ist es so schwer, mit Hegel zu sagen, dass die Sittlichkeit „die Idee
|
||||
der Freiheit, als das lebendige Gute“\footcite[133]{grund}
|
||||
sei.\footcite[Vgl.][229 ff]{cambridge0} Wobei ich gar nicht sagen
|
||||
wollte, dass alles jede Minute schlechter wird. Es wird bloß nicht besser. Mein
|
||||
Ziel war dieses Paradoxon aufzuzeigen, dass unser Menschenbild immer sauberer
|
||||
wird, aber andererseits nur im Grundgesetz, nicht in der Seele unseres Nächsten.
|
||||
Jede Stufe der Entwicklung der Idee der Freiheit hat ihren eigentümlichen
|
||||
Betrug, ihre moralische Nicht-Freiheit.
|
||||
|
||||
\subsection{Zu politischen Systemen}
|
||||
|
||||
Karl Popper schreibt auch, dass die politische Freiheit grausam, zu einer
|
||||
Katastrophe werden kann. Seine Behauptung bekräftigt er unter Anderem damit,
|
||||
dass der Freiheitskampf Terrorismus auslösen kann.\footcite[Vgl.][171 f]{popper}
|
||||
„Nein, wir wählen die politische Freiheit nicht, weil sie uns das oder jenes
|
||||
verspricht. Wir wählen sie, weil sie die einzig menschenwürdige Form des
|
||||
menschlichen Zusammenlebens möglich macht; [\dots]“\footcite[172]{popper}
|
||||
Demokratie definiert er als eine Staatsform, in der es möglich sei, die
|
||||
Regierung ohne Blutvergießen „loszuwerden“. Im Gegensatz dazu steht
|
||||
Tyrannis.\footcite[Vgl.][168]{popper} Einfachheitshalber werde ich im
|
||||
Folgenden seine Terminologie verwenden.
|
||||
|
||||
Man könnte sich fragen, ob die politische Freiheit tatsächlich so einen hohen
|
||||
Wert in den Köpfen der Menschen hat, wie ihn ihr Popper und Hegel beimessen, ob
|
||||
es einen Zusammenhang zwischen dem Menschenbild, Wertesystem und der politischen
|
||||
Ordnung, politischen Freiheit gibt. Dies kann man es an einem Beispiel aus der
|
||||
modernen Gesellschaft verdeutlichen. Deutschland wäre eine sehr unpassende
|
||||
Variante, weil man hier wegen des verlorenen Krieges ein totalitäres Regime noch
|
||||
ein paar Jahrzehnte verabscheuen wird, anders ist es z.B. in Russland, wo ich
|
||||
aufgewachsen bin und meine ersten Lebensansichten von der Kultur aufgedrängt
|
||||
bekommen habe, dem Land der „Helden und Sieger“\footnote{Es ist nicht mein
|
||||
favorisierter Ausdruck, sondern eher die Volkseinstellung, mit der man oft
|
||||
konfrontiert wird.}. Popper übertreibt
|
||||
übermäßig den Wert der Freiheit, weil das Blut in Freiheitskämpfen in seltesten
|
||||
Fällen für die Freiheit vergoßen wurde. Ein Freiheitskampf innerhalb eines
|
||||
Landes wird gerne angefangen, wenn es den Menschen an Brot fehlt. Diese
|
||||
Anmerkung macht auch deutlich, worum es einem in der Geschichte geht. In
|
||||
Russland zeigt sich daher wegen eines schlecht organisierten Sozialsystems und
|
||||
starker Korruption, dass man sich von der Freiheit nicht sättigen und nicht
|
||||
seinen Durst mit ihr stillen kann. Einerseits wollen einige Angehörige der
|
||||
orthodoxen Kirche, die gewissen Einfluss hat, einen Monarchen, einen orthodoxen
|
||||
Zaren, andererseits vergöttern viele die Sowjetjunion und selbst solche Tyrannen
|
||||
wie Stalin. Wie gesagt, Stalin ist kein Tyrann im Sinne Hitlers, nur dank ihm
|
||||
sei der Sieg im Krieg möglich gewesen und es wird ernsthaft bezweifelt, dass das
|
||||
moderne demokratische Russland einen derartigen Freiheitskampf gegen fremde
|
||||
Eroberer aushielte. Jährlich treten die Veteranen am 9.
|
||||
Mai\footnote{Siegestag im Zweiten Weltkrieg, gesetzlicher Feiertag.} auf und berichten, wieviel
|
||||
besser es in der Sowjetunion war, weil es Ordnung gegeben habe. Es offenbart
|
||||
sich eine ganz andere Wahrnehmung des Totalitarismus, die selbst dadurch nicht
|
||||
verhindert wird, dass es nicht ganz klar ist, ob mehr Menschen im Krieg
|
||||
gestorben sind oder von der eigenen Regierung hingerichtet wurden.
|
||||
|
||||
Aus dem oben angeführten Beispiel kann man ablesen, dass die Menschheit die
|
||||
Freiheit nicht um der Freiheit willen anstrebt, dass sie keinen unbedingten Wert
|
||||
hat. Außerdem war Hegel anscheinend der Ansicht, dass ein politisches System
|
||||
besser als das andere sein kann (sonst wären seine Ausführungen bezüglich der
|
||||
konstitutionellen Monarchie sinnlos). Aber bei uns herrscht nun Demokratie und
|
||||
sie ist keine neue Regierungsform, also kann man nicht sagen, dass Hegel von ihr
|
||||
nichts wusste und sie deswegen nicht bevorzugte. Die westliche Demokratie ist
|
||||
lediglich besser als die antike, sie stellt aber nichts Neues dar. Eine Tyrannis
|
||||
ist auch nicht jeder Tyrannis gleich (hier ist das Wort Monarchie angemessener,
|
||||
weil „Tyrannis“ in der modernen Sprache einen negativen Nachklang hat). Jetzt
|
||||
kann man darüber nachdenken, ob die Geschichte nicht etwas kreisförmig ist. Die
|
||||
Regierungsformen ersetzen einander, sie tanzen in einem ewigen Tanz um die
|
||||
Menschen herum, kommen in einer besseren Gestalt und gehen wieder.
|
||||
|
||||
\subsection{Das Menschenbild, das Recht und die Person}
|
||||
|
||||
Hegels großes Verdienst ist, dass er in seiner Rechtsphilosophie diese
|
||||
positive Entwicklung des Begriffs des Menschen, des Menschenbildes aufgespürt
|
||||
und aufgedeckt hat. Unsere Vorstellung vom Menschen ist vollkommener, die
|
||||
Menschenbilder früherer Zeiten verletzten in verschiedenen Aspekten eindeutig
|
||||
die Menschenwürde, waren teilweise unverständlich und \textbf{nicht befreit}.
|
||||
Dann ist es von Hegel aufgezeigt worden, wie ein Menschenbild im Recht
|
||||
verankert wird und wie sie einander offenbaren. Allerdings hat Hegel daraus
|
||||
Schlüsse gezogen, die nicht mehr nachweisbar sind. So unterschied er zwischen
|
||||
der Sittlichkeit und der Moralität\footcite[Vgl.][215 f]{thought},
|
||||
wobei sein Plan zu beweisen, dass der Staat an sich sittlich sei, fehlgeschlagen
|
||||
ist. Er konnte nicht seinen Weg bis zum Ende gehen, seinen Überzeugungen bis zum
|
||||
Letzten folgen und behauptete von Staaten, die seiner Vorstellung nach doch
|
||||
unsittlich waren, dass sie unvernünftig seien, wobei das Maß dieser Vernünftigkeit
|
||||
Hegels eigener Willkür entsprang und keine objektive Einheit darstellt. Man kann die
|
||||
Sittlichkeit von der Moralität nicht eindeutig trennen. Zum Anderen kann man
|
||||
weder vom Recht auf die Sittlichkeit bzw.\ Moralität schließen, noch von der
|
||||
politischen Freiheit auf die praktische, der menschlichen Würde entsprechende
|
||||
Freiheit. Insofern wird ein menschliches Staatsideal immer mehr im modernen
|
||||
Staat verkörpert, aber es hat sehr bestreitbaren Einfluss auf die einzelne
|
||||
Persönlichkeiten, Bürger dieses Staates.
|
52
themes/posts/2013/08/katja-m.tex
Normal file
52
themes/posts/2013/08/katja-m.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,52 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2013-07-05 04:15:00
|
||||
tags: Gedicht
|
||||
title: Der Himmel blutet spät am Abend…
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Der Himmel blutet spät am Abend,<br>
|
||||
das Heer im Schweigen kehrt zurück.<br>
|
||||
Der Feldherr ruft sich selber tadelnd:<br>
|
||||
„Es fehlte noch ein kleines Stück!“
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Der Gegner kann sich auch nicht freuen:<br>
|
||||
Nur zu beweinen ist der Sieg,<br>
|
||||
zu viele sind nun zu bereuen,<br>
|
||||
zu vieles einem stiehlt ein Krieg.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Ich habe selbst die Ruh gebrochen,<br>
|
||||
der erste Schlag ist immer mein.<br>
|
||||
Ich wollte nicht, dass sie gehorchen,<br>
|
||||
mein Herz gleichgültig war wie’n Stein.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Ich wollte später mich schon beugen,<br>
|
||||
mein Volk hätt’ dann ’nen weisen Herrn,<br>
|
||||
der ist den meisten überlegen,<br>
|
||||
den mag ich selber äußerst gern.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
\textit{Katja M. S. B.}
|
||||
|
||||
Der Himmel blutet spät am Abend,\\
|
||||
das Heer im Schweigen kehrt zurück.\\
|
||||
Der Feldherr ruft sich selber tadelnd:\\
|
||||
„Es fehlte noch ein kleines Stück!“
|
||||
|
||||
Der Gegner kann sich auch nicht freuen:\\
|
||||
Nur zu beweinen ist der Sieg,\\
|
||||
zu viele sind nun zu bereuen,\\
|
||||
zu vieles einem stiehlt ein Krieg.
|
||||
|
||||
Ich habe selbst die Ruh gebrochen,\\
|
||||
der erste Schlag ist immer mein.\\
|
||||
Ich wollte nicht, dass sie gehorchen,\\
|
||||
mein Herz gleichgültig war wie’n Stein.
|
||||
|
||||
Ich wollte später mich schon beugen,\\
|
||||
mein Volk hätt’ dann ’nen weisen Herrn,\\
|
||||
der ist den meisten überlegen,\\
|
||||
den mag ich selber äußerst gern.
|
9
themes/posts/2013/11/de-fortuna.tex
Normal file
9
themes/posts/2013/11/de-fortuna.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,9 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2013-11-14 06:53:00
|
||||
tags: Aufzeichnungen eines Pessimisten
|
||||
title: De fortuna
|
||||
---
|
||||
\emph{Sapientia Sciurus:} Viel Glück zu deiner Prüfung!
|
||||
|
||||
\emph{Ich:} Es ist kein Kartenspiel.
|
30
themes/posts/2013/12/gute-nacht-mein-lieber-schatz.tex
Normal file
30
themes/posts/2013/12/gute-nacht-mein-lieber-schatz.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,30 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2013-12-28 08:34:00
|
||||
tags: Gedicht
|
||||
title: Gute Nacht, mein lieber Schatz!
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Gute Nacht, mein lieber Schatz,<br>
|
||||
lass mein’ Stern dich nun bewachen,<br>
|
||||
deinen Schlaf erholsam machen.<br>
|
||||
Schlafe schön, mein gold’ner Schatz!
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Guten Morgen, lieber Schatz,<br>
|
||||
siehst du schon die Sohne gähnen?<br>
|
||||
Sie wird deinen Tag erwärmen,<br>
|
||||
gibt dir einen heißen Schmatz!
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
\textit{Katja M. S. B.}
|
||||
|
||||
Gute Nacht, mein lieber Schatz,\\
|
||||
lass mein’ Stern dich nun bewachen,\\
|
||||
deinen Schlaf erholsam machen.\\
|
||||
Schlafe schön, mein gold’ner Schatz!
|
||||
|
||||
Guten Morgen, lieber Schatz,\\
|
||||
siehst du schon die Sohne gähnen?\\
|
||||
Sie wird deinen Tag erwärmen,\\
|
||||
gibt dir einen heißen Schmatz!
|
@@ -0,0 +1,17 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2013-12-19 14:38:00
|
||||
tags: Gedicht
|
||||
title: Liebste, hast du selber nicht gesagt?
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Liebste, hast du selber nicht gesagt,<br>
|
||||
wie wunderbar ist Menschenleben,<br>
|
||||
dass kein Gewitter, kein Erdbeben<br>
|
||||
es jemals übler, grauer macht?
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
Liebste, hast du selber nicht gesagt,\\
|
||||
wie wunderbar ist Menschenleben,\\
|
||||
dass kein Gewitter, kein Erdbeben\\
|
||||
es jemals übler, grauer macht?
|
57
themes/posts/2013/12/weihnachtslied.tex
Normal file
57
themes/posts/2013/12/weihnachtslied.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,57 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2013-12-01 14:27:00
|
||||
tags: Gedicht
|
||||
title: Weihnachtslied
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Wunder geschieht in der heiligen Nacht:<br>
|
||||
Oben im Himmel der Stern<br>
|
||||
leuchtet uns strahlend in göttlicher Pracht,<br>
|
||||
führt zu der Krippe des Herrn.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Halleluja, Ehre dem ewig’n Sohn!<br>
|
||||
Halleluja, Erde ist Gottes Thron!
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Gott, der das Seiende machtvoll bewahrt,<br>
|
||||
Engel sind ihm unterworf’n,<br>
|
||||
hat seine Gnade dem Mensch offenbart,<br>
|
||||
gibt ihm das Glück und das Hoff’n.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Unsere Speise das göttliche Wort,<br>
|
||||
geistlicher Durst wird gestillt;<br>
|
||||
Beten zu Christus an jeglichem Ort —<br>
|
||||
er ist barmherzig und mild.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Freut euch ihr Menschen, es juble das Volk!<br>
|
||||
Alle, die holdselig kam’n,<br>
|
||||
singen dem Kinde das ewige Lob,<br>
|
||||
preisen für immer sein’ Nam’n!
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
Wunder geschieht in der heiligen Nacht:\\
|
||||
Oben im Himmel der Stern\\
|
||||
leuchtet uns strahlend in göttlicher Pracht,\\
|
||||
führt zu der Krippe des Herrn.
|
||||
|
||||
Halleluja, Ehre dem ewig’n Sohn!\\
|
||||
Halleluja, Erde ist Gottes Thron!
|
||||
|
||||
Gott, der das Seiende machtvoll bewahrt,\\
|
||||
Engel sind ihm unterworf’n,\\
|
||||
hat seine Gnade dem Mensch offenbart,\\
|
||||
gibt ihm das Glück und das Hoff’n.
|
||||
|
||||
Unsere Speise das göttliche Wort,\\
|
||||
geistlicher Durst wird gestillt;\\
|
||||
Beten zu Christus an jeglichem Ort —\\
|
||||
er ist barmherzig und mild.
|
||||
|
||||
Freut euch ihr Menschen, es juble das Volk!\\
|
||||
Alle, die holdselig kam’n,\\
|
||||
singen dem Kinde das ewige Lob,\\
|
||||
preisen für immer sein’ Nam’n!
|
@@ -0,0 +1,51 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2014-03-16 20:44:00
|
||||
tags: Gedicht
|
||||
title: Meine Liebe, lass uns gehen
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Meine Liebe, lass uns gehen.<br>
|
||||
Nimm, Liebste, keine Sachen mit.<br>
|
||||
Was hast du hier noch nicht gesehen,<br>
|
||||
was eine Freude uns verspricht?</p>
|
||||
<p>
|
||||
Es gibt nicht ewig etwas Neues,<br>
|
||||
das Leben wird wie alles alt,<br>
|
||||
nichts Ehrliches, nichts Gutes, Treues.<br>
|
||||
Die Lebensfarben werden kalt.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Lass uns endlich ausbrechen,<br>
|
||||
wir wandern in das neue Land.<br>
|
||||
Man kennt vielleicht dort kein Verbrechen<br>
|
||||
und Freude ist zahlreich wie Sand.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Wahrscheinlich können wir dort bleiben,<br>
|
||||
am Feuer, das für immer brennt,<br>
|
||||
mit Menschen, die uns nicht vertreiben,<br>
|
||||
wo jeder seine Ziele kennt.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
\textit{Babett Heinemann}
|
||||
|
||||
Meine Liebe, lass uns gehen.\\
|
||||
Nimm, Liebste, keine Sachen mit.\\
|
||||
Was hast du hier noch nicht gesehen,\\
|
||||
was eine Freude uns verspricht?
|
||||
|
||||
Es gibt nicht ewig etwas Neues,\\
|
||||
das Leben wird wie alles alt,\\
|
||||
nichts Ehrliches, nichts Gutes, Treues.\\
|
||||
Die Lebensfarben werden kalt.
|
||||
|
||||
Lass uns endlich ausbrechen,\\
|
||||
wir wandern in das neue Land.\\
|
||||
Man kennt vielleicht dort kein Verbrechen\\
|
||||
und Freude ist zahlreich wie Sand.
|
||||
|
||||
Wahrscheinlich können wir dort bleiben,\\
|
||||
am Feuer, das für immer brennt,\\
|
||||
mit Menschen, die uns nicht vertreiben,\\
|
||||
wo jeder seine Ziele kennt.
|
19
themes/posts/2014/04/kleines-dankeschon.tex
Normal file
19
themes/posts/2014/04/kleines-dankeschon.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,19 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2014-04-22 21:15:00
|
||||
tags: Gedicht
|
||||
title: Kleines Dankeschön
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Ich schreib’ es nieder: Vielen Dank!<br>
|
||||
Kennt meine Frechheit keine Schranken?<br>
|
||||
Wie sollt’ ich mich denn sonst bedanken?<br>
|
||||
Habe einen schönen Tag!
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
\textit{LS}
|
||||
|
||||
Ich schreib’ es nieder: Vielen Dank!\\
|
||||
Kennt meine Frechheit keine Schranken?\\
|
||||
Wie sollt’ ich mich denn sonst bedanken?\\
|
||||
Habe einen schönen Tag!
|
52
themes/posts/2014/05/blog-post.tex
Normal file
52
themes/posts/2014/05/blog-post.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,52 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2014-05-28 22:23:00
|
||||
tags: Стихотворение
|
||||
title: Воспоминание
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Одно свое воспоминанье<br>
|
||||
храню я с ранних-ранних лет.<br>
|
||||
Оно как в утреннем тумане,<br>
|
||||
оно - глубокий детства след.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Хотя тебя я помню смутно,<br>
|
||||
твой полон красками портрет.<br>
|
||||
Сама ты помнишь, как уютен<br>
|
||||
был этим детям белый свет?
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Исчезло днесь воспоминанье,<br>
|
||||
рассеяв утренний туман,<br>
|
||||
и тоже гордое сиянье,<br>
|
||||
представ, твой излучает стан.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Цвети ж на почве мирозданья,<br>
|
||||
расти и в силе и красе,<br>
|
||||
чтоб всяка тень мирских страданий<br>
|
||||
пропала в утренней росе!
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
\textit{Двоюродной племяннице Кристе}
|
||||
|
||||
Одно свое воспоминанье\\
|
||||
храню я с ранних-ранних лет.\\
|
||||
Оно как в утреннем тумане,\\
|
||||
оно - глубокий детства след.
|
||||
|
||||
Хотя тебя я помню смутно,\\
|
||||
твой полон красками портрет.\\
|
||||
Сама ты помнишь, как уютен\\
|
||||
был этим детям белый свет?
|
||||
|
||||
Исчезло днесь воспоминанье,\\
|
||||
рассеяв утренний туман,\\
|
||||
и тоже гордое сиянье,\\
|
||||
представ, твой излучает стан.
|
||||
|
||||
Цвети ж на почве мирозданья,\\
|
||||
расти и в силе и красе,\\
|
||||
чтоб всяка тень мирских страданий\\
|
||||
пропала в утренней росе!
|
17
themes/posts/2014/06/hoffnung.tex
Normal file
17
themes/posts/2014/06/hoffnung.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,17 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2014-06-26 13:02:00
|
||||
tags: Gedicht
|
||||
title: Hoffnung
|
||||
teader: |
|
||||
<p>
|
||||
Alles ist zu Staub vergangen,<br>
|
||||
ich hab’ mein Leben voll versäumt;<br>
|
||||
großen Menschen muss ich danken:<br>
|
||||
Ihr habt mich doch noch weggeräumt!
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
Alles ist zu Staub vergangen,\\
|
||||
ich hab’ mein Leben voll versäumt;\\
|
||||
großen Menschen muss ich danken:\\
|
||||
Ihr habt mich doch noch weggeräumt!
|
50
themes/posts/2014/08/blog-post.tex
Normal file
50
themes/posts/2014/08/blog-post.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,50 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2014-08-02 18:16:00
|
||||
tags: Стихотворение
|
||||
title: Чужие люди
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Я снова привыкаю жить,<br>
|
||||
в грудь воздух набираю жадно,<br>
|
||||
ни зги не вижу, но отрадно<br>
|
||||
хотя б по сути зрячим быть.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Судьба, судьба, моя судьба…<br>
|
||||
А ты все хочешь торговаться?!<br>
|
||||
И я готов тебе отдаться!<br>
|
||||
Со мной ты не была скупа!
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
И в этот раз не поскупилась<br>
|
||||
меня ты по миру пустить,<br>
|
||||
с людьми чужими слезы лить,<br>
|
||||
коль водка уж ручьями лилась.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Чужие люди! Живы все же!<br>
|
||||
Среди чужих чужим я свой.<br>
|
||||
Не торопись, мой друг, постой!<br>
|
||||
Ты как чужой мне всех дороже.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
Я снова привыкаю жить,\\
|
||||
в грудь воздух набираю жадно,\\
|
||||
ни зги не вижу, но отрадно\\
|
||||
хотя б по сути зрячим быть.
|
||||
|
||||
Судьба, судьба, моя судьба…\\
|
||||
А ты все хочешь торговаться?!\\
|
||||
И я готов тебе отдаться!\\
|
||||
Со мной ты не была скупа!
|
||||
|
||||
И в этот раз не поскупилась\\
|
||||
меня ты по миру пустить,\\
|
||||
с людьми чужими слезы лить,\\
|
||||
коль водка уж ручьями лилась.
|
||||
|
||||
Чужие люди! Живы все же!\\
|
||||
Среди чужих чужим я свой.\\
|
||||
Не торопись, мой друг, постой!\\
|
||||
Ты как чужой мне всех дороже.
|
50
themes/posts/2014/10/blog-post.tex
Normal file
50
themes/posts/2014/10/blog-post.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,50 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2014-10-14 10:34:00
|
||||
tags: Стихотворение
|
||||
title: Благодарю за этот вечер
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Благодарю за этот вечер!<br>
|
||||
Он мне подарит завтра день.<br>
|
||||
С тобой моя пребудет тень.<br>
|
||||
И верь, что это не пустые речи.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Сорвав последнюю завесу,<br>
|
||||
мы преступили чрез закон,<br>
|
||||
что людям с детских лет внушен,<br>
|
||||
но нет закона на повесу.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Нельзя растрачивать нам честность:<br>
|
||||
нам столько тайн дано хранить.<br>
|
||||
Хрупка серебряная нить,<br>
|
||||
хранящая в тиши безвестность.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Мой милый друг, когда с тобою<br>
|
||||
мы перестанем быть близки,<br>
|
||||
средь моря сумрочной тоски<br>
|
||||
быть может вспомнишь день со мною.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
Благодарю за этот вечер!\\
|
||||
Он мне подарит завтра день.\\
|
||||
С тобой моя пребудет тень.\\
|
||||
И верь, что это не пустые речи.
|
||||
|
||||
Сорвав последнюю завесу,\\
|
||||
мы преступили чрез закон,\\
|
||||
что людям с детских лет внушен,\\
|
||||
но нет закона на повесу.
|
||||
|
||||
Нельзя растрачивать нам честность:\\
|
||||
нам столько тайн дано хранить.\\
|
||||
Хрупка серебряная нить,\\
|
||||
хранящая в тиши безвестность.
|
||||
|
||||
Мой милый друг, когда с тобою\\
|
||||
мы перестанем быть близки,\\
|
||||
средь моря сумрочной тоски\\
|
||||
быть может вспомнишь день со мною.
|
31
themes/posts/2014/10/gestohlenes-gluck.tex
Normal file
31
themes/posts/2014/10/gestohlenes-gluck.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,31 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2014-10-04 21:14:00
|
||||
tags: Übersetzung
|
||||
title: Gestohlenes Glück
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Ich weiß bis heute selber nicht,<br>
|
||||
warum mir dies geschehen musste,<br>
|
||||
aber ich lebe nun wie’n Dieb,<br>
|
||||
der eines Glück zu stehlen wusste.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Wir schlossen keinen Ehebund;<br>
|
||||
ich werd’ ihr trotzdem Rede stehen.<br>
|
||||
Und dafür gibt es einen Grund:<br>
|
||||
Sie ist mir wichtiger als Sehen.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
Die ersten zwei Strophen aus dem Lied „Gestohlenes Glück“ eines ukrainischen
|
||||
Sängers, Anatolij Matwijtschuk.
|
||||
|
||||
Ich weiß bis heute selber nicht,\\
|
||||
warum mir dies geschehen musste,\\
|
||||
aber ich lebe nun wie’n Dieb,\\
|
||||
der eines Glück zu stehlen wusste.
|
||||
|
||||
Wir schlossen keinen Ehebund;\\
|
||||
ich werd’ ihr trotzdem Rede stehen.\\
|
||||
Und dafür gibt es einen Grund:\\
|
||||
Sie ist mir wichtiger als Sehen.
|
@@ -0,0 +1,29 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2014-10-17 09:44:00
|
||||
tags: Übersetzung
|
||||
title: |
|
||||
W. Wyssozki „Sie sagt: Ich lieb’ dich nicht“
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Sie sagt: Ich lieb’ dich nicht.<br>
|
||||
Er sagt: Es kann nicht sein.<br>
|
||||
Sie sagt: Ich trinke nicht.<br>
|
||||
Er sagt: Wir trinken Wein!
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Die Flaschen wurden weggeräumt.<br>
|
||||
Das Fenster zu, die Kerzen aus.<br>
|
||||
Sie sagt zu ihm: Mein lieber Freund…<br>
|
||||
Er sagt: Ich geh’ schon mal nach Haus’.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
Sie sagt: Ich lieb’ dich nicht.\\
|
||||
Er sagt: Es kann nicht sein.\\
|
||||
Sie sagt: Ich trinke nicht.\\
|
||||
Er sagt: Wir trinken Wein!
|
||||
|
||||
Die Flaschen wurden weggeräumt.\\
|
||||
Das Fenster zu, die Kerzen aus.\\
|
||||
Sie sagt zu ihm: Mein lieber Freund…\\
|
||||
Er sagt: Ich geh’ schon mal nach Haus’.
|
37
themes/posts/2014/11/im-andenken-f-nietzsche.tex
Normal file
37
themes/posts/2014/11/im-andenken-f-nietzsche.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,37 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2014-11-11 12:45:00
|
||||
tags: Gedicht
|
||||
title: Im Andenken an F. Nietzsche
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Es tut mir leid, still zuzusehen,<br>
|
||||
wie ganze Welten untergehen,<br>
|
||||
wie alle Hoffnungen abstürzen<br>
|
||||
und ihre Herren nicht mehr stützen.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Es tut so weh, den Freund zu hassen.<br>
|
||||
Wie wurde ich im Stich gelassen?<br>
|
||||
Was war der Grund, mich zu verlassen?
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Die Welt ist Leid, die Welt ist Schmerz,<br>
|
||||
im Werden ist ihr dunkles Herz.<br>
|
||||
Ich weiß, weil ich sie selber sehe:<br>
|
||||
drei Schwestern: Wille, Wahn und Wehe.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
Es tut mir leid, still zuzusehen,\\
|
||||
wie ganze Welten untergehen,\\
|
||||
wie alle Hoffnungen abstürzen\\
|
||||
und ihre Herren nicht mehr stützen.
|
||||
|
||||
Es tut so weh, den Freund zu hassen.\\
|
||||
Wie wurde ich im Stich gelassen?\\
|
||||
Was war der Grund, mich zu verlassen?
|
||||
|
||||
Die Welt ist Leid, die Welt ist Schmerz,\\
|
||||
im Werden ist ihr dunkles Herz.\\
|
||||
Ich weiß, weil ich sie selber sehe:\\
|
||||
drei Schwestern: Wille, Wahn und Wehe.
|
113
themes/posts/2014/12/das-alte-neu-erzahlte-marchen.tex
Normal file
113
themes/posts/2014/12/das-alte-neu-erzahlte-marchen.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,113 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2014-12-22 11:04:00
|
||||
tags: Gedicht
|
||||
title: Das alte, neu erzählte Märchen
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Mein Dad schuf neu die alten Märchen:<br>
|
||||
von einem sonderbaren Mädchen,<br>
|
||||
von ihrem Prinzen und dem Reiche,<br>
|
||||
in ihm sind tiefe Honigteiche.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Von Wesen, die im Walde leben:<br>
|
||||
von Spinnen, die dort Schlösser weben,<br>
|
||||
von Basilisken und Chimären<br>
|
||||
und Satyrn, Hexen, Drachen, Bären.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Im Reiche gibt es Königsritter<br>
|
||||
und armes Fräulein Margareta.<br>
|
||||
Erzähltest du ein wahres Märchen<br>
|
||||
von jenem wunderbaren Mädchen,
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
von ihrem Prinzen und dem Reiche,<br>
|
||||
in dem die tiefsten Honigteiche,<br>
|
||||
von grünen, zauberhaften Wiesen<br>
|
||||
und wilden, grauenvollen Riesen?
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Und was, wenn’s stimmt, was Leute sagen,<br>
|
||||
die jedes Märchen hinterfragen?<br>
|
||||
Es gibt, sie sagen, keine Ritter<br>
|
||||
und keine arme Margareta.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Wie soll ich denn noch weiter leben,<br>
|
||||
wenn alle Sagen langsam sterben?<br>
|
||||
Erzähl mir deine neuen Märchen,<br>
|
||||
vom allerschönsten Menschen, Gretchen!
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Ich werd’ sie unter Menschen säen,<br>
|
||||
Ich pflege sie und schütz’ vor Krähen.<br>
|
||||
Man wird sie eines Tages pflücken<br>
|
||||
und als den Trank des Lebens schlücken.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Sag, kann ein Märchen mich berauben,<br>
|
||||
da ich an die erzählten nicht mehr glaube?<br>
|
||||
Bringst du mir bei, wie ich sie dichte,<br>
|
||||
wie ich die Welt des Traumes richte.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Mein Vater, sag, dass ich noch lebe,<br>
|
||||
dass ich nur bloß im Traume schwebe,<br>
|
||||
ich werd’ die alte Welt vernichten<br>
|
||||
und sie dann neu, ganz neu umdichten!
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
Der innere Gehalt mag nietzscheanisch geprägt sein. Die Idee für das Gedicht
|
||||
hatte ich schon länger, bis das Lied bzw. Gedicht von Yuri Kukin „Der alte
|
||||
Märchendichter“ (russisch Старый сказочник) mich auch auf die richtige Form
|
||||
brachte: natürlich das Märchen! Der Stil ist beeinflusst von dem oben genannten
|
||||
Lied und Heinrich Heines „Liebste, sollst mir heute sagen“. Ein spezieller Dank
|
||||
gilt Jean-Philippe Séraphin, der eine tiefgreifende Rezension geschrieben hat,
|
||||
die mir geholfen hat, den Text noch einigermaßen zu verbessern.
|
||||
|
||||
Mein Dad schuf neu die alten Märchen:\\
|
||||
von einem sonderbaren Mädchen,\\
|
||||
von ihrem Prinzen und dem Reiche,\\
|
||||
in ihm sind tiefe Honigteiche.
|
||||
|
||||
Von Wesen, die im Walde leben:\\
|
||||
von Spinnen, die dort Schlösser weben,\\
|
||||
von Basilisken und Chimären\\
|
||||
und Satyrn, Hexen, Drachen, Bären.
|
||||
|
||||
Im Reiche gibt es Königsritter\\
|
||||
und armes Fräulein Margareta.\\
|
||||
Erzähltest du ein wahres Märchen\\
|
||||
von jenem wunderbaren Mädchen,
|
||||
|
||||
von ihrem Prinzen und dem Reiche,\\
|
||||
in dem die tiefsten Honigteiche,\\
|
||||
von grünen, zauberhaften Wiesen\\
|
||||
und wilden, grauenvollen Riesen?
|
||||
|
||||
Und was, wenn’s stimmt, was Leute sagen,\\
|
||||
die jedes Märchen hinterfragen?\\
|
||||
Es gibt, sie sagen, keine Ritter\\
|
||||
und keine arme Margareta.
|
||||
|
||||
Wie soll ich denn noch weiter leben,\\
|
||||
wenn alle Sagen langsam sterben?\\
|
||||
Erzähl mir deine neuen Märchen,\\
|
||||
vom allerschönsten Menschen, Gretchen!
|
||||
|
||||
Ich werd’ sie unter Menschen säen,\\
|
||||
Ich pflege sie und schütz’ vor Krähen.\\
|
||||
Man wird sie eines Tages pflücken\\
|
||||
und als den Trank des Lebens schlücken.
|
||||
|
||||
Sag, kann ein Märchen mich berauben,\\
|
||||
da ich an die erzählten nicht mehr glaube?\\
|
||||
Bringst du mir bei, wie ich sie dichte,\\
|
||||
wie ich die Welt des Traumes richte.
|
||||
|
||||
Mein Vater, sag, dass ich noch lebe,\\
|
||||
dass ich nur bloß im Traume schwebe,\\
|
||||
ich werd’ die alte Welt vernichten\\
|
||||
und sie dann neu, ganz neu umdichten!
|
30
themes/posts/2015/01/zum-77-geburtstag-von-w-wyssozki.tex
Normal file
30
themes/posts/2015/01/zum-77-geburtstag-von-w-wyssozki.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,30 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2015-01-25 05:22:00
|
||||
tags: Übersetzung
|
||||
title: Zum 77. Geburtstag von W. Wyssozki
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Wyssozki sang uns mal mit Kraft,<br>
|
||||
wie's in den Bars und Kirchen.<br>
|
||||
Dass er nicht mehr gesehen hat,<br>
|
||||
wie Menschen heute stinken!
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Ich sag' euch: Sein Zigeunerlied... kann ich ewig hören.<br>
|
||||
Nichts ist so, so wie es soll! Das kann ich, Freunde, schwören.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
Wyssozki sang uns mal mit Kraft,\\
|
||||
wie’s in den Bars und Kirchen.\\
|
||||
Dass er nicht mehr gesehen hat,\\
|
||||
wie Menschen heute stinken!
|
||||
|
||||
Ich sag’ euch: Sein Zigeunerlied… kann ich ewig hören.\\
|
||||
Nichts ist so, so wie es soll! Das kann ich, Freunde, schwören.
|
||||
|
||||
\textit{Juri Julianowitsch Schewtschuk (DDT)}
|
||||
|
||||
Es mag sein, dass ich bei der Übersetzung den Akzent von einer bedauernswerten
|
||||
Situation zu sehr auf die Menschen verschoben habe, aber sie sind schließlich
|
||||
das, worum es Wyssozki so oft geht.
|
586
themes/posts/2015/04/zur-bedeutung-der-kunst-bei-friedrich.tex
Normal file
586
themes/posts/2015/04/zur-bedeutung-der-kunst-bei-friedrich.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,586 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2015-04-22 04:06:00
|
||||
tags: Aufsatz
|
||||
title: Zur Bedeutung der Kunst bei Friedrich Nietzsche. Teil 1. Die Geburt der Tragödie
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Wie soll man mit einer Welt, aus der Gott ausgetrieben wurde und die Idee
|
||||
einer sinnvollen Schöpfung erschüttert wurde, zurechtkommen? Wie soll man
|
||||
das Leben in einer säkularisierten, von jeglichem Sinn befreiten Welt
|
||||
ertragen, in einer Welt voller Grausamkeit, Demütigung, Verrat und Leid, in
|
||||
einer Welt, wo alles Leben zum sinnlosen Sterben verurteilt ist? Auf der
|
||||
Suche nach einer Antwort gelangt Nietzsche zur Kunst. In der Kunst offenbart
|
||||
sich die menschliche Schaffenskraft, vielleicht kann sie einen wesentlichen
|
||||
Beitrag zum Leben leisten.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
\subsection{Einleitung}
|
||||
|
||||
\epigraph{%
|
||||
[D]ie Kunst ist lang,\\
|
||||
Und kurz ist unser Leben.}
|
||||
{\textbf{Faust I\\Johann Wolfgang von Goethe}\footcite[20]{faust}}
|
||||
|
||||
Heutzutage wird oft und intensiv über die Fortschritte der Wissenschaft
|
||||
gesprochen. Vieles, ohne was der moderne Mensch sein Leben nicht mehr vorstellen
|
||||
kann, verdankt er den wissenschaftlichen Errungenschaften der letzten Zeit. Die
|
||||
Technik, die entwickelt wird, soll mehr Komfort in die Existenz des modernen
|
||||
Menschen bringen, sein Leben einfacher, erträglicher machen. Wenn man einen
|
||||
Blick in die Vergangenheit wirft, kann man sich schwer vorstellen, wie man vor
|
||||
einiger Zeit ohne Elektrizität und Maschinen leben konnte. Armut und schwere
|
||||
Arbeiten scheinen das Joch zu sein, unter dem das Leben zum Leid wird. Die
|
||||
industrielle Entwicklung, Instrumentalisierung der Forschungsergebnisse,
|
||||
Erschaffung der Maschinen haben dazu verholfen, dass diese Probleme gelöst
|
||||
wurden und das Leben auf ein anderes Niveau erhoben wurde.
|
||||
|
||||
In Friedrich Nietzsches Aufzeichnungen aus den Jahren 1882–1883 findet sich
|
||||
ein Satz, der einen wissenschaftlichen Fortschritt zu einem Rückschritt macht:
|
||||
„Der wissenschaftliche Mensch hat Ein Loos mit dem Seildreher: er spinnt seinen
|
||||
Faden länger, geht aber dabei selber — rückwärts.“\footcite[105]{nietzsche:fragmente}
|
||||
Man bekommt den Eindruck, dass diese Aussage der Erfahrung unserer Zeit blind
|
||||
widerspricht. Wenn man jedoch das menschliche Glück nicht auf einen materiellen
|
||||
Luxus reduziert und in die Tiefe des menschlichen Seins schaut, wird man
|
||||
feststellen müssen, dass die eigentliche Problematik des menschlichen Seins von
|
||||
der Wissenschaft nicht einmal berührt wird. Die Tatsache, dass manche Mitglieder
|
||||
moderner Gesellschaften psychologische Unterstützung brauchen oder sich sogar
|
||||
das Leben nehmen, zeigt eine tiefe Verzweiflung dieser Menschen am Leben, die
|
||||
zwar nicht immer gleich zu sehen ist, über die man aber nicht einfach
|
||||
hinwegschauen kann. Einem scheint etwas zu fehlen, ein Ziel, für welches man
|
||||
kämpfen kann. Wissenschaft kann aber diese geistliche Lücke nicht mit Inhalt
|
||||
füllen. Wissenschaftliche Erkenntnis ist negativer Natur, die erschafft nichts
|
||||
Neues, sondern strebt an, das Vorhandene, die bereits gegebene Welt, zu
|
||||
analysieren. Es wird nichts Positives, absolut Neues erschaffen. Was aber ein
|
||||
Mensch braucht, um seine Existenz als sinnvoll zu erfahren, ist etwas Neues, ein
|
||||
Lebenssinn, etwas, was nicht in der materiellen Gegebenheit gefunden werden kann.
|
||||
Was die Sinngebung betrifft, kann man deswegen, wenn auch nicht von einem
|
||||
Rückschritt sprechen, so doch sagen, dass die Wissenschaft sich in dieser
|
||||
Hinsicht nicht von der Stelle rührt. Eine solche existenzielle Problemstellung
|
||||
kann aber philosophisch angegangen werden, da man philosophische Fragestellungen
|
||||
nicht auf die wissenschaftlichen reduzieren kann. Nietzsche sieht die Versuche,
|
||||
die seit Kant unternommen werden, Philosophie nur als eine Wissenschaft zu
|
||||
verstehen, als eine Fehlentwicklung. So nimmt er 1884 Bezug auf die deutsche
|
||||
Universitätsphilosophie: „Wenn Kant die Philosophie zur ‚Wissenschaft‘ reduzieren
|
||||
wollte, so war dieser Wille eine deutsche Philisterei: an der mag viel Achtbares
|
||||
sein, aber gewiß noch mehr zum Lachen.“\footcite[133]{nietzsche:fragmente}
|
||||
|
||||
Dieses Verhältnis von der Philosophie und Wissenschaft wird sehr oft auf den
|
||||
Kopf gestellt: Alles Philosophieren sei ein sinnloses Unternehmen, Philosophie
|
||||
beschäftige sich mit Fragen, die nicht beantwortet werden können, es gebe seit
|
||||
mehr als zwei Jahrtausenden keinen Fortschritt. Klaus Kornwachs schreibt:
|
||||
„Philosophie stellt seit zwei Jahrtausenden Fragen und die Antwortversuche
|
||||
stellen ihre Geschichte dar.“\footcite[7]{kornwachs:technik}Und die
|
||||
gestellte Frage ist bereits ein Schritt nach vorne.
|
||||
|
||||
Friedrich Nietzsche war sich dieser existenziellen Problematik sehr wohl bewusst,
|
||||
ihm war es auch klar, dass für die von der Wissenschaft entzauberte Welt die
|
||||
bisherigen Antwortversuche nicht mehr zufriedenstellend waren. Im Herbst 1881
|
||||
ruft er aus: „Wie tief-fremd ist uns die durch die Wissenschaft entdeckte
|
||||
Welt!“\footcite[97]{nietzsche:fragmente} Wie soll man mit einer Welt, aus
|
||||
der Gott ausgetrieben wurde und die Idee einer sinnvollen Schöpfung erschüttert
|
||||
wurde, zurechtkommen? Wie soll man das Leben in einer säkularisierten, von
|
||||
jeglichem Sinn befreiten Welt ertragen, in einer Welt voller Grausamkeit,
|
||||
Demütigung, Verrat und Leid, in einer Welt, wo alles Leben zum sinnlosen Sterben
|
||||
verurteilt ist?
|
||||
|
||||
Auf der Suche nach einer Antwort gelangt Nietzsche zur Kunst. Er bemüht sich
|
||||
sogar aus seinem eigenen Leben ein Kunstwerk zu erschaffen: „Der junge Nietzsche,
|
||||
der auf der inneren Bühne der Tagebücher dem eigenen Leben Bedeutung verleihen
|
||||
möchte, bewundert jene Genies, die nicht nur nach innen, sondern auch fürs
|
||||
Publikum zu Darstellern ihres Selbst, zu Autoren des eigenen Lebens werden
|
||||
konnten.“\footcite[25]{safranski:biographie} In der Kunst offenbart sich
|
||||
die menschliche Schaffenskraft, vielleicht kann sie einen wesentlichen Beitrag
|
||||
zum Leben leisten.
|
||||
|
||||
Nietzsches Haltung zur Kunst war im Laufe seines Lebens bei weitem nicht
|
||||
konstant. Er revidierte und entwickelte seine Ansichten weiter. Alles fängt
|
||||
dennoch mit dem am 2. Januar 1872\footcite[Vgl.][11]{ries:geburt}
|
||||
erschienenen Buch „Die Geburt der Tragädie aus dem Geiste der Musik“ an, das
|
||||
„innerhalb seines Gesamtwerkes eine herausragende
|
||||
Position“\footcite[11]{ries:geburt} einnimmt.
|
||||
|
||||
\subsection{Die Geburt der Tragödie}
|
||||
|
||||
Im Bezug auf „Die Geburt der Tragödie“ spricht Wiebrecht Ries von der Geburt
|
||||
Nietzsches Philosophie, die sich in diesem Buch ereignet.\footcite[7]{ries:geburt}
|
||||
Es ist aber bemerkenswert, dass das kein philosophisches Werk, sondern ein
|
||||
philologisches ist. Nietzsche wurde früh ohne Promotion und Habilitation als
|
||||
Professor für klassische Philologie berufen und hatte die Absicht, mit einer
|
||||
schriftlichen Arbeit zu beweisen, dass er seine Berufung verdient
|
||||
hat.\footcite[Vgl.][52]{safranski:biographie} Trotzdem scheint Nietzsche sich
|
||||
mit der Zeit immer mehr der Philosophie zuwenden zu wollen. So bewirbt er sich
|
||||
vermutlich im Jahre 1871 um Lehrstuhl für Philosophie in
|
||||
Basel.\footcite[Vgl.][183]{hayman:biographie} Diese innere Spannung, in der
|
||||
er sich damals befand, spiegelt sicht auch in der „Geburt der Tragödie“ wider.
|
||||
So, während Ronald Hayman hervorhebt, dass das Werk „unbestritten brillant“ sei,
|
||||
charakterisiert er es zugleich als „die Mischung von Philosophie und
|
||||
dichterischen Parodoxon mit der klassischen Philologie“.\footcite[183]{hayman:biographie}
|
||||
|
||||
Nicht nur Nietzsches Kritiker heben die Bedeutung der „Geburt der Tragödie“
|
||||
hervor,\footcite[Vgl.][12]{ries:geburt} sondern auch Nietzsche
|
||||
selbst kommt in seinen späteren Jahren immer wieder auf sein Erstlingswerk
|
||||
zurück. 1886 läßt er eine zweite Ausgabe erscheinen, wobei wenn die
|
||||
ursprüngliche Überschrift „Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“
|
||||
lautete, die Neuausgabe mit dem Titel „Die Geburt der Tragödie. Oder:
|
||||
Griechenthum und Pessimismus“ versehen wurde.\footcite[Vgl.][326]{groddeck:geburt-in-ecce}
|
||||
Außerdem wurde der zweiten Ausgabe noch eine Vorrede, die mit „Versuch der
|
||||
Selbstkritik“ betitelt wurde, vorangestellt.\footcite[Vgl.][11--22]{nietzsche:geburt}
|
||||
Eine weitere Reflexion Nietzsches über sein Frühwerk findet man in „Ecce homo“
|
||||
im Kapitel „Die Geburt der Tragödie“.\footcite[Vgl.][309--315]{nietzsche:ecce-homo}
|
||||
Unabhängig davon, wie man diese Bezugnahmen Nietzsches auf seine erste Schrift
|
||||
bewertet, scheint sie für ihn niemals ganz an Bedeutung verloren zu haben.
|
||||
|
||||
Wie der Titel des Buches unschwer erraten lässt, handelt es sich um die Geburt
|
||||
beziehungsweise Entstehung der Tragödie und zwar der griechischen. Nietzsche
|
||||
greift aus der griechischen Mythologie zwei Gottheiten heraus, die zwei
|
||||
grundlegende Mächte des Seins symbolisieren, und entwickelt seine Theorie von
|
||||
dem Aufstieg und Niedergang der attischen Tragödie: „An ihre [der Griechen]
|
||||
beiden Kunstgottheiten, Apollo und Dionysus, knüpft sich unsere Erkenntnis, dass
|
||||
in der griechischen Welt ein ungeheurer Gegensatz, nach Ursprung und Zielen,
|
||||
zwischen Kunst des Bildners, der apollinischen, und der unbildlichen Kunst der
|
||||
Musik, als der des Dionysus, besteht“.\footcite[25]{nietzsche:geburt}
|
||||
|
||||
\subsubsection{Zwei Vorträge über die griechische Tragödie}
|
||||
|
||||
„Die Geburt der Tragödie“ ist nicht die erste Arbeit, in der sich Nietzsche mit
|
||||
dem dort behandleten Themenspektrum auseinandersetzt. 1870 hat Nietzsche zwei
|
||||
Vortrage in Baseler Museum gehalten: einen am 18. Januar über „Das griechische
|
||||
Musikdrama“ und den anderen am 1. Februar über „Socrates und die griechische
|
||||
Tragödie“.\footcite[Vgl.][29 f]{ries:geburt} „In ihnen ist die
|
||||
Gesamtkonzeption der Tragödienschrift bereits vorgebildet, die Entstehungs- und
|
||||
Verfallstheorie der Tragödie im Rahmen des Verhältnisses von Kunst und
|
||||
Kultur.“\footcite[29]{ries:geburt}
|
||||
|
||||
Im Vortrag „Das griechische Musikdrama“ entwickelt Nietzsche in Anlehnung an ein
|
||||
Werk der zeitgenössischen Altphilologie, „Geschichte der griechischen Literatur“
|
||||
von Karl Otfried Müller, die Auffassung, dass die griechische Tragödie aus dem
|
||||
Dionysoskult entstanden ist. Dionysische Feste treiben die feiernden Menschen
|
||||
bis zum Exzess, ins Maßlose, sodass principium individuationis durchbrochen wird
|
||||
und der Mensch sich als Individuum in der Menge verliert und sich in ihr auflöst.
|
||||
Wie in einem ekstatischen Rausch glauben die dionysischen Schwärmer, die dieses
|
||||
Ganze, diese verschmolzene Einheit bilden, dieselben Visionen zu sehen. Am Ende
|
||||
eines Festes kommt allerdings die Zeit, dass alle wieder ihre alte Gestalt
|
||||
annehmen. Und für dieses Stadium hatte der Grieche die Tragödie nötig, die das
|
||||
Ritual war, das den Übergang in die Vereinzelung weniger gefährlich
|
||||
machte.\footcite[Vgl.][52 f]{safranski:biographie}
|
||||
|
||||
Der oben geschilderte Vorgang dionysischer Feste ist die Grundlage oder Urbild
|
||||
dessen, was im griechischen Musikdrama geschieht. Nietzsche sieht die
|
||||
Festlichkeit als Bestandteil der Kunst überhaupt, so notiert er 1880:
|
||||
|
||||
\begin{quote}
|
||||
„Einstmals muß die Kunst der Künstler ganz in das
|
||||
Festebedürfniß der Menschen aufgehen: der einsiedlerische und sein Werk
|
||||
überhauptausstellende Künstler wird verschwunden sein: sie stehen dann in der
|
||||
ersten Reihe derer, welche in Bezug auf Freuden und Feste erfinderisch
|
||||
sind.“\footcite[58]{nietzsche:fragmente}
|
||||
\end{quote}
|
||||
|
||||
Das entscheidende Element des attischen Theaters ist der Chor, der ursprünglich
|
||||
der Satyrchor war. Während die Helden, die den dionysischen Schwärmern entstammen,
|
||||
auf der Bühne untergehen, bleibt der Chor immer bestehen, sodass die Helden als
|
||||
eine Vision des Chors vorgestellt werden. Das Singen des Satyrchors, die Musik,
|
||||
erzeugt also die Stimmung eines dionysischen Festes, in der die Menschen
|
||||
miteinander verschmelzen, und auch das Publikum wird von der Gewalt der Musik
|
||||
verschlungen. Die Protagonisten lösen sich aus dem Chor und, indem sie als
|
||||
Einzelne auftreten, erzeugen sie „lebende
|
||||
Dissonanz“,\footcite[Vgl.][54]{safranski:biographie} wonach sie wieder im Chor aufgehen.
|
||||
|
||||
Das wesentliche Element der griechischen Tragödie sieht Nietzsche demzufolge in
|
||||
der Musik. Rüdiger Safranski bemerkt in diesem Zusammenhang, dass die Tragödie
|
||||
das Verhältnisbvon Musik und Wort symbolisiert: „Das Wort ist Mißverständnissen
|
||||
und Fehldeutungen preisgegeben, es kommt nicht aus dem Innersten und es reicht
|
||||
nicht bis dorthin.“\footcite[54]{safranski:biographie} Es ist also
|
||||
die Musik, die uns die Erkenntnis über die innersten Strukturen der Welt
|
||||
erschließt und nicht das Wort, nicht der Logos. Der Protagonist, der mit Worten
|
||||
operiert, geht im singenden Chor auf. Aus diesem Gedanken über die Macht der
|
||||
Musik über dem Wort fließt unmittelbar die Idee des zweiten Vortrages über
|
||||
„Socrates und die griechische Tragödie“. Sokrates war bekanntlich derjenige, der
|
||||
den Menschen den Glauben eingepflanzt hat, dass die Welt intelligibel ist, dass
|
||||
man die Wirklichkeit rational erkennen und erforschen kann. Die Vorstellung, die
|
||||
man vom Sein hat, wird viel oberflächlicher, das Unbewusste wird ausgegrenzt,
|
||||
man taucht nicht mehr in die Seinsabgründe, sondern man begnügt sich mit
|
||||
ausgedachten Begriffen, die darauf angewendet werden. Der Optimismus bahnt sich
|
||||
den Weg, die Hoffnung, das die dunklen Lebensmächte sich rational aufhellen und
|
||||
dann lenken lassen. „Denken und Sein sind keinesfalls dasselbe. Das Denken muß
|
||||
unfähig sein, dem Sein zu nahen und es zu packen.“\footcite[20]{nietzsche:fragmente}
|
||||
Diese Vereinfachung des Weltbildes beeinflusst unmittelbar die Tragödie. Sie
|
||||
wird dem Tod überlassen. Am Ende des Vortrages erwähnt Nietzsche allerdings,
|
||||
dass die Tragödie wiedergeboren werden kann.\footcite[Vgl.][55 f]{safranski:biographie}
|
||||
|
||||
Wenn der erste Vortrag sich noch in Grenzen der damaligen altphilologischen
|
||||
Forschung bewegt, so ist der zweite, der nahezu vollständig in die „Geburt der
|
||||
Tragödie“ übernommen wurde,\footcite[Vgl.][30]{ries:geburt} für
|
||||
die Altphilologie so provokativ, dass Nietzsche sich bemüht, dass sein Lehrer
|
||||
Friedrich Ritschl, dem er seine erste Professur verdankt,\footcite[Vgl.][137 f]{hayman:biographie}
|
||||
nichts von dem Vortrag erfährt.\footcite[Vgl.][55]{safranski:biographie}
|
||||
|
||||
\subsubsection{Schopenhauer und Wagner}
|
||||
|
||||
Aus zwei Vorarbeiten zur „Geburt der Tragödie“ lässt es sich auf zwei Figuren
|
||||
schließen, deren Einfluss auf die frühen Einsichten Nietzsches, was die Kunst
|
||||
betrifft, maßgeblich war. Es sind Arthur Schopenhauer und Richard Wagner.
|
||||
|
||||
Die zentrale Unterscheidung der nietzscheanischen Metaphysik zwischen dem
|
||||
Apollinischen und dem Dionysischen geht auf Arthur Schopenhauer zurück, genauer
|
||||
gesagt auf sein Hauptwerk „Die Welt als Wille und Vorstellung“, das Nietzsche
|
||||
fast zufällig, vermutlich Ende Oktober 1865, kennenlernte.\footcite[Vgl.][99 f]{hayman:biographie}
|
||||
Er übernimmt Schopenhauers Ideen, modifiziert sie und formt sie um. Was
|
||||
Nietzsche das Dionysische nennt, ist der Wille bei Schopenhauer; das Apollinische
|
||||
ist die Vorstellung.\footcite[Vgl.][17 f]{ries:geburt} Nach
|
||||
Schopenhauer ist der Wille, genauso wie das dionysische Element bei Nietzsche,
|
||||
eine absolute Einheit und absolute Negativität, weil er der unvernünftige Grund
|
||||
der Welt ist, der im ewigen Werden und so die Ursache alles Leidens
|
||||
ist.\footcite[Vgl.][19]{schulz:function-and-place}Die reinen Formen der
|
||||
Sinnlichkeit, Raum und Zeit im Zusammenspiel mit der Kategorie der Kausalität
|
||||
verursachen, dass das Seiende in einzelne Gestalten zerfällt und als eine
|
||||
objektive Welt vorgestellt wird.\footcite[Vgl.][1]{boening:metaphysics-art-lang}
|
||||
Daher ist die Bezeichnung „Vorstellung“.
|
||||
|
||||
Auch die hohe Schätzung der Kunst und besonders der Musik findet man bei Schopenhauer
|
||||
wieder. Schopenhauer greift auf den platonischen Begriff der Idee zurück. Die Ideen
|
||||
sind jedoch nicht in einem ideellen Reich verankert, sondern sie werden in der Kunst
|
||||
erst erzeugt. So erschafft die Kunst eine andere Welt, die eine gewisse Ruhe vom Werden
|
||||
aufweist.\footcite[Vgl.][19 f]{schulz:function-and-place} Die Musik nimmt eine Sonderstellung
|
||||
in diesem Modell ein. Sie rührt an das Wesen des Seins. Sie hat den gleichen Wert
|
||||
wie die erscheinende Welt selbst. Wenn ein malerisches Kunstwerk „sekundäre“ Qualität
|
||||
hat, da es nur die Abbildung einer Erscheinung, der Welt, ist, hat die Musik den gleichen
|
||||
Rang mit der erscheinenden Welt, weil die Musik die Abbildung des Wesens der Welt,
|
||||
des Willens, selbst ist.\footcite[Vgl.][231]{boening:metaphysics-art-lang} Nietzsche
|
||||
misst der Musik allerdings noch mehr Bedeutung bei, als dies Schopenhauer tut, denn
|
||||
sie wird bei dem Ersteren nicht bloß als „‚Quietiv‘, sondern \textit{Stimulans}
|
||||
des Lebens“\footcite[18]{ries:geburt} verstanden.
|
||||
|
||||
Seit 1868 kannten Nietzsche und Wagner einander persönlich.\footcite[Vgl.][523]{hayman:biographie}
|
||||
Schopenhauer war gewissermaßen ein Bindeglied zwischen diesen beiden, da Wagner auch
|
||||
von der schopenhauerschen Philosophie inspiriert war, und zwar lebenslang, im Gegensatz
|
||||
zu Nietzsche, der sich mit der Zeit sowohl von Schopenhauer als auch von Wagner distanzierte.\footcite[Vgl.][20]{ries:geburt}
|
||||
Wenn Nietzsche am Ende seines Vortrages über Sokrates, der die Schuld daran trägt,
|
||||
dass die griechische Tragödie zugrunde geht, eindeutet, dass die Hoffnung auf die
|
||||
zweite Geburt oder Wiedergeburt der Tragödie besteht, so verweist er eindeutig auf
|
||||
Richard Wagner als den, der den Prozess dieser Wiedergeburt in Gang setzen kann.\footcite[Vgl.][56]{safranski:biographie}
|
||||
|
||||
Wie die Tragödie aus dem Geiste der Musik geboren werden soll, lässt sich aus Wagners
|
||||
Konzeption des Gesamtkunstwerkes und der absoluten Musik erklären. Zur Zeit Wagners
|
||||
wurde die Musik als selbständige Kunstgattung gesehen, was nicht immer der Fall war.
|
||||
Bis Ende des 18. Jahrhunderts war man oft der Auffassung, dass sie nur eine begleitende
|
||||
Komponente zum Text darstellt, der Affektäußerung dient und keinen eigenständigen
|
||||
Wert hat. Deswegen musste sich die instrumentelle Musik, die sich auf keinen Text
|
||||
stützte, gegen diese Betrachtungsweise wehren, um nicht als sinnlos zu gelten.\footcite[Vgl.][158 f]{bruse:gesamtkunstwerk}
|
||||
Demzufolge kann man die Tatsache, dass der Musik bei Schopenhauer und Nietzsche eine
|
||||
herausragende gegenüber den anderen Kunstgattungen Rolle, zukommt, auch als eine Folge
|
||||
dieses Kampfes innerhalb der Ästhetik ansehen. So hat man eine an sich „bedeutungslose
|
||||
Tonfolge“ in eine Kunst umgewandelt, die viel tiefgründiger als alle anderen Künste ist:
|
||||
|
||||
\begin{quote}
|
||||
„Im Verhältniß zur Musik ist alle Mittheilung durch
|
||||
Worte von schamloser Art; das Wort verdünnt und verdummt; das Wort entpersönlicht:
|
||||
das Wort macht das Ungemeine gemein.“\footcite[219]{nietzsche:fragmente}
|
||||
\end{quote}
|
||||
|
||||
Das Verhältnis zwischen der Musik und dem Wort ist nicht mehr, dass die Musik ohne
|
||||
Text ihren Wert verliert, sondern dass der Text nur eine mögliche Deutung einer musikalischen Komposition ist.
|
||||
|
||||
Wagner hat selber die Instrumentalwerke zunächst dem Drama untergeordnet: Ohne dazugehöriges
|
||||
Bühnengeschehen verliere die instrumentelle Musik ihre inhaltliche Füllung. Um so
|
||||
eine von anderen Künsten (beispielsweise Dichtung, szenische Handlung) und vom Gesamtkunstwerk
|
||||
losgelöste Musik zu bezeichnen, gebrauchte er den Begriff „absolute Musik“. Nachdem
|
||||
Wagner jedoch Schopenhauers Anhänger wird, ändert er diese Konzeption. Die Musik äußert
|
||||
jetzt das eigentliche Wesen der Handlung und nicht erst durch diese sinnvoll wird.
|
||||
Die Idee der absoluten Musik, die bei Nietzsche autonom ist, liegt dionysischer Musik
|
||||
zugrunde.\footcite[Vgl.][158--160]{bruse:gesamtkunstwerk} Dass die Musik nicht an eine
|
||||
konkrete Interpretation gebunden ist, zeigt Nietzsche am Beispiel des Volksliedes.
|
||||
Konstituierendes Element des Volksliedes ist die „ursprüngliche Melodie“, die mit
|
||||
verschiedenen Texten versehen werden kann. Kein Text kann die „Weltsymbolik“ der Musik
|
||||
vollständig zum Ausdruck bringen.\footcite[Vgl.][48 f]{nietzsche:geburt}
|
||||
|
||||
\begin{quote}
|
||||
„In der Dichtung des Volksliedes sehen wir also die
|
||||
Sprache auf das Stärkste angespannt, die Musik nachzuahmen.“\footcite[49]{nietzsche:geburt}
|
||||
\end{quote}
|
||||
|
||||
Das Wort erleidet die Gewalt der Musik und sucht sie nachzuahmen, aber mehr vermag
|
||||
es nicht. Der Text wird aus der Melodie geboren:
|
||||
|
||||
\begin{quote}
|
||||
„Wer eine Sammlung von Volksliedern z.B. des Knaben
|
||||
Wunderhorn auf diese Theorie hin ansieht, der wird unzählige Beispiele finden, wie
|
||||
die fortwährend gebärende Melodie Bilderfunken um sich aussprüht: die in ihrer Buntheit,
|
||||
ihrem jähen Wechsel, ja ihrem tollen Sichüberstürzen eine dem epischen Scheine und
|
||||
seinem ruhigen Fortströmen wildfremde Kraft offenbaren.“\footcite[49]{nietzsche:geburt}
|
||||
\end{quote}
|
||||
|
||||
Aus demselben Geiste der Musik, aus dem die Volksdichtung geboren wird, wird auch die attische Tragödie geboren.
|
||||
|
||||
\subsubsection{Das Apollinische und das Dionysische}
|
||||
|
||||
Schon öfter wurden Apollo und Dionysus erwähnt, auf die Nietzsche als Vertreter zweier
|
||||
Götterwelten der Griechen greift, die nach Auffassung der Romantik, die „zur Zeit
|
||||
Nietzsches als kanonisch galt“,\footcite[40]{ries:geburt} in
|
||||
einem Gegensatz zueinander stehen. Einerseits ist das die olympische, mit der Dichtung
|
||||
Homers verbundene Religion mit ihren leuchtenden Göttern (Zeus, Apollo, Athene),\footcite[Vgl.][40]{ries:geburt}
|
||||
andererseits die chthonische, die „eine ältere Schicht der griechischen Religion als
|
||||
Glauben an die dunkle Mächte der Erdtiefe, wie er in der Dichtung Hesiods sichtbar
|
||||
wird an den Töchtern der Nacht, den Erinyen, den weiblichen Todesgöttinnen (Kore,
|
||||
Demeter, Persephone)“,\footcite[40--41]{ries:geburt} ist. Nietzsche
|
||||
verwendet jedoch die Namen der beiden Götter sehr oft adjektivisch: apollinisch und
|
||||
dionysisch. Daraus lässt sich schließen, dass jedes dieser Adjektive ein Sammelbegriff
|
||||
für ein Bündel von Eigenschaften ist. Genauso wie die Griechen selbst sich ihrer Götter
|
||||
bedient haben, um die mysteriöse, unbekannte Seite der Natur zu entschärfen, indem
|
||||
man die natürlichen Erscheinungen mythisch erklärt, bedient sich Nietzsche dieser
|
||||
zwei Göttergestalten, um zwei verschiedene Aspekte des Seins zu beschreiben. Diese
|
||||
Aspekte stehen in einem Widerstreit miteinander, in welchem sie „durch einen metaphysischen
|
||||
Wunderakt des hellenischen ‚Willens‘“\footcite[25]{nietzsche:geburt} die attische Tragödie gebären.
|
||||
|
||||
Apollo ist für Nietzsche nicht nur bloß der Sonnengott, sondern Nietzsche spielt mit
|
||||
dem Begriff der Sonne, die scheint, und Apollo wird aus dem scheinenden Gott der Gott
|
||||
des Scheines. Der Schein hat eine gestaltende Funktion, er bringt die Schönheit der
|
||||
Formen, die er erzeugt, mit sich.\footcite[Vgl.][26 ff]{nietzsche:geburt} Dieser
|
||||
freie Umgang mit dem Mythos hat bereits am Anfang des Textes einen Anlass zur Kritik
|
||||
seitens der Philologen gegeben. So verfasst Dr.\ phil.\ Ulrich von Wilamowitz-Möllendorf
|
||||
Pamphlet „Zukunftsphilologie!“. Nachdem Nietzsches Freunde, Erwin Rohde und Richard
|
||||
Wagner, versucht haben, Nietzsches Schrift gegen die Angriffe zu verteidigen, veröffentlicht
|
||||
Ulrich von Wilamowitz-Möllendorf einen zweiten Teil. Im ersten Teil, im Bezug auf
|
||||
Apollo als den Gott des schönen Scheins, schreibt er: „es gehörte freilich eine gewaltige
|
||||
‚tapferkeit‘ dazu, aus Apollon, der ‚seiner wurzel nach der scheinende ist‘. (5) auf
|
||||
dem wege des kalauers den ‚gott des scheins‘, d.h.\ des scheins des scheins, ‚der
|
||||
höhern wahrheit des traumes gegenüber der lückenhaft verständlichen tageswirklichkeit‘
|
||||
zu machen!“\footcite[34]{zukunftsphilologie}
|
||||
|
||||
Dionysus symbolisiert dagegen die entgegengesetzte Kraft. Von Lust und orgiastischen
|
||||
Trieben gelenkt schafft sie nichts, sondern ist darum bemüht den Schein zu zerstören,
|
||||
jede Ordnung zunichte zu machen, in den Urzustand einer ungeordneten Einheit zu bringen.\footcite[Vgl.][28 ff]{nietzsche:geburt}
|
||||
Die eigentliche Äußerung findet das Dionysische in der Musik, wobei Nietzsche wiederum
|
||||
von der dorischen Musik als von der apollinischen spricht.\footcite[Vgl.][33]{nietzsche:geburt}
|
||||
K. O. Müller folgend stellt Nietzsche auf diese Weise der dorischen, apollinischen
|
||||
Musik den dionyischen Dithyrambus entgegen.\footcite[Vgl.][47 f]{ries:geburt}
|
||||
|
||||
Dennoch ist die Kunst nur als Produkt dieses Kampfes von Entstehen und Vergehen möglich.
|
||||
So spricht Nietzsche im Bezug auf das Apollinische und Dionysische vom „Urwiderspruch“.\footcite[Vgl.][70]{nietzsche:geburt}
|
||||
Des weiteren wendet sich Nietzsche an Euripides mit den Worten: „Und weil du Dionysus
|
||||
verlassen, so verliess dich auch Apollo“.\footcite[75]{nietzsche:geburt}
|
||||
Wenn jemand den Einen verlässt, so entkommt ihm auch der Andere.
|
||||
|
||||
Man muss auch in Betracht ziehen, dass der junge Nietzsche einen sehr breiten Kunstbegriff
|
||||
hat. Es sind nicht die physikalischen Gesetze, die die die Welt und alles Leben konstituieren,
|
||||
vielmehr sind es die beiden Mächte, das Apollinische und Dionysische. „[D]ie Welt
|
||||
selbst ist nichts als Kunst“.\footcite[183]{nietzsche:fragmente} Indem
|
||||
Nietzsche die Welt als „sich selbst gebärende[n] Kunstwerk“\footcite[182]{nietzsche:fragmente}beschreibt,
|
||||
entwirft er eine „Artisten-Metaphyisk“.\footcite[Vgl.][182]{nietzsche:fragmente}
|
||||
|
||||
Alles ist in der Welt im Werden, alles kommt und vergeht, jedes Seiende entsteht,
|
||||
um sich schließlich im Nichts spurlos aufzulösen. Das eigentliche Wesen, der erste
|
||||
Grund der Welt ist das Leid, der Urschmerz. Dies macht verständlich, warum Nietzsche
|
||||
im „Versuch einer Selbstkritik“ die Auffassung in Frage stellt, dass der Optimismus
|
||||
ein Zeichen der Blütezeit ist. Vielmehr war der mit dem Namen Sokrates verbundene
|
||||
Optimismus und die Hoffnung, die Welt vernünftig erkennen zu können, ein Symptom einer
|
||||
unheilbaren Krankheit, ein Todeszeichen. Was die Kunst fordert, ist nicht der Optimismus,
|
||||
sondern der Pessimismus.\footcite[Vgl.][12 f]{nietzsche:geburt} Das Sein selbst
|
||||
ist also in seinem Innersten untrennbar mit Pessimismus verbunden und das ist das
|
||||
Faktum, das nicht „das Erspriesslichste“ für den Menschen ist. Nietzsche gibt die
|
||||
alte Sage wieder, nach der der König Midas den weisen Silen aufsucht, um ihn zu fragen,
|
||||
was für den Menschen das Allerbeste sei. Der Silen antwortet darauf: „Das Allerbeste
|
||||
ist für dich gänzlich unerreichbar: nicht geboren zu sein, nicht zu sein, nichts zu
|
||||
sein. Das Zweitbeste aber ist für dich — bald zu sterben.“\footcite[35]{nietzsche:geburt}
|
||||
Wie kann man angesichts dieses Grauens noch die menschliche Existenz rechtfertigen?
|
||||
Wie kann man es ertragen, jeden Morgen die Augen zu öffnen? Das ist der Augenblick,
|
||||
an dem das Apollinische, „das entzückte Verharren vor einer erdichteten und erträumten
|
||||
Welt“,\footcite[180]{nietzsche:fragmente} ins Spiel kommt. Um die Wirkung
|
||||
der Schönheit des Scheins auszudrücken, haben die Griechen die olympischen Götter
|
||||
erdichtet, „[u]m leben zu können“\footcite[36]{nietzsche:geburt}
|
||||
mussten die Bewohner des Olymps ins Dasein gerufen werden. „So rechtfertigen die Götter
|
||||
das Menschenleben, indem sie es selbst leben.“\footcite[36]{nietzsche:geburt}
|
||||
|
||||
Außer dem oben erwähnten Gegensatz zwischen der Kunst des Bildners und der der Musik
|
||||
verwendet Nietzsche noch ein weiteres Gleichnis, um das Wesen des Apollinischen und
|
||||
des Dionysischen näher zu bestimmen, und zwar spricht er vom Traum und Rausch.\footcite[26]{nietzsche:geburt}
|
||||
Die Welt, wie sie uns vor unseren Augen erscheint, erscheint eben nur so, an sich
|
||||
ist sie „eine einzige ununterschiedene Flut“.\footcite[216]{boening:metaphysics-art-lang}
|
||||
In Dionysus, wie unter der Wirkung des Rausches, taucht der Mensch in die Selbstvergessenheit
|
||||
ein, die Grenzen des Individuellen verschwimmen immer mehr, bis sie verschwinden.
|
||||
Auf der anderen Seite dieses Ur-Eine selbst, in dem alles Seiende wurzelt und aus
|
||||
dem Alles hervorgeht, träumt die Welt durch den Menschen und ist somit selbst der
|
||||
Grund für die Erscheinung. Das ist der Unterschied zu Schopenhauers System, dem die
|
||||
Prinzipien des Dionysischen und des Apollinischen entnommen sind. „Für Schopenhauer
|
||||
bewirken die reinen Formen der Anschauung, Raum und Zeit, als das ‚principium individuationis‘
|
||||
die Zerteilung alles für uns Seienden in die Vereinzelung“.\footcite[216]{boening:metaphysics-art-lang}
|
||||
Es ist also nicht der Wille selbst, wie es bei Nietzsche der Fall ist.\footcite[Vgl.][217]{boening:metaphysics-art-lang}
|
||||
|
||||
\subsubsection{Entstehung und Verfall der griechischen Tragödie}
|
||||
|
||||
\epigraph{Die tragische Kunst, an beiden Erfahrungen reich, wird
|
||||
als Versöhnung des Apoll und Dionysos bezeichnet: der Erscheinung wird die tiefste
|
||||
Bedeutsamkeit geschenkt, durch Dionysos: und diese Erscheinung wird doch verneint
|
||||
und mit Lust verneint.}
|
||||
{\textit{Herbst 1885 -- Herbst 1886}\\
|
||||
\textbf{Friedrich Nietzsche}\footcite[181]{nietzsche:fragmente}}
|
||||
|
||||
Nietzsche hat die tragische Kunst als Gegenstand seiner Betrachtung ausgewählt, weil
|
||||
sie die Tragik des Lebens wiedergibt. Alles Leben dreht sich selbst im ewigen Kreis
|
||||
von Werden und Vergehen, und es hat ihren Ursprung in der Duplizität des Apollinischen
|
||||
und Dionysischen genauso wie die griechische Tragödie. Die Griechen konnten die beiden
|
||||
Gegensätze in der Tragödie vereinigen und miteinander versöhnen.\footcite[Vgl.][56]{ries:geburt}
|
||||
Die Entstehung der Tragödie ist nicht so wichtig in historischer Hinsicht wie für
|
||||
die Beschreibung dessen, wie die Kunst überhaupt „geboren“ wird.
|
||||
|
||||
Als Vorbild eines Tragödiendichters wählt Nietzsche Archilochus, der uns „durch die
|
||||
trunknen Ausbrüche seiner Begierde“\footcite[43]{nietzsche:geburt}
|
||||
erschreckt, er ist also ein dionysischer Dichter. Sein Verdienst ist, dass er das
|
||||
Volkslied in die Literatur eingeführt hat, wobei das Volkslied dadurch, dass sie als
|
||||
„ursprüngliche Melodie“ verstanden, eine metaphysische Bedeutung bekommt.\footcite[Vgl.][48 f]{nietzsche:geburt}„
|
||||
Hier folgt Nietzsche Schopenhauer, für den es innerhalb der Musik die Melodie ist, die
|
||||
als tonaler Zusammenhang dem ‚Willen‘ am nächsten kommt.“\footcite[67]{ries:geburt}
|
||||
|
||||
Wie Nietzsche bereits in seinem Vortrag „Die griechische Musikdrama“ erläutert, ist
|
||||
die attische Tragödie aus dem Chor entstanden und war „nur Chor und nichts als Chor“.\footcite[52]{nietzsche:geburt}
|
||||
Der Chor ist wiederum ein dionysisches Element, weil Nietzsche ihn „Satyrchor“\footcite[Vgl.][55]{nietzsche:geburt}
|
||||
bezeichnet, es wurde also vorgestellt, dass er aus den mythischen Wesen, die Dionysus
|
||||
begleiteten, besteht. Auch das Thema der Tragödie war nichts anderes als Dionysus
|
||||
und die Darstellung seiner Leiden. Nietzsche erblickt hier aber etwas, was er „metaphysischen
|
||||
Trost“ nennt, und zwar besteht dieser Trost darin zu sagen, dass das Leben trotz allem
|
||||
„unzerstörbar mächtig und lustvoll sei“.\footcite[56]{nietzsche:geburt}
|
||||
Wiebrecht Ries bemerkt dazu, dass der metaphysiche Trost nicht der griechischen Tragödie
|
||||
entstammt, sondern vielmehr Nietzsches Lebensphilosophie. Nietzsche wendet sich im
|
||||
Grunde gegen den Pessimismus von Schopenhauer und behauptet das Leben als etwas Lustvolles,
|
||||
etwas, was gerechtfertigt werden kann.\footcite[Vgl.][70]{ries:geburt}
|
||||
|
||||
An der Stelle, an der Nietzsche über das Volkslied spricht, redet er über den Prozess
|
||||
einer Entladung der Musik in Bildern.\footcite[Vgl.][50]{nietzsche:geburt}
|
||||
Wie ich bereits erwähnt habe, hat das Bild gegenüber der Musik eine sekundäre Stellung,
|
||||
einerseits hilft es bei der Deutung der Musik, andererseits ist die Gewalt der Musik,
|
||||
deren Klang aus dem tiefsten Grund der Welt stammt, so gewaltig, dass sie eine Entladung
|
||||
im Bild nötig hat, sie muss besänftigt werden.\footcite[Vgl.][67 f]{ries:geburt}
|
||||
Für Nietzsche wird der Prozess der Entladung in der Tragödie nachvollziehbar: Das
|
||||
Geschehnis der Tragödie wird in der Handlung entladen. Das ist eine Parallele zu dionysischen
|
||||
Festen: Am Ende des Festes war genauso die Entladung in der tragischen Handlung vonnöten,
|
||||
um in das tägliche, individuelle Leben zurückzukehren.
|
||||
|
||||
Es ist wichtig anzumerken, dass es eben um ein Geschehnis, genauer gesagt um ein Erlebnis
|
||||
geht. Es gibt einen Unterschied zwischen dem erzählten, ewigen (zeitlosen) Epos und
|
||||
der Tragödie als Drama, die erlebt wird. Der Chor sieht die göttlichen, dionysischen
|
||||
Visionen; die Zuschauer sind keine Zuschauer, sondern Zeugen; die Helden, „alle die
|
||||
berühmten Figuren der griechischen Bühne Prometheus, Oedipus u.s.w.\ [sind] nur Masken
|
||||
jenes ursprünglichen Helden Dionysus [\dots]“.\footcite[71]{nietzsche:geburt}
|
||||
Die Tragödie wird nicht einfach gespielt, sondern immer neu erlebt.\footcite[Vgl.][71--73]{ries:geburt}
|
||||
Dies erklärt unter Anderem, wieso Nietzsche im „Versuch einer Selbstkritik“ schreibt,
|
||||
dass „Die Geburt der Tragödie“ ein Buch für die Künstler ist, es ist ja „aus lauter
|
||||
vorzeitigen übergrünen Selbsterlebnissen“\footcite[13]{nietzsche:geburt}
|
||||
aufgebaut. Es reicht nicht, etwas über die Kunst zu lesen oder sie zu besprechen.
|
||||
Allein die Selbsterlebnisse haben das entscheidende Gewicht. Es ist ein Buch, die
|
||||
für diejenigen geeignet sind, die mit Nietzsche gleichgesinnt sind, „für Künstler
|
||||
mit dem Nebenhange analytischer und retrospektiver Fähigkeiten“.\footcite[13]{nietzsche:geburt}
|
||||
|
||||
Der Verfall der Tragödie fängt mit Euripides an, „der die vernunftgeprägte Weltverhaltung
|
||||
in der Tragödiendichtung und dann in der Kunst überhaupt — wesenswidrig — zur Herrschaft
|
||||
gebracht haben soll“.\footcite[238]{boening:metaphysics-art-lang} Während Ulrich
|
||||
von Wilamowitz-Möllendorff den alleinigen Grund Nietzsches Argumentation gegen Euripides
|
||||
darin sieht, dass Nietzsche mit einem maßlosen Hass gegen den Dichter, „welcher nächst
|
||||
Homer dem gesamten altertum teuer und vertraut war“,\footcite[48]{zukunftsphilologie}
|
||||
erfüllt war, betrachtet W. Ries diese Entgegenstellung eines wahren, dionysischen
|
||||
Tragikers, Archilochus, und „frevelndes“\footcite[Vgl.][74]{nietzsche:geburt}
|
||||
Euripides als Teil einer Strategie. Nietzsche zielt damit auf die Gegenwartskritik
|
||||
ab.\footcite[Vgl.][92]{ries:geburt} Hier kommt „der tiefe Hass gegen
|
||||
‚Jetztzeit‘, ‚Wirklichkeit‘ und ‚moderne Ideen‘“\footcite[21]{nietzsche:geburt}
|
||||
zum Ausdruck. Die Kritik wird von Nietzsches Zeit auf die Antike projiziert, das idealisierte
|
||||
sechste Jahrhundert wird hervorgehoben und der Zeit des Verfalls, dem dritten und
|
||||
vierten Jahrhundert entgegengestellt.\footcite[91 f]{ries:geburt}
|
||||
|
||||
Aus dem Euripides spricht weder Dionysus noch Apollo, sondern „ein ganz neugeborner
|
||||
Dämon, genannt Sokrates“.\footcite[83]{nietzsche:geburt} Im Folgenden
|
||||
entwickelt Nietzsche das Bild eines theoretischen Menschen, dessen Hauptvertreter
|
||||
Sokrates ist. Der theoretische Mensch ist auch um die Suche der Wahrheit bemüht, um
|
||||
das Erkennen des Innersten des Seins, aber er sucht die Wahrheit auf einem ganz anderen
|
||||
Wege. Anhand eigener Vernunft versucht der Theoretiker die kausalen Zusammenhänge
|
||||
in der Natur zu erkennen. Er vertieft sich immer weiter in die theoretischen Erkenntnisse
|
||||
mit dem Glauben (sogar wie Nietzsche sagt von der „Wahnvorstellung“ getrieben), „dass
|
||||
das Denken, an dem Leitfaden der Causalität, bis in die tiefsten Abgründe des Seins
|
||||
reiche, und dass das Denken das Sein nicht nur zu erkennen, sondern sogar zu corrigiren
|
||||
im Stande sei“.\footcite[99]{nietzsche:geburt} Das Eintreten des theoretischen
|
||||
Menschen in die griechische Kultur kennzeichnet gleichzeitig den Tod der Tragödie
|
||||
und damit auch den Tod der Kunst überhaupt. Die Wissenschaft sucht auf der Oberfläche,
|
||||
nur in der apollinischen Erscheinung und reicht nicht bis zum dunklen Grund des Daseins,
|
||||
der sich einem in der Tragödie offenbart.
|
||||
|
||||
Obwohl Nietzsche im „Versuch einer Selbstkritik“ schreibt, dass er „Hoffnungen anknüpfte,
|
||||
wo Nichts zu hoffen war, wo Alles allzudeutlich auf ein Ende hinwies“,\footcite[20]{nietzsche:geburt}
|
||||
sah er vor seiner Enttäuschung und dem Bruch mit Wagner in 1876\footcite[Vgl.][379]{safranski:biographie}
|
||||
ein Potenzial zur Wiedergeburt der Tragödie beziehungsweise zur Auferstehung der Kunst.
|
||||
Bereits am Anfang schrieb Nietzsche über seine Erfahrung, dass wir bei dem „höchsten
|
||||
Leben“ der Traumwirklichkeit „doch noch die durchschimmernde Empfindung ihres Scheins
|
||||
haben“\footcite[26]{nietzsche:geburt} und zur Bekräftigung seiner
|
||||
Worte auf Schopenhauer verwiesen hat, der behauptete, dass, wenn einem alle Dinge
|
||||
manchmal als bloße Phantome vorkommen, dies ein Kennzeichen philosophischer Befähigung
|
||||
ist.\footcite[Vgl.][26 f]{nietzsche:geburt}Eben Schopenhauer, der seinerseits
|
||||
an Kants Erkenntniskritik anknüpft, trägt der Wiedergeburt der Tragödie und der Kunst
|
||||
bei, indem er den „metaphysischen Erkenntnisoptimismus“ kritisiert.\footcite[Vgl.][113]{ries:geburt}
|
||||
Auch in der deutschen Musik, wie etwa „Tristan und Isolde“ von Richard Wagner, lassen
|
||||
sich die Töne erkennen, die die Ketten der Erscheinung zerreißen und den Menschen
|
||||
zum finsteren Grund seiner Selbst und der Welt bringen.\footcite[Vgl.][114--116]{ries:geburt}
|
||||
Bezüglich Wagner findet man bei Nietzsche folgende Aufzeichnung aus dem Jahr 1871:
|
||||
|
||||
\begin{quote}
|
||||
„Ich erkenne die einzige Lebensform in der griechischen:
|
||||
und betrachte Wagner als den erhabensten Schritt zu deren Wiedergeburt im deutschen
|
||||
Wesen.“\footcite[24]{nietzsche:fragmente}
|
||||
\end{quote}
|
||||
|
||||
\subsubsection{Zeitgenössische Rezeption}
|
||||
|
||||
Was ist von dieser Geschichte der griechischen Tragödie, wie sie von Nietzsche dargelegt
|
||||
wird, zu halten? Was hatte der Autor im Sinne als er dieses sein erstes Buch schrieb?
|
||||
Das ist im Grunde ein Werk, das ein philologisches Problem behandelt. Gleichzeitig
|
||||
wurde oben eine Vielfalt philosophischer Fragestellungen aufgezeigt, die der Autor
|
||||
untersucht. „Die Geburt der Tragödie“ enthält die Grundzüge der gesamten späteren
|
||||
Philosophie von Nietzsche. Die Themen, die er in der Tragödienschrift berührt, sind
|
||||
prägend für sein gesamtes Denken, sie werden wieder aufgegriffen und weiter
|
||||
entwickelt.\footcite[Vgl.][12]{ries:geburt}
|
||||
Es stellt sich aber die Frage, ob diese Idealisierung der griechischen Tragödie als
|
||||
eigentliche Kunst, ihr Verfall und Tod, der philologisch-historischen Realität entspricht,
|
||||
zumindest dem Wissensstand Nietzsches Zeit. Wilamowitz-Möllendorff hat Nietzsche und
|
||||
sein Werk „Geburt der Tragödie“ in seinem Aufsatz „Zukunftsphilologie!“ sehr scharf
|
||||
angegriffen. Nach dem Versuch Wagners, Nietzsche zu verteidigen, hat Wilamowitz-Möllendorff
|
||||
sogar eine Fortsetzung „Zukunftsphilologie! Zweites Stück\@. eine erwiderung auf die
|
||||
rettungsversuche für Fr. Nietzsches ‚Geburt der tragödie‘“ verfasst.\footcite[Siehe][]{streit-um-geburt}
|
||||
|
||||
Bereits im Titel des zweiten Aufsatzes stehen die Begriffe, die es deutlich machen,
|
||||
wie Wilamowitz-Möllendorff als Philologe Nietzsches Werk bewertet. Nietzsche wurde
|
||||
nicht verteitigt, sondern man versuchte ihn zu „retten“ und er konnte trotz alledem
|
||||
nicht gerettet werden, weil es nur „Versuche“ waren. Im ersten Teil seiner Auseinandersetzung
|
||||
mit „Geburt der Tragödie“ wirft Wilamowitz-Möllendorff Nietzsche vor, Winckelmann,
|
||||
nie gelesen zu haben,\footcite[Vgl.][32]{zukunftsphilologie} Homer nicht zu
|
||||
kennen,\footcite[Vgl.][35]{zukunftsphilologie} Archilochus und die Geschichte
|
||||
der griechischen Musik gröblich zu verkennen\footcite[Vgl.][38]{zukunftsphilologie}
|
||||
und die Tragödie überhaupt, nicht zu kennen.\footcite[Vgl.][46]{zukunftsphilologie}
|
||||
|
||||
Wilamowitz-Möllendorff veweist auf Winckelmann, der gezeigt hat, „wie die allgemeinen
|
||||
regeln wissenschaftlicher kritik auch für die geschichte der kunst, ja für das verständnis
|
||||
jedes einzelnen kunstwerks nötig seien, [\dots]“.\footcite[32]{zukunftsphilologie}
|
||||
Und der Ursprung des Missverständnisses zwischen Wilamowitz-Möllendorff und Nietzsche
|
||||
scheint eben in dieser „Wissenschaftlichkeit“ zu liegen. Wenn man den Text der Tragödienschrift
|
||||
sich anschaut, wird man feststellen, dass Nietzsche kaum die Quellen angibt, aus denen
|
||||
er das Material für seine Überlegungen schöpft, oder die Angaben sind sehr ungenau.
|
||||
An ein paar Stellen wird Schopenhauers „Die Welt als Wille und Vorstellung“ zitiert,
|
||||
die aber wohl nicht so aussagekräftig für eine philologische Forschung der attischen
|
||||
Tragödie ist, ansonsten werden einige moderne und antike Autoren erwähnt ohne genauere
|
||||
Angaben. Die Vernachlässigung der Prinzipien des wissenschaftlichen Arbeitens ist
|
||||
kaum ein Zufall oder Unaufmerksamkeit Nietzsches. Der Grund liegt meines Erachtens
|
||||
darin, dass die primäre Zielsetzung beim Schreiben der Arbeit „Die Geburt der Tragödie“
|
||||
gar nicht eine wissenschaftliche Untersuchung der Entstehung der attischen Tragödie
|
||||
war. Vielmehr handelt es sich bei diesem Buch um einen modernen Mythos. Warum braucht
|
||||
man aber in unserer von der Wissenschaft aufgekläre Gesellschaft Mythen? Denn wenn
|
||||
die Wissenschaft an ihre Grenzen kommt, muss sie in Kunst umschlagen.\footcite[Vgl.][99]{nietzsche:geburt}
|
||||
Die wichtigsten Fragen des menschlichen Seins berührt die Wissenschaft nicht, sie
|
||||
stellt sie oft nicht mal auf. Was ist der Sinn dessen, dass es etwas gibt. Um die
|
||||
Antwort auf diese Frage zu geben, bedarf man eines Mythos, der erzählt, wie die Tragödie
|
||||
aus dem Geiste der Musik geboren wird und wie diese göttliche Musik der tragischen
|
||||
Aufführung auf der Bühne des Lebens Sinn verleiht.
|
||||
|
||||
Giorgio Colli nimmt Nietzsches philologische Position ernster. Er konstatiert zwar
|
||||
auch die Tatsache, dass „[d]ie klassische Altertumswissenschaft [\dots] Nietzsches
|
||||
Konzeption als unwissenschaftlich stillschweigend ignoriert“\footcite[901]{colli:geburt-nachwort}
|
||||
hat, aber fügt hinzu, dass die Wissenschaft selbst nicht viel mehr auf diesem Gebiet
|
||||
geleistet hat: „Die überlieferten Fakten sind immer noch die gleichen, dürftigen und
|
||||
unsicheren.“\footcite[901]{colli:geburt-nachwort} Jedoch auch G. Colli
|
||||
ist es bewusst, dass „Die Geburt der Tragödie“ „keine historische Interpretation“
|
||||
der Entstehung und des Verfalls der Tragödie ist, sondern das Werk „eine Interpretation
|
||||
des gesamten Griechentums“ und „eine philosophische Gesamtschau“ entfaltet.\footcite[Vgl.][902]{colli:geburt-nachwort}
|
@@ -0,0 +1,125 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2015-04-23 03:20:00
|
||||
tags: Aufsatz
|
||||
title: Zur Bedeutung der Kunst bei Friedrich Nietzsche. Teil 2. Gesellschaftliche Dimension der Kunst
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Die Bedeutung der Kunst endet nicht mit der Frage, welche Position sie im Leben
|
||||
eines Individuums einnimmt. Nietzsche versucht seinen Kunstbegriff auf größere Menschenmengen
|
||||
zu beziehen, um damit gesellschaftliche und kulturelle Ereignisse zu erklären, oder
|
||||
mindestens zu schauen, welche Auswirkung die Kunst oder die einzelnen Künstler auf
|
||||
die menschliche Gesellschaft und Kultur haben.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
Die Bedeutung der Kunst endet nicht mit der Frage, welche Position sie im Leben
|
||||
eines Individuums einnimmt. Nietzsche versucht seinen Kunstbegriff auf größere Menschenmengen
|
||||
zu beziehen, um damit gesellschaftliche und kulturelle Ereignisse zu erklären, oder
|
||||
mindestens zu schauen, welche Auswirkung die Kunst oder die einzelnen Künstler auf
|
||||
die menschliche Gesellschaft und Kultur haben.
|
||||
|
||||
In einer Aufzeichnung von 1885 schreibt Nietzsche Folgendes:
|
||||
|
||||
\begin{quote}
|
||||
„Die mathematischen Physiker können die Klümpchen-Atome
|
||||
nicht für ihre Wissenschaft brauchen: folglich construiren sie sich eine Kraft-Punkte-Welt,
|
||||
mit der man rechnen kann. Ganz so, im Groben, haben es die Menschen und alle organischen
|
||||
Geschöpfe gemacht: nämlich so lange die Welt zurecht gelegt, zurecht gedacht, zurecht
|
||||
gedichtet, bis sie dieselbe brauchen konnten, bis man mit ihr ‚rechnen‘
|
||||
konnte.“\footcite[163]{nietzsche:fragmente}
|
||||
\end{quote}
|
||||
|
||||
Es existiert also keine „objektive Welt“. Die Menschen erdichten ihre eigene Welt,
|
||||
in der ihnen am Besten zu Mute ist, in der sie leben können und wollen. Und dies ist
|
||||
genau, das was bereits für den jungen Nietzsche eine menschliche Kultur ausmacht.
|
||||
Das Dionysische ist das Fundament auf dem die Kulturen entstehen, „der ungeheure Lebensprozess
|
||||
selbst, und Kulturen sind nichts anderes, als die zerbrechlichen und stets gefährdeten
|
||||
Versuche, darin eine Zone Lebbarkeit zu schaffen“.\footcite[59]{safranski:biographie}
|
||||
|
||||
Im Zusammenhang mit der menschlichen Kultur führt Nietzsche den Krieg als ein dionysisches
|
||||
Element ein, und dieses Element beinhaltet auch „die Bereitschaft zum lustvollen
|
||||
Untergang“.\footcite[59]{safranski:biographie} Nietzsche, der selbst im Krieg
|
||||
einige Wochen als Sanitäter beteiligt war, sieht im Krieg als zerstörerischer
|
||||
Macht des Dionysus eine positive Potenz, und zwar erwartet er, dass dem
|
||||
Vernichten das Werden folgt, mit anderen Worten erhofft er eine Erneuerung
|
||||
der Kultur. Die Grausamkeit des Krieges um der Erneuerung der Kultur willen scheint
|
||||
übertrieben und grauenvoll zu sein. Daher hat der Krieg eine Umgestaltung durch die
|
||||
bildende apollinische Kraft nötig.\footcite[Vgl.][58--61]{safranski:biographie} Nietzsche
|
||||
greift wieder auf das Vorbild der Griechen, die „ein Beispiel dafür, wie diese kriegerische
|
||||
Grausamkeit sublimiert werden kann durch den Wettkampf, der überall stattfindet, in
|
||||
der Politik, im gesellschaftlichen Leben, in der Kunst.“\footcite[62]{safranski:biographie}
|
||||
„Ihr sagt, die gute Sache sei es, die sogar den Krieg heilige? Ich sage: der
|
||||
Krieg ist es, der jede Sache heiligt!“\footcite[109]{nietzsche:fragmente}
|
||||
schreibt er im November 1882 -- Februar 1883.
|
||||
|
||||
Auch auf der kulturellen Ebene balancieren die zwei grundlegenden Lebensmächte,
|
||||
das Dionysische und Apollinische, einander aus. Jede Kultur benötigt apollinische
|
||||
Bilder, um das Leben ertragen zu können, aber es besteht die Gefahr, dass die Kultur
|
||||
erstarrt und die dionysische Dynamik verliert, und dann muss sich das Dionysische
|
||||
wieder in den Weltprozess deutlicher einmischen.\footcite[Vgl.][62 f]{safranski:biographie}
|
||||
|
||||
Ein anderer Grund, den Krieg als eine unabdingbare Komponente der Entwicklung anzusehen,
|
||||
besteht darin, dass die Kultur für Nietzsche die oberste Position in der Pyramide
|
||||
der Menschheitswerke. Alles andere ist ihr untergeordnet: Gelehrsamkeit, Religion,
|
||||
Staat.\footcite[Vgl.][63]{hayman:biographie}
|
||||
|
||||
Kennzeichnend dafür, welche Bedeutung die Kultur hat, ist, wie Nietzsche die Rolle
|
||||
des Künstlers in einer Gesellschaft einschätzt. So heißt es am Ende 1870 -- April 1871:
|
||||
|
||||
\begin{quote}
|
||||
„Ich würde aus meinem idealen Staate die sogenannten ‚Gebildeten‘ hinaustreiben,
|
||||
wie Plato die Dichter: dies ist mein Terrorismus.“\footcite[22]{nietzsche:fragmente}
|
||||
\end{quote}
|
||||
|
||||
Die Dichter, die Künstler dürfen keinesfalls aus dem Nietzsches Staat ausgetrieben
|
||||
werden. Ganz im Gegenteil, für ihr Wohlergehen müssen alle Bedingungen erschaffen
|
||||
werden. Auch in dieser Hinsicht ist das antike Griechenland ein Vorbild für Nietzsche.
|
||||
Er verteidigt die damalige Sklaverei als notwendige Bedingung für das Wohl der „höchsten
|
||||
Exemplaren“ einer Gesellschaft, die ihrerseits den Beitrag zum Aufblühen der Kultur
|
||||
leisten.\footcite[Vgl.][67]{hayman:biographie} Nietzsche hat keineswegs illusionäre
|
||||
Vorstellungen bezüglich der Sklaverei, vielmehr lobt er die grausame Ehrlichkeit der
|
||||
Griechen, die „die letzten Geheimnisse ‚vom Schicksale der Seele‘ und Alles, was sie
|
||||
über die Erziehung und Läuterung, vor Allem über die unverrückbare Rangordnung und
|
||||
Werth-Ungleichheit von Mensch und Mensch wußten, sich aus ihren dionysischen Erfahrungen
|
||||
zu deuten suchten: […]“.\footcite[169]{nietzsche:fragmente} Es ist
|
||||
auch nicht so, dass Nietzsche die Demokratie verachtet, weil sie zu Gleichheit der
|
||||
Menschen untereinander führt. Er glaubt einfach nicht, dass in einem demokratischen
|
||||
Staat, das Verhältnis sich ändert. Die demokratische Gleichheit ist für ihn eine Lüge:
|
||||
|
||||
\begin{quote}
|
||||
In neuerer Zeit wird die Welt der Arbeit geadelt, aber das sei Selbstbetrug,
|
||||
denn an der fundamentalen Ungerechtigkeit der Lebensschicksale, die den einen
|
||||
die mechanischen Arbeit und den Begabteren das schöpferische Tun zuweist, ändere
|
||||
auch die \underline{Begriffs-Hallucination} von der \underline{Würde der Arbeit}
|
||||
nichts."\footcite[68]{safranski:biographie}
|
||||
\end{quote}
|
||||
|
||||
Nietzsche zieht sozusagen die dionysische Wahrheit, die besagt, dass das menschliche
|
||||
Sein von vornherein ungerecht ist, der apollinischen Einbildung, dass die Demokratie
|
||||
eine Gerechtigkeit gleicher Menschen garantieren kann, vor. Nietzsche idealisiert
|
||||
auch die privilegierte Kaste eines derartigen Staates nicht und fragt sich, „[o]b
|
||||
man nicht ein Recht hat, alle großen Menschen unter die bösen zu rechnen“.\footcite[147]{nietzsche:fragmente}
|
||||
Nietzsche beschreibt diese Welt als eine „Sich-selber-widersprechendste, und dann
|
||||
wieder aus der Fülle heimkehrend zum Einfachen, aus dem Spiel der Widersprüche zurück
|
||||
bis zur Lust des Einklangs, sich selber bejahend noch in dieser Gleichheit seiner
|
||||
Bahnen und Jahre, sich selber segnend als das, was ewig wiederkommen muß, als ein
|
||||
Werden, das kein Sattwerden, keinen Überdruß, keine Müdigkeit kennt -: diese meine
|
||||
dionysische Welt des Ewig-sich-selber-Schaffens, des Ewig-sich-selber-Zerstörens“.\footcite[158]{nietzsche:fragmente}
|
||||
Als dionysische Welt ist sie in sich absurd und widersprüchlich. Die Vereinigung der
|
||||
Gegensätze in sich ist auch der Maßstab für die Größe des Künstlers und das ist auch
|
||||
eben, was ihn „böse“ macht, denn den Tugenden wohnt der Frevel bei, die kreative Kraft
|
||||
wird durch die zerstörerische vervollständigt. So antwortet Nietzsche auf seine Frage:
|
||||
|
||||
\begin{quote}
|
||||
„[D]ie Größten haben vielleicht auch große Tugenden,
|
||||
aber gerade dann noch deren Gegensätze. Ich glaube, daß aus dem Vorhandensein der
|
||||
Gegensätze, und aus deren Gefühle, gerade der große Mensch, der Bogen mit der großen
|
||||
Spannung, entsteht.“\footcite[147]{nietzsche:fragmente}
|
||||
\end{quote}
|
||||
|
||||
Genauso wie der Krieg ein Aspekt der Kultur ist, ohne den Nietzsche ihre dynamische
|
||||
Entwicklung sich nicht vorstellen kann, genauso ist die prinzipielle Ungleichheit
|
||||
und Grausamkeit der Menschen gegenüber einander etwas, worauf die Kultur beruht, und
|
||||
was sie apollinisch, d.h.\ für den Menschen erträglich zu gestalten sucht. Und so verwendet
|
||||
Nietzsche dieselben Prinzipien des Dionysischen und des Apollinischen, die er entdeckt
|
||||
hat, um das kulturelle Leben einer Gesellschaft zu beschreiben.
|
@@ -0,0 +1,456 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2015-04-30 11:35:00
|
||||
tags: Aufsatz
|
||||
title: Zur Bedeutung der Kunst bei Friedrich Nietzsche. Teil 3. Die Kunst und das Leben
|
||||
teaser:
|
||||
<p>
|
||||
Nietzsche unternimmt einen neuen Versuch, dem Leben, so wie es ist, einen
|
||||
Sinn zu geben. Es ist keine Rechtfertigung, die auf eine bestimmte Theologie
|
||||
oder ein Moralsystem stützt, sondern dies ist die Rechtfertigung eines
|
||||
Künstlers. Nur als ein ästhetisches Phänomen lässt sich das Dasein als
|
||||
lebenswert erfahren.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
\epigraph{Die Kunst und nichts als die Kunst! Sie ist die große Ermöglicherin des Lebens, die große
|
||||
Verführerin zum Leben, das große Stimulans des Lebens.}
|
||||
{\textit{Mai -- Juni 1888}\\
|
||||
\textbf{Friedrich Nietzsche}\footcite[283]{nietzsche:fragmente}}
|
||||
|
||||
In der „Geburt der Tragödie“ steht ein bekannter Satz, der oft zitiert wird. Nietzsche
|
||||
unternimmt einen neuen Versuch, dem Leben, so wie es ist, einen Sinn zu geben. Es ist keine
|
||||
Rechtfertigung, die auf eine bestimmte Theologie oder ein Moralsystem stützt, sondern
|
||||
dies ist die Rechtfertigung eines Künstlers. Nur als ein ästhetisches Phänomen lässt
|
||||
sich das Dasein als lebenswert erfahren.\footcite[Vgl.][47]{nietzsche:geburt}
|
||||
Alles andere ist hilflos gegen die Weisheit des Silen. 1878 stellt Nietzsche die Moral
|
||||
der Kunst entgegen und schreibt rückblickend:
|
||||
|
||||
\begin{quote}
|
||||
Damals glaubte ich daß die Welt vom aesthetischen Standpunkt
|
||||
aus ein Schauspiel und als solches von ihrem Dichter gemeint sei, daß sie aber als
|
||||
moralisches Phänomen ein Betrug sei: weshalb ich zu dem Schlusse kam, daß nur als
|
||||
aesthetisches Phänomen die Welt sich rechtfertigen lasse.\footcite[55]{nietzsche:fragmente}
|
||||
\end{quote}
|
||||
|
||||
Nur als Teilnahme am Traum eines göttlichen Wesens kann die menschliche Existenz
|
||||
gerechtfertigt werden, nur so können die extremen Widersprüche im menschlichen Dasein
|
||||
erträglich gemacht werden.\footcite[Vgl.][59 ff]{ries:geburt}
|
||||
|
||||
Mithilfe der Kunst versucht Nietzsche dem Pessimismus und Nihilismus zu entkommen
|
||||
und sagen: Das Leben muss bejaht werden! W. Ries nennt die Rechtfertigung des Lebens
|
||||
bei Nietzsche „die letzte Bastion gegenüber einer Gegenwart […], welche durch
|
||||
die universale Banalisierung ihrer reduzierten Lebensvollzüge funktionalistisch charakterisiert
|
||||
werden kann, einer Gegenwart, aus welcher ‚die Götter‘ ebenso endgültig verschwunden
|
||||
sind wie ‚die griechische Heiterkeit‘ und an deren Trivialität es nichts mehr zu ‚rechtfertigen‘
|
||||
gibt.“\footcite[66]{ries:geburt}
|
||||
|
||||
\subsubsection{1. Die Kunst als Wahrheit oder die Kunst anstatt der Wahrheit}
|
||||
|
||||
Der Grund, warum Nietzsche die alten Ideale wie Religion und Moral als nicht
|
||||
lebenstauglich verwirft, liegt darin, dass sie ein objektives System von
|
||||
Urteilen voraussetzen, zum Beispiel einen Gott und ein göttliches Gesetz oder
|
||||
die Idee des Guten, gegenüber welchen Nietzsche sehr skeptisch ist. Erkenntnistheoretisch
|
||||
besteht das Problem darin, dass man sie nicht mit voller Sicherheit begründen kann.
|
||||
Im Fall mit der Religion spielt der Glaube eine enorme Rolle und die Glaubenssätze
|
||||
können nicht auf die logische Ebene zurückgeführt werden, sonst würde es sich um keine
|
||||
Religion, sondern um eine Wissenschaft handeln. Im Fall mit der Moral besteht die
|
||||
Gefahr, dass alle Normen, die als objektiv gültig zu sein scheinen, bloß eine Folge
|
||||
der kulturellen Entwicklung sind, sodass die Moral sich dann als „eine Summe von
|
||||
Vorurtheilen“\footcite[67]{nietzsche:fragmente} entlarven lässt. Die
|
||||
menschliche Entwicklung und die kulturellen Zusammenhänge sind oft dermaßen
|
||||
kompliziert, dass es sich kaum unterscheiden lässt, was objektiv und was ein
|
||||
subjektives (oder ein kollektives) Vorurteil ist. Im Sommer 1880 stellt Nietzsche
|
||||
die Moral der Wissenschaft gegenüber:
|
||||
|
||||
\begin{quote}
|
||||
In den Wissenschaften der speziellsten Art redet man
|
||||
am bestimmtesten: jeder Begriff ist genau umgrenzt. Am unsichersten wohl in der Moral,
|
||||
jeder empfindet bei jedem Worte etwas Anderes und je nach Stimmung, hier ist die Erziehung
|
||||
vernachlässigt, alle Worte haben einen Dunstkreis bald groß bald eng werdend.\footcite[66]{nietzsche:fragmente}
|
||||
\end{quote}
|
||||
|
||||
Auch der moderne Pluralismus lehrt, dass es nicht so einfach ist, eine Religion
|
||||
oder ein Moralsystem in den Bereich des Absoluten zu erheben.
|
||||
|
||||
Volker Gerhardt findet Nietzsches Hervorheben der ästhetischen Seite des Daseins
|
||||
provokativ und fragt: „Wie weit reicht eigentlich die Provokation des moralischen
|
||||
Denkens durch die Forderung nach einer ganz und gar ästhetischen Betrachtung des Seins?“\footcite[47]{artisten-metaphysik}
|
||||
Ist Nietzsches Argumentation ernst gemeint oder will er einfach in jeder Diskussion
|
||||
Recht behalten, indem er moralische Urteile relativiert und an ihre Stelle ästhetische
|
||||
Sichtweise erhebt? V. Gerhardt argumentiert, dass es kränkend sei, wenn jemand moralische
|
||||
Argumente bringt, die von dem Opponenten nicht ernst genommen werden, sodass der Letztere
|
||||
sich noch berechtigt fühlen könne, seine Untat zu rechtfertigen und zu wiederholen.
|
||||
Außerdem kann man einen solchen „Künstler“ überhaupt ernst nehmen, wenn „Grausamkeiten
|
||||
belächelt, fremde Qualen genossen und eigene Pflichten bloß theatralisch genommen
|
||||
werden“?\footcite[Vgl.][47]{artisten-metaphysik} Darauf kann man zweierlei antworten:
|
||||
|
||||
\begin{enumerate}
|
||||
\item
|
||||
Innerhalb eines Freundeskreises, einer Kultur oder sogar einer Epoche
|
||||
würde vielleicht tatsächlich „jeder von uns empört, wenn ein ernstes moralisches Anliegen
|
||||
durch Hinweis auf ästhetische Reize zurückgewiesen wird“.\footcite[47]{artisten-metaphysik}
|
||||
Nun wird die Frage nach der Geltung der Moral, nach dem Vorhandensein allgemein gültiger
|
||||
moralischer Regeln, von Nietzsche viel radikaler gestellt. Ihn interessiert, ob es
|
||||
prinzipiell eine moralische Gesetzgebung gibt, die dieselbe Gültigkeit wie ein physikalisches
|
||||
Gesetz hat, das überall auf der Erde in allen Zeiten gültig ist. Nietzsche verneint
|
||||
die Möglichkeit der Existenz einer moralischen Gesetzgebung.
|
||||
|
||||
Wird nicht jeder von
|
||||
uns empört, wenn ein moralisches Anliegen diametral entgegengesetzt bewertet wird,
|
||||
aufgrund eines anderen Wertesystems, einer andersartigen Ethikkonzeption oder eines
|
||||
ungleichen kulturellen Hintergrundes? Lässt es sich in der Tat immer über die moralischen
|
||||
Urteile streiten? Man denke nur an moralische Konflikte auf einer größeren, politischen,
|
||||
Ebene zwischen den Ländern, deren moralische Wertesysteme durch eine Jahrhunderte
|
||||
und Jahrtausende lange Geschichte geprägt sind.
|
||||
|
||||
\item „Ästhetisch“ und „theatralisch“
|
||||
kann nicht einfach mit „frech“, „leichtsinnig“, „gleichgültig“, „egoistisch“ gleichgesetzt
|
||||
werden. Auf der Bühne des Theaters kann sehr ernst gespielt werden (man denke nur,
|
||||
welche existenzielle Bedeutung hat nach Nietzsche die griechische Tragödie). Des Weiteren
|
||||
kann man sehr wohl auf Moralsysteme mit den Maximen wie „Vertraue keinem Menschen“,
|
||||
„Erreiche dein Ziel um jeden Preis“, „Kümmere dich nur um dich selbst und um die Menschen,
|
||||
die dir etwas bedeuten“ und so weiter stoßen. Auf der anderen Seite kann man sein
|
||||
Leben ästhetisch als ein schönes und gutes Kunstwerk gestalten. Die Frage, ob die
|
||||
Moral oder die Ästhetik mehr Wahres in sich hat, ist theoretischer Natur. Welche Auswirkung
|
||||
auf das menschliche Handeln die Entscheidung für entweder moralische oder ästhetische
|
||||
Weltbetrachtung hat, hängt allein von der Lebenseinstellung des Handelnden.
|
||||
\end{enumerate}
|
||||
|
||||
Alles, was „jenseits“, nicht sinnlich ist, will Nietzsche aus der Philosophie verbannen,
|
||||
und wieder hat hier die Philosophie von der Kunst zu lernen:
|
||||
|
||||
\begin{quote}
|
||||
In der Hauptsache gebe ich den Künstlern mehr Recht
|
||||
als allen Philosophen bisher: sie verloren die große Spur nicht, auf der das Leben
|
||||
geht, sie liebten die Dinge ‚dieser Welt‘, - sie liebten ihre Sinne. Entsinnlichung
|
||||
zu erstreben: das scheint mir ein Mißverständnisß oder eine Krankheit oder eine Kur,
|
||||
wo sie nicht eine bloße Heuchelei oder Selbstbetrügerei ist. […] Was gehen
|
||||
uns die priesterlichen und metaphysischen Verketzerungen der Sinne an!\footcite[154]{nietzsche:fragmente}
|
||||
\end{quote}
|
||||
|
||||
Gegen die christlichen Vorstellungen und philosophische Systeme, die den Leib als
|
||||
Kerker der Seele betrachten, setzt Nietzsche fort und sagt, dass es sogar „ein Merkmal
|
||||
der Wohlgerathenheit [ist], wenn Einer gleich Goethen mit immer größerer Lust und
|
||||
Herzlichkeit an ‚den Dingen der Welt‘ hängt“.\footcite[154]{nietzsche:fragmente}
|
||||
Zwar nennt er diese Welt, wie oben gesagt, eine Scheinwelt, aber es gibt keine andere.
|
||||
Wenn Nietzsche darüber spricht, dass wir in einer Scheinwelt leben, so verweist er
|
||||
nicht auf eine wahre, reale Welt, es existiert keine „Hinterwelt“\footcite[Vgl.][93]{nietzsche:fragmente}
|
||||
Er will kein Dualist sein und akzeptiert nur die Realität, die er mit seinen Sinnen
|
||||
wahrnehmen kann, selbst wenn sie eine Täuschung sein soll:
|
||||
|
||||
\begin{quote}
|
||||
Wir finden das Umgekehrte, die Gegenbewegung gegen die
|
||||
absolute Autorität der Göttin ‚Vernunft‘ überall, wo es tiefere Menschen giebt. Fanatische
|
||||
Logiker brachten es zu Wege, daß die Welt eine Täuschung ist; und daß nur im Denken
|
||||
der Weg zum ‚Sein‘, zum ‚Unbedingten‘ gegeben sei. Dagegen habe ich Vergnügen an der
|
||||
Welt, wenn sie Täuschung sein sollte; und über den Verstand der Verständigsten hat
|
||||
man sich immer unter vollständigeren M<enschen> lustig gemacht.\footcite[162]{nietzsche:fragmente}
|
||||
\end{quote}
|
||||
|
||||
\subsubsection{2. Wissenschaft}
|
||||
|
||||
Nicht nur Religion und Moral können uns keine Aussage über die Welt, wie sie
|
||||
an sich ist, und über die Wahrheit geben, auch die Wissenschaft kann es kaum.
|
||||
Wenn auch Walter Schulz Nietzsche „wissenschaftsgläubig“ nennt,\footcite[Vgl.][19]{schulz:function-and-place}
|
||||
so hat Nietzsche doch die Wissenschaft zu verschiedenen Zeiten seines Lebens unterschiedlich
|
||||
bewertet. Ja, die Wissenschaft mag sich auf empirische Daten stützen und deswegen
|
||||
nicht so subjektiv sein, wie Metaphysik, Religion oder Moral. Es stellt sich allerdings
|
||||
die Frage, ob die Wissenschaft deswegen einen Anspruch auf die Wahrheit hat.
|
||||
|
||||
Besonders gut lässt sich die Berechtigung dieser Frage nachvollziehen, wenn man
|
||||
einen kurzen Blick auf die moderne Wissenschaftstheorie wirft. Moderne Wissenschaften
|
||||
geben heutzutage gar nicht vor, die Aussagen über die Wirklichkeit zu treffen, was
|
||||
vor zwei oder drei Jahrhunderten der Fall war. Die naive Vorstellung, die Wissenschaft
|
||||
erforsche die Wirklichkeit, ist zwar verbreitet, aber nicht in den wissenschaftlichen
|
||||
Kreisen selbst. Moderne Wissenschaften basieren auf Theorien, was bedeutet, dass sie
|
||||
mit von Menschen erschaffe- nen Modellen arbeiten, die helfen, bestimmte Phänomene
|
||||
zu erklären oder gewisse Berechnungen durchzuführen.
|
||||
|
||||
Hatte Nietzsche nicht schon damals Recht, als er die einzig reale für den Menschen
|
||||
Welt eine Scheinwelt genannt hat, denn wie sonst kann man erklären, dass der Mensch
|
||||
kein Wissen über die Tatsachen der Welt hat, sondern ledigilich auf die Bildung von
|
||||
Theorien angewiesen ist? Man kann jetzt die radikale Frage stellen, ob die Wissenschaft
|
||||
selbst nicht eine „Kunstgattung“ ist. Die Gegenfrage würde lauten: Wenn man die Kunst
|
||||
braucht, um das Leben umzulügen, es umzudichten und so erträglich zu machen, wozu
|
||||
braucht man dann die Wissenschaft?
|
||||
|
||||
\begin{quote}
|
||||
Die Bequemlichkeit, Sicherheit, Furchtsamkeit, Faulheit,
|
||||
Feigheit ist es, was dem Leben den gefährlichen Charakter zu nehmen sucht und alles
|
||||
‚organisiren‘ möchte - Tartüfferie der ökonomischen Wissenschaft\footcite[135]{nietzsche:fragmente}
|
||||
\end{quote}
|
||||
|
||||
Wissenschaften bringen Sicherheit ins Leben. Diese Funktion hatten früher die heidnischen
|
||||
Religionen. Man fühlte sich sicherer, wenn man wusste, dass man nicht der blinden,
|
||||
gleichgültigen Natur ausgeliefert ist; wenn man wusste, dass eine Götterwelt sich
|
||||
hinter allen Naturphänomenen verbirgt, die man anbeten kann und so bekam man das Gefühl,
|
||||
dass man ein gewisses Maß an Kontrolle über die Natur hat. Deswegen schreibt Nietzsche
|
||||
über die griechische Mythologie, dass die Götter des Olymps „aus tiefster Nöthigung“\footcite[36]{nietzsche:geburt}
|
||||
geschaffen wurden.
|
||||
|
||||
Diese Rolle der Lebensabsicherung hat später die Wissenschaft übernommen. Sie ermöglicht
|
||||
einerseits Zusammenhänge zwischen den Ereignissen festzustellen und daraus auf die
|
||||
Naturgesetze zu schließen, und so erscheint die Welt nicht mehr chaotisch, sondern
|
||||
wird geordnet und als ein nach Gesetzen funktionierendes System vorgestellt. Andererseits
|
||||
versetzt die Wissenschaft in die Lage, Voraussagen über die Zukunft zu treffen. Aufgrund
|
||||
der Komplexität der physikalischen Systeme, können alle natürlichen Ereignisse in
|
||||
so großen Systemen wie unser Universum nicht genau vorhergesehen werden, weshalb,
|
||||
was die Auswirkung auf den Menschen betrifft, die Vorhersagemöglichkeit der Naturphänomene
|
||||
analog zu Anbetung der Götter ist, weil beides mehr Sicherheit in den folgenden Tag bringt.
|
||||
|
||||
Etwas andere Sicht auf die Wissenschaft bietet eine andere Aufzeichnung von Nietzsche,
|
||||
die aus der Zeit zwischen dem Herbst 1885 und Herbst 1886 stammt:
|
||||
|
||||
\begin{quote}
|
||||
Man findet in den Dingen nichts wieder als was man nicht
|
||||
selbst hineingesteckt hat: dies Kinderspiel, von dem ich nicht gering denken möchte,
|
||||
heißt sich Wissenschaft? […] das Wiederfinden heißt sich Wissenschaft, das
|
||||
Hineinstecken - Kunst, Religion, Liebe, Stolz.\footcite[188]{nietzsche:fragmente}
|
||||
\end{quote}
|
||||
|
||||
In diesem Modell ist es die schöpferische Kraft des Menschen die, die Welt schafft.
|
||||
Die Wissenschaft hat zu ihrer Aufgabe die so erschaffene Welt zu analysieren und aus
|
||||
den gewonnenen Daten ein wissenschaftliches System zu formen. Diesen Gedanken findet
|
||||
man ebenfalls in der modernen Wissenschaftstheorie wieder, und zwar im Konzept der
|
||||
Operationalisierung. Das ist ein wichtiges Konzept, das ermöglicht, ein Objekt unter
|
||||
bestimmte Begriffe zu subsumieren. Operationalisierung sagt uns nichts über die realen
|
||||
Eigenschaften eines Objektes, es besagt bloß, dass, um einem Objekt einen Begriff
|
||||
zuzuordnen, eine Messmethode angegeben wieden muss. Ein Beispiel aus der Psychologie
|
||||
wäre ein Intelligenztest. Empirisches Problem beim Durchführen eines derartigen Tests
|
||||
ist, dass es nicht klar ist, was Intelligenz eigentlich ist, was genau unter Intelligenz
|
||||
verstanden wird. Man würde den Begriff „Intelligenz“ operationalisierbar machen, wenn
|
||||
man eindeutig eingeben würde, wie die Intelligenz zu messen ist (zum Beispiel anhand
|
||||
eines Tests, der genauso universell für die Messung der Intelligenz ist, wie ein Lineal
|
||||
für die Messung der Länge). Das hätte das Problem mit der Subjektivität und Begrenztheit
|
||||
eines Intelligenztests gelöst, man hätte sie messen können und mit den Messwerten
|
||||
anderer Menschen vergleichen. Dafür, dass der Begriff „Intelligenz“ nun operationalisierbar
|
||||
wäre, würde man jedoch ein anderes Problem bekommen: Bevor man anfängt etwas zu messen,
|
||||
muss man definieren, wie es zu messen ist. In dem Fall mit der Intelligenz bedeutet
|
||||
es, dass man nicht auf die „Idee der Intelligenz“ in einem platonischen Ideenreich
|
||||
zugreift, die objektiv definiert, was die Intelligenz ist, sondern man legt vorher
|
||||
selbst fest, was es ist und wie es zu messen gilt. In den Naturwissenschaften ist
|
||||
es nicht anders: Man misst nicht etwas aus der objektiven Wirklichkeit, sondern nur
|
||||
das, was man messen will, mit Nietzsche gesagt: Man misst nur das, was man in
|
||||
die Natur „hineingesteckt“ hat.
|
||||
|
||||
Man kann Nietzsches Metaphysik auch auf die Wissenschaft anwenden. Wissenschaft
|
||||
erscheint in diesem Licht als eine lebensnotwendige Lüge, genauso wie die Welt, die
|
||||
von ihr erforscht wird.
|
||||
|
||||
\subsubsection{3. Pessimismus und Optimismus in der Kunst}
|
||||
|
||||
"Nietzsche legt - das Gesamt der geistigen Tätigkeiten durchmusternd - dar, daß Metaphysik, Moral,
|
||||
Religion und Wissenschaft nur verschiedene Formen der Lüge sind."\footcite[12]{schulz:function-and-place}
|
||||
Menschen haben aber das innere Streben nach der Wahrheit, sonst hätte man diese Lügen
|
||||
nicht ausgedacht. Aber auch mit der Kunst steht es nicht viel anders, und Walter Schulz
|
||||
schreibt an einer anderen Stelle: "Die Kunst lügt um, aber sie umlügen, weil wir sonst
|
||||
nicht leben können."\footcite[11]{schulz:function-and-place}Und wenn auch die
|
||||
Welt nur ein Kunstwerk ist, ist auch sie durch und durch lügnerisch. Und wenn man
|
||||
diese Wahrheit niemals erreichen kann, weil es sie nach Nietzsche nicht gibt, dann
|
||||
hat kann man sich fragen, was für einen Sinn das Leben überhaupt hat, und ob es ausreicht
|
||||
sich ästhetisch zu betrügen, wenn man jede Sekunde weiß, dass es nur eine Lüge ist.
|
||||
|
||||
Diese Frage ist entscheidend für Nietzsche, weil er sich nicht als Pessimist verstehen
|
||||
will. Wenn er im „Versuch einer Selbstkritik“ dem Optimismus als dem Zeichen des Verfalls
|
||||
den Pessimismus gegenüberstellt,\footcite[Vgl.][12 f]{nietzsche:geburt} so
|
||||
meint er mit dem „Pessimismus“ in diesem Fall etwas anderes. Optimismus, den Nietzsche
|
||||
zu bekämpfen sucht, ist der Optimismus in der Erkenntnis, sokratische Einstellung,
|
||||
dass das Sein in seinem Grund vernünftig, geordnet und berechenbar ist. Das ist auch,
|
||||
was heute oft als „positives Denken“ bekannt ist. Denke positiv, schließe deine geistigen
|
||||
Augen und merke nicht die Probleme und die Welt um dich herum. Diese Lebenshaltung ist zu „apollinisch“.
|
||||
|
||||
Der Gegenbegriff zum Optimismus ist der Pessimismus oder wie Nietzsche sagt „Pessimismus
|
||||
der Stärke“.\footcite[12]{nietzsche:geburt} Es zeugt von gewisser
|
||||
Stärke, die Welt in ihrem dionysischen Chaos und ihrer Absurdität anzuerkennen und
|
||||
trotzdem „Ja“ zum Leben zu sagen. Es gibt aber auch das, was man analog zum „Pessimismus
|
||||
der Stärke“ „Pessimismus der Schwäche“ nennen könnte. Das ist, wenn man zwar keine
|
||||
Angst hat, in die Abgründe des Seins zu schauen, aber zu schwach ist, die Welt trotz alledem zu bejahen.
|
||||
|
||||
Wie ich oben erwähnte hat Nietzsche die Überschrift der zweiten Ausgabe der „Geburt
|
||||
der Tragödie aus dem Geiste der Musik“ verändert, das Buch hieß nun „Die Geburt der
|
||||
Tragödie. Oder: Griechenthum und Pessimismus“. Im „Versuch einer Selbstkritik“ beschreibt
|
||||
er „Griechentum und das Kunstwerk des Pessimismus“,\footcite[12]{nietzsche:geburt}
|
||||
wobei die Griechen positiv als Pessimisten beschrieben werden, da Nietzsche sie im
|
||||
nächsten Satz die „zum Leben verführendste Art der bisherigen Menschen“\footcite[12]{nietzsche:geburt}
|
||||
nennt. Auch in seiner Aufzeichnung zur „Geburt der Tragödie“ aus dem Herbst 1885 -
|
||||
Herbst 1886 äußert er sich positiv über die „pessimistische Religion“, die an den
|
||||
tragischen Mythos gebunden ist: „Ein Verlangen nach dem tragischen Mythus (nach ‚Religion‘
|
||||
und zwar pessimistischer Religion) (als einer abschließenden Glocke worin Wachsendes
|
||||
gedeiht)“.\footcite[181]{nietzsche:fragmente}
|
||||
|
||||
In „Ecce homo“, in dem Abschnitt, wo Nietzsche „Die Geburt der Tragödie“ reflektiert,
|
||||
verdreht er allerdings die ursprüngliche Bedeutung des zweiten Teils der Überschrift
|
||||
und, um anscheinend seine Opposition gegen den „Pessmismus der Schwäche“ zu betonen,
|
||||
spricht er von Griechen, die im Gegenteil keinen Pessimismus kannten: „‚Griechenthum
|
||||
und Pessimismus‘: das wäre ein unzweideutigerer Titel gewesen: nämlich als erste Belehrung
|
||||
darüber, wie die Griechen fertig wurden mit dem Pessimismus, - womit sie ihn überwunden…
|
||||
Die Tragödie gerade ist der Beweis dafür, dass die Griechen keine Pessimisten
|
||||
waren: Schopenhauer vergriff sich hier, wie er sich in Allem vergriffen
|
||||
hat“.\footcite[Vgl.][309]{nietzsche:ecce-homo}
|
||||
|
||||
Es gibt „das Kunstwerk des Pessimismus“,\footcite[12]{nietzsche:geburt}
|
||||
das dem Menschen offenbart, was der Pessimismus der Stärke ist, aber es gibt keine
|
||||
pessimistische Kunst im Sinne des Pessimismus der Schwäche.
|
||||
|
||||
Das Verständnis von Pessimismus ist der Punkt, in dem Nietzsche sich von seinem geistigen
|
||||
Lehrer Schopenhauer absetzt, wie man es aus dem letzten Zitat aus „Ecce homo“ sieht.
|
||||
Schopenhauer hat den dunklen, in sich widersprüchlichen Kern des Daseins entdeckt. Nietzsche
|
||||
geht einen Schritt weiter und behauptet, dass das Dasein zu bejahen ist. 1888 antwortet
|
||||
Nietzsche auf die Frage „Pessimismus in der Kunst?“, die in der Überschrift seiner
|
||||
Aufzeichnung steht, folgendermaßen:
|
||||
|
||||
\begin{quote}
|
||||
Kunst ist wesentlich Bejahung, Segnung, Vergöttlichung
|
||||
des Daseins…\\-: Was bedeutet eine pessimistische Kunst?.. Ist das nicht
|
||||
eine contradictio? - Ja.\\Schopenhauer irrt, wenn er gewisse Werke der Kunst in
|
||||
den Dienst des Pessimism stellt. Die Tragödie lehrt nicht ‚Resignation‘…\\-
|
||||
Die furchtbaren und fragwürdigen Dinge darstellen ist selbst schon ein Instinkt der
|
||||
Macht und Herrlichkeit am Künstler: er fürchtet sie nicht… Es giebt keine pessimistische
|
||||
Kunst.. Die Kunst bejaht. Hiob bejaht.\footcite[250]{nietzsche:fragmente}
|
||||
\end{quote}
|
||||
|
||||
\subsubsection{4. Ästhetische Rechtfertigung des Daseins}
|
||||
|
||||
Wenn man nach dem Sinn des Lebens fragt, dann fragt man: „Welchen Zweck hat
|
||||
das Leben?“. Die Möglichkeit einer vernünftigen
|
||||
Antwort auf diese Frage setzt also voraus, dass es eine Zweckmäßigkeit in der Natur
|
||||
gibt, dass sie nach einem Prinzip funktioniert. Nun ist der dionysische Grund in dieser
|
||||
Hinsicht nicht anders als dessen Vorbild, der Wille bei Arthur Schopenhauer, er „hat
|
||||
kein Ziel und ist kein Prinzip, er begründet nichts, richtet nicht und kann folglich
|
||||
auch nichts ‚rechtfertigen‘“.\footcite[55]{artisten-metaphysik} Wenn
|
||||
die Welt das menschliche Dasein nicht rechtfertigen kann, so kann es nur der Mensch
|
||||
selbst. Der Mensch projiziert aber sein Bedürfnis nach einem Sinn in die Welt, um
|
||||
sich von der Last, sein Dasein rechtfertigen zu müssen, zu befreien. Dies führt zur
|
||||
Entstehung großer Systeme wie die Moral oder Religionen. Wenn man aufhört nach dem
|
||||
Sinn in der Außenwelt zu suchen, weil die menschliche Erkenntnis nicht zuverlässig
|
||||
ist, so ist das Einzige, was übrig bleibt, in sich selbst zu suchen, weil man die
|
||||
Grenzen seiner Selbst nicht sprengen kann.\footcite[Vgl.][55]{artisten-metaphysik}
|
||||
Da Nietzsche das bis zum Ende konsequent durchdenkt, kommt er zu dem Schluss, dass
|
||||
die Rechtfertigung des Daseins nur von dem Menschen selbst ausgehen kann, wenn
|
||||
sie überhaupt möglich sein soll.
|
||||
|
||||
Volker Gerhardt setzt den Gedanken über die Rechtfertigung des Lebens fort und
|
||||
verbindet ihn mit den Bedingungen des menschlichen Handelns. Ein mit Sinn erfülltes
|
||||
Leben ist die Voraussetzung für das menschliche Handeln, weil, wenn man keinen Grund
|
||||
zu leben hat, man auch keinen Grund zu handeln hat, woraus folgt, dass es Nietzsche
|
||||
nicht nur um die theoretische, sondern auch um die praktische Philosophie geht.\footcite[Vgl.][52--54]{artisten-metaphysik}
|
||||
Deswegen hat die Lösung des Problems, ob das Dasein für den Menschen befriedigend
|
||||
gerechtfertigt werden kann, weitreichende Konsequenzen für das individuelle und gesellschaftliche
|
||||
Leben, das aus handelnden Subjekten besteht, obwohl Nietzsche nichts über den möglichen
|
||||
funktionalen Zusammenhang von ästhetischen und theoretischen (oder praktischen) Einsichten"\footcite[Vgl.][56]{artisten-metaphysik}
|
||||
sagt.
|
||||
|
||||
V. Gerhardt unterscheidet zwischen der Rechtfertigung der Welt und des individuellen
|
||||
Daseins. Der Mensch als handlungsfähiges Subjekt ist auf die Interaktion mit den anderen
|
||||
Menschen und der Umwelt angewiesen, das heißt, um das eigene Leben und Handeln als
|
||||
sinnvoll zu erfahren, muss das menschliche Subjekt sein eigenes Dasein im „Lauf der
|
||||
Dinge“\footcite[Vgl.][56]{artisten-metaphysik} verstehen. Bei Nietzsche ist
|
||||
es nicht möglich, weil die Rechtfertigung der Welt und des eigenen Daseins verschmelzen,
|
||||
es ist schließlich nur der Mensch selbst, der allem Sinn gibt. Man kann also sein
|
||||
Dasein nicht in den „Lauf der Dinge“ integrieren, sondern nur in seine eigene Einbildung
|
||||
oder in den vom Zufall gesteuerten Traum eines höheren Wesens. Kann so etwas als „Rechtfertigung“
|
||||
und „Sinngebung“ gelten, oder wäre es ehrlicher mit dem Schopenhauers Pessimismus zu bleiben?
|
||||
|
||||
Dazu muss man sagen, dass, wenn man den Geist aus der Welt vollständig ausklammert,
|
||||
als etwas, was empirisch nicht nachgewiesen werden kann (und es ist das Ziel Nietzsches,
|
||||
ohne eine Hinterwelt auszukommen), es keine bessere Lösung gibt. Eine physische, von
|
||||
den Naturgesetzen gelenkte Welt ist uns genauso fremd wie der absurde Traum des Dionysus.
|
||||
Wenn wir unser Dasein als ein Glied in der Geschichte der Menschheit verstehen können,
|
||||
dann nimmt diese Geschichte ihren Anfang im Nichts und sie wird sich am Ende im Nichts
|
||||
auflösen. Die individuelle Existenz ist in diesem Modell absolut sinnlos, obwohl es
|
||||
in ein größeres Ganzes eingebaut werden kann. Das Letzte, was dem Menschen bleibt,
|
||||
sich und seiner Umwelt selbst einen Sinn zu geben. Und da ist man schon wieder bei
|
||||
Nietzsche. Dass er die Rechtfertigung des Daseins und diejenige der Welt nicht auseinanderhält,
|
||||
ist ein richtiger Schachzug von ihm: Die Existenz der Welt ist sowieso sinnlos (oder
|
||||
wird als solche erfahren), wenn es die menschliche Existenz ist.
|
||||
|
||||
Ein anderes Argument, das V. Gerhardt bringt, ist, dass die Kunst, die das Leben
|
||||
rechtfertigen soll, an Voraussetzungen gebunden ist, die sie dann zu erklären
|
||||
versucht. In einem anderen Artikel, „Nietzsches ästhetische Revolution“ spricht
|
||||
er von der „Dequalifizierung des Kunstbegriffs“:
|
||||
|
||||
\begin{quote}
|
||||
Erstens geht der Begriff der Kunst dem des Lebens methodisch
|
||||
voraus. Allein das vorgängige Verständnis der Kunst ermöglicht, wenn überhaupt noch,
|
||||
das Leben zu verstehen. Alle anderen Modelle, die von den Wissenschaften bereitgestellt
|
||||
worden sind - bis hin zur mechanischen Erklärung der Lebensprozesse -, hält Nietzsce
|
||||
für gescheitert. Nur als Analogon der Kunst ist das Leben noch sinnvoll mit den historisch
|
||||
inzwischen unumgänglich gewordenen Erfahrungen zu
|
||||
verbinden.\footcite[25]{revolution}
|
||||
\end{quote}
|
||||
|
||||
Aber andererseits wird das Leben oder bestimmte Erfahrungen im Leben vorausgesetzt, weil
|
||||
„wenig so stark an ein Gegenteil gebunden ist wie gerade die Kunst. Die ästhetische
|
||||
Erfahrung braucht, um Stimulans zu sein, die Not und die Enge des
|
||||
Lebens“,\footcite[64]{artisten-metaphysik} weil die Welt uns sich
|
||||
selbst nicht als ein Kunstwerk präsentiert.\footcite[Vgl.][65]{artisten-metaphysik}
|
||||
|
||||
Dazu kommen noch erkenntnistheoretische Voraussetzungen. Nietzsche erklärt die
|
||||
Erkenntnis mithilfe der Kunst, aber zunächst muss man \textit{erkennen}, was die
|
||||
Kunst ist.\footcite[Vgl.][65]{artisten-metaphysik}
|
||||
|
||||
Aber leider auch in diesem Fall bleibt einem nichts Besseres übrig. Sagen wir,
|
||||
ich werde anerkennen, dass die theoretische Erkenntnis ist, was die Kunst begründet
|
||||
und nicht umgekehrt. Was gibt mir aber die Sicherheit, dass meine Erkenntnis keine
|
||||
Illusion, keine Einbildung ist? Was gibt mir die Sicherheit, dass meine Erkenntnis
|
||||
nicht an andere Voraussetzungen gebunden ist, zum Beispiel an die Kunst. Woher kann
|
||||
ich wissen, dass es nicht die Kunst ist, die die Erkenntnis möglich macht? V. Gerhardt
|
||||
hat recht, dass die logische Erkenntnis und die Logik der Kunst methodisch vorausgehen,
|
||||
was aber nicht bedeutet, dass sie ihr auch ontologisch übergeordnet sind. Die Natur
|
||||
der menschlichen Erkenntnis ist so, dass sie immer reflexiv ist. Erst in der Reflexion
|
||||
kann man die Frage stellen, ob die theoretische Erkenntnis die Kunst begründet oder
|
||||
umgekehrt. Wenn man überhaupt keine Voraussetzungen machen will, landet man im Skeptizismus,
|
||||
aus dem man nicht mehr rauskommt.
|
||||
|
||||
Wenn Nietzsche alles der Kunst unterordnet und sagt, dass man sein Leben selbst
|
||||
künstlerisch gestaltet und es so etwas wie Wahrheit nicht gibt, so bleibt er seinem
|
||||
Wort treu, egal wie absurd es klingen mag. So schreibt er im Sommer 1883:
|
||||
|
||||
\begin{quote}
|
||||
Man sucht das Bild der Welt in der Philosophie, bei
|
||||
der es uns am freiesten zu Muthe wird; d.h.\ bei der unser mächtigster Trieb sich
|
||||
frei fühlt zu seiner Thätigkeit. So wird es auch bei mir
|
||||
stehn!\footcite[111]{nietzsche:fragmente}
|
||||
\end{quote}
|
||||
|
||||
Ist es ein Selbstwiderspruch? Genau. Das ist die naive Ehrlichkeit, die Nietzsches
|
||||
Schriften kennzeichnet. Er scheint keine Angst zu haben, sich selbst zu widersprechen,
|
||||
und tat es absichtlich, weil er von dem Sein wusste, das in sich selbst widersprüchlich
|
||||
ist, weil er es als Solches erlebt hat. Er versuchte diese Widersprüche in sich zu
|
||||
vereinigen um dem Sein gerecht zu werden.\footcite[Vgl.][187]{ries:geburt}
|
||||
Es ist nicht so, wie V. Gerhardt behauptet, dass nur die Kunst das Leben oder bestimmte
|
||||
Lebenserfahrungen voraussetzt, weil die logische Erkenntnis es auch tut, sie ist an
|
||||
dieselben Bedingungen gebunden. Das Vorhandensein solcher Menschen wie Friedrich Nietzsche
|
||||
ist gerade der Beweis dafür, dass man im Leben auch Erfahrungen sammeln kann, die
|
||||
zu einem ästhetischen Weltbild führen und nicht zu einem logischen. V. Gerhardt fragt,
|
||||
warum die Welt uns nicht als ein Kunstwerk erscheine?\footcite[Vgl.][65]{artisten-metaphysik}
|
||||
Man kann auch die Gegenfrage stellen: Warum erscheint uns die Welt nicht als ein logisches
|
||||
System? Warum stellt Philosophie, wie Klaus Kornwachs sagt, seit zwei Jahrtausenden
|
||||
Fragen, die sie und keine Wissneschaft beantworten kann?\footcite[Vgl.][7]{kornwachs:technik}
|
||||
Vielleicht, weil die Welt ein Kunstwerk ist, in das wir unsere logischen Denkgesetze
|
||||
übertragen? Von dem Standpunkt des Lebens betrachtet kann die Welt nicht nur als ein
|
||||
logisches, sondern auch als ein ästhetisches Werk gedeutet werden.
|
||||
|
||||
Das Problem einer ästhetischen Rechtfertigung der Welt bleibt trotzdem sehr schwer
|
||||
zu lösen. Das endliche Dasein auf der Erde kann Einem sinnvoll erscheinen, weil nur
|
||||
wenn jemand begrenzte Zeit im Leben hat, man mehr zu erreichen versucht, und sich
|
||||
mehr um sein Leben kümmert. Für den Anderen kann es umgekehrt zwecklos sein, sich
|
||||
um etwas zu bemühen, wenn alles eines Tages sowieso untergeht. Aber ist es nicht bereits
|
||||
eine ästhetische Rechtfertigung, mit der man versucht seinem Leben Sinn zu erteilen,
|
||||
indem man entweder sein Leben als eine kurze Theateraufführung versteht, oder ein
|
||||
geistiges Reich erschafft, in dem man ewig leben kann.
|
||||
|
||||
Es stellt sich auch die Frage, warum man sein Dasein überhaupt rechtfertigen soll?
|
||||
Warum muss man das eigentlich in der Kunst umlügen? Man kann in Schopenhauers Pessimismus
|
||||
Schwäche sehen, weil er nicht stark genug war, das Ekelhafte und Grauenvolle zu beja-
|
||||
hen. Man kann aber genauso Nietzsches Pessimismus als eine Schwäche interpretieren,
|
||||
eine Schwäche, sich der Grausamkeit, Sinnlosigkeit und Ausweglosigkeit Gesicht zu
|
||||
Gesicht zu stellen. Die Antwort auf diese Frage ist auch nicht von der Erfahrung zu
|
||||
trennen, die der Mensch im Leben macht. Theoretisch wollte Nietzsche die Kunst als
|
||||
Stimulans des Lebens begreifen. Aber inwieweit ist es möglich für ein Wesen, das nach
|
||||
der Wahrheit strebt (und Nietzsche strebt auch nach Wahrheit des Dionysus), an eine
|
||||
Lüge zu glauben, über die man weiß und die man sich sogar selbst ausgedacht hat. Ist
|
||||
es möglich auch auf der praktischen Ebene sich dermaßen zu belügen, oder ist die Kunst
|
||||
doch nur ein Quietiv und hilft nur, das Leben etwas zu verschönern, um nicht an der
|
||||
Wahrheit zu Grunde zu gehen? Es ist also die Frage, ob man eine theoretische Einstellung
|
||||
zum Leben auch in der Praxis realisieren kann, wo einem so viele Hindernisse im Wege stehen.
|
@@ -0,0 +1,49 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2015-05-07 18:17:00
|
||||
tags: Aufsatz
|
||||
title: Zur Bedeutung der Kunst bei Friedrich Nietzsche. Teil 4. Abschließende Bemerkungen
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Der Welt, aus der die Wissenschaft die Geistigkeit vertrieben hat, die
|
||||
genauso wie ihr Gott „getötet“ und zu einem physischen Mechanismus gemacht
|
||||
wurde, schenkt Friedrich Nietzsche ein neues Leben, neue Dynamik, die
|
||||
Dynamik eines Kunstwerkes, das noch nicht vollendet ist und niemals
|
||||
vollendet sein wird.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
\epigraph{Eigentlich sollte ich einen Kreis von tiefen und zarten
|
||||
Menschen um mich haben, welche mich etwas vor mir selber schützten und mich auch zu
|
||||
erheitern wüßten: denn für einen, der solche Dinge denkt, wie ich sie denken muß,
|
||||
ist die Gefahr immer ganz in der Nähe, daß er sich selber zerstört.}
|
||||
{\textit{Herbst 1885 -- Frühjahr 1886}\\\textbf{Friedrich Nietzsche}\footcite[170]{nietzsche:fragmente}}
|
||||
|
||||
Der Welt, aus der die Wissenschaft die Geistigkeit vertrieben hat, die genauso
|
||||
wie ihr Gott „getötet“ und zu einem physischen Mechanismus gemacht wurde, schenkt
|
||||
Friedrich Nietzsche ein neues Leben, neue Dynamik, die Dynamik eines Kunstwerkes,
|
||||
das noch nicht vollendet ist und niemals vollendet sein wird. Seine Theorie von der
|
||||
ästhetischen Rechtfertigung des Lebens hat er in die Praxis umgesetzt, er komponierte
|
||||
sein schriftliches Werk: „Sie hätte singen sollen, diese ‚neue Seele‘ --- und nicht
|
||||
reden!“,\footcite[15]{nietzsche:geburt} klagt er im „Versuch einer Selbstkritik“
|
||||
darüber, dass er nicht gewagt hat, in seinem Erstlingswerk „als Dichter“\footcite[15]{nietzsche:geburt}
|
||||
zu sprechen. Und Wiebrecht Ries bemerkt, dass in der „Zarathustra-Dichtung“ erfüllt
|
||||
ist, „daß die Rede Musik wird, und dies in gleicher Weise wie der Gedanke Seele wird.“\footcite[138]{ries:geburt}
|
||||
Nietzsches Leben wurde wie eine Tragödie aus dem Geiste der Musik, die ihn sein Leben
|
||||
lang inspirierte,\footcite[Vgl.][18]{ries:geburt} geboren.
|
||||
|
||||
„Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“ vernichtet Nietzsches Karriere, weil die Behauptungen
|
||||
wie, dass die Existenz nur eine „Theateraufführung“ im Bewusstsein eines mythischen
|
||||
Wesens, „provozierend gemeint [sind], aber sie […] einen unbeabsichtigten Zweifel
|
||||
an der Nüchternheit und Zuverlässigkeit des Autors als humanistischen Gelehrten“\footcite[187]{hayman:biographie}
|
||||
provozieren. „Die Wahrheit ist häßlich: wir haben die Kunst, damit wir nicht an der
|
||||
Wahrheit zu Grunde gehn.“,\footcite[279]{nietzsche:fragmente} heißt es 1888.
|
||||
Dennoch geht er an der dionysischen Wahrheit zu Grunde und erleidet einen Zusammenbruch.\footcite[Vgl.][439]{hayman:biographie}
|
||||
„Das Finale im Wahnsinn verlieh dem Werk rückwirkend eine dunkle Wahrheit: da war
|
||||
offenbar jemand ins Geheimnis des Seins so tief eingedrungen, daß er darüber den Verstand
|
||||
verloren hatte.“\footcite[331]{safranski:biographie} Nietzsches Schwester Elisabeth,
|
||||
die noch zu Lebenszeiten seines Bruders alle Rechte auf seine Werke bekommen hat,
|
||||
hat sich nach seinem Zusammenbruch um die Ausgabe seiner Schriften gekümmert\footcite[Vgl.][537 f]{hayman:biographie}
|
||||
und ein Nietzsche-Archiv eröffnet.\footcite[454]{hayman:biographie} Bereits
|
||||
1893 war die Nachfrage nach Nietzsches Büchern „sprunghaft angestiegen“.\footcite[454]{hayman:biographie}
|
||||
|
||||
Also hat die dionysische Selbstzerstörung eines Philosophie-Künstlers etwas Neues hervorgebracht: sein Werk.
|
28
themes/posts/2015/11/niemals-hat-die-mutter-ruhe.tex
Normal file
28
themes/posts/2015/11/niemals-hat-die-mutter-ruhe.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,28 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2015-11-01 21:51:00
|
||||
tags: Gedicht
|
||||
title: Niemals hat die Mutter Ruhe…
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Niemals hat die Mutter Ruhe,<br>
|
||||
die ihre Tochter sah im Grab.<br>
|
||||
Die Liebeskummer, die ich hab’<br>
|
||||
sei nur unbequem wie neue Schuhe.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Ich bedauere Ihr’n Verlust sowie,<br>
|
||||
dass Sie noch nie entbrannten,<br>
|
||||
nie in 60 Jahren kannten,<br>
|
||||
was sie ist, die Liebeslust.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
Niemals hat die Mutter Ruhe,\\
|
||||
die ihre Tochter sah im Grab.\\
|
||||
Die Liebeskummer, die ich hab’\\
|
||||
sei nur unbequem wie neue Schuhe.
|
||||
|
||||
Ich bedauere Ihr’n Verlust sowie,\\
|
||||
dass Sie noch nie entbrannten,\\
|
||||
nie in 60 Jahren kannten,\\
|
||||
was sie ist, die Liebeslust.
|
17
themes/posts/2016/03/blog-post_4.tex
Normal file
17
themes/posts/2016/03/blog-post_4.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,17 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2016-03-04 08:29:00
|
||||
tags: Стихотворение
|
||||
title: И все же нам с тобою повезло…
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
И все же нам с тобою повезло,<br>
|
||||
мы столько, брат, с тобою отхватили.<br>
|
||||
Мне так тогда все было все равно.<br>
|
||||
Да и сейчас мне все равно, как мы прожили.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
И все же нам с тобою повезло,\\
|
||||
мы столько, брат, с тобою отхватили.\\
|
||||
Мне так тогда все было все равно.\\
|
||||
Да и сейчас мне все равно, как мы прожили.
|
24
themes/posts/2016/04/blog-post.tex
Normal file
24
themes/posts/2016/04/blog-post.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,24 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2016-04-20 21:48:00
|
||||
tags: Стихотворение
|
||||
title: Не уж то свет на ней сошелся клином
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Не уж то свет на ней сошелся клином,<br>
|
||||
или не знаешь чем себя занять?<br>
|
||||
Вся молодость пройдет ведь мимо…
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
К чертям всю молодость, коль жить невыносимо!<br>
|
||||
Коль надоело петь мне и играть.<br>
|
||||
Коль свет и впрямь на ней сошелся клином.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
Не уж то свет на ней сошелся клином,\\
|
||||
или не знаешь чем себя занять?\\
|
||||
Вся молодость пройдет ведь мимо…
|
||||
|
||||
К чертям всю молодость, коль жить невыносимо!\\
|
||||
Коль надоело петь мне и играть.\\
|
||||
Коль свет и впрямь на ней сошелся клином.
|
@@ -0,0 +1,28 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2016-08-06 07:31:00
|
||||
tags: Gedicht
|
||||
title: Die Nacht in ihrem stillen Schweigen…
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Die Nacht in ihrem stillen Schweigen,<br>
|
||||
unvergänglich ist dein Stolz.<br>
|
||||
Ich liebe dich, in blauen Kleidern,<br>
|
||||
und respektiere deinen Trotz.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Lass mich nicht alleine leiden,<br>
|
||||
ich ahne dein Geheimnis schon.<br>
|
||||
Mein Geist ist deiner Ehe Sohn.<br>
|
||||
Du kannst ihn so nicht immer meiden.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
Die Nacht in ihrem stillen Schweigen,\\
|
||||
unvergänglich ist dein Stolz.\\
|
||||
Ich liebe dich, in blauen Kleidern,\\
|
||||
und respektiere deinen Trotz.
|
||||
|
||||
Lass mich nicht alleine leiden,\\
|
||||
ich ahne dein Geheimnis schon.\\
|
||||
Mein Geist ist deiner Ehe Sohn.\\
|
||||
Du kannst ihn so nicht immer meiden.
|
17
themes/posts/2016/09/wenn-ich-zu-einem-volksfest-gehe.tex
Normal file
17
themes/posts/2016/09/wenn-ich-zu-einem-volksfest-gehe.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,17 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2016-09-21 01:22:00
|
||||
tags: Gedicht
|
||||
title: Wenn ich zu einem volksfest gehe…
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Wenn ich zu einem Volksfest gehe,<br>
|
||||
kann ich immer aufs Neue versteh’n,<br>
|
||||
warum der Mensch mir so verhasst ist,<br>
|
||||
wie er schreit und wie er frisst.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
Wenn ich zu einem Volksfest gehe,\\
|
||||
kann ich immer aufs Neue versteh’n,\\
|
||||
warum der Mensch mir so verhasst ist,\\
|
||||
wie er schreit und wie er frisst.
|
35
themes/posts/2016/11/herbst.tex
Normal file
35
themes/posts/2016/11/herbst.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,35 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2016-11-07 16:47:00
|
||||
tags: Gedicht
|
||||
title: Herbst
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Alles sehnt sich jetzt nach Ruhe,<br>
|
||||
Bäume werf’n die Blätter ab,<br>
|
||||
alles, was mit Kraft und Mühe<br>
|
||||
herrlich, prachtvoll blühte, starb.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Die Sonne glüht nun abends müde,<br>
|
||||
und Vögel suchen ein neu’s Heim.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Als ob die Welt nicht leben würde,<br>
|
||||
aber nein. Zur Jahreszeit<br>
|
||||
erholt sie sich von ihrer Bürde,<br>
|
||||
von des Tages Eitelkeit.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
Alles sehnt sich jetzt nach Ruhe,\\
|
||||
Bäume werf’n die Blätter ab,\\
|
||||
alles, was mit Kraft und Mühe\\
|
||||
herrlich, prachtvoll blühte, starb.
|
||||
|
||||
Die Sonne glüht nun abends müde,\\
|
||||
und Vögel suchen ein neu’s Heim.
|
||||
|
||||
Als ob die Welt nicht leben würde,\\
|
||||
aber nein. Zur Jahreszeit\\
|
||||
erholt sie sich von ihrer Bürde,\\
|
||||
von des Tages Eitelkeit.
|
17
themes/posts/2016/11/ich-sah-kurz-einen-auf-der-strae.tex
Normal file
17
themes/posts/2016/11/ich-sah-kurz-einen-auf-der-strae.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,17 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2016-11-28 09:55:00
|
||||
tags: Gedicht
|
||||
title: Ich sah kurz einen auf der Straße...
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Ich sah kurz einen auf der Straße,<br>
|
||||
ein Ring im Ohr, zwei in der Nase…<br>
|
||||
Ich will ja nun nicht ängstlich klingen:<br>
|
||||
Das war gewiss der Herr der Ringe.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
Ich sah kurz einen auf der Straße,\\
|
||||
ein Ring im Ohr, zwei in der Nase…\\
|
||||
Ich will ja nun nicht ängstlich klingen:\\
|
||||
Das war gewiss der Herr der Ringe.
|
50
themes/posts/2017/02/blog-post.tex
Normal file
50
themes/posts/2017/02/blog-post.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,50 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2017-02-09 16:29:00
|
||||
tags: Стихотворение
|
||||
title: И вот лежу, и вот мне скучно…
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
И вот лежу, и вот мне скучно,<br>
|
||||
плюю с презреньем в потолок.<br>
|
||||
И воздух спертый, жестко, скучно.<br>
|
||||
И ночь пошла на самотек.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Как за спиною, слышу шорох:<br>
|
||||
беседуют отец и мать.<br>
|
||||
Зима, февраль, мороз под сорок.<br>
|
||||
Собачий холод! Благодать!
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Потом друзей мелькают лики,<br>
|
||||
друзей, и вот уж больше не друзей.<br>
|
||||
Одной единственной той блики<br>
|
||||
другой единственной честней.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
И вот лежу, и сердце ноет,<br>
|
||||
и ночь за часом час бежит.<br>
|
||||
Усталость мне глаза прикроет,<br>
|
||||
и сон земной обворожит.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
И вот лежу, и вот мне скучно,\\
|
||||
плюю с презреньем в потолок.\\
|
||||
И воздух спертый, жестко, скучно.\\
|
||||
И ночь пошла на самотек.
|
||||
|
||||
Как за спиною, слышу шорох:\\
|
||||
беседуют отец и мать.\\
|
||||
Зима, февраль, мороз под сорок.\\
|
||||
Собачий холод! Благодать!
|
||||
|
||||
Потом друзей мелькают лики,\\
|
||||
друзей, и вот уж больше не друзей.\\
|
||||
Одной единственной той блики\\
|
||||
другой единственной честней.
|
||||
|
||||
И вот лежу, и сердце ноет,\\
|
||||
и ночь за часом час бежит.\\
|
||||
Усталость мне глаза прикроет,\\
|
||||
и сон земной обворожит.
|
294
themes/posts/2017/03/gegenstaendliche-erkenntnis-bei-frank.tex
Normal file
294
themes/posts/2017/03/gegenstaendliche-erkenntnis-bei-frank.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,294 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2017-03-15 00:00:00
|
||||
tags: Aufsatz
|
||||
title: Gegenständliche Erkenntnis bei Simon L. Frank
|
||||
teaser:
|
||||
<p>Die so für den gemeinen Menschen merkwürdige Frage nach der Sicherheit menschlicher
|
||||
Erkenntnis wurde im letzten Jahrundert nicht nur durch vielfältige philosophische Spekulationen,
|
||||
sondern auch durch die modernen Naturwissenschaften noch stärker verschärft,
|
||||
wobei philosophische Spekulationen in gewisser Hinsicht wichtiger sind, weil, wenn die
|
||||
Naturwissenschaften mit den Sinnesdaten arbeiten und die Existenz der Außenwelt einfach voraussetzen,
|
||||
der Philosoph keine solche Voraussetzungen machen darf. Er steigt eine Ebene tiefer ein und fragt, ob
|
||||
es überhaupt möglich ist, solche Sinnesdaten zu gewinnen.</p>
|
||||
<p>Unter den zahlreichen Versuchen, dieses erkenntnistheoretische Problem zu entschlüsseln,
|
||||
verdient der Lösungsweg, den Simon L. Frank beschritten hat, eine besondere Aufmerksamkeit.</p>
|
||||
---
|
||||
\section{Einleitung}
|
||||
|
||||
\epigraph{
|
||||
Heiße Magister, heiße Doktor gar,\\
|
||||
Und ziehe schon an die zehen Jahr'\\
|
||||
Herauf, herab und quer und krumm\\
|
||||
Meine Schüler an der Nase herum ---\\
|
||||
Und sehe, daß wir nichts wissen können!
|
||||
}{\textit{Faust I}\\Johann Wolfgang von Goethe\footcite[15]{faust}}
|
||||
|
||||
In der Tat, können wir etwas wissen, etwas erkennen?
|
||||
Seit der Entstehung der Menschheit wunderte man sich über die Welt, die einen umgibt. Man fragte sich, wie die Umwelt
|
||||
funktioniert, was hinter den natürlichen Ereignissen steht, suchte nach Gesetzmäßigkeiten und legte auf diese Weise den
|
||||
ersten Grundstein für das Gebäude der Physik. Dieses Projekt war jedoch anscheinend so komplex, dass manche Philosophen
|
||||
sich wenige Jahrhunderte später die Ansicht aneigneten, dass es überhaupt keine Wahrheit, sondern nur Schein und
|
||||
Täuschung gebe. Durch Grübelei und Diskutieren gelangte man schließlich zum Zentrum seines Daseins, zu seinem Selbst,
|
||||
und stellte sich nun die Frage: „Was bin ich? Habe ich zumindest eine sichere Erkenntnis, dass es mich selbst
|
||||
tatsächlich gibt, oder bin ich auch ein bloßer Schein, eine Selbsttäuschung?“
|
||||
|
||||
Die so für den gemeinen Menschen merkwürdige Frage nach der Sicherheit menschlicher Erkenntnis wurde im letzten Jahrundert
|
||||
nicht nur durch vielfältige philosophische Spekulationen, sondern auch durch die modernen Naturwissenschaften noch
|
||||
stärker verschärft, wobei philosophische Spekulationen in gewisser Hinsicht wichtiger sind, weil, wenn die
|
||||
Naturwissenschaften mit den Sinnesdaten arbeiten und die Existenz der Außenwelt einfach voraussetzen, der Philosoph
|
||||
keine solche Voraussetzungen machen darf. Er steigt eine Ebene tiefer ein und fragt, ob es überhaupt möglich ist,
|
||||
solche Sinnesdaten zu gewinnen.
|
||||
|
||||
Unter den zahlreichen Versuchen, dieses erkenntnistheoretische Problem zu entschlüsseln, verdient der Lösungsweg, den
|
||||
Simon L. Frank beschritten hat, eine besondere Aufmerksamkeit. Bevor ich aber zur Darlegung Franks Erkenntnistheorie
|
||||
übergehe, möchte ich genauer auf die Frage eingehen: Was ist eigentlich so rätselhaft an unserer Erkenntnis?
|
||||
|
||||
\section{Wie weit geht der Zweifel?}
|
||||
Ren\'{e} Descartes, der nach Arthur Schopenhauer „mit Recht für den Vater der neuern
|
||||
Philosophie“\footcite[11]{schopenhauer} gilt, wollte bekanntlich vor allem ein festes Fundament für seine Philosophie
|
||||
legen.\footcite[23f]{discours} Als erste Regel, die ihn von Abgründen des Nichts-Wissens zu wahren Erkenntnissen
|
||||
leiten sollte, war, nichts in sein Wissen aufzunehmen, „als was sich so klar und deutlich darbot, dass
|
||||
ich keinen Anlass hatte, es in Zweifel zu ziehen.“\footcite[33]{discours} Die materielle Welt fiel aus dieser
|
||||
Kategorie gleich aus: Es könnte ja sein, dass ich sie nur träume, dass es sie aber nicht gibt. Das ist das
|
||||
problematische Moment der gegenständlichen Erkenntnis. Sie ist außer uns, aber alles, was wir haben, sind unser Gehirn und
|
||||
unsere Sinnesorgane. Wenn sie uns täuschen, dann haben wir ein völlig verkehrtes Weltbild, ohne das jemals zu merken
|
||||
oder merken zu können.
|
||||
|
||||
Gibt es aber etwas, was nicht bezweifelt werden kann? Descartes bejaht diese Frage:
|
||||
„Aber gleich darauf bemerkte ich, daß, während ich so denken wollte, alles sei falsch, es sich notwendig so verhalten müsse,
|
||||
daß ich, der dies dachte, etwas war.“\footcite[57]{discours}
|
||||
Nun fühlt man festen Boden unter den Füßen. Wenn ich auch an allem zweifeln kann, dann doch nicht daran, dass es
|
||||
mich selbst gibt, dass ich denke und zweifle. Ferner definiert Descartes den Menschen als denkende Substanz,
|
||||
\textit{res cogitans}\footcite[Vgl.][43]{geschichte17-18}, die Wladimir Solowjew seinerseits als
|
||||
„einen unzweifelhaften Mischling“\footnote{\cite[40]{solowjow}. Zur Kritik Descartes denkender Substanz siehe den
|
||||
kompletten ersten Aufsatz aus „Theoretische Philosophie“ im genannten Band.}
|
||||
bezeichnet, weil jener dem Subjekt das zuschreibe, was ihm nicht mit Sicherheit gehöre. Alles Reden über das Ich
|
||||
ist kein Reden über das Ich, sondern das Reden über \textit{Etwas}. Wenn wir über das Subjekt reden, vergegenständlichen
|
||||
wir dieses, machen es zu einem Objekt, was gleichzeitig alle Probleme gegenständlicher Erkenntnis auf das Subjekt
|
||||
überträgt. Descartes weist zum Beispiel darauf hin, dass die Gedankenwelt eines Traumes niemals so evident und vollständig
|
||||
wie diese der Realität sei.\footcite[Vgl.][69-71]{discours} Wie kann man zu diesem Schluss
|
||||
kommen? Man vergleicht das Realitätsbewusstsein mit demjenigen eines Traumes, was allerdings gar nicht in die umgekehrte Richtung
|
||||
geht: Im Traum gelten andere Gesetze, die \textit{in diesem Moment} unvergleichbare Evidenz und Vollständigkeit haben.
|
||||
Wenn ich also eine zweite Realität annehme und ich nur das Produkt eines Traumes eines Anderen bin, dann sind die
|
||||
Gedankengänge meiner Wirklichkeit genauso lächerlich und absurd für die zweite Realität.
|
||||
|
||||
Natürlich gibt es einen Kern, denn ich bin doch etwas (wenn auch nur ein Traumgebild oder ein Produkt der Natur,
|
||||
das sich einbildet, etwas frei denken zu können), aber man kann diesen Kern kaum
|
||||
benennen.
|
||||
Solowjew unterscheidet deswegen zwischen dem reinen und empirischen Subjekt. Jenes ist sicher und
|
||||
unerschütterlich, da es uns auf dem unmittelbarsten Wege gegeben ist,
|
||||
aber leer (wie ein mathematischer Punkt), dieses erfüllt und bunt, weil es die ganze Persönlichkeit
|
||||
enthält, dennoch wackelig und grundlos.\footcite[Vgl.][51]{solowjow} Und so verhält es sich in diesem Model mit allem
|
||||
Sein überhaupt.
|
||||
|
||||
Hiermit stehen dem Skeptizismus alle Türe offen, weil, wenn man das Sein radikal und bis zum Ende, als etwas,
|
||||
was dem Erkennenden gegenüber steht, denkt, das Maximum, was man mit Sicherheit weiß, ist, dass man
|
||||
\textit{in irgendeiner Weise} existiert. Alle anderen Erkenntnisse stehen unter Verdacht, nicht objektiv zu sein.
|
||||
Die große Frage wäre also, ob man diese Kluft zwischen dem Subjekt und Objekt überbrücken kann.
|
||||
|
||||
\section{Zwei Hauptaspekte der Erkenntnislehre}
|
||||
Das von mir oben geschilderte Problem ist als Transzendenzproblem bekannt. Frank unterteilt es in zwei
|
||||
Fragen, wovon eine relativ einfach und in verschiedenen Systemen im Prinzip gelöst, die andere dagegen
|
||||
schwieriger sei und oft außer Acht gelassen werde.\footcite[Vgl.][166f]{frank:problem} Einerseits handelt es
|
||||
sich darum, zu erklären, wie das Subjekt das gegenständliche Sein, also das Transzendente, wirklich erfassen kann.
|
||||
Andererseits stellt sich die Frage: Was bedeutet dieses gegenständliche Sein überhaupt, woher wissen wir, dass es
|
||||
etwas von unserem Bewusstsein Unabhängiges, permanent Existierendes gibt?\footcite[Vgl.][168]{frank:problem}
|
||||
|
||||
Es ist kein Zufall, dass Frank im Bezug auf das Transzendenzproblem nicht nur über unser Verhältnis zum Sein spricht,
|
||||
sondern auch über das Sein selbst, was streng genommen keine Aufgabe der Erkenntnistheorie ist, sondern die der
|
||||
Ontologie. In seinem Aufsatz „Die Krise der modernen Philosophie“ hat Frank darauf hingewiesen, dass Kant
|
||||
(und mit ihm die moderne Philosophie) jeder Ontologie eine Erkenntnistheorie vorgeordnet
|
||||
sieht.\footcite[Vgl.][48]{frank:krise} Das Erkennen geht ja von uns aus. Wir haben ein gewisses Vermögen, das uns
|
||||
ermöglicht, verschiedene Inhalte in uns aufzunehmen. Deswegen ist das Reflektieren über dieses Vermögen das
|
||||
Grundlegendste, was es geben kann. Auch wenn wir über das Sein nachdenken, tun wir das vermittels dieses Vermögens.
|
||||
Es dreht sich also alles um die Bedingung der Möglichkeit der Erkenntnis und die Wissenschaft, die diese Bedingung
|
||||
erforscht, wenn sie tatsächlich gründlich sein will, muss selbst bedingungslos sein, das heißt sich auf keine vorgefasste
|
||||
Ontologie stützen.\footcite[Vgl.][48]{frank:krise} Frank mit seinem scharfen Sinn für das
|
||||
Sein (und nicht nur für die abstrakte Begrifflichkeit) tritt dieser Einstellung entgegen und dreht das Verhältnis
|
||||
von Ontologie und Erkenntnistheorie um: Wird es denn nicht angenommen, dass es einerseits den Erkennenden und
|
||||
andererseits das gegenständliche Sein \textit{gibt}? Die Spaltung
|
||||
in Objekt und Subjekt ist somit nichts Anderes als eine ontologische Voraussetzung. Die Erkenntnistheorie muss zum
|
||||
Bewusstsein kommen, dass sie selbst Ontologie ist und anders gar nicht gedacht werden kann, sie soll „eine offene und
|
||||
richtige Ontologie“ sein und „sich von jenem [\dots] fehlerhaften circulus vitiosus befreien, in dem einzelne,
|
||||
abgeleitete Daten eines begrenzten Seinsgebiets die logische Grundlage für die Beurteilung des seins im ganzen
|
||||
waren.“\footcite[50]{frank:krise}
|
||||
|
||||
Wenn man nun die scheinbare Grenzlinie zwischen dem Subjekt und Objekt aufhebt, gelangt man auch schon zur Lösung
|
||||
des ersten Teils des Transzendenzproblems. Das Bewusstsein ist eben nicht etwas in sich Geschlossenes, das auf eine
|
||||
unbekannte Weise affiziert wird und nur verzerrte Bilder der Wirklichkeit in sich aufnimmt, sondern es steht
|
||||
immer mitten im Sein und richtet seinen Blick auf die Gegenstände. Frank vergleicht den Erkenntnisprozess mit der
|
||||
Wirkung einer Lampe, die aus sich selbst „hinausgeht“ und ihr Licht auf die Dinge wirft. Das menschliche Bewusstsein
|
||||
ist seinem Wesen nach ein Lichtstrahl, der seine Grenzen transzendiert und so seine Umgebung
|
||||
beleuchtet.\footcite[Vgl.][167]{frank:problem}
|
||||
|
||||
\section{Das Transzendente als unmittelbar Gegebenes}
|
||||
Frank gibt sich mit dem Erreichten nicht zufrieden und untersucht genauer, soweit es möglich ist, die Seinsstrukturen
|
||||
und das Interagieren des menschlichen Bewusstseins mit den anderen Teilaspekten des Seins.
|
||||
|
||||
Am Anfang bin ich durch systematischen Zweifel, der bei der objektiven Wirklichkeit ansetzt und zum Innersten
|
||||
des Subjekts führt, zum Ergebnis gelangt, dass es unbedingt etwas geben muss. Man kann nur dieses „Etwas“ nicht
|
||||
als res cogitans oder mit einem anderen Begriff bezeichnen, was gleichsam Vergegenständlichung bedeuten würde. Es
|
||||
entkommt jeder Definition. Es ist ein Punkt, etwas unendlich Kleines, weil es nichts Definierbares in sich enthält
|
||||
und unendlich Großes, weil es nichts außer sich selbst kennt. Man kann auch nicht von Dauer sprechen.
|
||||
Die Vergangenheit und die Zukunft sind uns nicht unmittelbar gegeben. Die Zukunft gibt es im Moment noch gar nicht
|
||||
und seine Vergangenheit kann man rekonstruiren, auch wenn diese Rekonstruktion nicht im Geringsten der Wahrheit
|
||||
entspricht, ohne dabei die Absicht zu lügen zu haben\footnote{Juristen sind so genannte
|
||||
\textit{Knallzeugen} bekannt, die vor Gericht in allen Einzelheiten etwas beschreiben können, was sie gar nicht
|
||||
gesehen haben, sondern erst im Moment des Ereignisses (beispielsweise eines Autounfalls) darauf aufmerksam geworden
|
||||
sind. Die Widersprüchlichkeit seiner Aussagen wird so einem Zeugen nicht
|
||||
bewusst. \cite[Vgl.][17]{psyche}}. Es lebt nur in diesem konkreten Moment. Es wäre ein Nichts, wenn es nicht
|
||||
ein „Etwas“ wäre, „es ist ein \textit{Sein} schlechthin“\footcite[178]{frank:problem}. Es ist primär und
|
||||
unmittelbar evident. Alles Andere, Denken, Bewusstsein, sind im Vergleich dazu sekundär, sie müssen ja erst
|
||||
\textit{sein}, also an einem Sein teilhaben. Frank betont nochmal ausdrücklich, dass das Subjekt kein Träger vom
|
||||
Sein ist, sondern, dass es das Getragene ist, es haftet selbst am Sein, dass alles in sich
|
||||
vereinigt\footcite[Vgl.][178]{frank:problem}.
|
||||
|
||||
Es ist also gelungen, etwas Evidentes, Unleugbares zu finden, und es annähernd zu beschreiben. Es scheint jedoch zu
|
||||
sein, dass man an dieser Stelle auch bleiben muss, weil es sich nichts mehr findet, was genauso selbstevident und dem
|
||||
Menschen unmittelbar gegeben wäre. Im nächsten Schritt kritisiert Frank aber die Meinung, dass die
|
||||
Selbstevidenz, unmittelbare Gegebenheit und Immanenz unbedingt zusammenfallen. Es ist überhaupt ein Merkmal unseres
|
||||
Denkens, dass wir ein Ding nie einzeln denken können. Was ist zum Beispiel die Gegenwart? Die Gegenwart wird als eine
|
||||
Grenzlinie zwischen Vergangenheit und Zukunft vorgestellt. Genauso kann man nur auf dem Hintergrund dessen, was
|
||||
die Gegenwart ist, verstehen, was die Zukunft ist. Dasselbe gilt selbstverständlich auch für die Vergangenheit. Alle
|
||||
drei Begriffe stehen
|
||||
in einer Relation zueinander und können unabhängig voneinander gar nicht gedacht werden. Wenn es keine Zukunft und
|
||||
keine Vergangenheit gegeben hätte, dann hätte man auch keine Vorstellung von der Gegenwart. Wenn man genauer hinschaut,
|
||||
dann erblickt man, dass es sich ähnlich auch mit allen anderen Dingen verhält, auch mit räumlichen Gegenständen. Wenn
|
||||
ich einen roten Fleck sehe und sage, dass der Fleck rot ist, bringe ich ihn in Beziehung mit allen anderen Gegenständen,
|
||||
die vielleicht grün, schwarz oder weiß sind. Wie hätte ich die Röte wahrnehmen können, wenn es keine anderen Farben
|
||||
gegeben hätte?\footcite[Vgl.][26f]{ehlen:frank-intro}
|
||||
|
||||
Zu einem Inhalt A kommt notwendig ein anderer Inhalt, non-A, hinzu, der dem A nicht immanent, sondern
|
||||
transzendent ist und mit ihm in einer Verbindung steht. Nicht nur Immanentes ist uns evident und unmittelbar gegeben,
|
||||
es ist nicht mal das Primäre, weil es nur im Zusammenhang mit dem Transzendenten gedacht werden kann, als Teil eines
|
||||
Ganzen, das folglich auch \textit{ist}. Dieses non-A ist kein Gegenstand unserer Erkenntnis in dieser Sekunde,
|
||||
weil unser Blick auf den Inhalt A gerichtet ist, non-A ist uns verborgen,
|
||||
aber trotzdem als solches gegeben.\footcite[Vgl.][179ff]{frank:problem} Demzufolge kann man auch das
|
||||
Sein nicht als einen nur in diesem Moment existierenden, mathematischen Punkt deuten. Dieser Moment setzt einen anderen
|
||||
voraus und ein Punkt setzt eine unendliche Seinsfülle voraus, der er zugehört.
|
||||
|
||||
Das ist die Antwort, die Frank auf die zweite Teilfrage des Transzendenzproblems gibt. Es gibt Sein, das nicht
|
||||
gegenständlich ist, sondern das eine Einheit vom Subjekt und dem gegenständlichen Sein darstellt. Alles, was ist,
|
||||
partizipiert an ihm, wodurch eine Verbindung zwischen den Teilen des Seins, zwischen Subjekt und Objekt
|
||||
gewährleistet wird.
|
||||
|
||||
\section{Das mitgedachte Unbekannte}
|
||||
Das Moment des Unbekannten, des Verborgenen spielt auch eine große Rolle im Erkenntnisprozess. Frank untersucht ein
|
||||
synthetisches Urteil der Form „S ist P“. Wenn S als eine Begriffsbestimmtheit gedacht wird, kann S nach
|
||||
dem Widerspruchsprinzip kein P sein, weil S ein S ist. Wenn man „S ist P“ sagt, meint man dann wohl etwas Anderes.
|
||||
„Unter S wird aber tatsächlich zweierlei zugleich gedacht: einerseits eine Begriffsbestimmtheit A, die sich eben mit
|
||||
der Bestimmtheit B, die das Wesen des Prädikats ausmacht, verbindet [\dots]“.\footcite[170]{frank:problem}
|
||||
Andererseits hat unsere Erkenntnis nur Sinn, wenn sie auf etwas Unbekanntes ausgerichtet ist, und es ist, wie es oben
|
||||
gezeigt wurde, tatsächlich so, dass das Unbekannte immer mitgedacht wird.
|
||||
„Wäre die Realität auf das jeweils Erkannte beschränkt,
|
||||
würde fortschreitendes Erkennen darin bestehen, daß ein neuer Wissensinhalt den anderen ablöst. Dieser Vorgang [\dots]
|
||||
würde der Dynamik des Erkenntnisvorgangs nicht entsprechen.“\footcite[25]{ehlen:frank-intro} Also muss S auch
|
||||
etwas Unbestimmtes enthalten, es ist das überbegriffliche Ganze, in dem wir im Urteil die Bestimmtheit B erkennen.
|
||||
Frank schließt daraus, dass die eigentliche Form des Urteils \mbox{AX = B} sei\footcite[Vgl.][171]{frank:problem}.
|
||||
Wobei dieses X nicht etwas an sich
|
||||
Unerkennbares ist, Frank bezeichnet es mit dem Wort „Bestimmtheitskomplex“\footcite[171]{frank:problem}. Dieser
|
||||
Komplex ist unabhängig von uns vorhanden und bestimmt, aber nicht von uns erkannt. Bei der Erkenntnis hat man nicht
|
||||
nur mit den Erkenntnisinhalten zu tun, sondern auch mit dem Unbekannten, mit der Inhaltsfülle des Gegenstandes
|
||||
selbst. Die Zweieinheit von Subjekt und Prädikat im Urteil kann nicht zufällig sein und ist nicht sekundär,
|
||||
weil es dann schwer zu erklären wäre, wie es überhaupt zu dieser Kopula kommt,\footcite[Vgl.][170]{frank:problem}
|
||||
muss also im Sein verankert sein und die Einheit vom Gegenstand und dem Erkenntnisinhalt widerspiegeln.
|
||||
|
||||
\section{Intuitive und begriffliche Erkenntnis}
|
||||
Die nächste Frage, der Frank sich widmet, ist, wie dieses Abbilden des Gegenstandes, also dieses Gewinnen des
|
||||
Erkenntnisinhaltes, überhaupt möglich ist, weil man den Erkenntnisinhalt nicht mit dem Inhalt des Gegenstandes selbst
|
||||
verwechseln darf. Unsere Urteile können auch falsch sein. Der Wahrheitswert unserer Erkenntnisse wird auf irgendeine
|
||||
Weise am Inhalt des Gegenstandes gemessen. Um ein Abbild zu machen, muss man aber den Gegenstand bereits
|
||||
besitzen, was jedoch zufolge hätte,
|
||||
dass ein Abbild überflüssig wäre, und wenn man ihn nicht besitzt, dann ist es einfach nicht möglich so ein
|
||||
Abbild anzufertigen, weil man das Original nicht hat.\footcite[Vgl.][193]{frank:meta}
|
||||
|
||||
Als Ausgangspunkt nimmt Frank das Schlussprinzip (A $\Rightarrow$ B) und die logische Regel modus ponens
|
||||
(A $\Rightarrow$ B; nun ist A, also ist auch B), weil es dem Vorgehen unserer Erkenntnis entspricht:
|
||||
Aus einem bereits bekannten A wird B gefolgert. Die Überlegungen, die Frank hier anstellt, sind im Wesentlichen
|
||||
ähnlich der Untersuchung des synthetischen Urteils der Form „A ist B“. A ist eben A und kann keine „Informationen“
|
||||
über B enthalten, also muss es eine primäre Einheit AB geben, die die Möglichkeit des Schlusses begründet. Die
|
||||
Schlussfolgerung darf aber in diesem Fall nicht als eine Summe von A und B gedacht werden, sonst wäre es keine
|
||||
wirkliche Schlussfolgerung, sondern die beiden Teile würden uns unmittelbar gegeben. Das Ganze ist in diesem Fall
|
||||
viel mehr eine Potenz, sodass die Bestimmtheit A sich zunächst auskristallisiert und danach aus dem vom Ganzen
|
||||
gebliebenen Rest B gebildet wird.\footcite[Vgl.][194-197]{frank:meta}
|
||||
|
||||
Da es unendlich viele Bestimmtheiten gibt, muss es einen Bereich geben, der alles Gedachte und Erkennbare überhaupt
|
||||
umfasst. Allerdings können die logischen Denkgesetze (Kategorie der Identität und Unterschiedes, der Satz des
|
||||
ausgeschlossenen Dritten) nicht als Verbindungsglied zwischen den als fertig gegeben gedachten Bestimmtheiten
|
||||
gedacht werden. Das führt zu Tautologien und Widersprüchen. Biespielsweise besagt die Identität, dass
|
||||
\mbox{A = A} ist, wobei die Identität das Vorhandensein eines
|
||||
zweiten A eigentlich ausschließt. Der Satz des ausgeschlossenen Dritten besagt: Alles Denkbare ist entweder A oder non-A und ein
|
||||
Drittes ist nicht gegeben. „Alles Denkbare“ ist aber ein Drittes, weil es sowohl A als auch non-A enthalten
|
||||
kann. Und die Möglichkeit dieses Dritten wird im Satz geleugnet. Wäre ein Drittes in der Tat ausgechlossen, wäre der
|
||||
Satz gar nicht denkbar, weil „alles Denkbare“ nur eins von beidem wäre.\footcite[Vgl.][198]{frank:meta} Dagegen
|
||||
sind die Denkgesetze die Möglichkeitsbedingungen, „auf Grund deren die begriffliche Bestimmtheit überhaupt (also
|
||||
ein A und ein non-A) erst entsteht.“\footcite[Vgl.][198f]{frank:meta} So wird alles Denkbare zunächst als eine
|
||||
Einheit gedacht (Identitätsprinzip), dann wird von allem Anderen abgehoben (Underschiedsprinzip) so, dass es sich
|
||||
„eindeutig als ein »Solches«, ein genau bestimmtes, einzigartiges »Quale«
|
||||
konstituiert“\footcite[199]{frank:meta} (Satz des ausgeschlossenen Dritten).
|
||||
|
||||
Hier nähern wir uns einem Gebiet an, das nicht nach logischen Gesetzmäßigkeiten funktoniert, sondern sie erst
|
||||
begründet. Dieses Gebiet ist deswegen \textit{metalogisch}. Frank bezeichnet darum die Beziehung zwischen der primären
|
||||
Einheit und dem System der Bestimmtheiten als „metalogische Ähnlichkeit“\footcite[200]{frank:meta}, sie haben die
|
||||
gleichen Inhalte, aber unterschiedliche Seinsgrade. Aus dem Vorhandensein dieser zwei Ebenen, die das Sein jeweils
|
||||
auf eigene Art und Weise abbilden, leitet Frank die Existenz auch einer zweiten Erkenntnisart, ab, der
|
||||
intuitiven Erkenntnis, die grundlegend für die begriffliche ist, da die erstere das Material für
|
||||
die letztere aus der überbegrifflichen Alleinheit liefert.\footcite[Vgl.][201]{frank:meta}
|
||||
|
||||
Die intuitive Erkenntnis hat das Erlebnis zu ihrem Ansatzpunkt. Das Erlebte ist zunächst ein X, etwas vollkommen
|
||||
Unbekanntes und es wird nicht nur durch das Gehalt dieses Erlebnisses bestimmt, sondern dieses Unbekannte wird
|
||||
in einem Zusammenhang mit dem Ganzen des Seins erkannt, als dessen Teilmoment, was objektive
|
||||
Erkenntnis möglich macht, weil dieses Ganze keine amorphe Masse ist, sondern „konkrete Einheit der
|
||||
Mannigfaltigkeit“\footcite[203]{frank:meta}. Die intuitive Erkenntnis dient nicht nur als Grundlage für die
|
||||
begriffliche Erkenntnis, sondern sie ist auch dem Gegenstand selbst mehr adäquat, weil
|
||||
die Teilaspekte des Seins intuitiv als ein Ganzes gefasst werden, was der Einheit des Seins mehr entspricht. Die
|
||||
Entsprechung ist aber wiederum kein Original. Man könnte unsere Erkenntnis (jeder Art) mit einem malerischen Werk
|
||||
vergleichen. Man kann eine Gegend sehr gut auf einem Blatt Papier darstellen, die Deminsionen können anhand bestimmter
|
||||
Techniken nachgemacht werden, sie sind aber trotzdem nicht da, sondern nur in der Natur selbst. Dazu muss noch gesagt
|
||||
werden, dass ein Kunstwerk natürlich zeitlos ist, ihm fehlt der Atem, der die lebendige Natur bis in die letzte Tiefe
|
||||
durchdringt.\footcite[Vgl.][210f]{frank:meta}
|
||||
|
||||
Im Gegensatz zur intuitiven Erkenntnisweise hat die begriffliche Erkenntnis einen
|
||||
negativen Charakter, weil A durch die Verneinung alles Anderen bestimmt wird, A steht immer in einer Relation zu non-A,
|
||||
welches als „der unendliche dunkle Rest“\footcite[205]{frank:meta} übrig bleibt. Eine Bestimmtheit A ist immer
|
||||
eine Abspaltung, eine gewisse Verarmung im Vergleich zur primären Einheit „A + non-A“ und trotzdem verliert die
|
||||
begriffliche Erkenntnis nicht an Bedeutung. Zwar ist sie relativ „tot“, sie greift Daten aus der Seinsfülle
|
||||
heraus und macht sie zu einem starren System, doch ist das
|
||||
menschliche Intuitionsvermögen auch nicht im Stande das Sein in seinem ganzen Umfang zu fassen. Beide
|
||||
Erkenntnisarten vervollsändigen einander. Die begriffliche Erkenntnis hilft das Sein auseinanderzunehmen und
|
||||
auf diese Weise es genauer zu untersuchen. Nur die Kooperation der beiden Erkenntnisarten macht es möglich die
|
||||
Mannigfaltigkeit und die Einheit des Seins für den erkennenden Menschen in ein Gleichgewicht zu
|
||||
bringen.\footcite[Vgl.][206]{frank:meta}
|
||||
|
||||
\section{Wissendes Erleben}
|
||||
Simon Frank hat uns ziemlich nah an das Sein herangeführt (genauer gesagt an die bewusste Schau des Seins). Und doch
|
||||
ist dieses Sein vor unseren Augen unbeweglich, grob, blass. Frank führt das Beispiel eines Apfels an, dessen Begriff
|
||||
oder das vollkommenste intuitive Erfassen uns jedoch nicht sättigen können.\footcite[Vgl.][210]{frank:meta} Der
|
||||
Unterschied zwischen einem Apfel als Gegenstand und einem Begriff ist die „Idealität“, die Frank mit der
|
||||
Zeitlosigkeit, die ich bereits kurz angesprochen habe, gleichsetzt. Hier kehren wir wieder zum Anfang, da wo ich
|
||||
im Zusammenhang mit dem Zweifel geschrieben habe, dass alles, was zum \textit{Gegenstand} menschliches Denkens (oder
|
||||
auch intuitives Anschauens) werden kann, wird vergegenständlicht, „[a]us dem zeitlichen Geschehen wird dadurch
|
||||
\textit{eine ewig-unbewegliche Wahrheit}“\footcite[211]{frank:meta}. Das gilt sowohl für abstraktes Denken als auch
|
||||
für normales Geschehen. Dieses Zeitlose kann nicht das Primäre sein aus dem einfachen Grund, dass das Zeitlose immer
|
||||
in einer Relation mit dem Zeitlichen steht. Das wahre Absolute ist nicht relativ zu etwas, es schließt Relatives ein,
|
||||
ohne es aufzulösen. Es kann auch nicht zeitlos sein, sondern überzeitlich. Erst aus dem Überzeitlichen entwickeln sich
|
||||
diese zwei Gegensätze: Zeitloses und Zeitliches.\footcite[Vgl.][213]{frank:meta}
|
||||
|
||||
Gibt es eine Möglichkeit den „Apfel des Seins“ nicht nur begrifflich zu erkennen und intutiv anzuschauen, sondern ihn
|
||||
auch zu kosten? Jede gegenständliche Erkenntnis ist nur ein Abbild, das deswegen nicht dem Gegenstand selbst
|
||||
adäquat ist, sondern höchstens etwas über ihn sagt. Frank wählt für diesen Fall den Begriff
|
||||
„cognitio \textit{circa rem}“ anstatt von „cognitio \mbox{\textit{rei}\hspace{0.02cm}“\footcite[217]{frank:meta}.}
|
||||
Wenn ein Lebewesen in sich tatsächlich geschlossen wäre, wäre eine wahre Erkenntnis in der Tat nicht möglich, weil man
|
||||
sich dann nur mit Abbildungen der Wirklichkeit begnügen sollte. Es wurde jedoch gezeigt, dass der Mensch auf diese
|
||||
Weise nicht denkbar ist. Er ist vielmehr --- wie alles andere Seiende auch --- vom Sein durchdrungen. Der Mensch
|
||||
geht über sich hinaus, weil in ihm sich das manifistiert, was weit über die Grenzen seines eigenen menschlichen Wesens
|
||||
fließt und die ganze Realität mit sich füllt. Die Erfahrung der Manifestation des Seins in uns macht man im Erleben,
|
||||
das immer ein wissendes Erleben ist. Frank macht an dieser Stelle eine strenge Unterscheidung zwsichen der dunklen
|
||||
Irrationalität des unmittelbaren Lebens und der \textit{über}rationalen Fülle der Lebensintuition, die „helles inneres
|
||||
Erleuchten“\footcite[Vgl.][219]{frank:meta} ist.
|
||||
|
||||
In ihm, im Erleben, in dem das Sein sich selbst uns offenbart,
|
||||
wurzelt die intuitive Erkenntnis und allein dadurch wird die gegenständliche Erkenntnis möglich.
|
||||
|
||||
\section{Literaturverzeichnis}
|
@@ -0,0 +1,223 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2017-04-12 00:00:00
|
||||
tags: Aufsatz
|
||||
title: Herausforderungen der Technikphilosophie
|
||||
teaser:
|
||||
<p>Eines der wichtigsten Merkmale unserer Zeit ist die Technisierung vieler Bereiche unseres
|
||||
alltäglichen Lebens. „Das technische Zeitalter“ kann man über unsere Tage sagen hören.
|
||||
Doch, was jene Technisierung kennzeichnet, ist nicht so sehr die Technik selbst, sondern
|
||||
die rasche Entwicklung derjenigen. Als solche ist die Technik nichts Neues, wenn auch
|
||||
die Technik des letzten Jahrhunderts ganz anderer Art, als das, was man vorher kannte.
|
||||
Es gibt sie dennoch mehr als hundert Jahre, vielleicht gab es sie schon immer. Vielleicht
|
||||
ist die Fähigkeit aus der Natur Erkenntnisse zu gewinnen und dann anhand derer etwas
|
||||
zu erfinden, etwas was einen Menschen eigentlich ausmacht.</p>
|
||||
|
||||
<p>Wenn man über das technische Zeitalter spricht, ist diese Aussage nicht unbedingt
|
||||
wertneutral. Der zügellose technische Fortschritt hatte zur Folge, dass er viel
|
||||
Aufmerksamkeit in der Gesellschaft auf sich gelenkt hat, worüber man sich auch kaum wundern
|
||||
kann, weil wir heute in so vielerlei Hinsicht auf die Technik angewiesen sind.</p>
|
||||
|
||||
<p>Desto interessanter wird es, über die Technik und Technisierung nachzudenken. Was
|
||||
ist sie nun? Ist sie etwas Gutes, was uns weiterbringt und uns mehr Macht über die
|
||||
Natur beschert? Ist sie etwas Schlechtes, was den Menschen jeden Tag immer mehr von
|
||||
ihr abhängig und hilfslos macht?</p>
|
||||
---
|
||||
Eines der wichtigsten Merkmale unserer Zeit ist die Technisierung vieler Bereiche unseres alltäglichen
|
||||
Lebens. „Das technische Zeitalter“ kann man über unsere Tage sagen hören. Doch, was jene
|
||||
Technisierung kennzeichnet, ist nicht so sehr die Technik selbst, sondern die rasche Entwicklung
|
||||
derjenigen. Als solche ist die Technik nichts Neues, wenn auch die Technik des letzten Jahrhunderts
|
||||
ganz anderer Art, als das, was man vorher kannte. Es gibt sie dennoch mehr als hundert Jahre, vielleicht
|
||||
gab es sie schon immer. Vielleicht ist die Fähigkeit aus der Natur Erkenntnisse zu gewinnen und dann
|
||||
anhand derer etwas zu erfinden, etwas was einen Menschen eigentlich ausmacht.
|
||||
|
||||
Wenn man über das technische Zeitalter spricht, ist diese Aussage nicht unbedingt wertneutral.
|
||||
Der zügellose technische Fortschritt hatte zur Folge, dass er viel Aufmerksamkeit in der Gesellschaft
|
||||
auf sich gelenkt hat, worüber man sich auch kaum wundern kann, weil wir heute in so vielerlei Hinsicht
|
||||
auf die Technik angewiesen sind.
|
||||
|
||||
Desto interessanter wird es, über die Technik und Technisierung nachzudenken. Was ist sie nun?
|
||||
Ist sie etwas Gutes, was uns weiterbringt und uns mehr Macht über die Natur beschert? Ist sie
|
||||
etwas Schlechtes, was den Menschen jeden Tag immer mehr von ihr abhängig und hilfslos macht?
|
||||
|
||||
Ich habe vorher schon angedeutet, dass die Technik auch als etwas genuin Menschliches verstanden
|
||||
werden kann. Dann wäre die Frage nach der Technik einer ganz anderen Dimension zuzuordnen. Es
|
||||
wäre kein bloß moralisches Problem, also ob die Technik gut oder schlecht an sich sein kann, zu welchen
|
||||
Zwecken sie eingesetzt werden darf und ob jeder Zweck das Mittel rechtfertigt; keine Frage der
|
||||
politischen Zugehörigkeit oder der persönlichen Einstellung, ob man bestimmte Technologien
|
||||
befürwortet oder nicht und ob man an den hellen Morgen glaubt oder eher diesbezüglich pessimistisch
|
||||
ist. Es wäre vielmehr eine philosophische Fragestellung, weil es vor allem die Philosophie ist, die
|
||||
nach der Washeit der Dinge und der Möglichkeitsbedingungen fragt: Was ist der Mensch? Was macht einen
|
||||
Menschen aus? Was ist und warum eigentlich Technik, was macht sie möglich?
|
||||
|
||||
Die philosophische Natur ist auch aus einer anderen Überlegung einsehbar. Und zwar sind viele Fragen,
|
||||
die mit der Technik verbunden sind, gar nicht durch das technische Denken selbst beantwortbar, sondern
|
||||
bedürfen einer Reflexion, die über das Technische hinausgeht. Selbst wenn jemand behaupten würde, dass die
|
||||
Technik nur aus sich heraus erklärt werden könne und müsse und keine weitere Rechtfertigung oder Würdigung
|
||||
nötig habe, wäre das eine Behautpung, die die Grenzen des Technischen überschreitet.
|
||||
|
||||
Im Folgenden will ich andeuten, welche Fragestellungen und Probleme das Eintreten des Technischen in unser Leben
|
||||
mit sich bringt. Mir geht es nicht darum, die Antworten auf bestimmte Fragen zu geben, sondern auf die
|
||||
Spannungsfelder zu verweisen, die sich eröffnen, wenn man über das Technische nachdenkt, und so zu zeigen, dass es
|
||||
sich dabei eigentlich um Philosophie handelt.
|
||||
|
||||
\section{Kunst oder Mittel zum Zweck}
|
||||
|
||||
Zunächst stellt sich die Frage nach dem Wesen und dem Ursprung des Technischen. Unter Technik verstehen
|
||||
wir bestimmte Arten von Menschenwerk, aber was lässt sich über den Status dieses Werks sagen? Hier gibt es
|
||||
zwei entgegengesetzte Extreme: Man kann die Technik als die Folge des menschlichen zweckrationalen Handelns
|
||||
, das heißt als Mittel zu einem bestimmten Zweck, oder als ein Kunstwerk verstehen. Das Verständnis von
|
||||
Technik würde sich dann aus dem zweckrationalen Handeln und der schöpferischen Kraft zusammensetzen, wobei man deren Rolle
|
||||
unterschiedlich gewichten kann.
|
||||
|
||||
Was kann der Zweck der Technik sein? Wenn man einen möglichst allgemeinen Zweck nennen will, der auf möglichst viele
|
||||
oder im besten Fall auf alle technischen Erfindungen zutrifft, dann würde ich das Bezwingen der Natur vorschlagen.
|
||||
Die Technik kam in die Welt, um die Bürde der Arbeit leichter zu machen. Man kann vieles schneller und
|
||||
qualitativ besser erledigen, wenn man passende Instrumente zur Hand hat. Es ging natürlich viel weiter, als nur
|
||||
eigenes Überleben auf diese Weise zu sichern. Hier tritt der Begriff Luxus in Erscheinung: Man produziert
|
||||
Gegenstände, die nicht unmittelbar notwendig sind. Es geht dann so weit, dass man im Zusammenhang mit der
|
||||
Marktwirtschaft vom Produzieren der Bedürfnisse spricht.
|
||||
|
||||
Kunst kann man in einer gewissen Hinsicht der Zweckrationalität entgegenstellen. So spricht Kant von
|
||||
ästhetischen Urteilen als dem Wohlgefallen ohne alles Interesse\autocite[Vgl.][49]{kant:ku}:
|
||||
„Wir können aber diesen Satz, der von vorzüglicher Erheblichkeit ist, nicht besser erläutern,
|
||||
als wenn wir dem reinen uninteressierten Wohlgefallen im
|
||||
Geschmacksurteile dasjenige, was mit Interesse verbunden ist, entgegensetzen [\dots]“\autocite[50]{kant:ku}.
|
||||
Bei der Einführung der Technik spricht man oft von einer technischen \textit{Erfindung}. Nun, wenn man
|
||||
nicht gerade ein ideales Reich der Ideen, wo alle technischen Erfindungen bereits realisiert sind,
|
||||
annimmt\autocite[Vgl.][59f]{ropohl:aufklaerung}, enthält die Technik eine künstliche Dimension, in der
|
||||
die schöpferische Kraft des Menschen etwas Neues erfindet.
|
||||
|
||||
Nun es hat Konsequenzen, ob man die Technik mehr als Mittel zum Zweck oder Kunst versteht. Das Erfinden ist
|
||||
meines Erachtens ein wichtiger Bestandteil dessen, was die menschliche Freiheit konstituiert, und man versucht
|
||||
diesen Bereich heute möglichst wenig zu zensieren, sondern es dem Menschen zu überlassen, sich auf seine
|
||||
eigene Weise auszudrücken. Aber \textit{darf} man auch im technischen Sinne alles erfinden, was man erfinden
|
||||
\textit{kann}?
|
||||
|
||||
\section{Erhöhung der Lebensqualität oder Zerstörung}
|
||||
|
||||
Ein Leben ohne technische Geräte im Haushalt ist kaum vorstellbar. Elektrische Geräte, Wasserversorgung,
|
||||
Computer, Telefone gehören zum Alltag. Selbst die allgemeine Zugänglichkeit der Gegenstände, die wir
|
||||
normalerweise nicht als Technik bezeichnen würden, wie zum Beispiel Bücher, verdanken wir dem heutigen
|
||||
Stand der Technik. Nicht anders ist es im beruflichen Umfeld. Auch die moderne Wissenschaft und Forschung
|
||||
sind von Teilchenbeschleunigern und Supercomputern abhängig.
|
||||
|
||||
Technische Erfindungen bringen uns Komfort, erhöhen unsere Leistung, ermöglichen neue Arten von
|
||||
Kommunikation. Das hat allerdings auch eine andere Seite. Die Möglichkeiten, die die moderne Entwicklung
|
||||
mit sich bringt, birgt viele Gefahren und versetzt wohl viele Menschen in Schrecken, was aus der
|
||||
zahlreichen Kritik an der Technik zu sehen ist. Man denke nur an den Kalten Krieg oder an die
|
||||
Atomkatastrophen der letzten Jahrzehnte: Tschernobyl und Fukushima, die zu vielen Protesten gegen die
|
||||
Verwendung von Atomenergie geführt haben. Hans Blumenberg spricht in diesem Zusammenhang sogar von der
|
||||
„Dämonie der Technik“\autocite[Vgl.][11]{blumenberg:schriften-technik}.
|
||||
|
||||
Andererseits, wenn man die Entwicklung der Energie verfolgt, so führen Streike und Proteste in der
|
||||
Gesellschaft nicht zu einem Rückschritt, nicht zur Abweisung der Atomenergie, sondern zur Suche nach
|
||||
alternativen Lösungen. Man forscht weiter und schaut, ob man andere Energiequellen finden kann, die
|
||||
die vorhandenen zumindest teilweise ersetzen können, ohne an Leistung zu verlieren. Das heißt, man sehnt
|
||||
sich nicht nach der „Rückkehr zu Natur“, sondern man sucht
|
||||
nach \textit{technischen} Lösungen für die \textit{technischen} Probleme. Das kann zu einem Zirkel führen,
|
||||
aus dem man vielleicht nicht rauskommen kann: Die vorhandene Technik motiviert zu Entwicklung anderer
|
||||
Alternativen, die mit der Zeit wiederum Schwächen aufweisen, die wieder technisch ausgeglichen werden müssen
|
||||
und so weiter. Ich denke, man hofft irgendwann ans Ende zu kommen und eine perfekte Lösung zu finden, die keine
|
||||
beweinenswerten „Nebeneffekte“ hat. Die Frage, die der Mensch sich heute zu stellen hat, ist
|
||||
natürlich: Wird es denn irgendwann so sein? Oder ist es nur ein Selbstbetrug und eitle Hoffnung?
|
||||
Die Antwort, die jeder Mensch auf diese Frage gibt, ist von entscheidender Bedeutung für das Verhältnis des
|
||||
Menschen zur Natur. Und die Frage selbst ist kaum eine wissenschaftliche Frage, sondern
|
||||
vielmehr eine ethische und philosophische.
|
||||
|
||||
Interessant ist, welche radikale Stellung Günter Ropohl nimmt. Er schreibt über ein anderes modernes Problem,
|
||||
das in dem Verhältnis des Menschen und der Technik und Natur ihren Ursprung hat: das ökologische Problem.
|
||||
Er sieht die Lösung, wie ich oben beschrieben habe, in der weiteren technischen Entwicklung, die nicht nur
|
||||
zu einer Ausbeutung der Natur für die Menschenzwecke führt, sondern die Natur unter Schutz mit Hilfe der Technik
|
||||
nimmt, ganz in dem Sinne des Gartens Eden, den der erste Mensch zu pflegen und zu schützen gehabt habe, und
|
||||
schreibt Folgendes:
|
||||
|
||||
\begin{quote}
|
||||
Wenn die Gattung Mensch die nunmehr gebotene ökotechnologische Wende nicht vollzieht, wird sie gemäß
|
||||
ökologischen Prinzipien über kurz oder lang eliminiert werden; dann und nur dann wird es wieder Natur geben.
|
||||
Wenn jedoch die Menschen die Hege und Pflege des irdischen Ökosystems mit der erforderlichen Konsequenz
|
||||
vervollkommen, so bedeutet dies nicht mehr und nicht weniger als das Ende der Natur.\autocite[71]{ropohl:aufklaerung}
|
||||
\end{quote}
|
||||
|
||||
\section{Befreieung oder Versklavung}
|
||||
|
||||
Der Satz im vorherigen Abschnitt, dass die Technik die Entwicklung weiterer Technik
|
||||
\textit{motivieren} kann, hat eine interessante Struktur. Die Technik wird hier \textit{personifiziert},
|
||||
einem unbelebten Gegenstand, einer unbelebten Struktur wird aktives Handeln zugeschrieben. Kann ein Messer
|
||||
oder ein Handy handeln? Aber das ist eben das, was wir in der letzten Zeit beobachten. Die Technik hat
|
||||
eine gewisse Autonomie, Eigentendenz.
|
||||
|
||||
Die Technik hat schon im Laufe ihrer gesamten Geschichte geholfen, den Menschen von schwerer Arbeit zu
|
||||
befreien, dem Menschen ein würdiges Dasein zu gewährleisten. Die Folgen davon kann man in heutiger Zeit
|
||||
gut beobachten. In den entwickelten Ländern müssen relativ wenige Mensche schwere Arbeiten ausführen, vieles
|
||||
kann von Maschinen teilweise oder vollständig übernommen werden. Und selbst, wenn die Maschine von mehreren
|
||||
Menschen gesteuert werden muss, ist eine ganze andere Art der Arbeit, als die Tätigkeit selbst auszuführen.
|
||||
|
||||
Kann man das aber nicht so hinstellen, dass während der Mensch von schwerer Arbeit befreit wird, er von
|
||||
seinem Befreier abhängig wird? Und das ist nicht nur in dem Sinne, dass wir Instrumente verwenden, die
|
||||
unser Leben erleichtern, dass wir gewissermaßen unserer Freiheit beraubt werden. Moderne Gesellschaft kennt
|
||||
neue Arten von Sucht, wie zum Beispiel Spielsucht. Man hört Beschwerden über die jungen Leute, die die
|
||||
ganze Zeit nur in ihr Handy starren, und keinerlei „reale“ Kontakte mehr haben (wobei ich
|
||||
mich einer Meinung enthalten möchte, ob solche Beschwerden gerechtfertigt sind). Aber selbst,
|
||||
wenn man von der individuellen Ebene absieht, schreibt Hans Blumenberg über „eine spezifische
|
||||
Eigengesetzlichkeit“ eines Machtmittels wie Atomkraft\autocite[Vgl.][13]{blumenberg:schriften-technik}:
|
||||
„So wie das technische Gebrauchsprodukt Bedarf zu erzeugen vermag, so schafft das technische Machtmittel
|
||||
mit eigenartiger Automatie auslösende Situationen.“\autocite[13]{blumenberg:schriften-technik}
|
||||
|
||||
Hier stellt sich die Frage, ob ein Messer tatsächlich einen neutralen ethischen Wert hat, und es nur auf den
|
||||
Menschen ankommt der ihn verwendet, ob er damit nur das Brot schneidet oder noch für andere Zwecke einsetzt,
|
||||
oder ob ein Messer einen immanenten Wert hat, der zu dessen Benutzung nicht nur für gute Zwecke
|
||||
herausfordert.
|
||||
|
||||
\section{Gleichheit oder Zerspaltung}
|
||||
|
||||
Ein weiteres von der Technik verfolgtes Ziel ist, die Kluft zwischen sozialen Schichten der
|
||||
Gesellschaft geringer zu machen. Technische Mittel ermöglichen es, verschiedene Artefakte für
|
||||
alle Menschen zugänglich zu machen. Zum Beispiel der Buchdruck hat dazu geführt, dass die
|
||||
Produktionskosten von Büchern stark gesunken sind, und viel mehr Menschen sich den Kauf von
|
||||
Büchern erlauben konnten.
|
||||
|
||||
Das Beispiel der Bücher ist auch geeignet, wenn man die Bücher als Informationsquelle
|
||||
betrachtet und zur heutigen digitalen Informationsvermittlung kommt.
|
||||
Man könnte denken, dass, wenn die Mehrheit der Bevölkerung einen Internetzugang
|
||||
und einen Computer hat, es allen den gleichen Zugang zu den Informationen automatisch
|
||||
ermöglichen würde.
|
||||
|
||||
Dem kann man entgegenbringen, dass die Quantität noch nichts über die Qualität sagt, denn
|
||||
ein Internetzugang noch nichts darüber sagt, wie er genutzt wird. Da die Nutzung der digitalen
|
||||
Medien immer mehr an Bedeutung gewinnt, zum Beispiel, in der Schule und am Arbeitsplatz, kommt
|
||||
es dazu, dass einige gesellschaftliche Gruppen noch weiter voran kommen, weil sie mit entsprechenden
|
||||
technischen Mitteln umgehen können, die anderen darauf nicht zugreifen. So wird die Kluft nicht kleiner,
|
||||
sondern im Gegensatz größer. Dieses Phänomen ist keine Spekulation, sondern wurde durch Studien
|
||||
bereits vor etwa 20 Jahren entdeckt und immer wieder bestätigt. Es hat den Namen „digitale
|
||||
Spaltung“ (Digital divide) bekommen.\autocite[Vgl.][206--221]{filipovic:ungleichheit}
|
||||
|
||||
|
||||
\section{Schlussbemerkung}
|
||||
|
||||
Mit diesen wenigen Beispielen habe ich zu zeigen versucht, dass die technische Entwicklung unserer Zeit sehr
|
||||
schwer nur mit einem „Gut“ oder „Schlecht“ bewertet werden kann. Es stehen immer komplexe
|
||||
Fragen im Hintergrund, die zwei Seiten haben und wo die goldne Mitte nicht unbedingt einfach zu finden
|
||||
ist.
|
||||
|
||||
Viele Probleme, die direkt oder nur indirekt von der Wissenschaft und Technik verursacht wurden, sind
|
||||
gar keine wissenschaftliche und noch weniger technische Fragen, sondern sie berühren solche Bereiche wie
|
||||
die der Ethik, der Verantwortung und des menschlichen Selbstverständnisses. Sie haben auch eher wenig
|
||||
Bedeutung für die Wissenschaft oder Technik, dafür aber für die menschliche Existenz, sowohl auf der
|
||||
individuellen als auch auf der gesellschaftlichen Ebene.
|
||||
|
||||
Das ist der Grund, warum ich denke, dass eine philosophische Reflexion im Bereich der Technik unentbehrlich
|
||||
ist. Ich denke, es ist verantwortungslos, alles dem natürlichen Lauf der Dinge zu überlassen, ohne sich
|
||||
zumindest zu fragen, warum es so geschieht, welche Konsequenzen es haben kann und ob man in einer
|
||||
bestimmten Lage etwas unternehmen soll oder kann. Wieder wäre es äußerst wichtig, dass eine solche philosophische
|
||||
Reflexion die moderne Entwicklung nicht bloß dämonisiert oder glorifiziert, sondern möglichst gerecht
|
||||
und ausgeglichen verläuft, weil sie nur so ernst genommen werden kann, was nicht zu vernachlässigen ist, wenn
|
||||
die Technikkritik nicht in der Luft hängen oder nur deskriptiv bleiben will, sondern auch etwas aktiv
|
||||
für die Zukunft bewirken will.
|
||||
|
||||
\begin{quote}
|
||||
So wäre es eine wichtige Aufgabe für eine Philosophie der Technik an Schule und Hochschule, den zukünftigen
|
||||
Ingenieuren und Technikern zeigen zu können, wie Grundlagenforschung, angewandte Forschung und Praxis
|
||||
zusammenhängen, welche Rolle die Arbeit, die Praxis, die gestaltete Technik, die Muße und die Kunst bei
|
||||
der Konstitution unseres Selbstverständnisses spielen.\autocite[105]{kornwachs:technik}
|
||||
\end{quote}
|
17
themes/posts/2017/05/die-narren-sollen-weiter-lastern.tex
Normal file
17
themes/posts/2017/05/die-narren-sollen-weiter-lastern.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,17 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2017-05-26 20:09:00
|
||||
tags: Gedicht
|
||||
title: Die Narren sollen weiter lästern…
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Die Narren sollen weiter lästern,<br>
|
||||
für and’re Themen sind sie dumm.<br>
|
||||
Ich bin zu müde mich zu bessern.<br>
|
||||
Der Weise schweigt und trinkt sein’ Rum.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
Die Narren sollen weiter lästern,\\
|
||||
für and’re Themen sind sie dumm.\\
|
||||
Ich bin zu müde mich zu bessern.\\
|
||||
Der Weise schweigt und trinkt sein’ Rum.
|
339
themes/posts/2017/05/technikkonzept-von-ernst-kapp.tex
Normal file
339
themes/posts/2017/05/technikkonzept-von-ernst-kapp.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,339 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2017-05-09 00:00:00
|
||||
tags: Aufsatz
|
||||
title: Technikkonzept von Ernst Kapp
|
||||
teaser:
|
||||
<p>Zwar begleiten die technischen Erfindungen den Menschen schon seine ganze Geschichte, angefangen mit einem
|
||||
Schlagstein, der als Prototyp für einen Hammer diente, über die Dampfmaschine, den Telegrafen, bis zu
|
||||
Rechenmaschinen und Computern, hat man erst vor kurzem angefangen über die Technik systematisch
|
||||
nachzudenken. Das mag daran liegen, dass die technische Entwicklung seit der Industrialisierung ganz neue
|
||||
Maßstäbe angenommen hat. Eines der ersten Werke, das sich ausführlich mit dem Wesen der Technik
|
||||
beschäftigt, ist wohl „Grundlinien einer Philosophie der Technik“ von Ernst Kapp aus dem Jahre
|
||||
1877, „sein bis heute als grundlegendes Werk der Technikphilosophie geltendes Buch“.</p>
|
||||
---
|
||||
\section{Technik als Herausforderung für die Philosophie}
|
||||
|
||||
Eines der wichtigsten Merkmale unserer Zeit ist die Technisierung vieler Bereiche unseres alltäglichen
|
||||
Lebens. „Das technische Zeitalter“ kann man über unsere Tage sagen hören. Als solche ist die
|
||||
Technik nichts Neues, wenn auch die Technik des letzten Jahrhunderts ganz anderer Art, als das, was man
|
||||
vorher kannte, ist. Es gibt sie dennoch mehr als hundert Jahre, vielleicht gab es sie schon immer. Vielleicht
|
||||
ist die Fähigkeit, aus der Natur Erkenntnisse zu gewinnen und dann anhand derer etwas zu erfinden, etwas
|
||||
was einen Menschen eigentlich ausmacht.
|
||||
|
||||
Desto interessanter wird es, über die Technik und Technisierung nachzudenken. Was ist sie nun?
|
||||
Die Frage nach der Technik ist eine philosophische Frage, weil es vor allem die Philosophie ist, die
|
||||
nach der Washeit der Dinge und der Möglichkeitsbedingungen fragt: Was ist der Mensch? Was macht einen
|
||||
Menschen aus? Was ist und warum eigentlich Technik, was macht sie möglich?
|
||||
|
||||
Die philosophische Natur ist auch aus der Überlegung einsehbar, dass viele Fragen,
|
||||
die mit der Technik verbunden sind, gar nicht durch das technische Denken selbst beantwortbar sind, sondern
|
||||
einer Reflexion bedürfen, die über das Technische hinausgeht. Selbst wenn jemand behaupten würde, dass die
|
||||
Technik nur aus sich heraus erklärt werden könne und müsse und keine weitere Rechtfertigung oder Würdigung
|
||||
nötig habe, wäre das eine Behautpung, die die Grenzen des Technischen überschreitet.
|
||||
|
||||
Zwar begleiten die technischen Erfindungen den Menschen schon seine ganze Geschichte, angefangen mit einem
|
||||
Schlagstein, der als Prototyp für einen Hammer diente, über die Dampfmaschine, den Telegrafen, bis zu
|
||||
Rechenmaschinen und Computern, hat man erst vor kurzem angefangen über die Technik systematisch
|
||||
nachzudenken. Das mag daran liegen, dass die technische Entwicklung seit der Industrialisierung ganz neue
|
||||
Maßstäbe angenommen hat. Eines der ersten Werke, das sich ausführlich mit dem Wesen der Technik
|
||||
beschäftigt, ist wohl „Grundlinien einer Philosophie der Technik“ von Ernst Kapp aus dem Jahre
|
||||
1877, „sein bis heute als grundlegendes Werk der Technikphilosophie geltendes
|
||||
Buch“\autocite[VIII]{maye:einleitung-kapp}.
|
||||
|
||||
140 Jahre sind seit dem Erscheinen des Buches vergangen und die Entwicklung bleibt nicht stehen. Und überhaupt
|
||||
ist die rasche Entwicklung eines der wichtigsten Merkmale der heutigen Technisierung. Ältere Leute haben oft
|
||||
Probleme mit dem Bedienen des Computers oder Handys, weil sie in einem ganz anderen Umfeld aufgewachsen sind und
|
||||
das „Checken der E-Mails“ und die Abgabe der Steuererklärung online ihnen fremd ist.
|
||||
Selbst Menschen, die sich beruflich mit den modernen Technologien beschäftigen, können die technische Entwicklung
|
||||
nicht mehr einholen. In 90er-Jahren gab es noch den Begriff „Webmaster“. Ein Webmaster befasste sich
|
||||
mit der Entwicklung, Gestaltung, Verwaltung von Websites. Heute wird der Begriff kaum noch verwendet.
|
||||
Stattdessen gibt es Frontend- und Backend-Programmierer, Designer, SEO-Spezialisten (Search Engine
|
||||
Optimization --- Suchmaschinenoptimierung), Server-Administratoren.
|
||||
Man spricht noch vom „Full-stack developer“, darunter wird aber jemand verstanden, der sowohl
|
||||
die Frontend- als auch Backend-Programmierung macht, es ist jedoch keineswegs der alles könnende Webmaster.
|
||||
Die Fülle an Technologien und Aufgaben hat zur Spezialisierung und Auskristallisierung neuer Berufsfelder
|
||||
geführt. Und dieser Prozess fand innerhalb einer Generation statt.
|
||||
|
||||
Auf der anderen Seite beschäftigt sich die Philosophie in meinem Verständnis mit den ewigen Fragen.
|
||||
Die Umstände, der Kenntnisstand ändern sich, aber die Fragen nach dem, was das Sein ist, was die Erkenntnis
|
||||
zu leisten vermag, wie der Mensch zu handeln hat, bleiben. Es wäre also nicht uninteressant zu schauen,
|
||||
ob unsere Vorstellung von der Technik sich in hundert Jahren kardinal gewandelt hat, oder ob Kapp zu
|
||||
Erkenntnissen gelangte, die auch noch für uns und vielleicht unsere Nachfahren nicht von einer bloß
|
||||
geschichtlichen Bedeutung sind.
|
||||
|
||||
Kapp hat sein Werk so aufgebaut, dass er mit primitiven Werkzeugen anfängt und sich dann immer weiter zu
|
||||
komplexeren Strukturen und Artefakten hocharbeitet. Dabei greift er fast in jedem Kapitel auf ein Produkt
|
||||
aus der Geschichte der Technik, an dem er versucht, seine These plausibel zu machen. Ich wähle eine ähnliche
|
||||
Vorgehensweise und werde mich bemühen, spätere Werke der Menschenhand im Lichte Kapps Auffassung des Menschen
|
||||
und der Technik zu betrachten. Zunächst muss allerdings jene Auffassung kurz dargestellt werden.
|
||||
|
||||
\section{Technikkonzept von Ernst Kapp}
|
||||
|
||||
\epigraph{%
|
||||
Noch steht die Menschheit in den Kinderschuhen ihrer Kultur oder in den Anfängen der technischen
|
||||
Gleise, die sich der Geist selbst zu seinem Voranschreiten zu legen hat.\footcite[309]{kapp:technik}
|
||||
}{}
|
||||
|
||||
\subsection{Technik und Kultur}
|
||||
|
||||
„Grundlinien einer Philosophie der Technik“ hat noch einen Untertitel: „Zur
|
||||
Entstehungsgeschichte der Kultur aus neuen Gesichtspunkten“. Die Technik ist also nicht
|
||||
bloß ein Mittel zum Zweck, sie hat etwas mit der Entstehung der Kultur zu tun. Wenn man bedenkt,
|
||||
dass die Kultur ein Werk des menschlichen Schaffens ist, ist es auch verständlich, dass die Technik
|
||||
ein Teil der Kultur ist. Technische Artefakte haben ihre eigene Geschichte und sie haben schon immer
|
||||
die Lebensweise der Menschen stark beeinflusst. Man denke nur an den Buchdruck, der viel mehr Menschen
|
||||
den Zugang zu Büchern ermöglichte, dadurch, dass die aufwendige Arbeit des Abschreibens von Maschinen
|
||||
ersetzt werden konnte. Kapps Überzeugung ist aber, dass die Technik nicht ein Aspekt der Kultur ist,
|
||||
sondern, dass sie konstituierend für das Entstehen der Kultur ist: „Der Anfang der Herstellung
|
||||
technischer Gegenstände ist der Beginn des Kulturwesens Mensch.“\autocite[7]{leinenbach:technik}
|
||||
|
||||
Wie ist das zu verstehen? Klaus Kornwachs stellt erstmal fest, dass der Umgang mit der Technik nicht von
|
||||
der Technik selbst vollständig determiniert ist, sondern dass „verschiedene Nationen und verschiedene
|
||||
Kulturkreise unterschiedlich mit Technik umgehen und unterschiedliche Techniklinien und
|
||||
Organisationsformen hervorgebracht und zuweilen auch wieder aufgelöst
|
||||
haben“\autocite[22]{kornwachs:technik}.
|
||||
|
||||
Die Technik wird dadurch ermöglicht, dass der Mensch die Gesetze der Natur sich zunutze machen kann.
|
||||
Die physikalischen Gesetze sind aber für alle gleich. Wie kommt es, dass verschiedene Zivilisationen
|
||||
nicht die gleiche Technik bauen oder, dass sie die gleiche Technik nicht auf dieselbe Weise nutzen?
|
||||
Um diese Frage zu beantworten, macht Kornwachs die Unterscheidung zwischen zwei Arten
|
||||
technologischer Funktionalität. Die technologische Funktionalität der ersten Art ist diejenige,
|
||||
„deren physikalische Wirksamkeit und technische Brauchbarkeit invariant gegenüber der
|
||||
kulturellen Ausprägung der organisatorischen Hülle sind“\autocite[22]{kornwachs:technik}.
|
||||
Als Beispiele nennt Kornwachs Regelkreise, Hebel, Kraftmaschinen usw.\autocite[Vgl.][22]{kornwachs:technik}
|
||||
Was ist die organisatorische Hülle? „Die organisatorische Hülle einer Technik umfasst alle
|
||||
Organisationsformen, die notwendig sind, um die Funktionalität eines technischen Artifakts überhaupt ins
|
||||
Werk setzen zu können“\autocite[23]{kornwachs:technik}. Eben so eine organisatorische Hülle
|
||||
„konstituiert \textit{eine technologische Funktion zweiter Art},
|
||||
[\dots]“\autocite[23]{kornwachs:technik} Kornwachs erklärt diese am Beispiel eines Autos, dessen
|
||||
„organisatorische Hülle das gesamte System vom Straßenverkehrsnetz über die Proliferationssysteme für
|
||||
Treibstoff und Ersatzteile bis hin zu den rechtlichen Regelungen, [\dots],
|
||||
[umfasst]“\autocite[23]{kornwachs:technik}.
|
||||
|
||||
Aber nicht nur die organisatorische Hülle regelt, wie die Technik eingesetzt wird; auch die Technik prägt
|
||||
die organisatorischen Hüllen: „Es ist offenkundig, dass die organisatorische Umgestaltung unserer
|
||||
Zivilisation durch die Informations- und Kommunikationstechnologien keine dieser organisatorischen
|
||||
Hüllen unberührt lässt.“\autocite[23]{kornwachs:technik}
|
||||
|
||||
Die Kernthese der „Grundlinien einer Philosophie der Technik“ ist, dass es sich bei
|
||||
allen technischen Gegenständen um die Projektion menschlicher Organe handelt. Selbst wenn der Mensch
|
||||
keine tiefen Erkenntnisse über den Bau seines Körpers hat, projiziert er ihn unbewusst in die von ihm
|
||||
gemachten Artefakte, „[i]st demnach der Vorderarm mit zur Faust geballter Hand oder mit deren
|
||||
Verstärkung durch einen fassbaren Stein der natürliche Hammer, so ist der Stein mit einem Holzstiel
|
||||
dessen einfachste künstliche Nachbildung“.\autocite[52]{kapp:technik} Es ist nicht ungewöhnlich,
|
||||
zwischen der Technik und den menschlichen Organen und zwischen der Funktionsweise der Technik
|
||||
und derselben des Organismus Analogien zu bilden. Genauso wie den Vorderarm mit zur Faust geballter Hand
|
||||
kann man mit einem Hammer vergleichen, kann man zum Beispiel den Computer mit dem Gehirn vergleichen, weil
|
||||
die Computer viele Operationen wie das Rechnen sogar viel effizienter als das menschliche
|
||||
Gehirn durchführen können. Bei Kapp geht es aber nicht nur um Ähnlichkeiten und Analogien. Vielmehr
|
||||
behauptet er, dass die Menschen ihren Organismus und seine Funktionen in die Technik projizieren, sodass
|
||||
wenn der Organismus anders aufgebaut wäre, anders funktionieren würde, würde auch die Technik
|
||||
ganz anders aussehen. Und das beansprucht er für alle technischen Gegenstände
|
||||
ausnahmslos.\autocite[Vgl.][7]{leinenbach:technik}
|
||||
|
||||
\subsection{Selbsterkenntnis}
|
||||
|
||||
Die Organprojektion ist nicht nur der Gegenstand der Technikphilosophie, sondern auch der
|
||||
Erkenntnistheorie. Die Produktion der Artefakte ist die Art und Weise, wie der Mensch die Natur
|
||||
und sich selbst erkennt. Da der Mensch seinen Organismus in die Technik projiziert und die
|
||||
Technik demzufolge Merkmale dieses Organismus hat, kann er aus der von ihm erschaffenen Technik
|
||||
sich selbst erkennen. Ein Hammer sieht nicht nur äußerlich dem Arm ähnlich, er hat auch
|
||||
strukturelle Ähnlichkeiten mit diesem. Ein Hammer besteht aus zwei Teilen: einem Stiel und
|
||||
einem Kopf. Der untere Teil des Armes besteht genauso aus dem Unterarm, an den die Hand
|
||||
angeschlossen ist. In der Technik erkennt man dann wieder die Eigenschaften, die man in sie
|
||||
projiziert hat und erkennt auf diese Weise sich selbst. „Zentrum und Ziel allen Weltgeschehens
|
||||
ist in Kapps Denken die stetig sich vergrößernde Selbsterkenntnis des Menschen. Die technischen
|
||||
Artefakte sind Vehikel dieser Selbsterkenntnis: [\dots].“\autocite[36]{fohler:techniktheorien}
|
||||
|
||||
So wird der Mensch zum „Maß der Dinge“\autocite[Vgl.][73]{kapp:technik}, weil alles, was
|
||||
er in die Welt setzt, aus ihm selbst entsprungen ist. Es gibt auch keine andere Quelle der
|
||||
Erkenntnis als der Mensch selbst.\autocite[Vgl.][73]{kapp:technik}
|
||||
|
||||
\begin{quote}
|
||||
Die Welt der Technik leitet demnach einen Selbstreflexionsprozeß ein, da sie zum einen
|
||||
bestimmte Entwicklungsstufe des Menschen erfahrbar mache, zum anderen jedoch auch auf das verweise, was den
|
||||
Menschen möglich sei.\autocite[10]{korte:kapp}
|
||||
\end{quote}
|
||||
|
||||
Eine andere Komponente, die die Selbsterkenntnis kennzeichnet, ist die Sprache, weil „[d]ie Sprache
|
||||
sagt, welche Dinge sind und was sie sind, [\dots]“\autocite[60]{kapp:technik}. Und sie ist auch ein
|
||||
Produkt der Organprojektion. Kapp behauptet, dass die Bezeichnungen für die Gegenstände
|
||||
aus der Tätigkeit der Organe entstanden seien. So habe das Wort \textit{Mühle}
|
||||
seine Wurzel im indoeuropäischen \textit{mal} oder \textit{mar}, was soviel wie „mit den Fingern
|
||||
zerreiben“ oder „mit den Zähnen zermalmen“ bedeutet
|
||||
habe.\autocite[Vgl.][57\psq]{kapp:technik}
|
||||
|
||||
\subsection{Terminus „Technik“}
|
||||
|
||||
Hier wird es deutlich, dass es Kapp nicht bloß um den Einfluss der Technik auf die Kultur geht, vielmehr
|
||||
ist die Technik dasjenige, was die gesamte menschliche Kultur bildet. „Die Technik ist das erste
|
||||
Kulturereignis. Der Anfang der Herstellung technischer Gegenstände ist der Beginn des Kulturwesens
|
||||
Mensch.“\autocite[7]{leinenbach:technik}
|
||||
|
||||
Um diese These zu verstehen, muss man untersuchen, was Kapp meint, wenn er das Wort
|
||||
„Technik“ verwendet. Mit der Entwicklung der Technik entwickelt sie auch die
|
||||
Sprache. Wenn ich heute „Technik“ sage, dann meine ich meistens Computertechnik
|
||||
oder zumindest irgendeine Maschine, ein Auto, ein Lüftungssystem und dergleichen. Wenn ich über
|
||||
Werkzeuge in meinem Werkzeugkasten spreche, dann sage ich nicht unbedingt „Technik“
|
||||
von jenen, es sei denn ich habe elektrische Werkzeuge da, wie ein Elektroschrauber oder eine
|
||||
Bohrmaschine. Es mag eine Zeit gegeben haben, in der eine Handsäge eine technische
|
||||
Errungenschaft darstellte. Heute gehört sie aber mehr zur Klasse der Werkzeuge. Das heißt man
|
||||
unterscheidet meistens in der heutigen Umgangssprache zwischen der Technik und den Werkzeugen.
|
||||
|
||||
Es ist überhaupt schwierig, eine Definition der Technik zu entwickeln, die man verwenden könnte,
|
||||
um zwischen technischen Gegenständen und übrigen zu differenzieren. Ich habe vorher von
|
||||
den von Menschenhand geschaffenen Gegenständen als von der Technik gesprochen. Aber zählt ein
|
||||
gemaltes Bild zur Technik? Wohl eher nicht. Es ist Kunst. Ist ein technischer Gegenstand keine Kunst?
|
||||
Man würde meinen: Nein. Der Ingenieur, der Monate verbracht hat, es zu entwerfen und zu konzipieren,
|
||||
könnte dem widersprechen. Die Technik hat noch eine weitere Eigenschaft, dass sie einen Nutzen hat.
|
||||
Allerdings auch die Kunst hat für viele Menschen einen ästhetischen Nutzen. Man kann den
|
||||
„Begriff“ auf die eine oder andere Weise definieren, aber eine solche Definition wäre
|
||||
meines Erachtens der Umgangssprache nicht gerecht und würde nicht alle Anwendungsfälle decken.
|
||||
|
||||
Wenn man zu diesem Begriff von einer anderen Seite kommt, kann man zwischen zwei Bedeutungen dessen
|
||||
unterscheiden. Zu einem bezeichnet man Gegenstände als Technik: ein Videorecorder ist Technik, ein
|
||||
Fernseher ist Technik. Zum anderen spricht man von erlernten Fähigkeiten als von den Techniken. In
|
||||
diesem Sinne gibt es Maltechniken, Kampftechniken, Lerntechniken und andere Techniken. Der Begriff
|
||||
hat also noch eine funktionale Seite.
|
||||
|
||||
Kapp hat diese Vielfalt des Technischen in seine Philosophie aufgenommen. Es war vorhin davon die
|
||||
Rede, dass der Mensch seinen Organismus in die Technik projiziert, und bei den ersten Werkzeugen
|
||||
sieht man gewisse Ähnlichkeit mit den Organen. Aber auch der Umstand, dass die Technik mit einer
|
||||
Funktion verbunden ist (dass sie eine Fähigkeit bezeichnen kann), ist ihm nicht entgangen.
|
||||
„An die Stelle der Ähnlichkeit, welche die äußere Gestalt der Organe des Menschen mit deren
|
||||
gegenständlichen Projekten besitzt, tritt im Fortgang der Entwicklung technischer Gegenstände bis
|
||||
hin zur Maschine vielmehr die Projektion des organischen
|
||||
Funktionsbildes, [\dots]“\autocite[61]{leinenbach:technik} Man hat versucht Kapps Theorie
|
||||
zu widerlegen, indem man nach Artefakten gesucht hat, die keine Ähnlichkeiten mit irgendeinem
|
||||
Organ aufweisen: das Rad\autocite[Vgl.][84--86]{leinenbach:technik} oder das künstliche
|
||||
Licht\autocite[Vgl.][88\psq]{leinenbach:technik}.
|
||||
|
||||
Das war auch für Kapp offensichtlich, dass nicht alle Werkzeuge und Maschinen äußere Ähnlichkeiten
|
||||
aufweisen. Vielmehr entfernt sich die Technik im Prozess ihrer Entwicklung von ihrem
|
||||
ursprünglichen Vorbild. Kapp spricht zum Beispiel von „vergeistigten“ Werkzeugen, die eher
|
||||
den menschlichen Geist projizieren als seinen Körper. So heißt es von dem Werkzeug der Kommunikation,
|
||||
der Sprache:
|
||||
|
||||
\begin{quote}
|
||||
In der Sprache hört der Unterschied von Kunstwerk und Werkzeug, der sonst durchweg feststeht,
|
||||
ganz auf. Indem sie erklärt, was sie selbst ist, übt sie gerade das aus, was sie erklären will. Mithin
|
||||
ist sie das Werkzeug, sich als ihr eigenes Werkzeug zu begreifen, also ein vergeistigtes Werkzeug,
|
||||
Spitze und Vermittlung zugleich der absoluten Selbstproduktion des Menschen.\autocite[248]{kapp:technik}
|
||||
\end{quote}
|
||||
|
||||
Die „Spitze“ der Organprojektion sind gar nicht die technischen Artefakte, sondern der
|
||||
gesamte kulturelle Reichtum, den der Mensch um sich schafft. Nur ist diese kulturelle Bereicherung
|
||||
ohne Technik nicht möglich. Außer dass Kapp verschiedene Bedeutungen der Technik in seine Theorie
|
||||
aufnimmt, breitet er diesen Begriff so weit aus, dass er auf jegliche Errungenschaft das Menschen
|
||||
angewendet werden kann. Solche Verwendung des Begriffes „Technik“ mag zunächst
|
||||
befremdend erscheinen, aber sie ist unserer Sprache auch nicht vollkommen fremd, denn wir
|
||||
instrumentalisieren auch geistige Prozesse und sprechen von der Sprache als dem
|
||||
\textit{Werkzeug} der Kommunikation oder der Logik als dem \textit{Werkzeug} des Denkens.
|
||||
|
||||
\subsection{Kapps Menschenbild}
|
||||
|
||||
Zwar projiziert sich der Mensch immer in die Technik, aber dieser Prozess wird nie abgeschlossen. Es
|
||||
gibt immer eine unendliche Kluft zwischen der Natur und dem Mechanismus.
|
||||
|
||||
\begin{quote}
|
||||
[\dots]; der Mechanismus, durch Zusammensetzung von außen zustande gebracht, ist eine „Mache“
|
||||
der Menschenhand. Der Organismus ist wie die gesamte Welt \textit{natura}, ein Werdendes, der
|
||||
Mechanismus ist das gemachte Fertige; dort ist Entwicklung und Leben, hier Komposition und
|
||||
Lebloses.\autocite[68]{kapp:technik}
|
||||
\end{quote}
|
||||
|
||||
Kapp ist kein Materialist und der Mensch ist für ihn kein rein materielles Wesen. Anstatt von der Materie
|
||||
und dem Geist zu sprechen, spricht Kapp von der Psychologie und der Physiologie, zwei Gegensätze, die die
|
||||
menschliche Natur in sich vereinigt. Allerdings ist auch keine Trennung dieser zwei Bestandteile möglich.
|
||||
Man kann auch nicht sagen, dass das eine wichtiger oder wesentlicher wäre als das andere, wie es zum
|
||||
Beispiel Descartes sieht\footcite[Vgl.][43]{geschichte1718}. Der Mensch ist nur als ein Ganzes möglich und
|
||||
denkbar: „Psychologie und Physiologie haben lange genug fremd gegen einander getan,
|
||||
[\dots]“\autocite[19]{kapp:technik}. Auch das kulturelle Gut und die Technik sind nicht sekundär,
|
||||
obwohl es auf den ersten Blick scheint, als ob die menschliche Existenz auch ohne diese denkbar wäre,
|
||||
weil sie erst ein Produkt seiner geistigen Aktivität sind. „Einerseits sollen die natürlichen
|
||||
Organe das Vorbild aller mechanischen Objekte und Ensembles sein, andererseits lässt sich erst durch
|
||||
deren Strukturen und Funktionen das Wesen der Organe
|
||||
erkennen.“\autocite[XXXV-XXXVI]{maye:einleitung-kapp}
|
||||
|
||||
\subsection{Kritik}
|
||||
|
||||
Ganz am Anfang klingt Kapps Theorie sehr plausibel. Bei einfachen Werkzeugen kann man das sich sehr gut
|
||||
vorstellen, dass der Mensch seine Organe als Muster für die Werkzeuge benutzt hat. Vor allem, weil die
|
||||
eigene körperliche Kraft nicht ausgereicht hat, musste man einen Weg finden, zu kompensieren, anders
|
||||
gesagt, man musste seine natürlichen Organe verlängern und verstärken.
|
||||
|
||||
Allerdings mit dem Fortschritt der Technologie, wenn die direkte Analogie zwischen dem Organ und
|
||||
dem Produkt der Menschenhand zu schwanken beginnt, fällt es einem immer schwerer, an die
|
||||
Organprojektion als eine universelle Theorie zu glauben.
|
||||
|
||||
Es liegt in der Natur des Menschen, seine Umwelt immer weiter zu gestalten, und seine Werkzeuge und
|
||||
Maschinen weiter zu entwickeln. Und auch schwere Maschinen helfen dem Menschen, schwere Arbeiten
|
||||
auszuführen, die er sonst mit seinen eigenen Organen verrichten sollte. Deswegen können auch sie
|
||||
als Projektion menschlicher Organe und ihrer Funktionen betrachtet werden. Allerdings wenn Kapp
|
||||
Beispiele wie „[d]as Netz der Blutgefäße als organisches Vorbild des
|
||||
Eisenbahnsystems“\autocite[121]{kapp:technik} einführt, stellt sich die Frage, wie es zu
|
||||
überprüfen ist. Kapp zwar besteht darauf, dass es nicht bloß das „Sinnbildliche der
|
||||
Allegorie“ ist, sondern das „Sach- und Abbildliche der
|
||||
Projektion“\autocite[Vgl.][129]{kapp:technik} und versucht das argumentativ
|
||||
zu stützen\autocite[Vgl.][129--130]{kapp:technik}, seine Argumentation kann jedoch nicht als ein
|
||||
handfester Beweis gelten.
|
||||
|
||||
Die Hauptschwäche dieser Theorie ist ihre Überprüfbarkeit. Ich kann höchstens auf bestimmte
|
||||
Ereignisse oder Artefakte hinweisen und sie zum Vorteile der Theorie deuten, aber meine
|
||||
Behauptung lässt sich nicht empirisch überprüfen. Ich kann nur versuchen sie plausibler als
|
||||
die Alternativen zu machen. Vor allem geschieht die Organprojektion nach Kapp
|
||||
\textit{unbewusst} und weist sich erst im Nachhinein als solche aus. Und um den Ursprung und
|
||||
die Art unbewusster geistiger Vorgänge lässt sich nur spekulieren.
|
||||
|
||||
Des Weiteren war Kapp auf die Technik seiner Zeit beschränkt. Er konnte selbstverständlich
|
||||
nicht voraussehen, welche Herausforderungen die künftige Technik mit sich bringt, und ob die
|
||||
Theorie entsprechend angepasst werden soll. Der Glaube an den Menschen als ein einzigartiges
|
||||
Geschöpf der Natur wird immer schwächer. Vielleicht ist er gar nicht so einzigartig, vielleicht
|
||||
kann man ihn nachbauen, vielleicht kann man das, was in seinem Kopf vorgeht, auf eine Reihe
|
||||
von Algorithmen reduzieren. Immer mehr Menschen glauben, dass es sehr bald möglich sein wird.
|
||||
Für Kapp war der Mensch noch der einzige Schöpfer seiner Technik:
|
||||
|
||||
\begin{quote}
|
||||
Niemals ist aber bei irgendeiner Maschine die Menschenhand völlig aus dem Spiele; denn auch
|
||||
da wo ein Teil des Mechanismus sich gänzlich ablöst, wie der Pfeil, die Gewehrkugel, die dem
|
||||
Schiffbrüchigen die rettende Leine überbringende Rakete, ist die Abweichung nur vorübergehend und
|
||||
scheinbar.\autocite[64\psq]{kapp:technik}
|
||||
\end{quote}
|
||||
|
||||
Die Technik, die immer menschlicher wird, macht darüber nachdenklich, ob der Mensch diesen Status
|
||||
für die gesamte Zeit seiner Geschichte behalten kann. Andererseits das Sprechen über die Maschinen,
|
||||
die man von einem Menschen nicht mehr unterscheiden kann, ist auch nur noch eine Spekulation. Und
|
||||
es ist meines Erachtens noch zu früh, sie als ein Argument gegen Kapps Ansichten auszuspielen.
|
||||
Schließlich hat auch die höchste entwickelte Technik ihren Ursprung im Menschen und ist Folge
|
||||
seiner Leistung, wie es Kapp auch sagt. Das heißt, wenn eine Maschine ohne menschliche
|
||||
Teilnahme andere Maschinen produzieren kann, so wurde sie so konstruiert, um diese Aufgabe
|
||||
zu erfüllen. Es wird inzwischen über die Maschinen spekuliert, die auch geistige Leistungen
|
||||
des Menschen übernehmen können, die zum Beispiel selbst programmieren können, und so andere
|
||||
Maschinen hervorbringen, die nicht nur nach einem bestimmten Plan konstruiert sind, sondern
|
||||
tatsächlich neue Technik darstellen. Aber selbst in diesem Fall soll solche Intelligenz erstmal
|
||||
künstlich geschaffen werden, sie würde ihre Existenz immer noch dem Menschen verdanken. Das ist,
|
||||
denke ich, die Tatsache, auf die Kapp hinweisen wollte.
|
||||
|
||||
Man darf auch nicht vergessen, dass obwohl wir Technik bauen und verwenden, darüber zu
|
||||
reflektieren, warum wir sie eigentlich brauchen und warum wir so bauen, wie wir sie bauen, keine
|
||||
einfache Aufgabe ist, die lückenlos gelöst werden kann. Deswegen verdient Kapps
|
||||
Theorie Aufmerksamkeit als ein möglicher Lösungsansatz.
|
||||
|
||||
\subsection{Kapps Technikphilosophie in Anwendung auf die nachfolgende Geschichte der Technik}
|
||||
|
||||
Das Kapitel, in dem Harald Leinenbach über die Rezeptionsgeschichte der Organprojektionstheorie spricht,
|
||||
nennt er „Die Grundlinien einer Philosophie der Technik“
|
||||
„Kapps mystisches Blendwerk“\autocite[60]{leinenbach:technik}, womit er andeuten will,
|
||||
wie das Werk meistens rezipiert wurde.
|
||||
„Dabei finden sich Erwähnungen der Organprojetionstheorie meist bloß in knappen
|
||||
Randbemerkungen. Kapps Technikphilosophie ist nirgends aufgenommen, geschweige denn konstruktiv
|
||||
weitergeführt worden.“\autocite[61]{leinenbach:technik} Als Grund gibt Leinenbach an, dass
|
||||
Kapp von seinen Gegnern immer missverstanden wurde, dass man seine Theorie nicht zu Ende denkt, sondern
|
||||
sich „hauptsächlich am Organprojektionsstatus der technischen
|
||||
Gegenstände“\autocite[60\psq]{leinenbach:technik} aufhält, und
|
||||
sobald man eine Maschine findet, die äußerlich dem menschlichen Organismus nicht ähnlich ist, hört
|
||||
man auf und lehnt die Theorie als unzureichend ab. Dazu kommen noch Begriffe wie das Unbewusste, mit
|
||||
denen Kapp gearbeitet hat.\autocite[Vgl.][64]{leinenbach:technik} Besonders in der Zeit, in der die
|
||||
Künstliche Intelligenz entwickelt wird, scheint die Hoffnung zu wachsen, das Unbewusste aus der Welt
|
||||
zu schaffen, und alles Menschliche ohne Rest technisch reproduzieren zu können.
|
30
themes/posts/2017/07/du-bist-von-anderen-umringt.tex
Normal file
30
themes/posts/2017/07/du-bist-von-anderen-umringt.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,30 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2017-07-22 19:51:00
|
||||
tags: Gedicht
|
||||
title: Du bist von anderen umringt…
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Du bist von anderen umringt;<br>
|
||||
Ich weiß, mein Weg ist nicht so eben.<br>
|
||||
Wenn man sich auf ihn begibt,<br>
|
||||
liegen ’rum nur laute Scherben.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Er führt uns trotzdem zum Altar<br>
|
||||
und entfernt das letzte Siegel,<br>
|
||||
dass nichts im All ein Zufall war,<br>
|
||||
und dass das Sein den Tod besiege.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
\textit{Katja M. S. B.}
|
||||
|
||||
Du bist von anderen umringt;\\
|
||||
Ich weiß, mein Weg ist nicht so eben.\\
|
||||
Wenn man sich auf ihn begibt,\\
|
||||
liegen ’rum nur laute Scherben.
|
||||
|
||||
Er führt uns trotzdem zum Altar\\
|
||||
und entfernt das letzte Siegel,\\
|
||||
dass nichts im All ein Zufall war,\\
|
||||
und dass das Sein den Tod besiege.
|
13
themes/posts/2017/07/ehe-fur-alle.tex
Normal file
13
themes/posts/2017/07/ehe-fur-alle.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,13 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2017-07-01 09:14:00
|
||||
tags: Gedicht
|
||||
title: Ehe für alle
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
„Ehe für alle!“ - heuchelte der Wind,<br>
|
||||
wo nämlich Scheidungen in Mode sind.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
„Ehe für alle!“ — heuchelte der Wind,\\
|
||||
wo nämlich Scheidungen in Mode sind.
|
770
themes/posts/2017/09/was-ist-technik.tex
Normal file
770
themes/posts/2017/09/was-ist-technik.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,770 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2017-10-01 00:00:00
|
||||
tags: Aufsatz
|
||||
title: Was ist Technik? Eine Auseinandersetzung mit dem Technikkonzept von Ernst Kapp
|
||||
teaser:
|
||||
<p>Im vorliegenden Artikel geht es um die Anwendung des Technikkonzepts von Ernst Kapp auf die
|
||||
heutige Technik. Eines der Gebiete, dessen Entwicklung für die Moderne unentbehrlich ist, ist die
|
||||
Computertechnik. Wobei ich einen breit gefächerten Computerbegriff benutzen möchte.
|
||||
Computer werden immer universeller und können immer mehr Aufgaben ausführen, deswegen sind sie bereits
|
||||
ein Teil vieler Bereiche unseres Daseins. Sie werden vorprogrammiert, um anhand gegebener Daten bestimmte
|
||||
Aktionen auszuführen. In diesem Sinne ist nicht nur ein Laptop ein Computer, sondern auch ein Handy;
|
||||
genauso ist ein Roboter ein komplexer Computer.</p>
|
||||
---
|
||||
Im vorliegenden Artikel geht es um die Anwendung des Technikkonzepts von Ernst Kapp auf die
|
||||
heutige Technik. Eines der Gebiete, dessen Entwicklung für die Moderne unentbehrlich ist, ist die
|
||||
Computertechnik. Wobei ich einen breit gefächerten Computerbegriff benutzen möchte.
|
||||
Computer werden immer universeller und können immer mehr Aufgaben ausführen, deswegen sind sie bereits
|
||||
ein Teil vieler Bereiche unseres Daseins. Sie werden vorprogrammiert, um anhand gegebener Daten bestimmte
|
||||
Aktionen auszuführen. In diesem Sinne ist nicht nur ein Laptop ein Computer, sondern auch ein Handy;
|
||||
genauso ist ein Roboter ein komplexer Computer.
|
||||
|
||||
\section{Datenverarbeitung. Mensch und Maschine}
|
||||
|
||||
Ein Computer ist vor allem ein Rechner. Es kommt einem so vor, als ob die Computer ganz
|
||||
verschiedene Informationsarten verwalten, bearbeiten und speichern können: Text, Musik, Bilder.
|
||||
|
||||
\begin{quote}
|
||||
Trotzdem ist ein Computer ein Gerät, das Probleme durch Berechnungen löst: Er kann nur
|
||||
diejenigen Sachverhalte „verstehen“, die man in Form von Zahlen und mathematischen
|
||||
Formeln darstellen kann. Dass es sich dabei heute auch um Bilder, Töne, Animationen, 3-D-Welten
|
||||
oder Filme handeln kann, liegt einfach an der enormen Rechengeschwindigkeit und Kapazität moderner
|
||||
Rechner.\autocite[35]{kersken:fachinformatiker}
|
||||
\end{quote}
|
||||
|
||||
Natürlich ist das nicht die grundlegendste Ebene:
|
||||
der Arbeitsspeicher und Prozessor wissen nichts von den Zahlen und der Arithmetik, aber die Mathematik ist
|
||||
trotzdem von fundamentaler Bedeutung für die logische Funktionsweise von Programmen.
|
||||
|
||||
\subsection{Darstellung der Daten im Computer. Zahlensysteme und das Zählen}
|
||||
|
||||
Wenn man einen Text, ein Musikstück oder ein Bild speichern will, werden sie als eine Zahlenfolge
|
||||
interpretiert, und nicht eine Folge von Buchstaben, Noten oder Farben, wie sie für den Menschen
|
||||
erscheinen. Ein wichtiger Unterschied zum vom Menschen eingesetzten dezimalen Zahlensystem ist, dass
|
||||
für das Programmieren der Computer ein binäres Zahlensystem verwendet wird. Für das Rechnen verwenden
|
||||
wir ein Zahlensystem mit 10 Ziffern, von 0 bis 10, daher der Name „dezimal“. Das binäre
|
||||
Zahlensystem hat nur 2 Ziffern: 0 und 1, funktioniert aber wie ein dezimales oder jedes andere
|
||||
Zahlensystem, und lässt sich in jedes andere Zahlensystem übersetzen. Beim Zählen um eine Nummer
|
||||
größer als 9 zu erzeugen, setzt man sie aus mehreren Ziffern zusammen.
|
||||
|
||||
\noindent\begin{tabular}{cccccccccc}
|
||||
\addlinespace[2em]
|
||||
\toprule
|
||||
& \multicolumn{9}{l}{\textbf{Ziffern des Dezimalsystems}} \\
|
||||
\midrule
|
||||
0 & 1 & 2 & 3 & 4 & 5 & 6 & 7 & 8 & 9 \\
|
||||
\bottomrule
|
||||
\addlinespace
|
||||
\end{tabular}
|
||||
|
||||
\noindent\begin{tabular}{cc}
|
||||
\addlinespace[2em]
|
||||
\toprule
|
||||
& \textbf{Ziffern des Binärsystems} \\
|
||||
\midrule
|
||||
0 & 1 \\
|
||||
\bottomrule
|
||||
\addlinespace[2em]
|
||||
\end{tabular}
|
||||
|
||||
Im binären Zahlensystem ist es genauso mit dem Unterschied, dass die zusammengesetzten Nummern
|
||||
bereits nach 1 folgt, weil es keine 2 gibt, so zählt man folgendermaßen: 0, 1, 10, 11, 100, 101, 110,
|
||||
111 und so weiter. Jeder Zahl in dieser Folge kann man eine dezimale Zahl zuordnen: 0 ist 0, 1 ist 1,
|
||||
10 ist 2, 11 ist 3, 100 ist 4 und so weiter.
|
||||
|
||||
\noindent\begin{tabular}{lcccccccccc}
|
||||
\addlinespace[2em]
|
||||
\toprule
|
||||
& \multicolumn{9}{c}{\textbf{Zuordnung}} \\
|
||||
\midrule
|
||||
Dezimal & 0 & 1 & 2 & 3 & 4 & 5 & 6 & 7 & 8 \\
|
||||
\midrule
|
||||
Binär & 0 & 1 & 10 & 11 & 100 & 101 & 110 & 111 & 1000 \\
|
||||
\bottomrule
|
||||
\toprule
|
||||
Dezimal & 9 & 10 & 11 & 12 & 13 & 14 & 15 & 16 & 17 \\
|
||||
\midrule
|
||||
Binär & 1001 & 1010 & 1011 & 1100 & 1101 & 1110 & 1111 & 10000 & 10001 \\
|
||||
\bottomrule
|
||||
\addlinespace[2em]
|
||||
\end{tabular}
|
||||
|
||||
Das dezimale Zahlensystem ist kaum etwas
|
||||
Eingeborenes, wir hätten auch binär, oktal oder hexadezimal rechnen können, aber die Wahl des
|
||||
Zahlensystems ist auch nicht zufällig. Kapp argumentiert, dass der Wahl des Zahlensystems die Tatsache
|
||||
zugrunde liegt, dass Menschen ihre Finger zum Zählen verwendeten und auch bis heute verwenden:
|
||||
|
||||
\begin{quote}
|
||||
Der Ausdruck für die Menge der Maßeinheiten derselben Art, die \textit{Zahl}, wurde, wie noch heute zur
|
||||
Unterstützung des Zählens geschieht, an den fünf Fingern abgezählt. Das griechische Wort für dieses Zählen
|
||||
nach Fünfen war \textgreek{πεµπάζειν}, „fünfern“. Die zehn Finger lieferten das Dezimalsystem
|
||||
und die zehn Finger mit Zugabe der beiden Hände des Duodezimalsystem.\autocite[75]{kapp:technik}
|
||||
\end{quote}
|
||||
|
||||
Das heißt, man hat die Besonderheit seines Organismus verwendet, um sich das Zählen beizubringen. Beim
|
||||
Entwickeln der Computertechnik hat man auf ein gut vertrautes System zurückgegriffen und es nur
|
||||
entsprechend modifziert. Die Hardware hat keine Finger, aber dafür elektronische Schaltungen, die zwei
|
||||
Zustände haben können: „Ein“ und „Aus“, die den beiden Ziffern des binären
|
||||
Zahlensystems entsprechen. „Die grundlegenden Funktionen, die im Computer stattfinden, lassen
|
||||
sich sehr leicht als elektrische Schaltpläne darstellen.“\autocite[85]{kersken:fachinformatiker}
|
||||
|
||||
\vspace{2em}
|
||||
|
||||
\noindent\begin{minipage}{.30\linewidth}
|
||||
\begin{tabular}{ccc}
|
||||
\toprule
|
||||
1 & 2 & Oder \\
|
||||
\midrule
|
||||
0 & 0 & 0 \\
|
||||
\midrule
|
||||
0 & 1 & 1 \\
|
||||
\midrule
|
||||
1 & 0 & 1 \\
|
||||
\midrule
|
||||
1 & 1 & 1 \\
|
||||
\bottomrule
|
||||
\end{tabular}
|
||||
\end{minipage}
|
||||
\begin{minipage}{.65\linewidth}
|
||||
\centering
|
||||
\includegraphics[scale=0.5]{/assets/images/was-ist-technik/or.png}
|
||||
\captionof{figure}[Logisches Oder durch einfache Schalter]{%
|
||||
Logisches Oder durch einfache Schalter\autocite[86]{kersken:fachinformatiker}
|
||||
}
|
||||
\end{minipage}
|
||||
|
||||
\vspace{2em}
|
||||
|
||||
\noindent\begin{minipage}{.30\linewidth}
|
||||
\begin{tabular}{ccc}
|
||||
\toprule
|
||||
1 & 2 & Und \\
|
||||
\midrule
|
||||
0 & 0 & 0 \\
|
||||
\midrule
|
||||
0 & 1 & 0 \\
|
||||
\midrule
|
||||
1 & 0 & 0 \\
|
||||
\midrule
|
||||
1 & 1 & 1 \\
|
||||
\bottomrule
|
||||
\end{tabular}
|
||||
\end{minipage}
|
||||
\begin{minipage}{.65\linewidth}
|
||||
\centering
|
||||
\includegraphics[scale=0.5]{/assets/images/was-ist-technik/and.png}
|
||||
\captionof{figure}[Logisches Und durch einfache Schalter]{%
|
||||
Logisches Und durch einfache Schalter\autocite[86]{kersken:fachinformatiker}
|
||||
}
|
||||
\end{minipage}
|
||||
|
||||
\vspace{2em}
|
||||
|
||||
0 und 1 lassen sich also in eine für die Hardware verständliche Sprache übersetzen. Größere Zahlen
|
||||
bekommt man, wenn man mehrere Nullen und Einsen zusammensetzt, genauso wie man es vom Dezimalsystem kennt.
|
||||
Es bleibt herauszufinden, wie man andere Informationen umwandeln kann.
|
||||
|
||||
Für einen Text ist es relativ einfach. Genauso wie in der Cäsar-Verschlüsselung kann man jedem Zeichen
|
||||
eine Zahl zuordnen. Es gibt deswegen sogenannte Kodierungen, Tabellen, die die Konvertierung zwischen
|
||||
den Zahlen und den Zeichen einer Schriftsprache ermöglichen. Eine der ältesten Kodierungen, die aber
|
||||
für die moderne Verhältnisse oft nicht mehr ausreicht, ist ASCII\@. Sie besteht aus 128 Zeichen, darunter
|
||||
sind sowohl die Buchstaben des lateinischen Alphabets (groß und klein separat), als auch Satzzeichen
|
||||
(Punkt, Komma und so weiter), als auch solche wie das Leerzeichen oder der Zeilenumbruch. Da man
|
||||
sehr bald einsehen musste, dass man vielmehr Zeichen braucht, um nicht englische Texte kodieren
|
||||
zu können, sind weitere Zeichenkodierungen entstanden wie UTF-8, UTF-16 oder UTF-32, wobei es auch
|
||||
viele anderen gibt (windows-1251, koi8-r und so weiter).
|
||||
|
||||
\noindent\begin{tabular}{cccccccccccccccc}
|
||||
\addlinespace[2em]
|
||||
\toprule
|
||||
\multicolumn{16}{c}{\textbf{ASCII}} \\
|
||||
\toprule
|
||||
97 & 98 & 99 & 100 & 101 & 102 & 103 & 104 & 105 & 106 & 107 & 108 & 109 & 110 & 111 & \dots \\
|
||||
\midrule
|
||||
0 & 1 & 2 & 3 & 4 & 5 & 6 & 7 & 8 & 9 & \@: & \@; & < & = & > & \dots \\
|
||||
\bottomrule
|
||||
\midrule
|
||||
65 & 66 & 67 & 68 & 69 & 70 & 71 & 72 & 73 & 74 & 75 & 76 & 77 & 78 & 79 & \dots \\
|
||||
\midrule
|
||||
A & B & C & D & E & F & G & H & I & J & K & L & M & N & O & \dots \\
|
||||
\bottomrule
|
||||
\toprule
|
||||
97 & 98 & 99 & 100 & 101 & 102 & 103 & 104 & 105 & 106 & 107 & 108 & 109 & 110 & 111 & \dots \\
|
||||
\midrule
|
||||
a & b & c & d & e & f & g & h & i & j & k & l & m & n & o & \dots \\
|
||||
\bottomrule
|
||||
\addlinespace[2em]
|
||||
\end{tabular}
|
||||
|
||||
Darstellung der Graphik ist recht ähnlich. Zunächst muss man ein Bild in die einzelnen
|
||||
„Buchstaben“ zerlegen. Im Falle der Graphik nennt man so einen „Buchstaben“
|
||||
ein \textit{Pixel}. Ein Pixel ist ein Bildpunkt. Die Pixel sind so klein, dass das menschliche
|
||||
Auge gar nicht merkt, dass ein Bild aus sehr vielen Pixeln zusammengesetzt wird, obwohl vor 30
|
||||
Jahren auf den alten Bildschirmen das noch zu sehen war. Da jedes Pixel eine eigene Farbe haben
|
||||
kann, muss jeder Farbe eine Zahl zugeordnet werden, die die jeweilige Farbe repräsentieren würde.
|
||||
Deswegen gibt es auch hier etwas etwas, was den Kodierungen der Buchstaben entpricht: Farbmodelle.
|
||||
Eines der am meistverbreiteten ist RGB (\textbf{R}ed, \textbf{G}reen, \textbf{B}lue).
|
||||
Die Farben entstehen aus Mischung der drei Grundfarben: Rot, Grün und Blau. Jeder der Grundfarben
|
||||
wird eine Zahl von 0 bis 255 zugeordnet, die der Intensivität der jeweiligen Farbe entspricht. Und
|
||||
man kann dann im Endeffekt jede Farbe als drei Zahlen jeweils von 0 bis 255 kodieren. Schwarz ist zum
|
||||
Beispiel [0, 0, 0] (alle Farben fehlen), Rot ist [255, 0, 0] (Rot hat den maximalen Wert, die anderen
|
||||
Farben sind nicht vorhanden), Gelb: [0, 255, 255] (Rot ist nicht vorhanden, Grün und Blau haben den
|
||||
maximalen Wert). Auch hier gilt es, dass es noch weitere Farbmodelle gibt, zum Beispiel
|
||||
\textit{CMYK}.
|
||||
|
||||
\noindent\begin{tabular}{ccccc}
|
||||
\addlinespace[2em]
|
||||
\toprule
|
||||
Rot & Grün & Blau & Schwarz & Weiß \\
|
||||
\midrule
|
||||
(255, 0, 0) & (0, 255, 0) & (0, 0, 255) & (0, 0, 0) & (255, 255, 255) \\
|
||||
\bottomrule
|
||||
\toprule
|
||||
Gelb & Pink & Dunkelgrün & Orange & Grau \\
|
||||
\midrule
|
||||
(0, 255, 255) & (255, 192, 203) & (0, 100, 0) & (255, 165, 0) & (190, 190, 190) \\
|
||||
\bottomrule
|
||||
\addlinespace[2em]
|
||||
\end{tabular}
|
||||
|
||||
Die Übersetzung der Informationen, Wahrnehmungen in eine für den Computer verständliche Form (in die
|
||||
digitale Form) heißt Digitalisierung. Dementsprechend, wenn man ein Ereignis mit einer Digitalkamera
|
||||
aufnimmt, wird die Aufname digitalisiert.
|
||||
|
||||
\begin{quote}
|
||||
In der Natur liegen alle Informationen zunächst in analoger Form vor: Das Bild, das Sie sehen,
|
||||
oder der Ton, den Sie hören, besitzt prinzipiell keine kleinste Informationseinheit oder Auflösung.
|
||||
Mit dieser Art von Informationen kann ein Computer heutiger Bauart nichts anfangen. Die besonderen
|
||||
Eigenschaften der Elektronik haben dazu geführt, dass Computer digital entworfen wurden.
|
||||
„Digital“ stammt vom englischen Wort \textit{digit} („Ziffer“); dieses Wort
|
||||
ist wiederum vom lateinischen \textit{digitus} („Finger“) abgeleitet, da die Finger von
|
||||
jeher zum Zählen eingesetzt wurden.\autocite[52]{kersken:fachinformatiker}
|
||||
\end{quote}
|
||||
|
||||
Es gibt mindestens einen sprachlichen Zusammenhang zwischen dem Zählen, das nach Kapp eines der Produkte
|
||||
der Organprojektion ist, und der digitalen Technik. Wenn man aus dem Fenster schaut, zählt man nicht die
|
||||
einzelnen Farben und unterteilt nicht das Gesehene in die kleinsten Bestandteile. Es ist nicht bekannt, ob
|
||||
die Natur überhaupt in die kleinsten Bausteine zerlegt werden kann. Es gibt auch eine Reihe von Emergenztheorien,
|
||||
die behaupten, dass die Natur mehr ist, als die Summe ihrer Teile.
|
||||
Von der Emergenz spricht man, wenn auf höheren Ebenen der Entwicklung Eigenschaften entstehen, die auf
|
||||
niedrigieren Ebenen nicht vorhanden waren und die nicht auf etwas noch grundlegenderes reduzierbar sind.
|
||||
|
||||
\begin{quote}
|
||||
Leben etwa ist eine emergente Eigenschaft der Zelle, nicht aber ihrer Moleküle; Bewusstsein ist
|
||||
eine emergente Eigenschaft von Organismen mit hoch entwickeltem Zentralnervensystem; Freiheit ist eine
|
||||
emergente Eigenschaft des menschlichen Organismus. Die einfacheren Lebensformen bilden zwar die Grundlage
|
||||
für die komplexeren; doch mit jedem Zusammenschluss zu einem neuen System entstehen auch qualitativ neue
|
||||
Eigenschaften, die es bei den vorangehenden Stufen noch nicht gab.“\autocite[93]{kather:leben}
|
||||
\end{quote}
|
||||
|
||||
Wir nehmen solche Systeme als eine Ganzheit wahr. Ein schöner Baum vermittelt uns kein
|
||||
ästhetisches Gefühl mehr, wenn er in Moleküle oder Atome zerlegt wird. Computer degegen, um solche
|
||||
Eindrücke verarbeiten und speichern zu können, zerlegen sie sie in Informationseinheiten. Damit das Bild
|
||||
eines Baumes auf meiner Festplatte gespeichert werden kann, muss es in möglichst kleine Punkte,
|
||||
von denen jedem eine Farbe zugeordnet wird, zerlegt werden, diese Bildpunkte oder Pixel müssen dann abgezählt
|
||||
werden und dann können sie gespeichert werden. Deswegen macht die Abstammung des Wortes
|
||||
„Digitalisierung“ vom „Finger“ als dem Organ, das beim Zählen
|
||||
Abhilfe schuf, immer noch Sinn: Bei der Digitalisierung werden die Elemente, zum Beispiel eines Bildes,
|
||||
abgezählt, weil nur eine endliche Anzahl von Elementen aufgenommen werden kann, und dann gespeichert.
|
||||
|
||||
Andererseits, obwohl wir unsere Umwelt als eine Ganzheit wahrnehmen, besteht die Natur aus kleineren
|
||||
Bausteinen. Der menschliche Körper besteht aus Molekülen, Atomen, Elementarteilchen. Und genauso hat
|
||||
man die Welt der Informationstechnologien aufgebaut. Es gibt immer eine Informationseinheit (ein
|
||||
Buchstabe, ein Pixel), aus deren Zusammenstellung ein komplexeres Gebilde entsteht (ein Text oder ein
|
||||
Bild). Wie ein Atom aus Protonen, Neutronen und Elektronen besteht, können auch solche
|
||||
„Informationseinheiten“ weiter zerlegt werden. Der Buchstabe „A“ des lateinischen
|
||||
Alphabets hat den ASCII-Code 65. 65 ist größer als 1, ist also nicht direkt repräsentierbar. In der
|
||||
binären Darstellung enspricht der Zahl 65, die Zahl 0100 0001. 0 oder 1 in dieser Folge heißen ein
|
||||
\textit{Bit}. Eine Folge aus 8 Bits ist ein \textit{Byte}. Ein Bit ist die kleinste Einheit für den
|
||||
Computer. Man braucht also ein Byte, um 65 oder „A“ speichern zu können. Und dieses Byte ist
|
||||
in noch kleinere „Elementarteilchen“, Bits, zerlegbar. Wenn die Technik in der Tat die
|
||||
unbewusste Projektion des menschlichen Organismus sein soll, dann ist die Art, wie die Verarbeitung der
|
||||
Daten im Computer abläuft, noch ein Beleg dafür.
|
||||
|
||||
Der Organprojektion verdankt man nach Kapp die Fähigkeit zu zählen. Diese Fähigkeit hat dem Menschen
|
||||
ermöglicht die Welt zu ermessen. Man hat gelernt Gewicht und Abstand zu messen. Mit der Einführung des
|
||||
Geldes kann man den Reichtum messen. Und heute kann man auch Informationen messen. Für das Messen
|
||||
des Abstandes wurden Einheiten eingeführt wie Millimeter, Zentimeter, Meter oder Kilometer; für diese
|
||||
des Gewichtes --- Gramme und Kilogramme. Um die Informationen digital darstellen zu können, müssen
|
||||
sie auch messbar sein. Die kleinste Informationseinheit ist ein Bit. Mit einem Bit ist nur ein 0 oder
|
||||
1 darstellbar. Eine Folge aus 8 Bits ist ein Byte. 1000 Bytes (B) sind ein Kilobyte. 1000 Kilobytes (KB)
|
||||
sind ein Megabyte (MB). Es gibt dann Gigabytes (GB), Terrabytes (TB), Petabytes (PB) und so weiter. Es
|
||||
gibt auch Masseinheiten die auf Besonderheit der Computer-Technik abgestimmt und vom binären
|
||||
Zahlensystem abgeleitet sind: 1 Kibibyte (KiB) = 1024 (2$^{10}$) Byte, 1 Mebibyte (MiB) = 1024 KiB und
|
||||
so weiter. Aber die Grundlage bleibt immer dieselbe: Man hat ein Zahlensystem, das dazu verhilft, die
|
||||
Information „abzählbar“ zu machen, damit man sie digital verarbeiten kann.
|
||||
|
||||
\subsection{Alte Prinzipien im Lichte der neuen Technik}
|
||||
|
||||
Maßeinheiten, Zahlen, Zahlensysteme kannte man vor der Elektrotechnik. Mit der Entwicklung der Technik
|
||||
hat man nur gelernt, sie anders einzusetzen. Das kann einerseits rechtfertigen, dass die
|
||||
Spekulationen der Technikphilosophie nicht vergänglich sind, dass sie mit dem Fortschritt der Technik
|
||||
nicht notwendig veraltet werden. Andererseits kann es auch für die Organprojektion sprechen, weil
|
||||
der eigene Organismus dasjenige ist, was den Menschen durch seine Geschichte begleitet hat, sodass
|
||||
die Erkenntnisse, die er aus seinem Organismus gewonnen hat, bestehen bleiben und nur erweitert,
|
||||
korrigiert und neu angewendet werden.
|
||||
|
||||
Auch von der Möglichkeit, Texte zu „digitalisieren“, konnte man sehr früh Gebrauch machen,
|
||||
und zwar im Zusammenhang mit der Kryptographie, das heißt der Verschlüsselung und Entschlüsselung von Daten.
|
||||
Den Bedarf, Nachrichten verschlüsselt zu verschicken, gibt es wohl mindestens so lange, wie es Kriege gibt.
|
||||
Eines der ältesten Verschlüsselungsverfahren wird Cäsar zugeschrieben:
|
||||
|
||||
\begin{quote}
|
||||
Julius Caesar is credited with perhaps the oldest known symmetric cipher algorithm. The so-called
|
||||
\textit{Caesar cipher} --- [\dots] --- assigns each letter, at random, to a number.
|
||||
This mapping of letters to numbers is the key in this simple algorithm.\autocite[30\psq]{davies:tls}
|
||||
\end{quote}
|
||||
|
||||
Was sich in den letzten Jahren geändert hat, ist, dass die Kryptographie nicht nur für bestimmte Gruppen
|
||||
(wie die Militär) interessant ist. Wenn man die Website seiner Bank, ein soziales Netzwerk oder seine
|
||||
Lieblingssuchmaschine besucht, werden die eingegebenen Daten verschlüsselt vor dem Versenden und dann am
|
||||
anderen Ende, vom Empfänger (der Bank, dem sozialen Netzwerk oder der Suchmaschine), entschlüsselt.
|
||||
|
||||
Bei der Cäsar-Verschlüsselung wird jeder Buchstabe eines geordneten Alphabets um mehrere Positionen nach
|
||||
rechts verschoben. „Verschieben“ heißt, einen Buchstaben mit einem anderen zu ersetzen,
|
||||
der $n$ Positionen weiter vorkommt. $n$ heißt dann \textit{Schlüssel} (\textit{key}). Zum Beispiel, wenn
|
||||
jedes Zeichen des Klartextes um 2 Positionen nach rechts verschoben werden muss, wird \textit{A}
|
||||
zu \textit{C}, \textit{B} zu \textit{D}, \textit{Z} zu \textit{B} usw. Um den Text dann wieder zu
|
||||
entschlüsseln, muss man die Anzahl der Positionen kennen, um die jedes Zeichen verschoben wurde,
|
||||
damit man das rückgängig machen kann (also um $n$ \textbf{nach links} verschieben). Dies ist
|
||||
ein \textit{symmetrischer} Algorithmus, weil für die Verschlüsselung und die Entschlüsselung derselbe
|
||||
Schlüssel $n$ verwendet wird: Bei der Verschlüsselung muss man um $n$ Positionen nach rechts verschieben,
|
||||
bei der Entschlüsselung --- um $n$ Positionen nach links.
|
||||
|
||||
Symmetrische Kyptographie wird immer noch weit eingesetzt. Wenn auch die modernen Algorithmen (Data Encryption
|
||||
Standard, Advanced Encryption Standard u.Ä.\autocite[Vgl.][30\psqq]{davies:tls}) etwas komplexer
|
||||
sind, funktionieren sie sehr ähnlich:
|
||||
|
||||
\begin{quote}
|
||||
With symmetric cryptography algorithms, the same key is used both for encryption and decryption. In some
|
||||
cases, the algorithm is different, with decryption „undoing“ what encryption did. In other
|
||||
cases, the algorithm is designed so that the same set of operations, applied twice successively, cycle
|
||||
back to produce the same result: [\dots].\autocite[30]{davies:tls}
|
||||
\end{quote}
|
||||
|
||||
Das heißt die Computerindustrie hat unsere Denkweise nicht kardinal geändert. Man hat mit der Technik nicht
|
||||
eine komplett neue Welt erschaffen, sondern man hat nach Wegen gesucht, erpobte Vorgehensweisen auf die neue
|
||||
Technik anzuwenden. Für die Techniktheorien, wie die von Kapp, kann es bedeuten, dass sie nicht komplett
|
||||
von der zu jeweiliger Zeit vorhandenen Technik abhängig. Ein vor Jahrtausenden entwickeltes
|
||||
Verschlüsselungskonzept findet immer noch Anwendung unter ganz anderen Bedingungen. Natürlich kann die
|
||||
Cäsar-Verschlüsselung nicht mehr eingesetzt werden, sie ist anfällig für die sogenannten
|
||||
„Brute-Force-Angriffe“: Ausprobieren aller möglichen Kombinationen oder Schlüssel. Für einen
|
||||
deutschen Text gibt es höchstens 30 Schlüssel, die man ausprobieren soll, um einen Text zu entschlüsseln
|
||||
(wenn man annimmt, dass das deutsche Alphabet 30 Buchstaben hat). Ein moderner Rechner kann diese Aufgabe
|
||||
in Sekunden lösen. Deswegen wurden Algorithmen entwickelt, die auch von einem Computer nicht so einfach
|
||||
rückängig zu machen sind, wenn man den Geheimschlüssel nicht kennt. Sie basieren aber auf derselben Grundlage
|
||||
und auch die kann man theoretisch durch das Ausprobieren aller möglichen Schlüssel umgehen, nur dass es
|
||||
auch für leistungstärkste Rechner Jahre und Jahrzehnte in Anspruch nehmen würde, dies durchzuführen.
|
||||
|
||||
\subsection{Eric Kandel. „Auf der Suche nach dem Gedächtnis“}
|
||||
|
||||
Wenn man eine Stufe tiefer geht und die Computertechnik auf der mechanischen Ebene betrachtet, findet
|
||||
man noch weitere Argumente für Kapps These.
|
||||
Bei einer oberflächlichen Betrachtung fällt einem sofort auf, dass die Computer komplexe Maschinen sind,
|
||||
die aus mehreren Bauteilen bestehen.
|
||||
|
||||
\begin{quote}
|
||||
Die Hardware besteht grundsätzlich aus Zentraleinheit und Peripherie. Zur Zentraleinheit zählen vor
|
||||
allem der Mikroprozessor, der Arbeitsspeicher (RAM), die verschiedenen Bus- und Anschlusssysteme sowie
|
||||
das BIOS\@. Zur Peripherie gehören sämtliche Bauteile, die zusätzlich an die Zentraleinheit angeschlossen
|
||||
werden; sie dienen der Ein- und Ausgabe sowie der dauerhaften Speicherung von
|
||||
Daten.\autocite[115\psq]{kersken:fachinformatiker}
|
||||
\end{quote}
|
||||
|
||||
Der menschliche Organismus hat auch eine „Peripherie“, zu der die „Bauteile“ gehören,
|
||||
die der „Ein- und Ausgabe“ dienen. Ein Eingabegerät eines Rechners ist zum Beispiel eine
|
||||
Tastatur oder Maus. Man tippt etwas ein, die Informationen werden an die Zentraleinheit weitergeleitet
|
||||
und dort verarbeitet. „Eingabegeräte“ des menschlichen Körpers sind seine Sinnesorgane, unter
|
||||
anderem seine Augen und Ohren. Man nimmt die Informationen aus der Außenwelt auf und sie werden zu seiner
|
||||
„Zentraleinheit“ weitergeleitet und dort verarbeitet. Zu Ausgabegeräten zählen
|
||||
der Bildschirm und die Lautsprecher. Das „Ausgabegerät“ des Menschen ist
|
||||
beispielsweise sein Mundwerk.
|
||||
|
||||
Zur Zentraleinheit gehört der Mikroprozessor (Central Processing Unit, kurz
|
||||
CPU)\autocite[Vgl.][119]{kersken:fachinformatiker},
|
||||
„das eigentliche Herzstück des Computers, das für die Ausführung der Programme sowie für die
|
||||
zentrale Steuerung und Verwaltung der Hardware zuständig
|
||||
ist.“\autocite[119]{kersken:fachinformatiker} Das, was für die Maschine der Mikroprozessor ist, ist für
|
||||
den Menschen sein Gehirn: „[\dots] alle Zellen [haben] spezialisierte Funktionen. Leberzellen
|
||||
beispielsweise führen Verdauungsaktivitäten aus, während Gehirnzellen über bestimmte Mittel verfügen,
|
||||
Informationen zu verarbeiten und miteinander zu kommunizieren.“\autocite[74]{kandel:gedaechtnis}
|
||||
|
||||
Der menschliche Körper besteht also aus verschiedenartigen Zellen, die für bestimmte Aufgaben zuständig
|
||||
sind. Man kann auch ein ähnliches Aufbaukonzept bei einem Rechner beobachten. Abgesehen vom Mikroprozessor
|
||||
kann er auch weitere Bestandteile wie die Grafikkarte oder Audiokarte, die zur Peripherie gehören, oder
|
||||
der Arbeitsspeicher, der ein Teil der Zentreinheit ist, haben.\autocite[Vgl.][120]{kersken:fachinformatiker}
|
||||
Und diese Bestandteile haben auch ihre spezifischen Funktionen, wie die Video- oder Audioverarbeitung.
|
||||
|
||||
Der Mikroprozessor ist allerdings das „Gehirn“ eines Rechners. Man kann sich einen Desktop-PC
|
||||
ohne eine Grafikkarte (der also nichts auf den Bildschirm ausgeben kann) kaum vorstellen. Es gibt
|
||||
aber auch die sogenannten Server, Computer, die bestimmte Dienste anbieten. Zum Beispiel, wenn man eine
|
||||
Webseite besucht, stellt man hinter den Kulissen eine Anfrage zu einem entfernten Computer, auf dem die
|
||||
Webseiteninhalte gespeichert sind. So ein Computer ist ein Beispiel eines Servers. Und solche
|
||||
Serversysteme bedürfen oftmals keine Bildschirmausgabe, ihre Aufgabe ist schlicht, die Anfragen der
|
||||
Benutzer anzunehmen, die richtigen Inhalte entsprechend der Anfrage auszusuchen und sie an den
|
||||
Besucher der Webseite schicken, damit er sie auf \textit{seinem} Bildschirm sehen kann. Wenn ein
|
||||
menschliches Organ „defekt“ ist, seine Funktionen nicht mehr vollständig ausführen kann, dann
|
||||
führt es zu Einschränkungen der Lebensqualität. Daher gibt es blinde und taube Menschen. Wenn einige
|
||||
Teile eines Computersystems defekt oder nicht vorhanden sind, dann ist seine Funktionalität auch
|
||||
eingeschränkt, es kann zum Beispiel keinen Ton wiedergeben oder kein Bild ausgeben. Die Art der
|
||||
Einschränkung ist aber in den beiden Fällen nicht dieselbe. Kapp hat ja immer auf den Unterschied
|
||||
zwischen dem Organischen und Mechanischen hingewiesen, darauf, dass wir uns „des Andranges solcher
|
||||
Ansichten erwehren [müssen], welche den redenden, organisch gegliederten Menschen in den Räder- und
|
||||
Tastenautomat Hübners einsargen möchten“\autocite[101]{kapp:technik}. Hier tritt die Differenz
|
||||
zwischen dem Organischen und Mechanischen nochmal ans Licht. Ein Organismus ist ein Ganzes, eine Einheit,
|
||||
die nicht ohne ein Verlust zerlegt werden kann, hier ist das Ganze mehr als die Summe der Teile. Ein
|
||||
Mensch kann wunderbar ohne eine Lunge auskommen (wenn man eine Lunge im Folge einer Krebskrankheit
|
||||
verloren hat). Vielleicht muss man auf manche Sportarten in seinem
|
||||
Leben verzichten, aber wenn man sowieso keinen Sport treibt, kann es für manche Menschen irrelevant
|
||||
sein. Und trotzdem wird es als eine Einschränkung betrachtet, als etwas, was normalerweise nicht der
|
||||
Fall sein soll. Ein Mechanismus dagegen ist die Summe der Teile und nicht mehr als das. Er ist
|
||||
nach einem Plan gebaut, da gibt es nichts Unbekanntes: „Das physikalische Gesetz deckt allerdings
|
||||
vollkommen den Mechanismus, nicht aber den Organismus, den wir nur insoweit begreifen, wie wir mit
|
||||
jenem reichen“\autocite[101]{kapp:technik}. Das Fehlen einiger Komponenten in einem Serversystem,
|
||||
die in einem Desktop-PC vorhanden sind, wird nicht als eine Einschränkung betrachtet, solange der Server
|
||||
seine Aufgaben erfüllen kann. Das heißt, solange die Technik ihrem unmittelbaren Zweck dienen kann, ist
|
||||
sie durch das Fehlen einiger Komponente nicht eingeschränkt. Selbst wenn die Audiokarte meines Rechners
|
||||
kaputtgeht, ist das mehr eine Einschränkung für mich, weil ich keinen Ton habe, als für meinen Rechner.
|
||||
|
||||
Wenn zu Kapps Zeiten die Organtransplantation und die Medizin überhaupt den heutigen Stand der Entwicklung
|
||||
gehabt hätte, würde er bestimmt noch auf Folgendes aufmerksam machen. Wenn ein technisches Gerät
|
||||
kaputtgeht, kann man es je nach der Art des Defektes reparieren. Wenn ein Kabel reißt, kann man es
|
||||
meistens löten, sodass es weiterhin seine Funktion erfüllt. Wenn ein Teil komplexer ist, ist es
|
||||
oft günstiger, dieses Teil einfach auszutauschen. Nun könnte man mit Kapp argumentieren, dass die
|
||||
Medizin ihre Entstehung dem verdankt, dass der Mensch gesehen hat, dass er von ihm erzeugte Artefakte
|
||||
reparieren kann, und daraus geschlossen hat, dass es eine Möglichkeit geben muss, auch den Menschen
|
||||
zu „reparieren“. Und diese Erkenntnis kann sehr alt sein, da sogar so etwas Einfaches wie
|
||||
ein Hammer kaputtgehen kann. Als man komplexere Maschinen reparieren musste, könnte einem
|
||||
eingefallen sein, dass man auch den Organismus durch ersetzen der Organe heilen kann. Im
|
||||
Gebrauchtwarenhandel (e.g.\ eBay) sind seit einiger Zeit Geräte „für Bastler“ zu kaufen, das heißt
|
||||
kaputte Geräte, denen man aber noch funktionierende Teile entnehmen kann, um ähnliche Modelle wieder
|
||||
beleben zu können --- die Möglichkeit, die einem Arzt durch das Vorhandensein eines Organspendeausweises
|
||||
bei einem Verstorbenen eröffnet wird.
|
||||
|
||||
Wie aber ein Mensch nicht ohne Gehirn leben kann, kann ein Computer nicht ohne den Mikroprozessor
|
||||
funktionieren. Eric Kandel, ein Gehirnforscher unserer Zeit, und ein
|
||||
Nobelpreisträger,\autocite[Vgl.][11--15]{kandel:gedaechtnis} schreibt in seinem Buch
|
||||
„Auf der Suche nach dem Gedächtnis“ über drei Prinzipien, auf denen die
|
||||
Biologie der Nervenzelle beruht:
|
||||
|
||||
\begin{quote}
|
||||
Die \textit{Neuronenlehre}
|
||||
(die Zelltheorie, auf das Gehirn angewandt) besagt, dass die Nervenzelle --- das Neuron --- der
|
||||
Grundbaustein und die elementare Signaleinheit des Gehirns ist. Die \textit{Ionenhypothese} betrifft
|
||||
die Informationsübertragung innerhalb der Nervenzelle. Sie beschreibt die Mechanismen, durch die einzelne
|
||||
Nervenzellen elektrische Signale, so genannte Aktionspotenziale, erzeugen, die sich innerhalb einer
|
||||
gegebenen Nervenzelle über beträchtliche Entfernungen ausbreiten können. Die \textit{chemische Theorie der
|
||||
synaptischen Übertragung} befasst sich mit der Informationsübermittlung zwischen Nervenzellen. Sie beschreibt,
|
||||
wie eine Nervenzelle mit einer anderen kommuniziert, indem sie ein chemisches Signal, einen Neurotransmitter,
|
||||
freisetzt. Die zweite Zelle erkennt das Signal und reagiert mit einem spezifischen Molekül, dem Rezeptor, an
|
||||
ihrer äußeren Membran.\autocite[75\psq]{kandel:gedaechtnis}
|
||||
\end{quote}
|
||||
|
||||
Bei jedem dieser drei Prinzipien handelt es sich um die Informationsübertragung. Der menschliche Körper
|
||||
ist ein komplexes System, dessen Untersysteme anhand von Signalen miteinander kommunizieren. Wenn ich etwas
|
||||
berühre, führt es zur Erregung einer Nervenzelle, die das Signal an andere Zellen und an das Gehirn
|
||||
weiterleitet. Funktional ist das derselbe Prozess, den man auch von Computern kennt: Wenn eine Taste
|
||||
der Tastatur betätigt wird, muss das über eine Kette der Signale dem Mikroprozessor mitgeteilt werden.
|
||||
|
||||
Auch der Sprachgebrauch der Neurobiologie verweist auf die Technik:
|
||||
|
||||
„[\dots] Nervenzellen [sind] innerhalb bestimmter Bahnen verknüpft, die er [Santiago Ram\'o y Cajal]
|
||||
neuronale Schaltkreise nannte.“\autocite[81]{kandel:gedaechtnis}
|
||||
|
||||
„Schaltkreis“ ist ein Begriff, der aus der Elektrotechnik kommt und jetzt in der
|
||||
Neurobiologie Anwendung findet. Kapp ist auch zu seiner Zeit auf eine Reihe von Begriffen aufmerksam
|
||||
geworden, die zunächst zur Beschreibung der Artefakte verwendet wurden, dann aber für die Beschreibung des
|
||||
Organismus übernommen wurden:
|
||||
|
||||
\begin{quote}
|
||||
Aus der Mechanik wanderten demzufolge zum Zweck physiologischer Bestimmungen eine Anzahl von
|
||||
Werkzeugnamen nebst ihnen verwandten Bezeichnungen an ihren Ursprung zurück. Daher spielen in der Mechanik
|
||||
der Skelettbewegungen Ausdrücke wie \textit{Hebel, Scharnier, Schraube, Spirale, Achsen, Bänder,
|
||||
Schraubenspindel, Schraubenmutter} bei der Beschreibung der Gelenke eine angesehene
|
||||
Rolle.\autocite[71]{kapp:technik}
|
||||
\end{quote}
|
||||
|
||||
Es ist bemerkenswert, dass Kandel die elektrische Signalübertragung „die Sprache des
|
||||
Geistes“\autocite[Vgl.][90]{kandel:gedaechtnis} nennt: „ [\dots] sie ist das Mittel,
|
||||
mit dessen Hilfe sich Nervenzellen, die Bausteine des Gehirns, miteinander über große Entfernungen
|
||||
verständigen.“\autocite[90]{kandel:gedaechtnis} Das heißt, dass das, was man der
|
||||
Computertechnik zugrunde gelegt hat, hat man dann in der Gehirnforschung wiedergefunden: Die Signalübertragung der
|
||||
anhand elektrischer Signale.
|
||||
|
||||
Hier endet allerdings die Ähnlichkeit der Funktionsweise nicht. Elektrische Signale werden bei der
|
||||
Computertechnik nicht einfach weiter, sondern auch nach Bedarf gestoppt. Zum Beispiel wird logisches
|
||||
Und mit einer Reihenschaltung mit zwei Schaltern realisiert.\autocite[Vgl.][86]{kersken:fachinformatiker}
|
||||
Wenn einer der Schalter geschlossen ist, wird das Signal gestoppt, was $0 \wedge 1 = 0$ oder
|
||||
$1 \wedge 0 = 0$ entsprechen würde. Bei den Nervenzellen kann man einen ähnlichen
|
||||
„Schaltmechanismus“ entdecken:
|
||||
|
||||
\begin{quote}
|
||||
[\dots] nicht alle Nerventätigkeit [ist] erregend (exzitatorisch) [\dots], dass also nicht alle
|
||||
Nervenzellen ihre präsynaptischen Endigungen dazu benutzen, die nächste Empfängerzelle in der Reihe zu
|
||||
stimulieren, damit sie die Information weiterleitet. Einige Zellen sind hemmend (inhibitorisch). Sie
|
||||
verwenden ihre Endungen dazu, die Empfängerzelle an der Weiterleitung der Information zu
|
||||
hindern.\autocite[87]{kandel:gedaechtnis}
|
||||
\end{quote}
|
||||
|
||||
Des Weiteren kennen auch die Nervenzellen keine „schwächere“ oder „stärkere“
|
||||
Signale:
|
||||
|
||||
\begin{quote}
|
||||
Adrians Aufzeichnungen in einzelnen Nervenzellen zeigten, dass Aktionspotenziale dem
|
||||
Alles-oder-Nichts-Gesetz gehorchen: Sobald die Schwelle für die Erzeugung eines Aktionspotenzial erreicht wird,
|
||||
ist das Signal stets gleich --- in der Amplitude wie in der Form\autocite[94]{kandel:gedaechtnis}
|
||||
\end{quote}
|
||||
|
||||
|
||||
\subsection{Asymmetrische kryptographische Algorithmen und die Stellung des Menschen}
|
||||
|
||||
Manche Anwendungsbereiche profitieren immer noch sehr stark von der ursprünglichen Tätigkeit der Rechner:
|
||||
dem Rechnen. Ein solcher Bereich ist die Kryptographie. Als nächstes möchte ich einen kryptographischen Algorithmus
|
||||
darstellen, der seit einigen Jahrzehnten erfolgreich im Internet eingesetzt wird. Mein Ziel dabei wäre, zu
|
||||
untersuchen, was die „Denkweise“ einer Maschine von der Denkweise eines Menschen unterscheiden
|
||||
kann. Kapp hat zwar versucht, die
|
||||
Organprojektion stark zu machen, aber hat trotzdem geglaubt, dass der Mensch nicht vollständig in
|
||||
eine Maschine projiziert werden kann, dass er immer Anlagen hat, die in der technischen Welt nicht
|
||||
vorkommen können.
|
||||
|
||||
Algorithmen, die mit einem Geheimwort, einem Geheimschlüssel arbeiten (sogenannte symmetrische Verschlüsselung)
|
||||
sind im Zeitalter des Internets nicht allein verwendbar. Das Problem ist, dass
|
||||
die beiden Seiten der Kommunikation einen Geheimschlüssel austauschen müssen. Wenn Sie eine E-Mail
|
||||
verschicken möchten, können Sie sie verschlüsseln, aber Sie müssen den Geheimschlüssel dem Empfänger
|
||||
mitteilen, damit er Ihre Nachricht auch entschlüsseln und lesen kann. Wenn Sie den Geheimschlüssel zusammen
|
||||
mit der Nachricht verschicken, dann geht die ganze Sicherheit verloren, weil, dann jeder, der den Zugriff
|
||||
zu Ihrer Nachricht bekommt, kann sie auch entschlüsseln. Um dieses Problem zu lösen, wurden
|
||||
„asymmetrische“ kryptographische Verfahren entwickelt. Sie operieren genauso wie
|
||||
die Cäsar-Verschlüsselung mit den Schlüsseln, aber für die Verschlüsselung und Entschlüsselung werden
|
||||
verschiedene Schlüssel verwendet (deswegen nennt man sie asymmetrisch). Deren Funktionsweise ist der
|
||||
der symmetrischen Algorithmen nicht ähnlich, weil ihnen bestimmte Eigenschaften der Zahlen zugrunde liegen.
|
||||
Streng genommen kann man mit deren Hilfe nur Zahlen verschlüsseln und die Tatsache, dass man
|
||||
viele Informationen in der Form von Zahlen darstellen kann, macht deren Verwendung überhaupt erst möglich.
|
||||
|
||||
„By far the most common public-key algorithm is the „RSA“ algorithm, named after its
|
||||
inventors Ron \textit{Rivest}, Adi \textit{Shamir}, and Leonard
|
||||
\textit{Adleman}.“\autocite[91]{davies:tls}
|
||||
|
||||
RSA ist relativ simpel. Dessen Sicherheit basiert nicht auf komplexen Formeln, sondern darauf, dass es
|
||||
mit sehr großen Zahlen operiert wird, sodass selbst die leistungsstärksten Rechner Jahrzehnte brauchen
|
||||
würden, um auf die richtige Antwort zu kommen, ohne den Geheimschlüssel zu kennen. Und das mit Einbeziehung
|
||||
der Tatsache, dass die Computer immer schneller werden.
|
||||
|
||||
Also für die Verschlüsselung und Entschlüsselung werden zwei Schlüssel verwendet, einen davon nennt man
|
||||
den öffentlichen Schlüssel (\textit{public key}), den anderen --- den privaten Schlüssel (\textit{private
|
||||
key}). Der öffentliche Schlüssel heißt so, weil er öffentlich gemacht wird. Das eigentliche
|
||||
„Geheimwort“ ist der private Schlüssel. Stellen wir uns zwei Personen vor, Max und Sven, und
|
||||
Max will dem Sven eine E-Mail senden. Dafür muss Sven im Besitz der zwei oben genannten Schlüssel sein.
|
||||
Den öffentlichen Schlüssel stellt Sven dem Max und jedem anderen zur Verfügung, den privaten kennt nur er.
|
||||
Max verschlüsselt seine Nachricht mit Svens öffentlichem Schlüssel, verschickt sie, und nur der Besitzer
|
||||
des privaten Schlüssels, Sven, kann die Nachricht entschlüsseln. Der private Schlüssel wird zu keinem
|
||||
Zeitpunkt verschickt, der bleibt immer bei Sven. So verschwindet das Problem, das man mit der
|
||||
symmetrischen Kryptographie hat. Man muss nur zwei Schlüssel generieren können, die die Eigenschaft
|
||||
besitzen, dass, wenn man mit dem einen etwas verschlüsselt, allein der Besitzer des dazugehörigen
|
||||
privaten Schlüssels, es entschlüsseln kann.
|
||||
|
||||
Was sind diese Schlüssel eigentlich? Jeder davon besteht aus je zwei Zahlen:
|
||||
|
||||
$e$ und $n$ --- Öffentlicher Schlüssel.
|
||||
|
||||
$d$ und $n$ --- Privater Schlüssel.
|
||||
|
||||
Wenn $m$ die Nachicht ist, die verschüsselt werden soll, dann funktioniert es, wie folgt:
|
||||
|
||||
\begin{equation}
|
||||
c = m^e \bmod n
|
||||
\end{equation}
|
||||
|
||||
$c$ ist jetzt die verschlüsselte Nachricht. $e$ und $n$ gehören, wie oben beschrieben, zu dem öffentlichen
|
||||
Schlüssel. $a \bmod b$ berechnet den Rest der Division $a$ geteilt durch $b$. Bei der Entschlüsselung
|
||||
bedient man sich derselben Formel, nur $e$ wird mit $d$ (die Komponente des privaten Schlüssels) ersetzt:
|
||||
|
||||
\begin{equation}
|
||||
m = c^d \bmod n
|
||||
\end{equation}
|
||||
|
||||
\subsubsection{Beispiel}
|
||||
|
||||
Nehmen wir an, Max will Sven die PIN seiner Bankkarte „1234“ übermitteln. Sven hat Max
|
||||
seinen öffentlichen Schlüssel mitgeteilt (der aus 2 Zahlen besteht):
|
||||
|
||||
\begin{gather*}
|
||||
e = 79 \\
|
||||
n = 3337
|
||||
\end{gather*}
|
||||
|
||||
Der private Schlüssel von Sven (den nur er kennt, aber nicht Max) ist:
|
||||
|
||||
\begin{gather*}
|
||||
d = 1019 \\
|
||||
n = 3337
|
||||
\end{gather*}
|
||||
|
||||
Max berechnet:
|
||||
|
||||
\begin{equation*}
|
||||
1234^{79} \bmod 3337 = 901
|
||||
\end{equation*}
|
||||
|
||||
Sven bekommt $901$ und berechnet:
|
||||
|
||||
\begin{equation*}
|
||||
901^{1019} \bmod 3337 = 1234
|
||||
\end{equation*}
|
||||
|
||||
So kann Sven verschlüsselte Nachrichten empfangen, ohne seinen Geheimschlüssel jemandem mitteilen zu
|
||||
müssen.\autocite[Vgl.][114\psq]{davies:tls} Wenn wir wissen, dass alle Informationen, mit denen ein Computer
|
||||
arbeiten kann als Zahlen repräsentierbar sind, kann man diese Vorgehensweise für jede vermittels eines
|
||||
Computers geschehende Kommunikation verwenden.\footnote{Am Rande erwähnt wird die asymmetrische Kryptographie
|
||||
nicht zur Verschlüsselung der eigentlichen Nachrichten verwendet, es ist zu langsam, um große Mengen
|
||||
an Informationen zu verschlüsseln, sondern sie wird nur für das \textit{Key Exchange} verwendet.
|
||||
Die symmetrischen Algorithmen hatten das Problem, dass beide Kommunikationspartner denselben Schlüssel
|
||||
teilen müssen. Algorithmen, wie RSA, benutzt man, um den Schlüssel eines symmetrischen Algorithmus dem
|
||||
anderen Kommunikationspartner zu übermitteln. Danach wird die Kommunikation normalerweise symmetrisch
|
||||
verschlüsselt.}
|
||||
|
||||
In dem Beispiel oben wurden sehr kleine Zahlen verwendet. Aber selbst die Berechnungen mit diesen
|
||||
Zahlen sind für einen Menschen zu komplex (Das Ergebnis von $901^{1019}$ hat über 3000 Stellen).
|
||||
|
||||
\begin{quote}
|
||||
The security of the system relies on the fact that even if an attacker has access to $e$ and $n$ ---
|
||||
which he does because they're public --- it's computationally infeasbile for him to compute $d$. For
|
||||
this to be true, $d$ and $n$ have to be enormous --- at least 512 bit numbers (which is on the order of
|
||||
$10^{154}$) --- but most public key cryptosystems use even larger numbers. 1,024- or even 2,048-bit numbers are
|
||||
common.\autocite[92]{davies:tls}
|
||||
\end{quote}
|
||||
|
||||
Eine 512-Bit-Zahl ist eine Zahl bis $2^{512}$, eine 1024-Bit-Zahl --- bis $2^{1024}$, 2048-Bit --- bis $2^{2048}$.
|
||||
Inzwischen wird oft empfohlen, 4096-Bit-Zahlen zu verwenden.
|
||||
|
||||
\subsubsection{Diskreter Logarithmus}
|
||||
|
||||
Der Modulus $n$ ist das Produkt zweier großer Zahlen $p$ und $q$:
|
||||
|
||||
\begin{gather}
|
||||
n = pq
|
||||
\end{gather}
|
||||
|
||||
Danach muss man die Exponenten $e$ und $d$ so wählen, dass gilt:
|
||||
|
||||
\begin{equation}
|
||||
{(m^e)}^d \bmod n = m
|
||||
\end{equation}
|
||||
|
||||
Man schafft sich Abhilfe mit der \textit{eulerschen Funktion}:
|
||||
|
||||
\begin{equation}
|
||||
\phi(n) = (p - 1)(q - 1)
|
||||
\end{equation}
|
||||
|
||||
Danach wählt man $e$ und $d$, sodass gilt:
|
||||
|
||||
\begin{equation}
|
||||
e \cdot d \bmod \phi(n) = 1
|
||||
\end{equation}
|
||||
|
||||
\begin{quote}
|
||||
The security in RSA rests in the difficulty of computing first the private exponent $d$
|
||||
from the public key $e$ and the modulus $n$ as well as the difficulty in solving the equation $m^x\%n = c$ for
|
||||
m. This is referred to as the \textit{discrete logarithm} problem. These problems are both strongly
|
||||
believed (but technically not proven) to be impossible to solve other than by enumerating all possible
|
||||
combinations.\autocite[130]{davies:tls}
|
||||
\end{quote}
|
||||
|
||||
\subsubsection{Kreativität und Intuition}
|
||||
|
||||
Die Tatsache, dass der Algorithmus funktioniert, verdankt also RSA nicht einer Kenntnis, sondern
|
||||
einer \textit{Unkenntnis}, einem mathematischen Problem, für das man keine Lösung hat, von dem
|
||||
man \textit{glaubt}, dass es keine Lösung hat; und im Zusammenhang mit der Sicherheit kann man vielleicht auch
|
||||
sagen, dass man \textit{hofft}, dass man keine Lösung findet.
|
||||
|
||||
Menschliches Handeln, zumindest so, wie wir es erleben, basiert nicht nur auf Berechnungen. Der Mensch
|
||||
kann \textit{hoffen}, \textit{glauben}.
|
||||
|
||||
Davies schreibt im Bezug auf die asymmetrische Kryptographie Folgendes: „In general, public-key cryptography
|
||||
aims to take advantage of problems that computers are inherently bad at [\dots].“\autocite[91]{davies:tls}
|
||||
Er behauptet, dass die Computer grundsätzlich schlecht im
|
||||
Lösen einiger mathematischer Probleme sind. Das stößt beim ersten Lesen auf Fragen. Eigentlich sind
|
||||
die Computer oft viel besser in der Mathematik als die Menschen. \textit{Computer Algebra Systems} (CAS)
|
||||
sind Programme, die für die Arbeit mit algebraischen Ausdrücken entwickelt sind. Sie können alle möglichen
|
||||
Berechnungen durchführen und Gleichungen lösen. Aber das Lösen der Gleichungen muss
|
||||
einem CAS zunächst „beigebracht“ werden, es muss unterstützt sein, das heißt ein gewisser Algorithmus
|
||||
muss implementiert werden, nach dem die Gleichung gelöst werden kann.
|
||||
|
||||
Der Mensch sucht aber nicht nur nach Lösungen gewisser mathematischer Probleme, sondern auch nach Problemen
|
||||
selbst. Das ist ein kreativer Vorgang. Und bei manchen Problemen bleibt einem nichts anderes übrig, als
|
||||
sich auf seine Intuition zu verlassen, wie im oben aufgeführten Problem. Man muss auch in Betracht ziehen,
|
||||
dass man in dem Fall mit RSA viel Vetrauen seiner Intuition schenkt, weil die Wichtigkeit der
|
||||
Sicherheitssysteme für eine Informationsgesellschaft nicht zu unterschätzen ist. Das heißt man muss fest
|
||||
davon überzeugt sein, dass das Problem des diskreten Logarithmus zumindest nicht sehr bald gelöst werden
|
||||
kann.
|
||||
|
||||
Man kann im Bezug zu Maschinen nicht von der Kreativität, Intuition, einer Überzugung oder einem Glauben
|
||||
sprechen. Wir haben sie gebaut, wir wissen, wie sie funktionieren, wir wissen, dass sie nichts glauben.
|
||||
Selbst wenn wir von der Künstlichen Intelligenz sprechen, von den Maschinen, die selbst lernen, und die so
|
||||
viel gelernt haben, dass wir nicht mehr nachvollziehen können, wie sich die Maschine die einzelnen Inhalte
|
||||
beigebracht hat, so wissen wir zumindest, wie der Lernprozess selbst funktioniert, dass er nicht auf der
|
||||
Intuition, sondern auf der kalten Berechnung basiert.
|
||||
|
||||
Nun kann es natürlich sein, dass auch der Mensch nichts weiter als ein Bioroboter ist, der nur glaubt,
|
||||
dass er etwas glauben, von etwas überzeugt sein kann. Dann kann die Maschine den Stand des Menschen
|
||||
eines Tages einholen und ihn vielleicht sogar überholen. Das ist wohl das wichtigste und das stärkste
|
||||
Argument gegen Kapps Menschenbild. Dieses Argument hat allerdings auch problematische Seiten. Es sind
|
||||
ja die Menschen, die alles mit Bedeutung füllen. Ich kann mir auch nicht sicher sein, ob mein Nachbar
|
||||
etwas fühlt, hofft oder glaubt, oder ob er nur so tut. Erst wenn ich meinen Mitmenschen als solchen
|
||||
akzeptiere, schreibe ich ihm Eigenschaften zu, die ich selbst als Mensch zu besitzen glaube. Das
|
||||
heißt, wenn ein Roboter aus der Zukunft genauso aussieht, sich verhält, spricht wie ein Mensch, ist es
|
||||
immer noch zu wenig, ihn einem Menschen gleichzusetzen, zumindest, wenn der Mensch für mich nicht auf
|
||||
die physikalischen Eigenschaften reduzierbar ist.
|
||||
|
||||
Eine der Möglichkeiten, diesen Sachverhalt zu verdeutlichen, ist ein Gedankenexperiment, das den
|
||||
Namen „Chinesisches Zimmer“ bekommen hat, der „als Standardargument der Philosophie
|
||||
des Geistes und der Künstlichen Intelligenz betrachtet werden“ kann.\autocite[8]{dresler:KI}
|
||||
Man stellt sich ein Computersystem, das chinesisch verstehen kann, es könnte beispielsweise Fragen
|
||||
auf Chinesisch beantworten, auf Aufforderungen reagieren und so weiter. So ein Programm würde chinesisch
|
||||
verstehen ohne es zu verstehen.\autocite[Vgl.][8]{dresler:KI} Und das zweite „Verstehen“ ist
|
||||
eben in dem Sinne jenes Erlebnisses, das wir als Verstehen kennen, gemeint.
|
||||
|
||||
Ich behaupte hiermit nicht, dass dieses Argument den Status des Menschen als eines einzigartigen
|
||||
Wesens rettet; ich will viel mehr zeigen, dass die Frage nach dem Menschsein nicht durch die Entwicklung
|
||||
der Technik gelöst oder aufgehoben werden kann.
|
||||
|
||||
\section{Würdigung}
|
||||
|
||||
Kapps Theorie der Organprojektion ist umstritten. Sie hat ihre Schwächen. Diese Schwächen sind
|
||||
aber nicht dadurch entstanden, dass die Theorie zu alt für die moderne Technik ist, dass sie überholt
|
||||
ist. Genauso wie zu Kapps Zeiten stößt sie auch heute auf Kritik. Man kann sie genauso in der heutigen
|
||||
Zeit vertreten mit Einbeziehung neuer Entwicklungen, neuer Beispiele. In gewisser Hinsicht wird die
|
||||
Organprojektionstheorie durch den Umstand gestärkt, dass sie nicht auf die Zeit ihrer Entstehung
|
||||
beschränkt geblieben ist, sondern dass immer neue Tatsachen aufgetaucht sind, die ihrer Unterstützung
|
||||
dienen können.
|
||||
|
||||
Die Mechanisierung schreitet fort. Immer noch ist der Streit laut zwischen denen, die glauben, dass
|
||||
der Mensch eine Maschine ist, die künstlich nachgebaut werden kann, und denen, die das menschliche
|
||||
Schaffen dem Schaffen der Natur unterordnen. Wobei die Teilung auf diese zwei Lager ist nicht
|
||||
so eindeutig. Vielleicht wird man tatsächlich eines Tages im Stande sein, einen Roboter zu bauen,
|
||||
der sich äußerlich und in dem, wie er handelt, vom Menschen nicht unterscheidet. Aber ist er
|
||||
deswegen mit einem Menschen gleichzusetzen? Hat der Mensch nicht etwas Immaterielles in sich?
|
||||
Einen Geist oder eine Seele? Die Antwort auf diese Frage kann unterschiedlich ausfallen. Für
|
||||
Kapp war der Mensch und die Natur etwas, was von der Technik nie nachgeholt werden kann. Die
|
||||
Entwicklung der Robotertechnik macht schwieriger zu vertreten. Und trotzdem dünkt es mich, dass man
|
||||
ihn nie als „nicht aktuell“ abtun kann. Schließlich hat die Frage nach dem Status des
|
||||
Menschen einiges gemeinsam mit der Gottesfrage. Wenn man als Beispiel das Christentum nimmt, ist es
|
||||
irrelevant, wie viel von der Natur man physikalisch erklären kann, Gott bleibt jenseits der Natur.
|
||||
Genauso kann es geglaubt werden, dass ein Teil des Menschen immer jenseits der physikalischen
|
||||
Welt liegt, oder dass der Körper sogar der „Kerker der Seele“ ist, der das Eigentliche
|
||||
im Menschen festhält, wie es bei Platon auftaucht\autocite[Vgl.][21]{platon:kratylos}. Die
|
||||
Entwicklung der Technik beeinflusst die Anthropologie, aber es ist schwierig sich vorzustellen, dass
|
||||
jene diese überflüssig machen kann.
|
||||
|
||||
Die ersten Werkzeuge hatten viele Ähnlichkeiten mit den menschlichen Organen. Komplexere Maschinen
|
||||
waren immer weniger ähnlich, aber haben den Anfang ihrer Entstehungsgeschichte in den einfachen
|
||||
Werkzeugen. Es ist aufregend zu sehen, wie die äußerliche Ähnlichkeit jetzt zurückkehrt. Man
|
||||
baut Roboter, die Hände, Beine, die Struktur eines menschlichen Organismus haben, und die ähnlich
|
||||
wie Menschen lernfähig sind. Der Unterschied ist, dass laut Kapp der Mensch am Anfang seiner Geschichte
|
||||
sich unbewusst in seine Werkzeuge projiziert hat. Die Entwicklung der Roboter und der
|
||||
Künstlichen Intelligenz ist hingegen voll bewusst. Man schaut, wie der Mensch sich entwickelt,
|
||||
wie er lernt, wie er aufgebaut ist, und versucht das technisch zu reproduzieren. Aber das Streben selbst,
|
||||
auf diese Weise die Natur zu erklären, sie besser zu verstehen, ist bemerkenswert. Kapp hätte auch
|
||||
hundert Jahre später kaum weniger Argumente gehabt, um seine Theorie zu verteidigen.
|
717
themes/posts/2017/12/ki-begriffsklaerung.tex
Normal file
717
themes/posts/2017/12/ki-begriffsklaerung.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,717 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2017-12-25 00:00:00
|
||||
tags: Aufsatz
|
||||
title: Künstliche Intelligenz. Eine Begriffsklärung
|
||||
teaser:
|
||||
<p>Es ist relativ neu, dass man angefangen hat, technischen Artefakten menschliche Eigenschaften zuzuschreiben.
|
||||
So spricht man heute von „intelligenten“ Maschinen. Es gibt intelligente Menschen, die gebildet,
|
||||
begabt sind. Die Maschinen, Computer werden programmiert, um einen bestimmten Zweck zu erfüllen, sie arbeiten
|
||||
nach einem vordefinierten Algorithmus. Bestenfalls kann so ein Algorithmus aktualisiert werden.
|
||||
Wäre es jedoch vielleicht möglich, ein Programm zu schreiben, das das menschliche Lernvermögen nachbildet
|
||||
und lernen kann? Es ist tatsächlich möglich und in diesem Fall spricht man von der <em>künstlichen Intelligenz</em>
|
||||
(<em>Artificial Intelligence</em>) und dem <em>maschinellen Lernen</em> (<em>Machine Learning</em>), von der
|
||||
Fähigkeit einer Maschine, selbst zu lernen, also den Algorithmus, nach dem sie arbeitet, weiter zu entwickeln
|
||||
und zu verändern. Das, was eine Maschine auf diese Weise gelernt hat, ist oft so komplex, dass man nicht mehr
|
||||
sagen kann, wie genau sie das gelernt hat und wie sie zu Ergebnissen kommt, die sie liefert. Ob es ausreichend
|
||||
ist, von der Intelligenz zu sprechen, im selben Sinne, wie man von der menschlichen Intelligenz spricht, ist
|
||||
eine schwierige Frage. Selbst die menschliche Intelligenz ist kein eindeutig definierter, ein vager Begriff,
|
||||
der viele subjektive Merkmale in sich trägt.</p>
|
||||
---
|
||||
\section{Einleitung}
|
||||
|
||||
Die Technik gibt es seit sehr langem. Der Mensch war schon immer abhängig von seiner Technik und
|
||||
verdankte ihr seinen kulturellen Aufstieg. Sie erleichterte das Überleben in der Natur, ermöglichte
|
||||
den Bau der Städte und die Entwicklung der Zivilisationen, half bei der Kriegsführung und der Erforschung
|
||||
und dem Bewohnen neuer Territorien. Mit der Zeit wurde die Technik immer komplexer: Angefangen mit einfachen
|
||||
Werkzeugen hat man gelernt, komplexere Maschinen zu bauen. Dies hatte wiederum eine enorme Wirkung auf die
|
||||
Kultur. Viele schwere Arbeiten konnten auf die Maschinen verlagert werden; die Bildung hat einen neuen
|
||||
Aufschwung bekommen; Wissenschaften hatten neue Mittel, um Experimente durchzuführen und immer weiter
|
||||
fortzusrchreiten. Schon sehr lange ist der Mensch von seiner Technik umgeben; Es ist nicht erst gestern
|
||||
passiert, dass er sich von ihr abhängig gemacht hat und seine Geschichte mit der der
|
||||
Technik verbunden hat. Was sich aber im Laufe der Zeit gewandelt hat, ist die Art der angesetzten Technik.
|
||||
|
||||
Es ist relativ neu, dass man angefangen hat, technischen Artefakten menschliche Eigenschaften zuzuschreiben.
|
||||
So spricht man heute von „intelligenten“ Maschinen. Es gibt intelligente Menschen, die gebildet,
|
||||
begabt sind. Die Maschinen, Computer werden programmiert, um einen bestimmten Zweck zu erfüllen, sie arbeiten
|
||||
nach einem vordefinierten Algorithmus. Bestenfalls kann so ein Algorithmus aktualisiert werden.
|
||||
Wäre es jedoch vielleicht möglich, ein Programm zu schreiben, das das menschliche Lernvermögen nachbildet
|
||||
und lernen kann? Es ist tatsächlich möglich und in diesem Fall spricht man von der \textit{künstlichen Intelligenz}
|
||||
(\textit{Artificial Intelligence}) und dem \textit{maschinellen Lernen} (\textit{Machine Learning}), von der
|
||||
Fähigkeit einer Maschine, selbst zu lernen, also den Algorithmus, nach dem sie arbeitet, weiter zu entwickeln
|
||||
und zu verändern. Das, was eine Maschine auf diese Weise gelernt hat, ist oft so komplex, dass man nicht mehr
|
||||
sagen kann, wie genau sie das gelernt hat und wie sie zu Ergebnissen kommt, die sie liefert. Ob es ausreichend
|
||||
ist, von der Intelligenz zu sprechen, im selben Sinne, wie man von der menschlichen Intelligenz spricht, ist
|
||||
eine schwierige Frage. Selbst die menschliche Intelligenz ist kein eindeutig definierter, ein vager Begriff,
|
||||
der viele subjektive Merkmale in sich trägt.
|
||||
|
||||
Dass wir die Programme entwickeln können, die sich selbst „weiterschreiben“, weiterentwickeln
|
||||
können, birgt viele Möglichkeiten und viele Gefahren in sich. Einerseits können die Maschinen dem Menschen
|
||||
nicht nur schwere körperliche Arbeit abnehmen, sondern auch einige geistige Tätigkeiten. Zum Beispiel das
|
||||
Übersetzen von Texten in andere Sprachen kann teilweise von Computern übernommen werden, die ihre
|
||||
„Sprachkenntnisse“ selbst immer mehr verbessern können. Andererseits, wenn man nicht mehr
|
||||
versteht, wie genau die von ihm konstruierte Maschine handelt, fühlt man sich bedroht. Es werden auch Stimmen
|
||||
laut, dass die nächste Stufe der Evolution nicht eine biologische, sondern eine technische Evolution sei und,
|
||||
dass der Mensch sehr bald vom Werk seiner Hände überholt werde.\autocite[7ff]{kurzweil:menschheit}
|
||||
|
||||
Das Ziel dieser Arbeit ist, auf die künstliche Intelligenz und neuronale Netze, nicht nur aus technischer,
|
||||
sondern auch philosophischer Sicht zu schauen. Wenn wir von der künstlichen Intelligenz sprechen,
|
||||
verwenden wir viele Begriffe wie Lernen, Lernerfolg, Intelligenz, deren Bedeutung aber nicht immer
|
||||
klar ist. Und ich finde, dass das, wie wir über die Maschinen sprechen,
|
||||
viel darüber sagt, wie sich unser eigenes Menschenbild im technischen Zeitalter verändert oder verändert hat.
|
||||
|
||||
\section{Maschinelles Lernen}
|
||||
|
||||
Maschinelles Lernen ist ein Zweig der künstlichen Intelligenz, in dem es darum geht, einem künstlichen
|
||||
System das Gewinnen von Wissen zu ermöglichen. Ein auf diese Weise lernendes System kann eine gestellte
|
||||
Aufgabe nicht nach einem vordefinierten Algorithmus lösen, sondern ist fähig, selbst zu lernen, wie die
|
||||
Aufgabe zu lösen ist.
|
||||
|
||||
Maschinelles Lernen ist sehr vielfältig und hat verschiedene Anwendungen. Es kann grob in zwei große Kategorien
|
||||
unterteilt werden: überwachtes und unüberwachtes Lernen.
|
||||
|
||||
\subsection{Überwachtes Lernen (Supervised Learning)}
|
||||
|
||||
Beim überwachten Lernen stehen dem Lernenden eine Menge von Eingaben und den dazugehörigen Ausgaben zur Verfügung.
|
||||
Das heißt es gibt eine Reihe von Ausgangsituationen und eine Reihe möglicher Antworten beziehungsweise Reaktionen
|
||||
auf jene Situationen, wobei zwischen den ersteren und den letzteren eine Abhängigkeit vorhanden ist.
|
||||
Das Ziel des Algorithmus ist jetzt diese Abhängigkeit zu entdecken, sie zu „erlernen“.
|
||||
|
||||
\begin{quote}
|
||||
\textit{Supervised learning} algorithms assume that some variable X is
|
||||
designated as the target for prediction, explanation, or inference, and that
|
||||
the values of X in the dataset constitute the „ground truth“ values for
|
||||
learning.\autocite[154]{danks:ai}
|
||||
\end{quote}
|
||||
|
||||
Zum überwachten Lernen gehört auch das sogenannte \textbf{bestärkende Lernen (Reinforcement Learning)}.
|
||||
Das ist das Lernen durch „Versuch und Irrtum“. Dem lernenden System steht hier keine Menge
|
||||
möglicher Ausgaben, sodass der Algorithmus aus vorhandenen Daten lernen könnte, dafür kann es mit seiner
|
||||
Umgebung interagieren und von dieser „belohnt“ oder „bestraft“ werden. Also der
|
||||
Algorithmus wird aus der Umgebung bewertet und anhand dieser Bewertung kann er lernen, wie er anhand
|
||||
einer Eingabe zu der richtigen Ausgabe gelangt.
|
||||
|
||||
„The learning algorithms used on reinforcement learning adjusts
|
||||
the internal neural parameters relying on any qualitative or quantitative information
|
||||
acquired through the interaction with the system (environment) being mapped, [\dots]“\autocite[27]{silva:ai}
|
||||
|
||||
Maschinelles und bestärkendes Lernen wird schon seit längerer Zeit bei Spam-Erkennung verwendet. Als Spam
|
||||
werden unerwünschte E-Mails, zum Beispiel Werbung, die man nicht bestellt hat, genannt. Es gibt auch einen
|
||||
Gegenbegriff zum Spam: Ham, also normale E-Mails, die man in seinem E-Mail-Postfach erwartet.
|
||||
|
||||
Wie ein Programm lernt, Spam von Ham zu unterscheiden, kann man damit vergleichen, wie es ein Mensch lernt.
|
||||
Sie bekommen unerwünschte Werbung per Post. Es ist ein Briefumschlag mit einer unpersönlichen Anrede und ein
|
||||
kleines Heft. Sie blättern es durch und sehen, dass sie daran nicht interessiert sind und schmeißen es weg.
|
||||
Wenn Sie ein ähnliches Heft nächstes Mal bekommen, blättern Sie vielleicht nochmal durch, um sicher zu sein,
|
||||
dass es nichts Wichtiges bzw\@. etwas, was Sie abonniert haben, ist. Wenn Sie einige Wochen später nochmal so ein
|
||||
Heft bekommen, reicht nur ein Blick. Vielleicht haben Sie den Namen desselben Unternehmens oder bekannte
|
||||
Produktabbildungen oder einen ähnlichen Werbetext gesehen --- Sie schmeißen es, ohne genauer zu schauen, weg.
|
||||
Sie haben gelernt, dass derartige Hefte mit Werbung keine für Sie hilfreiche Information enthalten.
|
||||
|
||||
In vielen Mail-Programmen gibt es inzwischen die Funktion „Als Spam markieren“. Wenn eine E-Mail
|
||||
als Spam markiert wird, analysiert der Spam-Filter den Inhalt der E-Mail und merkt, wie viele Male jedes Wort
|
||||
in der Nachricht vorkommt. Dieselbe Analyse macht der Filter für die anderen Nachrichten, die nicht als Spam
|
||||
markiert wurden. Langsam sammelt sich eine Datenbank mit der Anzahl der Vorkommnisse verschiedener Wörter in
|
||||
Spam- und Ham-Nachrichten. Anhand dieser Daten kann dann der Filter erkennen, dass bestimmte Wörter nur in
|
||||
Spam-Mails vorkommen, aber nicht in Ham, und kann ohne die Einmischung des Menschen entscheiden, ob eine E-Mail
|
||||
unerwünscht ist oder nicht. So ein Verfahren ist natürlich nicht fehlerfrei. Es kommt sowohl dazu, dass Spam durch
|
||||
so einen Filter unerkannt durchdringen kann, als auch dazu, dass Ham im Spam-Ordner landet. Auf diversen Webseiten
|
||||
kann man lesen: „Wenn Sie keine E-Mail innerhalb von \textit{X} Stunden erhalten haben, überprüfen Sie Ihren
|
||||
Spam-Ordner“. Wenn Ham als Spam eingestuft wird, spricht man vom \textit{False-Positive}. Es gibt meistens
|
||||
wiederum die Funktion, um die Spam-Markierung von der E-Mail zu entfernen. Dadurch kann der Filter neu lernen
|
||||
und seine Datenbank aktualisieren beziehungsweise anpassen.
|
||||
|
||||
Wir haben gesehen, dass eine der Möglichkeiten, Spam zu erkennen, darauf basiert, den Spam-Filter mit der
|
||||
Umgebung, also mit dem Benutzer, kommunizieren zu lassen. Der Benutzer hat eine Möglichkeit dem Filter mitzuteilen,
|
||||
ob eine E-Mail Spam oder Ham ist, woraus der Filter lernen kann. Je länger so ein Filter eingesetzt wird und je
|
||||
mehr er auf diese Weise trainiert wird, desto geringer wird die Wahrscheinlichkeit des False-Positives.
|
||||
|
||||
\subsection{Unüberwachtes Lernen (Unsupervised Learning)}
|
||||
|
||||
\begin{quote}
|
||||
\textit{Unsupervised learning} algorithms do not single out any particular
|
||||
variables as a target or focus, and so aim to provide a general
|
||||
characterization of the full dataset.\autocite[154]{danks:ai}
|
||||
\end{quote}
|
||||
|
||||
Beim unüberwachten Lernen wird keine bestimmte Ausgabe, kein bestimmter Wert bei der Ausgabe erstrebt, wie es
|
||||
bei dem überwachten Lernen der Fall ist. Vielmehr geht es darum, eine innere Struktur in den Daten zu entdecken.
|
||||
|
||||
Ein Standardbeispiel für unüberwachtes Lernen ist ein soziales Netzwerk. In großen sozialen Netzwerken kann
|
||||
man sein Interesse oder Desinteresse dadurch zeigen, dass man bestimmte Beitrage positiv markiert
|
||||
beziehungsweise blockiert. Ein gutes soziales Netzwerk würde, um seinen Nutzern genüge zu tun, die einem
|
||||
bestimmten Benutzer angezeigten Beiträge zensieren, und ihm nur diejenigen zeigen, die er wahrscheinlich
|
||||
mag und nicht diejenigen, die er blockieren würde. Aber das Netzwerk weiß nicht im Voraus, dass es
|
||||
Beiträge zu verschiedenen Themen gibt: Kunst, Politik, Sport und so weiter. Schließlich können immer neue
|
||||
Themen auftauchen. Das Netzwerk lernt selbst die Beiträge und Benutzer zu klassifizieren. Das Lernen geht
|
||||
über die Erforschung der Vorlieben einer bestimmten Person hinaus. Nehmen wir an in Profilen zweier Personen
|
||||
unter „Interessen“ steht, dass sie gern Tennis spielen und beide lesen gerne Nachrichten eines
|
||||
Sportvereins, der eine eigene Seite im sozialen Netzwerk hat. Wenn eine dritte Person jetzt angibt, dass sie
|
||||
gern Tennis spielt, hat das soziale Netzwerk den Grund anzunehmen, dass dieser Person auch die Nachrichten
|
||||
des Sportvereins gefallen werden. Das heißt das Netzwerk lernt aufgrund komplexer Zusammenhänge, dass es bestimmte
|
||||
Gruppen, Themen- und Interessenbereiche gibt. Es gibt hier keine richtige Antwort, man überwacht nicht alle
|
||||
registrierten Benutzer und korrigiert das Netzwerk nicht: Nein, dieser Mensch gehört dieser Gruppe nicht. Und
|
||||
wenn ich einen Beitrag blockiere und markierte, bedeutet es nicht unbedingt, dass ich eine Bewertung abgebe, wie
|
||||
gut das Netzwerk gelernt hat. Es kann schließlich sein, dass ich heute keine Lust auf meinen Sportverein habe,
|
||||
sonst aber gerne lese, was er schreibt.
|
||||
|
||||
Die Unterteilung in Gruppen, Klassifizierung ist in der Wirklichkeit sehr komplex und unterzieht sich oft der
|
||||
Möglichkeit, sich auf irgendeine Weise kontrollieren oder bewerten zu lassen. Unüberwachtes Lernen kann hier
|
||||
Abhilfe schaffen.
|
||||
|
||||
\section{Neuronale Netze}
|
||||
|
||||
In diesem Abschnitt handelt es sich um eine mögliche Realisierung des maschinellen Lernens und zwar anhand
|
||||
der neuronalen Netze.
|
||||
|
||||
\subsection{Biologisches Vorbild}
|
||||
|
||||
Ein „neuronales Netz“, wie der Name raten lässt, ist ein Netz das aus
|
||||
Neuronen beziehungsweise Nervenzellen besteht. Das Neuron ist kein technischer Begriff, er stammt aus
|
||||
der Biologie: „[\dots] die Nervenzelle --- das Neuron --- [ist] der Grundbaustein und die elementare
|
||||
Signaleinheit des Gehirns [\dots]“\autocite[75]{kandel:gedaechtnis} Neuronale Netze haben nicht nur
|
||||
den Begriff des Neurons aus der Gehirnforschung übernommen, sondern auch einige weitere, und überhaupt
|
||||
haben sie menschliches Gehirn zu ihrem Vorbild.
|
||||
|
||||
Die Nervenzelle besteht aus drei Komponenten: einem Zellkörper mit zwei Arten von Fortsätzen,
|
||||
Axone und Dendriten.\autocite[Vgl.][79]{kandel:gedaechtnis} Diese Fortsätze der Nervenzelle dienen
|
||||
der Signal- beziehungsweise der Informationsübertragung:
|
||||
|
||||
\begin{quote}
|
||||
Mit den Dendriten empfängt das Neuron Signale von anderen Nervenzellen, und mit dem Axon sendet es
|
||||
Informationen an andere Zellen\@. [\dots] Die Axonendigungen eines Neurons kommunizieren mit den
|
||||
Dendritten eines anderen Neurons nur an speziellen Stellen, die von Sherrington später Synapsen
|
||||
genannt wurden (von griechisch \textit{s\'{y}napsis} --- „Verbindung“).\autocite[81]{kandel:gedaechtnis}
|
||||
\end{quote}
|
||||
|
||||
Synapsen sind ein weiterer Begriff, der für maschinelles Lernen wichtig ist. Sie verbinden
|
||||
die Neuronen miteinander und kodieren die bisher gelernten Informationen. In künstlichen sowie in
|
||||
biologischen neuronalen Netzen sind nicht alle Neuronen miteinander verbunden. Im Falle der biologischen
|
||||
neuronalen Netze sind „Nervenzellen innerhalb bestimmter Bahnen verknüpft [\dots], die
|
||||
er [Santiago Ram\'{o}n y Cajal] neuronale Schaltkreise nannte. Signale bewegen sich darin in
|
||||
vorhersagbaren Mustern.“\autocite[81]{kandel:gedaechtnis} Auch im Gehirn sind die Synapsen für
|
||||
die Informationsspeicherung und Lernerfahrung verantwortlich, da das Lernen die synaptische Stärke und
|
||||
dadurch die Kommunikation zwischen Neuronen verändern kann.\autocite[Vgl.][220]{kandel:gedaechtnis}
|
||||
|
||||
\subsection{Einschichtiges feedforward-Netz}
|
||||
|
||||
In diesem Abschnitt soll die Funktionsweise eines neuronalen Netzes an einem Beispiel erklärt werden.
|
||||
Nehmen wir an, wir wollen den Zusammenhang zwischen der Anzahl der Stunden, die man mit dem
|
||||
Lernen und dem Schlafen am Tag vor einer Klausur verbracht hat, und dem Ergebnis der Klausur,
|
||||
gemessen in Prozent, herausfinden.
|
||||
|
||||
Zu unseren Eingabedaten zählen:
|
||||
|
||||
\begin{enumerate}
|
||||
\item Stunden geschlafen.
|
||||
\item Stunden gelernt.
|
||||
\end{enumerate}
|
||||
|
||||
Basierend auf diesen Daten wollen wir vorhersagen, wie das Ergebnis der Klausur ausfällt. Da wir am Anfang
|
||||
nicht blind raten wollen, nehmen wir auch an, dass wir eine Testperson zur Verfügung haben, die uns für die
|
||||
Untersuchung notwendige Parameter und das Endresultat ihrer Klausur mitteilt.
|
||||
|
||||
\begin{center}
|
||||
\begin{tabular}{c c}
|
||||
(gelernt; geschlafen) & Ergebnis \\
|
||||
\toprule
|
||||
(3 Std; 5 Std) & 70\% \\
|
||||
\bottomrule
|
||||
\end{tabular}
|
||||
\end{center}
|
||||
|
||||
Diese Daten wollen wir verwenden, um unser neuronales Netz zu „trainieren“, d\@.h\@. es
|
||||
muss anhand dieser Daten Vorhersagen über einen wahrscheinlichen Verlauf künftiger Klausuren machen können.
|
||||
|
||||
Bei unseren Berechnungen wollen wir nicht mit verschiedenen Maßeinheiten arbeiten. Zum Beispiel in unseren
|
||||
Daten haben wir die Eingabe in \textit{Stunden} und die Ausgabe in \textit{Prozent}, es ist allerdings nicht
|
||||
möglich Stunden in Prozente zu übersetzen oder umgekehrt. Unser Netz ist aber auch an Maßeinheiten oder an
|
||||
der Art unserer Daten nicht interessiert, es muss schließlich mögliche Zusammenhänge zwischen den Eingabe-
|
||||
und Ausgabewerten finden, unabhängig davon, ob es nun Stunden, Prozente, Kilogramme oder Meter sind.
|
||||
|
||||
Außerdem soll die Ausgabe $x$ die folgende Bedingung erfüllen soll:
|
||||
|
||||
\begin{gather}
|
||||
\{x \in \mathbb{N} \mid 0 \leq x \leq 100 \}
|
||||
\end{gather}
|
||||
|
||||
Um bessere Ergebnisse zu bekommen, werden wir hauptsächlich mit reellen Zahlen von 0 bis 1 rechnen.
|
||||
Um das zu erreichen werden die Stunden und die Prozentzahl durch 100 geteilt. Nach diesen Umwandlungen
|
||||
erhalten wir die folgende Tabelle:
|
||||
|
||||
\begin{center}
|
||||
\caption{table}{\textbf{Normalisiert}}
|
||||
\begin{tabular}{c c}
|
||||
(gelernt; geschlafen) & erwartetes Ergebnis \\
|
||||
\toprule
|
||||
(0{,}03; 0{,}05) & 0,7 \\
|
||||
\bottomrule
|
||||
\end{tabular}
|
||||
\end{center}
|
||||
|
||||
\subsection{Gewichtung}
|
||||
|
||||
Unser neuronales Netz wird insgesamt aus drei Schichten bestehen:
|
||||
|
||||
\begin{figure}[H]
|
||||
\centering
|
||||
\includegraphics{/assets/images/ki-begriffsklaerung/image1.png}
|
||||
\caption{Einfaches neuronales Netz}\label{fig:empty_network}
|
||||
\end{figure}
|
||||
|
||||
Jede dieser Schichten hat wiederum eins oder mehrere \textit{Neuronen}. Jedes dieser Neuronen kann
|
||||
Daten speichern (in unserem Fall --- eine Zahl). Die Neuronen sind untereinander mit \textit{Synapsen} verbunden.
|
||||
Eine Synapse kann wiederum Informationen speichern, i\@.e\@. sie werden auch mit einer Zahl versehen.
|
||||
|
||||
Die erste Schicht (Abbildung~\ref{fig:empty_network}, links) ist die Eingabeschicht, sie enthält die
|
||||
Eingabedaten. Als Eingabe haben wir zwei Werte pro Testlauf: die Anzahl der Stunden, die die Testperson gelernt
|
||||
und geschlafen hat. Diese zwei Werte sind unseren Eingaben, weil es die Daten sind, auf deren Basis wir eine
|
||||
Ausgabe erwarten, eine Vorhersage machen wollen. Die Ausgabeschicht ist die letzte Schicht
|
||||
(Abbildung~\ref{fig:empty_network}, rechts), sie hat nur ein Neuron, das Ergebnis der Klausur, das wir erwarten.
|
||||
Schließlich in der Mitte ist die verdeckte Schicht. Sie ist verdeckt, weil sie für den Endbenutzer
|
||||
nicht sichtbar ist, der Endbenutzer gibt schließlich eine Eingabe und bekommt am Ende eine Ausgabe, dazwischen
|
||||
werden, basierend auf dem, was das neuronale Netz vorher gelernt hat, nur eine Reihe von Berechnungen
|
||||
durchgeführt.\autocite[Vgl.][22]{silva:ai}
|
||||
|
||||
Nun hat unser Netz noch nichts gelernt, wir wollen das erstmal nur trainieren. Für den ersten Lauf müssen
|
||||
wir deswegen eine Reihe von Parametern \textit{zufällig} wählen.
|
||||
|
||||
Erstens brauchen wir die sogenannten \textit{Gewichte}. Gewichte sind Werte, die den Synapsen zugeordnet werden.
|
||||
Sie bestimmen, welchen Einfluss ein Eingabewert auf das Endergebnis hat. Die Gewichtung repräsentiert,
|
||||
was das Netz bisher gelernt hat.
|
||||
|
||||
In unserem Fall haben wir insgesamt 9 Synapsen, sodass jedes Neuron der Eingabeschicht mit allen Neuronen der
|
||||
verdeckten Schicht, und jedes Neuron der verdeckte Schicht mit dem Neuron der Ausgabeschicht verbunden werden
|
||||
kann. Ich versehe diese Synapsen mit den folgenden Werten (von oben nach unten und von links nach rechts):
|
||||
0.8, 0.4, 0.3, 0.2, 0.9, 0.5, 0.3, 0.5, 0.9. Es gibt erstmal keinen Grund, diese Werte und nicht andere
|
||||
auszuwählen. Sie sind zufällig gefällt und die einzige Bedingung, die sie erfüllen müssen, ist, dass jeder
|
||||
dieser Werte im Intervall $\left[ 0, 1 \right]$ liegen soll.
|
||||
|
||||
Schließlich müssen wir die Neuronen der Eingabeschicht mit unseren Ausgangsdaten füllen. Unsere Ausgangssituation
|
||||
graphisch dargestellt ist dann die folgende:
|
||||
|
||||
\begin{figure}[H]
|
||||
\centering
|
||||
\includegraphics{/assets/images/ki-begriffsklaerung/image2.png}
|
||||
\caption{Einfaches neuronales Netz}\label{fig:start_network}
|
||||
\end{figure}
|
||||
|
||||
\subsection{Vorwärtspropagation}
|
||||
|
||||
Im nächsten Schritt wird die verdeckte Schicht gefüllt. Da wir zwei Neuronen in der Eingabeschicht haben und
|
||||
jedes davon ist den Neuronen der verdeckten Schicht verbunden ist, führen jeweils zwei Synapsen von der
|
||||
Eingabeschicht zu einem der Neuronen der verdeckten Schicht. Wir multiplizieren den Wert des Neurones der
|
||||
Eingabeschicht mit den Gewichten der daraus ausgehenden Synapsen, addieren die Ergebnisse zusammen und schreiben
|
||||
das Endergebnis in das entsprechende Neuron der mittleren Schicht. Die Werte jedes der Neuronen der
|
||||
verdeckten Schicht werden also wie folgt berechnet:
|
||||
|
||||
\begin{equation}
|
||||
\begin{split}
|
||||
0{,}03 \cdot 0{,}8 + 0{,}05 \cdot 0{,}2 = 0{,}034\\
|
||||
0{,}03 \cdot 0{,}4 + 0{,}05 \cdot 0{,}9 = 0{,}057\\
|
||||
0{,}03 \cdot 0{,}3 + 0{,}05 \cdot 0{,}5 = 0{,}034
|
||||
\end{split}\tag{Verdeckte Schicht}
|
||||
\end{equation}
|
||||
|
||||
\begin{figure}[H]
|
||||
\centering
|
||||
\includegraphics{/assets/images/ki-begriffsklaerung/image3.png}
|
||||
\caption{Einfaches neuronales Netz}\label{fig:before_activation}
|
||||
\end{figure}
|
||||
|
||||
\subsection{Aktivierungsfunktion}
|
||||
|
||||
Da die Eingabe (die Stunden) nicht im Intervall $\left[ 0, 1 \right]$ liegt, verwenden wir eine
|
||||
\textit{logistische Aktivierungsfunktion}, deren Wertebereich $f(x) \in \mathbb{R} \mid 0 \leq x \leq 1$ ist:
|
||||
„The output result produced by the logistic function will always assume real values between zero
|
||||
and one.“\autocite[15]{silva:ai}
|
||||
|
||||
\begin{equation}
|
||||
f(x) = \frac{1}{1 + e^{-x}} \tag{Aktivierungsfunktion}
|
||||
\end{equation}
|
||||
|
||||
So bekommen wir nach den anschließenden Berechnungen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit eine Zahl zwischen 0 und 1,
|
||||
die anschließlich mit 100 multipliziert werden kann, um so auf die Prozente zu kommen.
|
||||
|
||||
Wir wenden zunächst die Aktivierungsfunktion auf jeden der vorher berechneten Werte an und schreiben
|
||||
das Ergebnis ebenfalls in die verdeckte Schicht.
|
||||
|
||||
\begin{equation}
|
||||
\begin{split}
|
||||
f(0{,}034) \approx 0{,}509\\
|
||||
f(0{,}057) \approx 0{,}514\\
|
||||
f(0{,}034) \approx 0{,}509
|
||||
\end{split}
|
||||
\end{equation}
|
||||
|
||||
\begin{figure}[H]
|
||||
\centering
|
||||
\includegraphics{/assets/images/ki-begriffsklaerung/image4.png}
|
||||
\caption{Einfaches neuronales Netz}\label{fig:activation}
|
||||
\end{figure}
|
||||
|
||||
Es bleibt jetzt nur noch dieselbe Berechnung durchzuführen wie mit der Eingabeschicht: Jeder der Werte
|
||||
der verdeckten Schicht wird mit dem entsprechenden Gewicht multipliziert und alle Ergebnisse werden
|
||||
anschließend summiert.
|
||||
|
||||
\begin{equation}
|
||||
\begin{split}
|
||||
0{,}509 \cdot 0{,}3 = 0{,}1527\\
|
||||
0{,}514 \cdot 0{,}5 = 0{,}257\\
|
||||
0{,}509 \cdot 0{,}9 = 0{,}4581
|
||||
\end{split}
|
||||
\end{equation}
|
||||
|
||||
\begin{equation}
|
||||
\begin{split}
|
||||
0{,}1527 + 0{,}257 + 0{,}4581 \approx 0{,}87
|
||||
\end{split}
|
||||
\end{equation}
|
||||
|
||||
Hier ist das komplett ausgefüllte neuronale Netz für unsere Testperson:
|
||||
|
||||
\begin{figure}[H]
|
||||
\centering
|
||||
\includegraphics{/assets/images/ki-begriffsklaerung/image5.png}
|
||||
\caption{Einfaches neuronales Netz}\label{fig:complete_network}
|
||||
\end{figure}
|
||||
|
||||
\subsection{Fehlerrückführung}
|
||||
|
||||
Man muss einsehen, dass das Resultat, zu dem wir am Ende kamen, absolut zufällig ist.
|
||||
In fast jeder Berechnung wurden Gewichte verwendet, die am Anfang zufällig ausgewählt wurden.
|
||||
Das heißt, wenn ich mich für andere Gewichtung entschieden hätte, käme auch etwas anderes dabei
|
||||
heraus. Und das ist jetzt die Aufgabe, die bevorsteht: die Gewichtung so anzupassen, dass sie
|
||||
zu einem genaueren Ergebnis führt. Dieser Schritt heißt \textbf{Fehlerrückführung}. Man versucht
|
||||
hier den Fehler geringer zu machen. In unserem Fall ist das Ergebnis, das wir erwartet haben, 0.7.
|
||||
Statdessen haben 0.87, was um 0.17 größer als das erwartete Ergebnis. Wenn wir diese Distanz
|
||||
zwischen dem aktuellen und dem erwarteten Ergebnis geringer machen, \textit{trainieren}
|
||||
wir das neuronale Netz.
|
||||
|
||||
Es gibt mehrere Methoden, die Fehlerrückführung durchzuführen. Die einfachste (und die schlechteste
|
||||
für die Praxis, weil sie für ein größeres Netz zu viel Zeit in Anspruch nehmen würde) wäre, einige der
|
||||
Gewichte zu ändern (man kann dafür wiederum andere zufällige Zahlen von 0 bis 1 verwenden), und
|
||||
alles dann nochmal mit diesen neuen Gewichten berechnet. Wenn man zu einem besseren Ergebnis kommt,
|
||||
kann man versuchen, die Gewichtung weiter anzupassen, bis das Resultat zufriedenstellend ist. Wenn
|
||||
das Ergebnis noch schlechter wird, versucht man dasselbe mit anderen Gewichten.
|
||||
|
||||
Das heißt, die \textbf{Vorwärtspropagation} und \textbf{Fehlerrückführung} werden mehrmals wiederholt,
|
||||
bis das Endresultat ausreichend genau ist. Schließlich ist eine Testperson für das Trainieren des
|
||||
neuronalen Netzes nicht ausreichend. Wenn wir weitere Daten erhalten, können wir sie genauso
|
||||
einsetzen, und den Endwert mit denselben Gewichten für diese neuen Daten berechnen. Dann können
|
||||
wir versuchen, die Gewichtung so anzupassen, dass für die beiden Fälle ein genaueres Ergebnis
|
||||
herauskommt. Dann ziehen wir noch eine dritte Testperson hinzu und so weiter\dots{} Irgendwann haben
|
||||
wir die Gewichtung so gewählt, dass wir damit rechnen können, dass wenn wir dem Netz neue Daten
|
||||
übergeben, wir eine gute Einschätzung für die Endnote bekommen. Es ist kaum möglich mit dem oben
|
||||
aufgeführten Netz. Neuronale Netze sind in der Praxis viel komplexer und haben mehrere verdeckte
|
||||
Schichten, was genauere Anpassung der Gewichte ermöglicht.
|
||||
|
||||
\section{Lernerfolg. Turing-Test}
|
||||
|
||||
Im Zusammenhang mit dem maschinellen Lernen sprechen wir vom Lernerfolg. Allerdings wurde es noch nicht
|
||||
geklärt, was Erfolg in diesem Fall bedeutet.
|
||||
|
||||
Um einen gewöhnlichen Einwand gegen den Erfolg der künstlichen Intelligenz zu erläutern, konstruieren
|
||||
wir ein futuristisches Beispiel, das in einer oder der anderen Form zum Thema vieler Filme der letzten
|
||||
Jahre geworden ist. Sagen wir, die Menschen haben einen Supercomputer entwickelt, dessen künstliche
|
||||
Intelligenz dermaßen fortgeschritten ist, dass er selbst weitere Maschinen entwerfen und produzieren kann.
|
||||
So beginnt eine neue Ära, in der die Maschinen sich selbt ohne die Einmischung des Menschen entwickeln.
|
||||
Schlussendlich wird der Mensch zu einer überholten, schwachen Spezies, deren Existenz nicht mehr förderlich
|
||||
für den weiteren technischen Fortschritt ist, sodass der mächtige Supercomputer sich dazu entscheidet,
|
||||
die menschliche Art auszulöschen. Nun hatte der Supercomputer, der eine solche Macht erlangt hat, alles über
|
||||
die Wissenschaft und Technik gelernt, was der Mensch je hätte lernen können, und diese Kenntnisse noch
|
||||
weiter gebracht hat. Man könnte sich aber fragen, ob der Erfolg des Lernens an der Anzahl der Erkenntnisse
|
||||
gemessen werden kann. In dem aufgeführten Beispiel hat sich die Technik, die der Mensch sich zuhilfe
|
||||
schuf, hatte gegen den Menschen gewendet und so gegen das moralische Prinzip, nach dem das menschliche
|
||||
Leben einen Wert an sich hat, verstoßen.
|
||||
|
||||
Wenn wir also vom Erfolg sprechen, beziehen wir den Erfolg nicht nur auf die eigentliche Tätigkeit (das
|
||||
Erwerben von Erkenntnissen), sondern auch auf das Endresultat --- wie die erworbenen Erkenntnisse angewandt
|
||||
werden. Bei der Bewertung ihrer Anwendung braucht man wiederum eine Ethik, die es ermöglicht, zu beurteilen,
|
||||
ob die Anwendung richtig oder falsch, gut oder böse ist. Man sieht sofort, wie schnell das Problem des Erfolgs
|
||||
sehr komplex und unübersichtlich wird. Ich werde deswegen dafür argumentieren, dass der Erfolg des
|
||||
Lernens nur in dem Sinne des unmittelbaren Erfolgs ohne die Einbeziehung der Konsequenzen verstanden werden
|
||||
muss. Desweiteren werde ich versuchen den Erfolg anhand des Turing-Tests etwas genauer zu bestimmen.
|
||||
|
||||
Alan Turing stand vor einem ähnlichen Problem, als er das, was wir heute Turing-Test nennen, vorgeschlagen
|
||||
hat. Das Lernen, die Suche nach Gesetzmäßigkeiten und die Anwendung des Gelernten und Erforschten sind
|
||||
wichtige Aspekte menschlicher Denktätigkeit. Wenn wir davon sprechen, dass die Computer selbstständig
|
||||
lernen, stellt sich die Frage, ob sie dann auch denken kennen? Um zu sagen, ob die Computer denken
|
||||
können, muss man dann definieren, was das Denken eigentlich ist und dann schauen, ob diese Definition
|
||||
auf die Computersysteme angewandt werden kann.
|
||||
|
||||
Nun ist es aber alles andere als trivial, eine Definition für das Denken zu finden. Das eigentliche Problem
|
||||
besteht aber nicht darin, dass eine solche Definition eine schwierige Aufgabe ist, sondern darin, dass
|
||||
die Angabe einer Definition des Denkens sich sowohl dem Interessenbereich der Technik als auch
|
||||
dem Interessenbereich der Wissenschaft entzieht. Wir verbinden das Denken mit den Gehirnaktivitäten. Aber
|
||||
spielt es für einen Gehirnforscher in seiner wissenschaftlichen Forschung eine Rolle, was das Denken ist?
|
||||
Er kann durchaus eine private Überzeugung haben, dass das, was wir unter dem Denken verstehen, nichts weiter
|
||||
als die Gehirnaktivität ist, oder, dass das, was wir im Gehirn beobachten, nur auf eine bestimmte Weise
|
||||
unser Denken repräsentiert. Aber ob er sich für die erste Möglichkeit, oder für die zweite, oder für eine
|
||||
dritte entscheidet, ist für seine eigentliche wissenschaftliche Forschung von wenig Bedeutung. Auch
|
||||
umgekehrt: Wenn man eines Tages weiß, dass man jede geistige Aktivität auf Gehirnaktivitäten zurückführen
|
||||
kann, bedeutet es, dass ich mich ab dann für einen vollständig von den physikalischen Gesetzen
|
||||
bestimmten Bio-Roboter halte, der keinen eigenen Willen hat?
|
||||
|
||||
Es ist ganz natürlich den Gegenständen menschliche Eigenschaften und Aktivitäten zuzurschreiben:
|
||||
„Der Computer \textit{will} nicht funktionieren“. Natürlich kann es bei einem kaputten
|
||||
Rechner keine Rede vom Willen sein. Das ist bloß eine Redewendung. Aber wenn die Computer viel
|
||||
leistungsfähiger werden, passiert die Zuschreibung viel bewusster, wir fangen an, von ihrer Intelligenz,
|
||||
ihrem Denken oder dem Erfolg ihrer Aktivitäten zu sprechen. Diese Begriffe sind aber in der Sprache sehr
|
||||
oft ambivalent und werden intuitiv verwendet. Deswegen ist es auch problematisch, sie auf andere
|
||||
Gegenstände zu übertragen.
|
||||
|
||||
Um das höchstproblematische Reden vom Denken im Fall der Computer zu vermeiden, hat Alan Turing
|
||||
„The Imitation Game“\autocite[433f]{turing:mind} vorgeschlagen. Dieses Imitationsspiel
|
||||
wird von drei Personen gespielt: einem Mann (A), einer Frau (B) und einem Fragesteller (C), dessen
|
||||
Geschlecht für das Spiel irrelevant ist. Der Fragesteller kennt die beiden anderen Personen A und B
|
||||
nicht und befindet sich in einem anderen Raum. Das Ziel des Spiels für den Fragesteller besteht
|
||||
darin, richtig zu erraten, wer von A und B ein Mann und wer eine Frau ist. Dabei kann der Fragesteller
|
||||
den übrigen Spielteilnehmern Fragen stellen und Antworten auf seine Fragen bekommen. Die Teilnehmer
|
||||
kommunizieren miteinander so, dass der Befragende und die Befragten einander weder sehen noch
|
||||
hören können, zum Beispiel sie könnten einander Texte über das Internet versenden. A und B sind nicht
|
||||
verpflichtet, ehrliche Antworten auf die Fragen zu geben. Die Aufgabe von A ist, dem Befragenden zu
|
||||
helfen, B soll ihn im Gegenteil in die Irre führen.\autocite[433f]{turing:mind}
|
||||
|
||||
\begin{quote}
|
||||
We now ask the question, „What will happen when a machine takes the part of A in this
|
||||
game?“ Will the interrogator decide wrongly as often when the game is played like this
|
||||
as he does when the game is played between a man and a woman? These questions replace our
|
||||
original, „Can machines think?“\autocite[434]{turing:mind}
|
||||
\end{quote}
|
||||
|
||||
Das heißt, die Maschine soll die Rolle eines Spielers --- entweder A oder B --- übernehmen. Es gibt
|
||||
keine Frau, keinen Mann und Fragesteller mehr, sondern einen Menschen, eine Maschine und den
|
||||
Fragesteller (menschlich). Wenn es für den Fragesteller genauso schwierig ist, ohne einen direkten
|
||||
Kontakt eine Maschine von einem Menschen zu unterscheiden, wie eine Frau von einem Mann, dann hat
|
||||
die Maschine den Turing-Test bestanden.
|
||||
|
||||
Im Grunde, um den Erfolg des Lernens eines Computersystems zu bewerten, wird hier eine funktionale
|
||||
Beschreibung verwendet. Anstatt nach der Washeit der Dinge zu fragen: Was ist Denken? Was ist Erfolg?
|
||||
Können diese Begriffe auf ein Computersystem angewandt werden?, fragt man, ob und wie gut das System
|
||||
eine bestimmte Funktion ausführen, einen Test bestehen kann. Der Turing-Test scheint mir auch die beste
|
||||
Methode zu sein, um den Erfolg des Lernes eines Computersystems zu bewerten. Vor allem, weil so ein
|
||||
funktionaler Test einen Aufschluss darüber gibt, welche Stufe in der Entwicklung der künstlichen
|
||||
Intelligenz man bereits erreicht hat, und was noch verbessert werden muss, um den Lernerfolg zu
|
||||
vergrößern. Er gibt auch eine Skala an, von der abgelesen werden kann, ob ein Algorithmus bessere
|
||||
Ergebnisse liefert als ein anderer. Dies ermöglicht den technischen Fortschritt und die Verbesserung
|
||||
der Algorithmen. Diese Skala gibt es aber nicht oder sie ist sehr verschwommen, wenn der Lernerfolg eine
|
||||
ethische Perspektive haben soll.
|
||||
|
||||
Was ich hiermit nicht sagen will, ist, dass die Ethik für die Entwicklung der
|
||||
künstlichen Intelligenz unwichtig ist. Es macht nur wenig Sinn sie in die Definition des Lernerfolgs
|
||||
eines künstlichen Systems einzubeziehen. Um so ein System weiter zu entwickeln, braucht man eine
|
||||
technische Definition des Erfolgs, die ermöglicht, die Schwächen dieses Systems aufzuzeigen, an denen
|
||||
noch gearbeitet werden soll. Eine voreilige Einbeziehung einer ethischen Bewertung würde den Fortschritt
|
||||
im Bereich der künstlichen Intelligenz unnötig verkomplizieren und verlangsamen. Eine ethische Bewertung
|
||||
der künstlichen Intelligenz als solchen und dessen, wie sie eingesetzt wird, ist im Gegenteil nützlich
|
||||
und nötig, um die Möglichkeit einer bösartigen Anwendung deren zu verringern.
|
||||
|
||||
Ich meine auch nicht, dass eine ethische Auseinandersetzung der technischen Entwicklung zeitlich
|
||||
folgen soll. Es kann zu spät sein, sich mit etwas auseinanderzusetzen, was schon da ist. Vielmehr sollen
|
||||
die Bereiche des Technischen und Ethischen voneinander getrennt sein. Wenn ein Informatiker oder ein
|
||||
Mathematiker an einem neuen Algorithmus für maschinelles Lernen arbeitet, ist er wahrscheinlich
|
||||
gar nicht daran interessiert, ein künstliches System zu erschaffen, das ihm ermöglicht, die Welt
|
||||
zu beherrschen, womöglich ist er nur an seinem Fach interessiert und will sehen, wie weit man die
|
||||
künstliche Intelligenz bringen kann. Natürlich soll man sich Gedanken darüber machen, was passiert,
|
||||
wenn man den neuen Algorithmus oder die neue Technologie auf den Markt bringt, das darf aber nicht
|
||||
der eigentlichen Forschung im Wege stehen.
|
||||
|
||||
\section{Dritt- und Erstperson-Perspektive}
|
||||
|
||||
Kommen wir auf die Frage „Können die Maschinen denken?“ zurück. Was ist an dieser
|
||||
Frage so problematisch, sodass Alan Turing sie umzugehen suchte, außer dass der Begriff
|
||||
„Denken“ schwierig zu definieren ist. Oder warum ist er schwierig zu
|
||||
definieren? Das Denken für den Menschen ist ein \textit{Erlebnis}, das heißt ich erlebe mich
|
||||
selbst als ein denkendes Wesen. Ich gehe davon aus, dass auch die anderen Menschen sich als
|
||||
denkende Wesen erleben, obwohl ich nicht mit Sicherheit sagen kann, wie sich das Denken eines
|
||||
anderen Menschen für ihn anfühlt, was und wie er denkt. Man denke nur an die Diskussionen, ob
|
||||
Tiere Freude oder Leiden empfinden können, ob sie denken können. Es ist relativ naheliegend,
|
||||
dass andere Menschen denken können, aber es ist nicht klar, ob man das von den anderen Lebewesen
|
||||
behaupten kann. Desto unklarer ist es, wenn man von etwas spricht, was überhaupt kein
|
||||
Lebewesen ist.
|
||||
|
||||
Anstatt der Maschine einen Geist und eine Art Innerlichkeit zuzuschreiben, entwickelt sich aber
|
||||
die Tendenz, den Menschen mechanisch zu verstehen. Wenn Sören Kierkegaard sagt:
|
||||
„Der Mensch ist Geist“\autocite[11]{kierkegaard:krankheit}, so heute ist der Mensch immer
|
||||
öfter sein Gehirn: „In Germany, leading neuroscientists like Wolf Singer and Gerhard
|
||||
Roth are omnipresent in TV and press. They speak of the brain as if they were talking about a
|
||||
person.“\autocite[164]{foerster:neuroturn} Kierkegaards Mensch und sein Geist waren nicht bloß
|
||||
eine immaterielle Substanz, sondern vielmehr eine Synthese „aus Unendlichkeit und Endlichkeit,
|
||||
aus dem Zeitlichen und dem Ewigen, aus Freiheit und
|
||||
Notwendigkeit, [\dots]“\autocite[11]{kierkegaard:krankheit} Ob die Beschreibung des Menschen
|
||||
als Gehirn genauer zutrifft, ist fraglich. Yvonne Förster in ihrem Artikel „Effects of the
|
||||
Neuro-Turn: The Neural Network as a Paradigm for Human Self-Understanding“ macht darauf
|
||||
aufmerksam, dass obwohl bei der Erforschung des Gehirns nur die Drittperson-Perspektive in die Betrachtung
|
||||
einbezogen wird, eine Verschiebung der Terminologie von der Philosophie zu den Neurowissenschaften
|
||||
stattfindet:
|
||||
|
||||
\begin{quote}
|
||||
While phylosophy works with concepts, experience, reflection, and linguistic
|
||||
description, neuroscience, on the other hand, uses these philosophical terms within
|
||||
a third-person framework of observation, imaging techniques, and
|
||||
measurements.\autocite[163]{foerster:neuroturn}
|
||||
\end{quote}
|
||||
|
||||
Eine Reihe von Begriffen, wie der freie Wille oder das Bewusstsein, für die die Innenperspektive
|
||||
unentbehrlich ist, werden aus der Drittperson-Perspektive beurteilt und beschrieben.
|
||||
Doris Nauer spricht auch davon, dass bei der Erforschung geistiger Funktionen
|
||||
„NaturwissenschaftlerInnen zunehmend die Interpretationsgrenzen rein naturwissenschaftlicher
|
||||
Forschung überschreiten“.\autocite[35]{nauer:seelsorge}
|
||||
Außerdem merkt Förster an, dass die Neurowissenschaften keinen direkten Zugang auch zum Gehirn oder den
|
||||
Neuronen selbst haben, vielmehr arbeiten sie mit Modellen:
|
||||
|
||||
\begin{quote}
|
||||
The neural gains its visibility only via technology. The process of making the neural visible is
|
||||
not a simple representation of something otherwise hidden. Rather it is a production of images by
|
||||
means imaging techniques. What we get to see is not the inside of our skull, not copies of our
|
||||
neurons, but reconstructions modeled according to a certain set of rules of computation. The neural
|
||||
net as we know it from neuroscientific imagery is not a photograph of brain parts. It is deeply
|
||||
technological mediated.\autocite[172]{foerster:neuroturn}
|
||||
\end{quote}
|
||||
|
||||
Das Selbstverständnis des Menschen und das Verständnis der Maschine und der künstlichen Intelligenz sind
|
||||
voneinander abhängig. Wenn wir die Maschinen konstruieren, die selbst lernen und vielleicht denken können,
|
||||
und so den Menschen nachahmen, lernen wir auch etwas über die menschlichen Denkprozesse und dem
|
||||
Zusammenhang zwischen dem Bewusstsein und dem Gehirn. Andererseits um
|
||||
zu entscheiden, ob die Maschinen denken oder ein geistiges Leben haben können, ist unser Menschenbild
|
||||
wichtig, weil es von ihm abhängt, ob sich das, was wir unter dem Menschen verstehen, auf die Maschine
|
||||
übertragen lässt.
|
||||
|
||||
\section{Zum Begriff der Intelligenz}
|
||||
|
||||
Eine der Fragen, die sich noch stellen, ob wir im Falle der künstlichen Intelligenz überhaupt von
|
||||
der \textit{Intelligenz} sprechen kann, wie wir von der menschlichen sprechen. Ich möchte von vornherein
|
||||
sagen, dass diese Frage nicht eindeutig zu beantworten ist. Von einem Menschen zu sagen, er sei intelligent,
|
||||
ist nicht dasselbe, wie zu sagen: „Zwei ist eine gerade Zahl“.
|
||||
|
||||
Erstens, je nachdem wer das Wort „intelligent“ sagt, kann man darunter unterschiedliche
|
||||
Eigenschaften meinen. Für einen mag intelligent derjenige sein, der über viele Fachkentnisse in
|
||||
einem bestimmten Bereich verfügt. Für einen anderen ist es der, der allgemein gebildet ist und nicht
|
||||
nur in bestimmten Bereichen. Für den dritten spielen die erworbenen Kenntnisse überhaupt eine geringere
|
||||
Rolle, viel wichtiger, um intelligent zu sein, sei es, schlau zu sein, schnell die Lösungen für die
|
||||
auftretenden Probleme zu finden.
|
||||
|
||||
Zweitens hängt die Antwort auf die Frage, ob man so eine Eigenschaft wie „Intelligenz“
|
||||
auf eine Maschine übertragen kann, sehr stark von anthropologischen Ansichten der jeweiligen Person.
|
||||
Ist der Mensch selbst wahrscheinlich nichts weiter als eine Art von der Natur erschaffener Roboter?
|
||||
In diesem Fall kann wohl auch eine vom Menschen konstruierte Maschine Intelligenz haben. Wenn der Mensch
|
||||
dagegen ein geistiges Wesen ist, das nicht vollständig durch physikalische Gesetze determeniert ist,
|
||||
dann ist es qualitativ etwas anderes als eine Maschine und man könnte argumentieren, dass deswegen bestimmte
|
||||
Eigenschaften wie Intelligenz nur dem Menschen zugeschrieben werden können.
|
||||
|
||||
Der Stand der Entwicklung rechtfertigt nicht immer die Anwendung des Begriffes „Intelligenz“
|
||||
im Bezug auf die Maschinen. Bereits heutige Computer sind in bestimmten Bereichen
|
||||
intelligenter als die Menschen. Zum Beispiel kann jeder der heutigen Prozessoren (oder CPU,
|
||||
\textbf{C}entral \textbf{P}rocessing \textbf{U}nit) einfache Berechnungen, wie Multiplizieren,
|
||||
Dividieren, Addieren oder Substrahieren, vielfach schneller durchführen als ein Mensch. Und diese
|
||||
Fähigkeit besitzten bereits die Computer der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, als die künstliche
|
||||
Intelligenz noch nicht so verbreitet war. Schnelles Rechnen kann auch ein Merkmal der Intelligenz sein.
|
||||
Und doch spricht man von der künstlichen Intelligenz meistens in Bezug auf maschinelles Lernen. Dies zeigt,
|
||||
dass wenn man von intelligenten Maschinen spricht, meint man eine bestimmte Art von der Intelligenz, und
|
||||
zwar meint man die Maschinen, die das Können besitzen, nicht nur die einprogrammierten
|
||||
„Kenntnisse“ anzuwenden, sondern auch neue Erkenntnisse selbstständig zu gewinnen. Das heißt
|
||||
Intelligenz knüpft hier an die \textit{schöpferische} Kraft des Menschen, an die Kraft etwas neues
|
||||
zu \textit{erschöpfen}. Natürlich ist es nicht dasselbe wie Erschaffen eines Kunstwerkes oder eines
|
||||
Musikstückes, weil das, was erkannt wird, schon da ist, es nicht aus Nichts geschaffen wird. Und doch
|
||||
ist auch das Gewinnen der Erkenntnisse aus der Erfahrung, die vorher nicht waren, ist das Gewinnen von
|
||||
etwas \textit{neuem}, also ein schöpferischer Vorgang. Und dieser Übergang zwischen einer die Befehle
|
||||
ausführenden und einer lernenden Maschine ist wohl die Grenze, ab der die Maschinen
|
||||
\textit{intelligent} werden.
|
||||
|
||||
Wie weit die künstliche Intelligenz reicht oder reichen kann, lässt sich noch nicht sagen. Wir haben
|
||||
noch keine Roboter, die malen, Romane oder Lieder schreiben oder physikalische Gesetze entdecken. Wie
|
||||
am Beispiel mit dem neuronalen Netz gezeigt wurde, geht es bei maschinellem Lernen um das Erkennen
|
||||
bestimmter Muster in der Eingabedaten. Falls so ein Muster tatsäschlich erkannt wurde, dann können anhand
|
||||
dessen auch neue Daten ausgewertet werden. Dem lernenden System geht es nicht um die Forschung oder die
|
||||
Suche nach der Wahrheit. Und hier ist es nicht mal wichtig, was Wahrheit ist, und ob es sie gibt. Wenn
|
||||
ein Schriftsteller schreibt, sehnt er oft aus dem tiefsten seines Herzens, seinen Lesern etwas
|
||||
mitzuteilen, seine Wahrheit zu verkünden. Auch ein Forscher kann von diesem Gefühl bewegt werden,
|
||||
selbst wenn seine Theorie sich später als falsch erweist, hat er versucht, etwas Wahres zu entdecken.
|
||||
Ein lernendes System hat überhaupt keinen Sinn für die Wahrheit. Es wurde programmiert, um Muster in
|
||||
den Daten zu erkennen und das tut es. Wenn ich weiß, wie ein System aufgebaut ist, kann ich es von
|
||||
vornherein mit manipulierten Daten füttern, sodass es etwas falsch lernt, und es wird sich nicht
|
||||
betrogen fühlen. Wobei ich zugeben muss, dass es auch einem Menschen passieren kann, dass er sich
|
||||
auf falsche, falsch ausgewählt Daten, stützt, und deswegen zu inkorrekten Ergebnissen gelangt.
|
||||
|
||||
Die Mustererkennung ist wichtig auch für das menschliche Überleben. Allerdings vermag der Mensch auch
|
||||
abstrakt zu denken. Es gibt zum Beispiel in der Natur keine Zahlen, es gibt nur abzählbare Gegenstände.
|
||||
Man muss sich von den einzelnen Gegenständen beziehungsweise ihrer endlichen Anzahl abstrahieren können,
|
||||
um auf die unendliche Menge von natürlichen Zahlen kommen. Diese Fähigkeit zum abstrakten Denken ist etwas,
|
||||
was den Menschen gegenüber den Maschinen immer noch auszeichnet.
|
||||
|
||||
\section{Grenzen der Anwendung von maschinellem Lernen}
|
||||
|
||||
Zwar ist die künstliche Intelligenz zum selbstständigen Lernen fähig, ist kein selbstständiges
|
||||
Lebewesen wie der Mensch, sondern nur ein Instrument unter vielen anderen.
|
||||
|
||||
Nehmen wir an, wir wollen quadratische Gleichungen in der Normalform lösen:
|
||||
|
||||
\begin{equation}
|
||||
x^2 + px + q = 0
|
||||
\end{equation}
|
||||
|
||||
Dafür beabsichtigen wir ein Programm zu schreiben, das die 2 Parameter, $p$ und $q$, als
|
||||
Eingabewerte annimmt und die Gleichung nach $x$ auflöst. Man kann diese Aufgabe durchaus mithilfe der
|
||||
künstlichen Intelligenz lösen. Wir entwerfen ein neuronales Netz, das zwei Neuronen in der
|
||||
Eingabeschicht und zwei in der Ausgabeschicht hat. Dann lösen wir einige Tausende solcher Gleichungen
|
||||
selbst und übergeben die Eingaben und die Lösungen dem Netz, damit es aus diesen Daten lernen kann.
|
||||
Dann testen wir, ob das Netz nun selbst richtige Antworten produzieren kann. Wenn es nicht der Fall
|
||||
sein soll, bereiten wir weitere Angaben und Lösungen vor. Irgendwann haben wir das neuronale Netz
|
||||
ausreichend trainiert, sodass es jetzt selbst solche Gleichungen lösen kann.
|
||||
|
||||
Eigentlich wissen wir aber, wie man eine quadratische Gleichung löst. Genauso gut könnten wir den folgenden
|
||||
Algorithmus in einem Programm implementieren:\autocite[Vgl.][10f]{lothar:math}
|
||||
|
||||
\begin{enumerate}
|
||||
\item Berechne die Diskriminante $D$:
|
||||
\begin{equation}
|
||||
D = {(p/2)}^2 - q
|
||||
\end{equation}
|
||||
|
||||
\item Wenn $D \geq 0$ ist, gibt es zwei reelle Lösungen:
|
||||
\begin{equation}
|
||||
x_{1/2} = -\frac{p}{2} \pm \sqrt{D}
|
||||
\end{equation}
|
||||
|
||||
\item Wenn $D < 0$ ist, gibt es zwei konjugiert komplexe Lösungen:\autocite[Vgl.][676]{lothar:math}
|
||||
\begin{equation}
|
||||
x_{1/2} = -\frac{p}{2} \pm j \cdot \sqrt{\left|D\right|}
|
||||
\end{equation}
|
||||
\end{enumerate}
|
||||
|
||||
Der Aufwand, dieses Programm, zu schreiben ist viel geringer als die Variante mit der künstlichen
|
||||
Intelligenz. Was noch viel wichtiger für ein Programm, das mathematische Berechnungen durchführt, ist,
|
||||
ist, dass wir wissen, dass, wenn der Algorithmus korrekt implementiert ist, er richtige Ergebnisse
|
||||
liefert. Im Falle des neuronalen Netzes ist es nicht so. Wenn das neuronale Netz komplex genug ist,
|
||||
können wir nicht mehr nachvollziehen, wie eine bestimmte Berechnung durchgeführt wird, das heißt, wir
|
||||
können nicht überprüfen, ob der Algorithmus für alle Paare $p$ und $q$ das richtige Ergebnis liefert.
|
||||
Für die Anwendungsfelder des maschinellen Lernens ist eine solche Genauigkeit auch nicht unbedingt
|
||||
erforderlich. Wenn ein soziales Netzwerk setzt künstliche Intelligenz ein, um gezielte Werbung
|
||||
anzuzeigen, dann ist es durchaus vorteilhaft, wenn die Werbung den Nutzer anspricht, aber es ist immer
|
||||
noch zulässig, wenn die Wahl der Werbung nicht optimal ist. Es genügt, wenn die Werbung
|
||||
\textit{interessant genug} für den Nutzer ist, oder dass ein gewisser Profit durch sie erreicht wird.
|
||||
|
||||
Künstliche Intelligenz ist keine universelle Lösung für alle Probleme. Sie ist sehr nützlich für
|
||||
die Auswertung von großen Mengen an Daten und für die Suche nach Mustern in diesen, aber ist noch
|
||||
nicht fähig abstrakte, e\@.g\@. mathematische Probleme zu lösen.
|
||||
|
||||
\section{Fazit}
|
||||
|
||||
Über viele Fragen lässt es heute nur spekulieren. Können die Maschinen alle Tätigkeiten ausüben, die
|
||||
die Menschen ausüben? Sind sie eine neue Evolutionsstufe, sodass sie die Menschen eines Tages
|
||||
verdrängen und überflüssig machen? Oder werden die Maschinen und Menschen weiterhin friedlich
|
||||
coexistieren? Einige Autoren versuchen bereits diese Fragen zu beantworten. Ich wage heute noch nicht,
|
||||
auf sie eine Antwort zu geben. Schließlich ist die Entwicklung der Wissenschaft und der Technik
|
||||
auch von einer Reihe von sozialen, politischen und wirtschaflichen Faktoren mitbestimmt.
|
||||
|
||||
Künstliche Intelligenz und Maschinelles Lernen ist ein junges Konzept, dem viel Aufmerksamkeit von
|
||||
verschiedenen Siten geschenkt wird. Die Technik und Informatik sind daran interessiert, weil es ermöglicht
|
||||
neue, selbst „denkende“ Programme zu schreiben; Naturwissenschaften hoffen durch künstliche
|
||||
auch die menschliche Intelligenz besser zu verstehen; man sieht auch Potenzial, den Menschen noch mehr
|
||||
vom Last der Arbeit zu befreien, aber man warnt auch vor den Gefahren der Verselbständigung der
|
||||
Computertechnik oder deren Missbrauch. Naturwissenschaftliche Forschung hatte schon fatale Folgen, sie
|
||||
ermöglichte zum Beispiel eines Tages die Erschaffung der Atomwaffen, was vielen unschuldigen Menschen
|
||||
ihr Leben kostete. Doch sie hat auch einen soliden Beitrag zur modernen Medizin und Technik geleistet,
|
||||
auf die wir uns jeden Tag verlassen. Um die künstliche Intelligenz scheint es ähnlich zu stehen: Es ist
|
||||
ein kontroverses Thema.
|
52
themes/posts/2019/08/das-licht-erlischt.tex
Normal file
52
themes/posts/2019/08/das-licht-erlischt.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,52 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2019-08-14 19:36:00
|
||||
tags: Gedicht
|
||||
title: Das Licht erlischt…
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Das Licht erlischt, die Stimmen sinken,<br>
|
||||
die Dunkelheit verschlingt den Saal.<br>
|
||||
Die Töne fangen an zu ringen<br>
|
||||
und durch die Reihen fließt ein Strahl.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Ein Mädchen steht mit spröden Lippen<br>
|
||||
und kontrolliert die Gäste bald.<br>
|
||||
Es dreht nur schnell die zweite Kippe.<br>
|
||||
Der Abend draußen ist windig, kalt.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Den Saal betritt ein kühner Künstler,<br>
|
||||
der nun sein langes Lied beginnt.<br>
|
||||
Das Stück ist anfangs trist und düster,<br>
|
||||
damit das Glück am Schluss gewinnt.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Das Mädchen rollt jetzt schon die dritte<br>
|
||||
und grübelt über etwas nach;<br>
|
||||
Sei dies die Arbeit und die Sitten,<br>
|
||||
sei dies die Hoffnung, die zerbrach.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
\textit{Ra}
|
||||
|
||||
Das Licht erlischt, die Stimmen sinken,\\
|
||||
die Dunkelheit verschlingt den Saal.\\
|
||||
Die Töne fangen an zu ringen\\
|
||||
und durch die Reihen fließt ein Strahl.
|
||||
|
||||
Ein Mädchen steht mit spröden Lippen\\
|
||||
und kontrolliert die Gäste bald.\\
|
||||
Es dreht nur schnell die zweite Kippe.\\
|
||||
Der Abend draußen ist windig, kalt.
|
||||
|
||||
Den Saal betritt ein kühner Künstler,\\
|
||||
der nun sein langes Lied beginnt.\\
|
||||
Das Stück ist anfangs trist und düster,\\
|
||||
damit das Glück am Schluss gewinnt.
|
||||
|
||||
Das Mädchen rollt jetzt schon die dritte\\
|
||||
und grübelt über etwas nach;\\
|
||||
Sei dies die Arbeit und die Sitten,\\
|
||||
sei dies die Hoffnung, die zerbrach.
|
41
themes/posts/2020/03/kleines-madchen.tex
Normal file
41
themes/posts/2020/03/kleines-madchen.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,41 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2020-03-13 15:09:00
|
||||
tags: Gedicht
|
||||
title: Kleines Mädchen
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Du, kleine Wölfin, blickst einsam und öde;<br>
|
||||
Auch ich war mal früher ein trüber Selbstmörder,<br>
|
||||
lag auch mit'm Rasierer in blutiger Wanne<br>
|
||||
und atmete schweigend mein Marihuana.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Du siehest, wie friedlich die Kühe dort weiden,<br>
|
||||
kristallene Berge im Nebel sich weiten.<br>
|
||||
Wir richten die Säulen, verschieben die Grenzen.<br>
|
||||
O, kleine Wölfin mit Blick voll Entsetzen.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Versinke in Träumen, schlaf süß und gelassen.<br>
|
||||
Dein Elternhaus steht nunmehr wüst und verlassen,<br>
|
||||
mit Dornen verwachsen die Gräber und Platten.<br>
|
||||
O, kleine Wölfin mit Blick eines Schattens.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
Du, kleine Wölfin, blickst einsam und öde;\\
|
||||
Auch ich war mal früher ein trüber Selbstmörder,\\
|
||||
lag auch mit'm Rasierer in blutiger Wanne\\
|
||||
und atmete schweigend mein Marihuana.
|
||||
|
||||
Du siehest, wie friedlich die Kühe dort weiden,\\
|
||||
kristallene Berge im Nebel sich weiten.\\
|
||||
Wir richten die Säulen, verschieben die Grenzen.\\
|
||||
O, kleine Wölfin mit Blick voll Entsetzen.
|
||||
|
||||
Versinke in Träumen, schlaf süß und gelassen.\\
|
||||
Dein Elternhaus steht nunmehr wüst und verlassen,\\
|
||||
mit Dornen verwachsen die Gräber und Platten.\\
|
||||
O, kleine Wölfin mit Blick eines Schattens.
|
||||
|
||||
\textit{(Frei übersetzt nach гр. Крематорий "Маленькая девочка")}
|
17
themes/posts/2020/05/medizin.tex
Normal file
17
themes/posts/2020/05/medizin.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,17 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2020-05-02 22:28:00
|
||||
tags: Gedicht
|
||||
title: Medizin
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Ich kam zum Arzt mit meinen Schmerzen.<br>
|
||||
Er sieht mich an und sagt vom Herzen:<br>
|
||||
Schlägt der Tod Euch noch nicht nieder,<br>
|
||||
kommt in einem Monat wieder.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
Ich kam zum Arzt mit meinen Schmerzen.\\
|
||||
Er sieht mich an und sagt vom Herzen:\\
|
||||
Schlägt der Tod Euch noch nicht nieder,\\
|
||||
kommt in einem Monat wieder.
|
32
themes/posts/2020/08/blog-post.tex
Normal file
32
themes/posts/2020/08/blog-post.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,32 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2005-04-24 21:48:00
|
||||
tags: Стихотворение
|
||||
title: Тучей солнце затянуло
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Тучей солнце затянуло,<br>
|
||||
Помрачнело все вокруг.<br>
|
||||
Только солнышко блеснуло<br>
|
||||
И потухло снова вдруг.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
Туча с каждою минутой —<br>
|
||||
Все черней, черней, черней…<br>
|
||||
Небо все покрылось смутой,<br>
|
||||
Мороз на улице сильней.<br>
|
||||
Вот дождь пошел<br>
|
||||
И легче стало: воздух мягче и свежей.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
Тучей солнце затянуло,\\
|
||||
Помрачнело все вокруг.\\
|
||||
Только солнышко блеснуло\\
|
||||
И потухло снова вдруг.
|
||||
|
||||
Туча с каждою минутой —\\
|
||||
Все черней, черней, черней…\\
|
||||
Небо все покрылось смутой,\\
|
||||
Мороз на улице сильней.\\
|
||||
Вот дождь пошел\\
|
||||
И легче стало: воздух мягче и свежей.
|
59
themes/posts/2021/01/schuld.tex
Normal file
59
themes/posts/2021/01/schuld.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,59 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2021-01-18 08:09:45
|
||||
tags: Aufzeichnungen eines Pessimisten
|
||||
title: Schuld
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>Der ästhetische Mensch kennt keine Schuld, weil er sein Leben seinen
|
||||
Leidenschaften allein widmet, ohne Rücksicht auf etwas anderes zu nehmen. Er
|
||||
bereut nichts, fühlt sich nicht schuldig. In den von Victor Eremita
|
||||
herausgegebenen Papieren findet sich die Ansicht, dass die Schuld dem
|
||||
Individualismus entspringt. Ein Individuum kann nicht mehr sein Schicksal,
|
||||
seinen Stamm und dessen Götter für sein Leid verantwortlich machen. Das
|
||||
Individuum ist alleine seines Glückes Schmied. Diese Verantwortung, alles
|
||||
unter Kontrolle zu haben, ist kaum zu ertragen. Das Religiöse bringt Erlösung
|
||||
und befreit mittels eines Ritus von der individuellen Schuld.</p>
|
||||
---
|
||||
Der ästhetische Mensch kennt keine Schuld, weil er sein Leben seinen
|
||||
Leidenschaften allein widmet, ohne Rücksicht auf etwas anderes zu nehmen. Er
|
||||
bereut nichts, fühlt sich nicht schuldig. In den von Victor Eremita
|
||||
herausgegebenen Papieren findet sich die Ansicht, dass die Schuld dem
|
||||
Individualismus entspringt. Ein Individuum kann nicht mehr sein Schicksal,
|
||||
seinen Stamm und dessen Götter für sein Leid verantwortlich machen. Das
|
||||
Individuum ist alleine seines Glückes Schmied. Diese Verantwortung, alles
|
||||
unter Kontrolle zu haben, ist kaum zu ertragen. Das Religiöse bringt Erlösung
|
||||
und befreit mittels eines Ritus von der individuellen Schuld.
|
||||
|
||||
Nietzsche stellt dieses Verhältnis vom Ästethischen und Religiösen auf den
|
||||
Kopf und sagt, dass die Schuld erst durch das Religiöse in die Welt kommt.
|
||||
„Nur aesthetisch giebt es eine Rechtfertigung der Welt. Gründlicher
|
||||
Verdacht gegen die Moral (sie gehört mit in die Erscheinungswelt).“
|
||||
(Friedrich Nietzsche. Kritische Studienausgabe, 2 [110], Zur „Geburt der Tragödie“).
|
||||
|
||||
Dem modernen Menschen ist das Religiöse genauso fremd wie das Ästhetische,
|
||||
deswegen steckt er zwischen diesen 2 Stadien, im Ethischen: sei ein treuer
|
||||
Freund, ein guter Familienmensch, ein rechtschaffener Bürger. Aber kein
|
||||
Mensch ist unfehlbar. Und man verschuldet sich immer mehr und schämt sich
|
||||
dafür, was er getan oder nicht getan hat.
|
||||
|
||||
Eine neue Weisheit lehrt, dass wir an unserem Leid selbst schuld sind,
|
||||
weil wir falsch denken. So versuchen wir richtig zu denken
|
||||
und unser Leid unter Bergen eingeprägter Parolen zu vergraben: „Hauptsache
|
||||
glücklich sein“, „weniger denken“, „sei du selbst“, „denke positiv“.
|
||||
|
||||
Das moderne Ethische hat keine Begründung, keinen Halt. Es ist einfach da,
|
||||
ab dem Moment, in dem unsere Mutter uns verbietet, Finger in eine
|
||||
Steckdose zu stecken, bis zum Moment, in dem wir unsere krankhaften Augen
|
||||
eines Morgens vor Scham und Schmerzen nicht mehr öffnen können. Dieses Herumirren
|
||||
im Ozean des Ethischen haben wir irrtümlicherweise als Freiheit oder freie
|
||||
Entfaltung bezeichnet. So sind wir entweder daran schuld, dass wir keine
|
||||
rechtschaffenen Bürger, guten Nachbarn, treuen Ehegatten sind, daran, dass wir
|
||||
nicht normal sind; oder eben daran, dass wir rechtschaffene Bürger, gute
|
||||
Nachbarn, treue Ehegatten sind, daran, dass wir normal sind (denn wir seien dann
|
||||
offensichtlich nicht wir selbst, sondern wir spielen eine Gesellschaftsrolle).
|
||||
„Heirate, du wirst es bereuen; heirate nicht, du wirst es auch bereuen;
|
||||
entweder du heiratest oder du heiratest nicht, du bereust beides.“
|
||||
(„Entweder-Oder“, Sören Kierkegaard). So versucht der Mensch
|
||||
glücklich zu sein und scheitert, und fühlt sich deswegen schuldig, weil
|
||||
die wahre Glückseligkeit nach Plato unabhängig von allen äußeren Faktoren
|
||||
sei, und verzweifelt daran, dass er nicht stark genug sei, glücklich zu sein.
|
24
themes/posts/2021/08/stalin-lenin-1923.tex
Normal file
24
themes/posts/2021/08/stalin-lenin-1923.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,24 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2021-08-18 11:00:00
|
||||
tags: Übersetzung
|
||||
title: Ein Witz über die Corona-Politik und die bevorstehenden Wahlen
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>Lenin und Stalin treffen sich im Jahre 1923.</p>
|
||||
---
|
||||
Lenin und Stalin treffen sich im Jahre 1923.
|
||||
|
||||
\textbf{Stalin:} Genosse Lenin, die Partei ist sehr besorgt um Ihre Gesundheit. Wie geht
|
||||
es Ihnen?
|
||||
|
||||
\textbf{Lenin:} Es geht mir, Genosse Stalin, übelst schlecht. Dr\@. Obuch sagt, dass ich
|
||||
wahrscheinlich bald sterben würde. Ich weiß nicht, mein Freund, wem ich die
|
||||
Macht übergeben soll.
|
||||
|
||||
\textbf{Stalin:} Ich denke, mir, Genosse Lenin.
|
||||
|
||||
\textbf{Lenin:} Ich befürchte, Genosse Stalin, dass das Volk Ihnen nicht folgen wird.
|
||||
|
||||
\textbf{Stalin:} Dann wird es Ihnen folgen, Wladimir Iljitsch.
|
||||
|
||||
\textbf{Quelle:} Городок.
|
17
themes/posts/2021/10/bist-du-einer-unter-netten.tex
Normal file
17
themes/posts/2021/10/bist-du-einer-unter-netten.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,17 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2021-10-07 09:00:00
|
||||
tags: Gedicht
|
||||
title: Bist du einer unter Netten?
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Bist du einer unter Netten?<br>
|
||||
rauchst Elektrozigaretten,<br>
|
||||
isst Sojafleisch, trinkst Kindersekt?<br>
|
||||
Ist gar nichts echt, was dir noch schmeckt?
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
Bist du einer unter Netten?\\
|
||||
rauchst Elektrozigaretten,\\
|
||||
isst Sojafleisch, trinkst Kindersekt?\\
|
||||
Ist gar nichts echt, was dir noch schmeckt?
|
17
themes/posts/2023/05/oh-gott-im-himmel.tex
Normal file
17
themes/posts/2023/05/oh-gott-im-himmel.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,17 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2023-05-12 20:36:00
|
||||
tags: Gedicht
|
||||
title: Oh Gott im Himmel, gib mir Kraft
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Oh Gott im Himmel, gib mir Kraft,<br>
|
||||
gelass'n auf Dummheit zu erwidern.<br>
|
||||
Mein Zorn wird Dummheit auch nicht mindern.<br>
|
||||
Es kommt, dass sie sich bald entlarvt.
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
Oh Gott im Himmel, gib mir Kraft,\\
|
||||
gelass'n auf Dummheit zu erwidern.\\
|
||||
Mein Zorn wird Dummheit auch nicht mindern.\\
|
||||
Es kommt, dass sie sich bald entlarvt.
|
25
themes/posts/2023/12/tishina.tex
Normal file
25
themes/posts/2023/12/tishina.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,25 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2023-12-10 13:10:00
|
||||
tags: Стихотворение
|
||||
title: Когда умолкнут ночью стены…
|
||||
---
|
||||
Когда вконец умолкнут стены,\\
|
||||
над комнатой нависнет ночь,\\
|
||||
ты тишину не дай гнать прочь\\
|
||||
теченью мыслей сокровенных.
|
||||
|
||||
Прислушайся, как сердце дышит,\\
|
||||
как всякий дышит в нем предмет.\\
|
||||
И ничего в сем мире нет,\\
|
||||
что грусть твою сейчас не слышит.
|
||||
|
||||
Воспрянет тишина живая\\
|
||||
из пепла мертвой тишины,\\
|
||||
что взял ее в свои ты сны,\\
|
||||
во век тебе не забывая.
|
||||
|
||||
Во мраке ли, в мятежной ль буре\\
|
||||
ланитою к тебе прильнет,\\
|
||||
теплом и миром обовьет,\\
|
||||
покажет свет за абажуром.
|
272
themes/posts/2024/09/anna.tex
Normal file
272
themes/posts/2024/09/anna.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,272 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2024-09-03 20:45:00
|
||||
tags: Aufsatz
|
||||
title: Anna
|
||||
teaser: |
|
||||
<p>
|
||||
Im nächsten Zug, in dem ich meine Fahrt fortführte, befand sich
|
||||
eine Gruppe der Menschen, die untereinander gemischt Russisch und
|
||||
Ukrainisch gesprochen haben. Als wir uns der Haltestelle näherten,
|
||||
haben sie sich überlegt, wie sie den Rollstuhl eines ihrer Kollegen
|
||||
durch den engen Gang im Zug zur Tür durchbringen können.
|
||||
</p>
|
||||
<p>
|
||||
»Was ist mit ihm geschehen? Unfall? etwas anderes?«, fragte ein
|
||||
Einheimischer ein Mädchen aus der Gruppe.
|
||||
</p>
|
||||
<p>»Ich weiß es nicht.«</p>
|
||||
<p>»Seid ihr nicht alle zusammen?«</p>
|
||||
<p>
|
||||
»Oh nein, wir haben uns erst hier getroffen. Ja, ich glaube, es war ein Unfall.«
|
||||
</p>
|
||||
---
|
||||
\epigraph{
|
||||
Manche wilde Frühlingspflanze\\
|
||||
kann ein Gärtner tief verpflanzen.\\
|
||||
Kann auch Blumen ins Wasser stecken,\\
|
||||
und sie werden bald verwelken.
|
||||
}{}
|
||||
|
||||
»Entschuldigung, Gunzenhausen.« Anna sieht mich hoffnungsvoll an und
|
||||
zeigt in die Richtung der Bahngleise.
|
||||
|
||||
Ich bin etwas verwirrt, weil ich den Ort, den sie sucht, nicht kenne,
|
||||
und mir überlege, wie ich ihr helfen kann.
|
||||
|
||||
»Gunzenhausen.«, wiederholt sie nochmal.
|
||||
|
||||
Die Bahnsteigtreppe steigt eine andere Frau hoch. Anna hat inzwischen
|
||||
verstanden, dass mit mir nichts zu gewinnen ist, und wechselt zu dieser
|
||||
Frau, die sie auf die Anzeigetafel über dem Gleis verweist, und sagt, dass es der Zug
|
||||
sei, den sie nehmen wolle. Aber der Zug kommt erst in 40 Minuten. Anna
|
||||
versucht der Frau etwas zu erklären. Ich höre einige russiche Wörter,
|
||||
die sie versehentlich in deutsche Sätze einbaut. Vielleicht kann ich mit ihr
|
||||
Russisch sprechen und herausfinden, was sie genau sucht. Das mache ich auch.
|
||||
Sie sieht, dass ich mein Handy in der Hand habe, weil ich kurz davor nachgesehen habe,
|
||||
welche Verbindungen es noch gibt, die mich meinem Zielort näher bringen, und fragt,
|
||||
ob sie mein Handy nutzen darf, um eine andere Fahrmöglichkeit nach Gunzenhausen
|
||||
zu finden. Ich gebe ihr mein Handy und bedanke mich vor der anderen Frau, die
|
||||
immer noch auf dem Bahnsteig steht und uns ansieht, ohne uns zu verstehen, und
|
||||
sage ihr, dass ich Anna helfen werde.
|
||||
|
||||
»Kein Problem.«, verabschiedet sich die Frau und geht weiter.
|
||||
|
||||
Wir bleiben allein. Leider finden wir keine anderen Züge als den, den die
|
||||
Anzeigetafel ankündigt. Anna findet keine Worte, um ihren Unmut zu beschreiben:
|
||||
|
||||
»Oh nein, das kann doch nicht wahr sein! In Gunzenhausen wartet ein
|
||||
Taxi auf mich um 19:10. Mein Zug hat sich verspätet, deswegen
|
||||
habe ich die Anschlussverbindung verpasst, und jetzt werde ich erst eine Stunde
|
||||
später in Gunzenhausen ankommen als geplant. Ich hätte von dort noch
|
||||
weiterfahren müssen. Unglaublich!«
|
||||
|
||||
»Ich wollte auch diesen Zug erwischen, du würdest dann aber auf halbem Weg
|
||||
aussteigen und ich hätte bis zum Ende der Strecke fahren müssen. Und jetzt
|
||||
wird meine Heimfahrt mindestens 2 Stunden länger dauern.«, sage ich ihr mit
|
||||
einem müden Lächeln im Gesicht, um ihr das Gefühl zu vermitteln, dass sie nicht
|
||||
allein in ihrer Lage ist.
|
||||
|
||||
Sie erwidert mein Lächeln und gibt mir die erste Möglichkeit, sie
|
||||
genauer anzuschauen. Sie ist mir bereits im unterirdischen Gleisübergang
|
||||
aufgefallen. Ich lief hinter ihr. Sie hat ein junges, gutwilliges Gesicht,
|
||||
das nicht zu erkennen gibt, dass sie sich gerade Sorgen macht. Ihre hellgrünen
|
||||
Augen spiegeln die Stimmung dieses hellen, sonnigen und heißen Tages wider.
|
||||
Die blonden, lockigen Haare reichen knapp bis an ihre Schultern. Der linke,
|
||||
dünne Träger ihres schneeweißen Kleides ist heruntergerutscht, sodass Annas linke
|
||||
Schulter, ob in Eile oder mit Absicht, nackt ist.
|
||||
|
||||
»Man kann sich auf die Deutshce Bahn nicht verlassen, wenn man irgendwo
|
||||
pünktlich ankommen will. So ist es überall in Deutschland die letzten
|
||||
Jahre.«, setze ich fort.
|
||||
|
||||
»Krass, unglaublich. Was soll dieser Unfug, ich will in die Ukraine
|
||||
zurück.«
|
||||
|
||||
Wir gehen etwas weiter entlang des Bahnsteiges und entfernen uns von
|
||||
der Treppe. Sie beschwert sich weiter, dass sie jetzt womöglich durch
|
||||
einen Wald nach Hause laufen müsse, weil sie ihr Taxi verpassen werde. Ich
|
||||
bin auch besorgt, weil ich mir nicht mehr sicher bin, ob ich heute noch
|
||||
nach Hause komme.
|
||||
|
||||
»Du bist aus der Ukraine also?«, frage ich sicherheitshalber.
|
||||
|
||||
»Ja.«, bestätigt sie.
|
||||
|
||||
»Darf ich fragen, wie du heißt?«
|
||||
|
||||
»Anna.«
|
||||
|
||||
»Ich bin Eugen.«
|
||||
|
||||
»Freut mich.«
|
||||
|
||||
»Freut mich auch. Wie lange bist in Deutschland?«
|
||||
|
||||
»Seit der Krieg ausgebrochen ist. Wie lange ist das her… 2 Jahre schon.
|
||||
Wo kommst du her?«
|
||||
|
||||
»Aus Russland, aus dem hohen Norden.« sage ich, »Ich bin ein Russlanddeutscher,
|
||||
also ich habe sowohl deutsche als auch russische Vorfahren, und
|
||||
lebe schon länger in Deutschland.«, ergänze ich meine Antwort, als ob ich mich dafür
|
||||
rechtfertigen würde, dass ich in Russland aufgewachsen bin.
|
||||
|
||||
In der Zwischenzeit kommt ein langer Güterzug mit ein paar leeren Waggons auf
|
||||
dem Gleis gegenüber an und bleibt stehen.
|
||||
|
||||
»Vielleicht können wir fragen, wohin der Güterzug fährt, vielleicht kann er uns
|
||||
mitnehmen, falls er in dieselbe Richtung fährt?«, wundert sich Anna laut.
|
||||
|
||||
Ich lache und sage, dass ich an sich nicht so abenteuerfreudig bin,
|
||||
aber hörte, dass Jelzin in seiner Jugend so manchmal gereist haben soll.
|
||||
|
||||
Meine Anmerkung bringt Lächeln auf ihr Gesicht, das weiterhin nur
|
||||
Zuversichtlichkeit ausstrahlt. Wir machen uns auf den Weg zum Kopf
|
||||
des Güterzuges.
|
||||
|
||||
Während wir jetzt mehr sprechen, höre ich nun auch ihre ukrainische
|
||||
Mundart deutlicher und mutmaße, dass sie aus der Westukraine stammt.
|
||||
|
||||
Bald rührt sich auch der Güterzug und wir verstehen, dass auch aus
|
||||
dieser Idee nichts wird, und kehren zurück.
|
||||
|
||||
»Ich will nach Hause, in die Ukraine.«, wiederholt sie, »Es gibt hier
|
||||
nichts, was wir nicht haben. Wenn du einen beliebigen Ukrainer fragst,
|
||||
ob er etwas in Deutschland bewundert, etwas, was er in seiner Heimat
|
||||
vermisste, so etwas gibt es nicht.«
|
||||
|
||||
Tatsächlich ist ein fremdes Land manchmal wie ein Wunder, wo alles blüht
|
||||
und gedeiht, wo es alles im Übermaß gibt, und es den Menschen an nichts fehlt.
|
||||
Aber gelegentlich erlebst du einen Abend, an dem du auf einer U-Bahn-Station
|
||||
aussteigst und alles dir Angst macht.
|
||||
Die Menschen sind merkwürdig gekleidet und werfen böse Blicke in deine Richtung.
|
||||
Du gehst zitternd an ihnen vorbei, schaust nach unten, auf den schmutzigen
|
||||
Boden, und befürchtest, dass sie dich ansprechen. Dein Herz beginnt zu rasen
|
||||
und du fragst dich, ob es nur ein Alptraum ist, oder, ob alles davor ein Traum
|
||||
war.
|
||||
|
||||
Anna unterbricht meinen Versuch, mich in ihre Gefühle einzufühlen:
|
||||
»Ich bin schon beinahe zurückgegangen, aber dann fiel eine Rakete auf ein
|
||||
Kinderkrankenhaus. Hast du davon gehört?«
|
||||
|
||||
Ich nicke.
|
||||
|
||||
»Das ist nicht weit von meinem Zuhause entfernt. Teile vom Krankenhaus
|
||||
sind gestürzt, und Menschen haben sich in eine Schlange gestellt, und
|
||||
räumten selbst die Steine, um den Weg freizulegen und andere zu retten.«
|
||||
|
||||
»Ja, bei großen Überschwemmungen kommen auch hier Leute aus ganz
|
||||
Deutschland, um zu helfen, weil die Regierung nicht rechtzeitig
|
||||
reagiert.«, sage ich, um hinzuweisen, dass Menschen in Not überall
|
||||
gleich handeln.
|
||||
|
||||
»Siehst du? auf wen soll man warten?«, stellt sie die rhetorische Frage.
|
||||
|
||||
»Du bist aus Kiew?«
|
||||
|
||||
»Ja. Ich frage immer ganz besorgt meine Mutter, wie sie dort mit meinem
|
||||
kleinen Bruder lebt. Aber meine Mutter schenkt dem Geschehen nicht mehr
|
||||
so viel Aufmerksamkeit. „Als ob ständig Motorräder durch den Himmel
|
||||
fahren würden“«, zitiert sie ihre Mutter lachend, »Es gibt verschiedene
|
||||
Stufen von Alarm-Signalen. Bei stärkerem Beschuss gehen Menschen in den
|
||||
Keller und kommen danach zurück.«
|
||||
|
||||
Menschen leben ihr Leben weiter. Auch unter grausamen Bedingungen. Es
|
||||
gibt nur weniges, woran sich der Mensch nicht gewöhnt. Der Rest geht in
|
||||
den Alltag über. Ich erinnerte mich an Berichte aus der Ostukraine aus
|
||||
der Zeit des Bürgerkrieges, bevor die russische Armee einmarschiert
|
||||
ist. Wohngebiete unter Beschuss, aber Menschen stehen jeden Tag auf,
|
||||
Erwachsene gehen zur Arbeit, Kinder --- zur Schule.
|
||||
|
||||
Ich höre Anna aufmerksam und mit Interesse zu und vermeide Beurteilungen und
|
||||
Suche nach Schuldigen. Auch Anna scheint dieses Themengebiet nicht anfassen zu
|
||||
wollen. Es ist möglicherweise die Angst, dass es unser Gespräch in
|
||||
einen sinnlosen Streit verwandeln würde. Bei näherem Betrachten, welche
|
||||
Rolle spielt das? Ich bin am bewaffneten Konflikt zwischen Russland und
|
||||
der Ukraine nicht Schuld. Sie ist es auch nicht. Sie hat nur Heimweh
|
||||
und will ihr Leben zurück haben.
|
||||
|
||||
»Kannst du vielleicht den Taxi-Dienst anrufen und fragen, ob die Fahrt
|
||||
verschoben werden kann?«, hat Anna mich gebeten.
|
||||
|
||||
Sie hat die Telefonnummer des Taxi-Unternehmens rausgesucht. Ich habe mehrmals
|
||||
versucht, konnte aber niemanden erreichen. Während ich wartete,
|
||||
dass jemand ans Telefon geht, haben wir angefangen über unser Alter zu
|
||||
sprechen. Ich bin fast 15 Jahre älter als sie.
|
||||
|
||||
»Du siehst 7 Jahre jünger aus als du bist.«, sagt sie mir, nachdem ich
|
||||
ihr Alter beim zweiten Versuch richtig raten konnte.
|
||||
|
||||
»Eltern sagen öfters, dass wir für sie immer klein, immer Kinder
|
||||
bleiben. Aber auch sie bleiben in meiner Erinnerung im selben Alter,
|
||||
vielleicht 40--50 Jahre alt, im Alter, in dem ich sie als Kind kannte.«
|
||||
Ich erzähle das und gebe mir dabei die Mühe, nicht zu ernst zu sein,
|
||||
weil ich nicht weiß, ob sie meine Aussage absurd findet oder das ähnlich
|
||||
wie ich empfindet. »Vielleicht altern wir heutzutage nicht so schnell,
|
||||
weil das Leben nicht mehr so hart ist.«
|
||||
|
||||
»Ich habe einen Freund, 25 Jahre alt. Er ist, naja…«, sie macht eine kurze
|
||||
Pause, »er hat militärischen Hintergrund. Er ist plötzlich und
|
||||
rasch viel älter geworden, machte den Eindruck, sehr erschöpft zu sein.«
|
||||
|
||||
Es gibt eine andere Dimension des Alterns. Man hört gelegentlich, dass
|
||||
manch ein Mensch einfach nicht erwachsen wird. Nur sein Körper wird
|
||||
älter. Aber auch hier gibt es Unterschiede. Die einen handeln kindisch,
|
||||
die anderen haben die Seele eines Kindes; eine Seele, die verzeihen
|
||||
kann, die keine Angst hat zu vertrauen und zu lieben. Hat Christus
|
||||
nicht gesagt, dass das Himmelreich den Kindern gehört?
|
||||
|
||||
Und es gibt Menschen, die alt geboren werden. Schon in frühen Jahren
|
||||
lernen sie, dass alles Weltliche vergeht, dass jede Freundschaft und
|
||||
jede große Liebe ein Ende haben. Dass man sich auf die Worte seines
|
||||
Gegenübers niemals verlassen kann, denn süße Worte wie Zucker auf der
|
||||
Zunge zergehen und nur einen Nachgeschmack aus unreinen Absichten
|
||||
hinterlassen.
|
||||
|
||||
»Wann ist der Krieg schon endlich zu Ende?«, sagt Anna traurig.
|
||||
|
||||
»In der Tat. Kriege enden leider nicht. Kaum endet der eine, beginnt
|
||||
irgendwo ein anderer. Sie sind die treuesten Begleiter der
|
||||
Menschengeschichte, genauso wie Krankheiten und Hunger.«
|
||||
|
||||
»Ich habe gehört, dass der Krieg bald endet. Aber manche sagen, dass, wenn
|
||||
er endet, in 10 Jahren ein neuer beginnt. Die anderen behaupten
|
||||
wiederum, dass es zu einem dritten Weltkrieg kommt.«
|
||||
|
||||
Ich habe nicht verstanden, ob nach 10 Jahren der Ukraine-Konflikt sich erneut
|
||||
entfachen soll, oder, ob sie allgemein Kriege meint. Im letzteren Falle wären
|
||||
10 Jahre sehr großzügig. »Die Lage ist weltweit sehr angespannt, und es gibt
|
||||
mehrere Regionen, wo es jederzeit zu bewaffneten Auseinandersetzungen kommen
|
||||
kann, die wiederum das Potenzial haben, die halbe Welt in Brand zu setzen.«
|
||||
|
||||
Abgehobene Wahrheiten, die Frage nach dem Übel in der Welt und die globale
|
||||
geopolitische Lage scheinen sie nicht des Atems zu berauben. Sie wolle nach Kiew.
|
||||
|
||||
Ab einem bestimmten Moment lief die Zeit schneller. Wir
|
||||
mussten uns immer wieder ein neues Gesprächsthema überlegen, und
|
||||
Themenwechsel wurde immer wieder von größeren Pausen begleitet. Dann
|
||||
kam schon der Zug, auf den wir sehnsüchtig gewartet haben. Anna konnte
|
||||
ihr Handy aufladen und ihre Bekannte kontaktieren, die sie mit Auto von
|
||||
Bahnhof abholen sollten. Das hat sich also geregelt.
|
||||
|
||||
Im Zug sprachen wir über unsere Berufe und Freizeitbeschäftigungen,
|
||||
über Kleidergeschäfte und Technik, über dies und jenes.
|
||||
|
||||
Als die Zeit kam, haben wir uns voneinander verabschiedet und einander eine
|
||||
gute Wieterfahrt gewünscht, und sie stieg aus. Ich blieb sitzen und schaute nicht
|
||||
zur Tür zurück.
|
||||
|
||||
Im nächsten Zug, in dem ich meine Fahrt fortführte, befand sich
|
||||
eine Gruppe der Menschen, die untereinander gemischt Russisch und
|
||||
Ukrainisch gesprochen haben. Als wir uns der Haltestelle näherten,
|
||||
haben sie sich überlegt, wie sie den Rollstuhl eines ihrer Kollegen
|
||||
durch den engen Gang im Zug zur Tür durchbringen können.
|
||||
|
||||
»Was ist mit ihm geschehen? Unfall? etwas anderes?«, fragte ein
|
||||
Einheimischer ein Mädchen aus der Gruppe.
|
||||
|
||||
»Ich weiß es nicht.«
|
||||
|
||||
»Seid ihr nicht alle zusammen?«
|
||||
|
||||
»Oh nein, wir haben uns erst hier getroffen. Ja, ich glaube, es war ein Unfall.«
|
25
themes/posts/2025/07/Kindheit.tex
Normal file
25
themes/posts/2025/07/Kindheit.tex
Normal file
@@ -0,0 +1,25 @@
|
||||
---
|
||||
layout: post
|
||||
date: 2025-07-04 01:00:00
|
||||
tags: Gedicht
|
||||
title: Die Kindheit ist für immer fort…
|
||||
---
|
||||
Die Kindheit ist für immer fort.\\
|
||||
Der Mensch versucht zurückzufinden\\
|
||||
zu jener Zeit, an jenen Ort,\\
|
||||
die ihn mit seinem Selbst verbinden.
|
||||
|
||||
Er läuft alleine durch den Park:\\
|
||||
Sein altes Heim erwacht aus Steinen,\\
|
||||
und seine Stadt, die sich verbarg,\\
|
||||
die er durchlief auf zweien Beinen.
|
||||
|
||||
Als ob in einem Geistersee,\\
|
||||
da, zwischen trüben Straßenlichtern\\
|
||||
kann er die alten Freunde seh'n\\
|
||||
in ihm wildfremdesten Gesichtern.
|
||||
|
||||
Das Kind ist da und niemals fort,\\
|
||||
im Menschengeiste tief verborgen.\\
|
||||
Zu jeder Zeit, an jedem Ort\\
|
||||
erkennt er sich in ihm geborgen.
|
Reference in New Issue
Block a user