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date: 2010-10-18 05:54:00
tags: Aufsatz
title: Erörtern Sie, warum die jüdische Kultur von großer Bedeutung für Europa ist
teaser: |
<p>
Schon seit dem ersten Jahrhundert vor Christus war Israel unter der römischen
Herrschaft, wodurch die Juden schon damals in Europa zu finden waren. Sie
werden aber in alle Zeiten verfolgt und verhasst. Die Kreuzzüge und der zweite
Weltkrieg, wärend dessen die Juden systematisch vernichtet wurden, können als
Beispiele dafür dienen. Aber die Nation, die eine so reiche Geschichte hat, hat
einen Einfluss auf die Europäer genommen, der nicht zu leugnen ist.
</p>
---
Schon seit dem ersten Jahrhundert vor Christus war Israel unter der römischen
Herrschaft, wodurch die Juden schon damals in Europa zu finden waren. Sie
werden aber in alle Zeiten verfolgt und verhasst. Die Kreuzzüge und der zweite
Weltkrieg, wärend dessen die Juden systematisch vernichtet wurden, können als
Beispiele dafür dienen. Aber die Nation, die eine so reiche Geschichte hat, hat
einen Einfluss auf die Europäer genommen, der nicht zu leugnen ist.
Als erstes muss man sich daran erinnern, dass die europäische Kultur sehr stark
vom Christentum geprägt ist. Und das Christentum seinerseits entstand unter
Juden und erbte von ihnen sehr viel. Das alte Testament, die heilige Schrift
des Judentums, ist ein Teil der christlichen Bibel.
Dann möchte ich darauf hinweisen, dass Hebräisch mit vielen Sprachen verwandt
ist. Die europäischen Sprachen stammen entweder aus dem Lateinischen oder
Slawischen, die ihren Ursprung im Griechischen haben. Die Verwandtschaft des
Griechischen mit dem Hebräischen kann man erkennen, wenn man ihre Alphabete
vergleicht, wobei man merkt, dass viele Buchstaben fast gleich ausgesprochen
werden. Die Juden in Europa hatten auch ihre eigenen Sprachen: Jiddisch und
Ladino. Und sowohl einige Wörter als auch einzelne Besonderheiten der Grammatik
gelangten über sie ins Deutsche.
Und das Wichtigste ist, dass viele bedeutendsten Künstler, Musiker,
Philosophen, Schriftsteller und Wissenschaftler ursprünglich Juden waren. Es
gibt die Namen, die fast jeder seit der Schule kennt, deren Herkunft aber
unbekannt ist. Albert Einstein, einer der berühmtesten Physiker des zwanzigsten
Jahrhunderts, Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, Baruch de
Spinoza, Verbreiter des Pantheismus im Westen, Jakob Ludwig Felix Mendelssohn
Bartholdy, Pianist und Organist, stammten aus den jüdischen Familien. Dazu
gehören noch solche Maler wie Marc Chagall und Kasimir Sewerinowitsch
Malewitsch. Ihre Bilder waren sehr abstrakt, was damit zusammenhängt, dass das
Judentum das Bilderverbot hat und keine wirkliche Natur malen darf. So diente
diese Tradition der Verbreitung einer neuen Art der Malerei. Man sollte auch
große Schriftsteller wie Franz Kafka und Heinrich Heine nicht vergessen.
Ich halte es für besonders wichtig, dass die Menschen lernen zu verstehen,
woher ihre Kultur kommt und was für eine Rolle sie für die ganze Gesellschaft
spielt. Dadurch könnte man viele schlechte Ereignisse in der menschlichen
Geschichte vermeiden. Jeder, der will, kann sehen, dass die europäische Kultur
unter dem starken Einfluss anderer, und besonders der jüdischen, entstand.

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date: 2011-08-19 04:51:00
tags: Aufsatz
title: „Der Zauberlehrling“ von Johann Wolfgang von Goethe. Teil 1. Berühmte Zeitgenossen Goethes
teaser:
<p>
Immanuel Kant, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Johann Gottlieb Fichte,
Wolfgang Amadeus Mozart, Ludwig van Beethoven.
</p>
---
\subsection{Immanuel Kant (1724 --- 1804)}
Goethe schätzte Kants „Kritik der Urteilskraft“ lebenslang sehr hoch und empfahl
das Werk zu studieren.\footcite{online:kant-und-goethe}
Kant trennte die empirische Welt, die Phänomene, von der Welt der Dinge an sich,
der Noumenon, und behauptete, dass die menschliche Vernunft die Grenzen der
sinnlich erfahrbaren Welt nicht überschreiten könnte. Unsere Kenntnisse können
nach Kant nur empirisch bekommen werden und dann mit Denken bearbeitet
werden.\footcite[272]{morris:philosophy-for-dummies} Philosophie ist sehr praktisch
für Kant. Eine große Rolle spielten Moral und Sittlichkeit für ihn. Seine From
der Ethik ist als kategorischer Imperativ geäußert: „Handle so, daß die Maxime
deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung
gelten könne.“\footcite[125]{morris:philosophy-for-dummies}
\subsection{Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 --- 1831)}
Für Goethe gibt es nur die einzige Idee und alle anderen Sachen, die wir sehen,
an die wir denken, über die wir reden, sind nur Manifestationen von dieser Idee.
Alle pluralische Sachen haben eine
Ursache.\footcite{online:goethes-weltanschauung}
Dieser Gankengang ist sehr nah zur Philosophie von Hegel, der der wichtigste
Philosoph des deutschen Idealismi war. „Hegel glaubte, dass der objektive, bzw.\
absolute Geist alles sei, was real ist.“\footcite[272]{morris:philosophy-for-dummies}
\subsection{Johann Gottlieb Fichte (1762 --- 1814)}
Fichte und Goethe kannten einander und schrieben aneinander. Goethe
interessierte sich für Fichte nicht als für Philosoph sondern als für
Naturforscher und war von Johann Gottlieb im Bereich der Naturansichten
beeinflusst.\footcite{schriften-der-goethe-gesellschaft-71}
Fichte schrieb Werke sowohl über Politik und Gesellschaft als auch über
Wissenschaftslehre.
\subsection{Wolfgang Amadeus Mozart (1756 --- 1791)}
Goethe führte mehrmals Mozarts Opern auf.
Mozart war Genie. In kürzer Zeit schrieb er immer mehr Werke. Er machte Musik
für alle Musikgattungen, aber besonders für Klavier.
\subsection{Ludwig van Beethoven (1770 --- 1827)}
Beethoven und Goethe sind im Jahre 1812 zusammengetroffen und hatten dann
freundschaftliche Beziehungen zueinander. Beethoven hat einige von Goethes
Gedichten, u.a.\ „Egmont“, vertont.
Beethoven hat die Rolle des Komponisten geändert: „Der Komponist wurde nicht
mehr als jemand gesehen, der Auftragsarbeiten ausführt…, sondern als
Künstler…“\footcite{online:mozart-250}

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date: 2011-08-21 20:16:00
tags: Aufsatz
title: „Der Zauberlehrling“ von Johann Wolfgang von Goethe. Lesetagebuch. Teil 2. Das Balladenjahr
teaser: |
<p>
1797 wurde als Balladenjahr bezeichnet. Dem Jahr hat Schiller den Namen
gegeben, weil Deutschland aus Werken
von Schiller und Goethe in diesem Jahr eine neue Literaturgattung bekommen hat,
und selbst die Ballade eine neue Bedeutung gekriegt hat.
</p>
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1797 wurde als Balladenjahr bezeichnet. Dem Jahr hat Schiller den Namen
gegeben\footcite{online:schillers-birth-1997}, weil Deutschland aus Werken
von Schiller und Goethe in diesem Jahr eine neue Literaturgattung bekommen hat,
und selbst die Ballade eine neue Bedeutung gekriegt hat.
Die Balladen waren
schon lange vorher bekannt. Das Wort stammt aus romanischen Ländern von
lateinischem ballare (tanzen) und so wurden Tänze genannt, bei denen ein Gedicht
vom Tanzenden gesungen wurde. Im 14. Jahrhundert verliert der Begriff „Ballade“
die Bedeutung von einem Tanz aber sie ist weiterhin ein gesungenes
Gedicht.\footcite{online:buecher-wiki-ballade}
Seit 1797 beschäftigte
sich die beiden großen Dichter mit Studien von antiken Klassikern. Das hat zur
Folge eine Diskussion über Inhalt und Form eines literarischen Werkes, „besonders
über das Wesen des Epischen und Dramatischen.“\footcite{online:schillers-birth-1997}
Danach ging es mit Schreiben von Balladen los. Eine Ballade enthält in sich mehrere Arte
von Literatur. Das ist eine Erzählung, die in der Form eines Gedichtes aufgebaut ist.
Sie ist einem Märchen ähnlich, das im übertragenen Sinnn eine große Bedeutung hat.
Und diese Märchen, diese Geschichten, mit Helden, Hexen, Rittern, Königen sind auch
aktuell in der Zeit der Infrormation und der Technologie.
Die Balladen sind neue
Poesie, da die eine Gattungsmischung aus allen „drei Grundarten der Poesie“ sind,
„lyrisch, episch, dramatisch beginnen und, nach Belieben die Formen wechselnd,
fortfahren“\footcite[400]{goethe:hamburger}. „Lyrische Dramen, dramatischen
Novellen oder episches Theater sind unbestreitbar Begriffe der neueren
Poetik.“\autocite[19f]{mueller-seidel:ballade} Darin gibt es viele Gefühle,
Handlungen, Hoffnungen, Leid und dann am Ende eine Kulmination mit der Lösung des
Problems, vor dem der Autor den Leser stellt.
\begin{quote}
Balladendichtung. Ein Stück Welt
öffnet sich, in dem es dröhnt von dem Hufschlag anstürmender Pferde, Rüstungen blitzen,
herrische Rufe werden laut, es gibt nur Sieg oder Tod im Zusammenprall, aber über dem
Sterbenden noch steht das Ziel, dem er treu blieb, und der einzelne wird zu einem aud
der Schar der ewig männlichen Kämpfer.\footcite[VII]{kayser:ballade}
\end{quote}
Im 1797 von Goethe&nbsp; wurden geschrieben: „Der Schatzgräber“, „Die Braut von Corinth“,
„Der Gott und die Bajadere“ und „Der Zauberlehrling“; von Schiller: „Der Ring des Polykrates“,
„Der Taucher“, „Der Handschuh“ und „Die Kraniche des Ibykus“.
Eine Ballade besteht aus gereimten Strophen und kann, wie ein Lied, einen Refrain haben.
Die Balladen wurden auch später entwickelt, z. B. sozialkritische Balladen von Heinrich Heine.
Dann folgen neue Balladen im 20. Jahrhundert, die auch satirisch sein konnten. In manchen
Ländern entstanden Balladen in Form der Volkslieder.\footcite{online:buecher-wiki-ballade}

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date: 2011-08-05 05:28:00
tags: Aufsatz
title: Interpretieren Sie, welche Aussage das Lied „Letzter Tag“ besitzt
teaser: |
<p>
Das vorliegende Lied „Letzter Tag“ ist vom deutschen Musikproduzenten, Sänger
und Schauspieler aus Göttingen, Herbert Grönemeyer, geschrieben worden. Es
erschien im Jahr 2002 im Album „Mensch“.
</p>
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Das vorliegende Lied „Letzter Tag“ ist vom deutschen Musikproduzenten, Sänger
und Schauspieler aus Göttingen, Herbert Grönemeyer, geschrieben worden. Es
erschien im Jahr 2002 im Album „Mensch“.
Am Beginn des Liedes hört man eine langsame, traurige Musik, die eine Reihe
tiefer Fragen zum Leben begleitet, wie zum Beispiel: „Lohnen sich die Gefühle?“,
„Warum wacht man auf?“ und „Was heilt die Zeit?“. Schon an dieser Musik und
diesen Fragen kann man erkennen, dass die unglückliche Liebe das Hauptmotiv des
Werkes ist.
Diese Fragen sind kaum zu beantworten aber der Hörer wird mit der Erwartung
erfüllt, eine Antwort des Autors auf einige von denen zu bekommen. Andere sind
ihrerseits deutlich rhetorisch. So benötigt die Frage „Weiß man, wie oft ein
Herz brechen kann?“ keine Antwort.
Dann ändert sich die Musik, sie wird sicherer, lebendiger und beweglicher, und
es folgen die Worte, die im Laufe des Liedes immer wieder wiederholt werden:
\begin{quote}
Ich bin dein siebter Sinn,\\
Dein doppelter Boden,\\
Dein zweites Gesicht.
\end{quote}
Und das ähnelt sich schließlich dem Ruf eines einstmals vollkommenen Menschen,
eines Androgyns, der seinen zweiten, d.h.\ weiblichen Teil verloren hat. Dieses
Wortspiel: „Ich bin dein…“ klingt wie „Ich bin ein Teil von dir“ und
wiederholt sich ständig.
Danach kommen die Zeilen, die auch mehrmals gesungen werden. Nur in der
vorletzen Strophe werden die beiden letzen Verse weggelassen, da sie durch die
letzte Strophe ersetzt werden, die ihre Bedeutung vervollständigt und erläutert.
In der dritten Stroßhe wird die Hoffnung hervorgehoben. Eine kluge, sichere
bzw.\ gute Prognose ist doch eine Prognose, die die Sicherheit und
Glückseligkeit hervorsagt. „Ein Leuchtstreifen aus der Nacht“ ist die notwendige
Hilfe, mit der man sogar nachts ein bisschen sehen kann.
Im folgenden äußert Grönemeyer immer stärker das Vertrauen zu seiner Liebe und
das Wollen keine Geheimnisse vor ihr zu haben: „Verrat dir alle Geheimzahlen“.
Er verspricht alles für seine Gefährte zu tun, ihr ein neues Leben zu schenken,
es „auf einem goldenen Tablett“ zu servieren. Und das spricht dafür, dass sie
ihn aus dem Albtraum es Lebens rettet:
\begin{quote}
Du holst mich aus dem grauen Tal der Tränen,\\
Lässt alle Wunder auf einmal gescheh'n.
\end{quote}
In der letzten Strophe wird dem Hörer besonders deutlich verraten, dass die
Frau, an die der Autor sich wendet, gar nicht da ist. Sie ist nur ein Ideal.
Viermal wird gesagt: „Ich finde dich“ aber der letzte lautet: „Ich finde dich
oder nicht“. Der Autor deutet damit an, dass seine Suche nach seinem zweiten
„Ich“ vielleicht gar kein Ergebnis haben kann. Aber er sieht in dieser Suche
offensichtlich den Sinn seines ganzen Lebens und will sie niemals aufgeben.
Der Text des Liedes ist sehr reich an Anaphern: „Ich finde dich“ in der letzen
Strophe oder „Kannst sie…“ in der vierten. Man findet auch eine ganze Menge
von Allegorien, z.B.:
\begin{quote}
Ich bin dein siebter Sinn,\\
Dein doppelter Boden,\\
Dein zweites Gesicht.
\end{quote}
oder:
\begin{quote}
Du bist eine gute Prognose.\\
Das Prinzip Hoffnung…
\end{quote}
Man stößt ferner auch auf Hyperbeln: „Wie viele Tränen passen in einen Kanal?“
und „Tal der Tränen“.
Eine „kluge“ Prognose kann als eine Personifikation gelten.
Meiner Meinung nach ist das Lied ein schönes Beispiel eines Textes, in dem
moderne Wörter wie „sportlichster Wagen“ vorkommen und ein ewiges und tiefes
Gefühl der Liebe geäußert wird. Es vereinigt die Klassik mit dem Modernismus.

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date: 2011-08-09 04:29:00
tags: Aufsatz
title: Roman „Die Fische von Berlin“ von Eleonora Hummel
teaser: |
<p>
Im Buch „Die Fische von Berlin“ von Eleonora Hummel geht es um ein Mädchen
aus einer russlanddeutschen Familie, das alles von ihren Vorfahren wissen
will. Eines Tages entdeckt dieses Mädchen, Alina, die verblüffende
Gewohnheit ihres Großvaters mit einem Messer unter seinem Kissen zu
schlafen. Diesem Messer begegnet man im Laufe des Buches immer wieder.
</p>
---
\subsection{
Untersuchen und bewerten Sie ausgehend von Ihrer Lektüre das „Leitmotiv des
Messers“\footnote{
Vgl. S. 17ff, 20, 36f, 43, 44, 53, 65f, 80, 83, 99, 128, 133, 144, 147,
149, 152, 213f.
}
}
Im Buch „Die Fische von Berlin“ von Eleonora Hummel geht es um ein Mädchen aus
einer russlanddeutschen Familie, das alles von ihren Vorfahren wissen will.
Eines Tages entdeckt dieses Mädchen, Alina, die verblüffende Gewohnheit ihres
Großvaters mit einem Messer unter seinem Kissen zu schlafen. Diesem Messer
begegnet man im Laufe des Buches immer wieder.
Alina fand das Messer, als sie eine Aufgabe von ihrer Großmutter bekam, die
Betten im Schlafzimmer Alinas Großeltern zu machen. Die Enkelin dachte
zunächst, dass das Messer in die Küche gehört. Aber die Großmutter befahl, es
unter das Kissen zurückzulegen und sagte, dass dieses Messer gut gegen
Großvaters Krankheiten sei. Alina machte das aber nicht. Alles schien ein
rätselhaftes Geheimnis zu sein. Sie befragte alle Verwandten und keiner sagte
etwas. Die Enkelin versuchte viel später, als ihre Familie außer den Großeltern
in den Kaukasus zog, das Messer zurückgeben aber Großvater überließ es ihr und
versprach später Alles zu erklären. „Das Messer hat eine Vorgeschichte.“
Das Messer kaufte Großvaters Bruder, Konrad, als der Großvater nach Großen
Säuberungen in sein Dorf zurückkam „… und wenn es nur ein Kampfmesser ist,
lebend kriegen sie mich nicht noch mal“ — sagte Konrad damals. Der Großvater
antwortete, dass er seinem Bruder das Messer schenkt. Später wurden die beiden
Brüder verhaftet und in die Trudarmija geschickt. Konrad ritzte dann die
Initialen seines Namens auf dem Messer und gab es dem Großvater, weil Konrad
eine Familie hatte und sich nicht töten durfte. In der Tat war Konrad Alinas
Großvater, er ist aber verschwunden.
Konrad Bachmeier wollte sich mit dem Messer töten, um Leiden zu vermeiden, wenn
er verhaftet wird. Dieses Taschenmesser ist Symbol seines Lebens. Und er
schickt es seinem Bruder mit der Hoffnung, dass der Großvater Konrads Leben
fortsetzen bzw. ersetzen kann. Eine Waffe kann auch ein Schutz für das Leben
sein. Der Großvater bekam deswegen mit dem Messer die Verantwortung für eine
fremde Familie. Mit dem Messer kann man auch jagen und seine Familie mit Brot
sichern. Der Großvater musste mit der Frau seines Bruders zusammenleben.
Wahrscheinlich legte er das Messer deswegen unter sein Kissen, um sich ständig
an seinen Bruder zu erinnern.
Und als endlich die ganze Geschichte erzählt wurde, bekam Alina das Messer,
damit das Leben dieser Familie nicht beendet wird.
Ein Messer kann nicht schlecht oder gut sein. Mit einem Messer kann man Brot
schneiden und mit demselben Messer auch Menschen töten. Der Großvater musste
seine ganzes Leben Entscheidungen treffen, wie er sich verhalten soll und dabei
konnte ihm des Bruders Messer helfen.

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date: 2011-12-21 21:00:00
tags: Aufzeichnungen eines Pessimisten
title: Das Geld zum Leben
teaser: |
<p>
Die Anzahl der Lebenstage ähnelt sich dem Geld: Es ist niemals genug, obwohl
beides nichts wert ist.
</p>
---
Die Anzahl der Lebenstage ähnelt sich dem Geld: Es ist niemals genug, obwohl
beides nichts wert ist.

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@@ -0,0 +1,261 @@
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layout: post
date: 2011-09-01 23:20:00
tags: Aufsatz
title: „Der Zauberlehrling“ von Johann Wolfgang von Goethe. Teil 3. Analyse der Ballade
teaser:
<p>
Es geht in der Ballade „Der Zauberlehrling“ von Johann Wolfgang von Goethe, die
im Jahr 1797 erschienen ist, um einen Hexenmeister, der einmal irgendwohin
weggegangen ist und seinen Lehrling allein ließ. Der Zauberlehrling wollte seine
Macht und seinen Zauber ausprobieren und Geister im Haus steuern. Von
seinem Meister konnte er die Wörter, mit denen er diese Geister rufen könnte.
Mit Geistesstärke hat der Zauberlehrling einen Besen lebendig gemacht. Um ein
Wunder zu tun, wurde dem Besen befohlen, auf zwei Beinen zu stehen, die
schlechten Lumpenhüllen zu nehmen und ein Becken voll mit Wasser zu füllen. Der
Besen musste als Knecht dienen, zu einer Fluss laufen und Wasser bringen.
</p>
---
\subsection{Textzusammenfassung}
Es geht in der Ballade „Der Zauberlehrling“ von Johann Wolfgang von Goethe, die
im Jahr 1797 erschienen ist, um einen Hexenmeister, der einmal irgendwohin
weggegangen ist und seinen Lehrling allein ließ. Der Zauberlehrling wollte seine
Macht und seinen Zauber ausprobieren und Geister im Haus steuern. Von
seinem Meister konnte er die Wörter, mit denen er diese Geister rufen könnte.
Mit Geistesstärke hat der Zauberlehrling einen Besen lebendig gemacht. Um ein
Wunder zu tun, wurde dem Besen befohlen, auf zwei Beinen zu stehen, die
schlechten Lumpenhüllen zu nehmen und ein Becken voll mit Wasser zu füllen. Der
Besen musste als Knecht dienen, zu einer Fluss laufen und Wasser bringen.
Der Besen führte seine Aufgabe so behände aus, dass das seinen „Wirt“ wunderte.
Als das Ziel erreicht wurde, sagte der Zauberlehrling seinem Knecht, dass alles,
was nötig gewesen war, jetzt gemacht ist. Und er merkte gleich, dass er die
Wörter vergessen hat, mit denen er den Besen zum vorherigen Zustand hätte machen
können, und der Besen setzte fort, das Wasser zu tragen, bis das Wasser auf den
Zauberlehrling aufstürzte und das Haus angefangen hat, zu ersaufen.
Das Haus wurde immer mehr mit Wasser gefüllt. Der Zauberlehrling war wütend und
schrie dem Besen davor, aber es war umsonst, weil der Besen nicht hören wollte.
Der Zauberlehrling hat gesagt, dass er den Besen fassen und halten will. Dann
hat der Zauberlehrling ein scharfes Beil genommen, sich auf den Besen geworfen
und ihn damit gespaltet. Sein Feind war entzwei, und der Lehrling hörte auf
sich Sorgen um ihn zu machen.
Plötzlich sind die beiden Teile doch aufgestanden und trugen schon das Wasser zu
zweit und selbstverständlich noch schneller. Der Zauberlehrling wusste überhaupt
nicht, was er in dieser Situation machen könnte und fing an, den Meister zu
rufen. Endlich kam der erwartete Meister, den der Zauberlehrling bat zu helfen.
Der Meister hat den Besen rasch in die Ecke geschickt und gesagt, dass der
Meister für das Spiel mit Geistern zunächst gerufen werden soll.
\subsection{Formaler Aufbau}
Die Ballade besteht aus 14 Strophen. Jede zweite hat ein anderes Reimschema als
die anderen und ist einem Refrein ähnlich. Das sieht folgendermaßen aus:
\begin{tabular}{l r}
Hat der alte Hexenmeister & a\\
Sich doch einmal wegbegeben! & b\\
Und nun sollen seine Geister & a\\
Auch nach meinem Willen leben. & b\\
Seine Wort und Werke & c\\
Merkt ich, und den Brauch, & d\\
Und mit Geistesstärke & c\\
Tu ich Wunder auch. & d\\
\ & \\
Walle! walle & e\\
Manche Strecke, & f\\
Daß, zum Zwecke, & f\\
Wasser fließe, & g\\
Und mit reichem vollem Schwalle & e\\
Zu dem Bade sich ergieße. & g
\end{tabular}
Ungerade Strophen bestehen aus 8 Versen, die mit Kreuzreim verbunden sind.
Gerade Strophen haben nur 6 Verse mit Reim e-f-f-g-e-g. Das Versmaß ist
Trochäus.
Die Sätze sind meistens kurz und sind oft koordinierend verbunden, was für Leser
leicht zu verstehen ist, trotzdem sind viele Wörter vorhanden, die heute
schwierig zu kapieren sind.
\subsubsection{Stilmittel}
Personifikation in dieser Ballade ist der lebendige Besen, der zwar nicht
richtig denken kann, aber kann sich bewegen, Befehle ausführen. Ich würde sagen,
dass das Holz die Rolle von Menschen spielt, weil nachdem sie gespaltet worden
waren, konnten die beiden Teilen handeln. Zum Besen werden viele menschliche
Eigenschaften verwendet: böse, verrucht; er kann Knecht sein, steht auf zwei
Beinen und hat einen Kopf oben. Das Wasser kann auch als Personifikation
verstanden sein.
Es gibt eine Antithese in der zwölften Strophe: Knechte — Mächte.
Die Parabel sind hundert Flüsse, die auf den Zauberlehrling aufstürzen.
Ein Zauberlehrling, ein Hexenmeister und die Geister, von denen eine Sache
lebendig werden kann, können im realen Leben kaum existieren, also sind sie
Metaphern.
Behende würde man mit „ä“ schreiben (behände). Das ist ein Archaismus.
\subsection{Analysieren des Inhalts der Ballade}
\subsubsection{Der Titel und das Thema der Ballade}
Der Titel der Ballade bezieht sich auf die Hauptperson, den Zauberlehrling.
Das Thema: mit dem Werk wollte der Autor zeigen, wie wichtig die Rolle von
Lehrer bzw.\ guter Regierung im Leben ist.
\subsubsection{Gliederung}
Die Ballade wird mit einem Vorwort angefangen, in dem der Leser in die
beschriebene Situation eingeführt (Weggang des Meisters) und mit handelnden
Personen (mit dem Zauberlehrling und den Geistern) bekanntgemacht wird. Das
sind die ersten vier Verse.
Dann entwickelt sich die Geschichte, bis der Zauberlehrling gemerkt hat, das er
ein wichtiges Wort vergessen hat.
Danach stellt sich das Problem. Das Geschehene wird total geändert und wendet
sich gegen den Zauberlehrling.
Als nächstes kommt die Kulmination. Die Hauptfigur sucht einen Ausgang und
greift das Beil. Der alte Besen ist gespalten und der Zauberlehrling denkt,
dass er den Sieg errungen hat. Die Spannung fällt ab. Aber kurz nachher hat der
Lehrling schon „zwei Probleme“ statt einem. Man beobachtet kurz neue Entwicklung
des Erzählten. Die Spannung nimmt wieder zu.
Die vier letzten Verse der vorletzten Strophe sind schon die Lösung, denn
endlich kommt der Meister.
Die letzte Strophe kann man zum Nachwort zählen, da der alte Hexenmeister sagt,
was man machen sollen hätte.
\subsubsection{Typisierung der handelnden Personen}
<i>Den Hexenmeister</i> begegnet man nur am Anfang und am Ende. Am Anfang
erwähnt der Autor ihn nur. Am Ende zieht er die Schlussfolgerung. Der Meister
scheint nicht böse zu sein, er fühlt sich sicher, ist ruhig und hat
ausgezeichnete Kenntnisse, kennt seine Arbeit sehr gut.
Der Zauberlehrling ist, wie bereits erwähnt, die Hauptperson. Er benimmt sich
wie ein Jugendlicher oder ein Kind. Er ist ungehorsam und verwegen, will mit dem
Feuer spielen, ohne bevor nachzudenken. Der Lehrling wollte, dass alle (z.B. der
Besen) ihn hören und selber macht schlimme Sachen ohne Erlaubnis. Er kriegt sehr
schnell Ärger, wird wütend und kann sich nicht kontrollieren (greift das Beil).
Nur wenn es keine andere Wahl gibt, trifft der Zauberlehrling vernünftige
Entscheidung — ruft seinen erfahrenen Meister.
<i>Der Besen</i> macht alles unbewusst. Er ist von den Geistern des Meisters
gesteuert. <i>Den Geistern</i> ist egal, wen zu hören. Sie sind brav, sogar wenn
dass unnötig und schädlich ist, haben keinen Willen und können ohne guten Chef
alles vor sich zerstören.
\subsection{Interpretation}
Die Ballade wurde das erste Mal im von Friedrich Schiller herausgegebenen
„Musen-Almanach“ für das Jahr 1798 erschienen. Die Geschichte, die in der
Goethes „Der Zauberlehrling“ erzählt wurde, ist nicht neu. Vermutlich wurde
ein Teil aus „Der Lügenfreund oder der Ungläubige“ vom griechischen Dichter
Lukian von Samosata genommen, ergänzt bzw.\ verändert und umgeschrieben.
Die Stelle, die als ein Muster dienen könnte, lautet folgendermaßen:
\begin{quote}
Endlich fand ich doch einmal Gelegenheit, mich in einem dunkeln Winkel
verborgen zu halten und die Zauberformel, die er dazu gebrauchte,
aufzuschnappen, indem sie nur aus drei Silben bestand. Er ging darauf, ohne mich
gewahr zu werden, auf den Marktplatz, nachdem er dem Stößel befohlen hatte, was
zu tun sei. Den folgenden Tag, da er geschäftehalber ausgegangen war, nehm' ich
den Stößel, kleide ihn an, spreche die besagten drei Silben und befehle ihm,
Wasser zu holen. Sogleich bringt er mir einen großen Krug voll. Gut, sprach ich,
ich brauche kein Wasser mehr, werde wieder zum Stößel! Aber er kehrte sich nicht
an meine Reden, sondern fuhr fort, Wasser zu tragen, und trug so lange, daß
endlich das ganze Haus damit angefüllt war. Mir fing an, bange zu werden,
Pankrates, wenn er zurückkäme, möcht' es übelnehmen — wie es dann auch
geschah -, und weil ich mir nicht anders zu helfen wußte, nahm ich eine Axt un
hieb den Stößel mitten entzwei. Aber da hatte ich es übel getroffen; denn nun
packte jede Hälfte einen Krug an und holte Wasser, so daß ich für einen
wasserträger nun ehrer zwei hatte. Inmittelst kommt mein Pankrates zurück, und
wie er sieht, was passiert war, gibt er ihnen ihre vorige Gestalt wieder; er
selbst aber machte sich heimlich aus dem Staube, und ich habe ihn nie wieder
gesehen.\footcite{moritz:balladen}
\end{quote}
Im Jahr 1940 Walt Disney machte aus der Goethes Ballade einen Zeichentrickfilm
mit Micky Maus.
Wer Erzähler ist, ist ein bisschen unklar. Er scheint der Zauberlehrling selber
zu sein. Aber er muss dann allein mit Geistern und dem Besen zu Hause sein,
trotzdem wendet er sich in der fünften Strophe an jemanden noch: „<i>Seht</i>,
er läuft zum Ufer nieder…“ (Herv. — Eugen Wissner). In der nächsten Strophe
sagt der Zauberlehrling: „Stehe! Stehe! Denn <i>wir</i> haben deiner Gaben
vollgemessen!…“ (Herv. — Eugen Wissner). Die erste Stelle kann man verstehen
als Anrede an Leser; die zweite ist Ruf nicht nur vom Autor, sondern von anderen
Menschen auch. Die letzte Strophe in der Ballade spricht der Hexenmeister aus
und sie sind von Goethe in Anführungszeichen gesetzt. Fast alles ist in Präsens
geschrieben, folglich ist das Gegenwart.
Die Ballade hat die ewige Bedeutung für Menschheit, da sie Probleme beschreibt,
die mit menschlicher Psychologie zu tun haben und deshalb waren immer
vorhanden, sind zur Zeit vorhanden und werden noch vorhanden sein. Das Werk ist
mit Ereignissen der Zeit verbunden, in der Goethe gelebt hat, aber die Geschichte
wiederholt sich wegen der schon erwähnten menschlichen Psychologie.
Der Meister ist als „der alte Hexenmeister“ bezeichnet. Das Wort „alt“ bezieht
sich nicht auf sein Alter, sondern auf seine Erfahrung. Das ist also ein guter
Lehrer, der vielleicht schon alles im Leben gesehen hat. Sein Lehrling ist
kindisch.\footnote{Vgl.: Typisierung der handelnden Personen.} Er will prahlen und seine
Kenntnisse zeigen, die er vielleicht noch nicht hat, obwohl der berühmteste Satz
von einem der weisesten Männer antikes Griechenlands, Sokrates, lehrt darüber,
was man an sein Wissen immer denken sollte: „Ich weiß, dass ich nichts weiß“.
Der Lehrling hat nicht vor, seinen Meister um Rat zu fragen sondern ruft die
Geister, die er wahrscheinlich überhaupt nicht kennt, ruft irgendwelche fremde
Geister, die im helfen müssten, ein Wunder zu machen. Das ist vergleichbar mit
Ereignissen in der Geschichte von Israel, denen man zahlreich in der Heiligen
Schrift begegnen kann. Als Mose weggegangen ist, um das Gottesgesetz (zehn
Gebote) von dem Berge zu holen, bat das Volk Aaron einen anderen Gott für sie
zu machen. Aaron sammelte die goldenen Ohrringe „und bildete das Gold in einer
Form und machte ein gegossenes Kalb. Und sie sprachen: Das ist dein Gott,
Israel, der dich aus Ägyptenland geführt hat!“ (2. Mose 32).
Als Mose zurückkam, zerbrach er Tafeln unten am Berg. Zorn wurde über die
Israeliten entbrannt und der Zauberlehrling wird auch bestraft.
Die Situation scheint zunächst lustig zu sein. Der Lehrling ist zufrieden, kann
sich gönnen zu faulenzen, da der Besen alle Arbeiten ausführt und Spaß für
seinen Wirt machen kann. Aber ein paar Verse später gehorcht der Besen nicht
mehr und macht seine Arbeit, die am Anfang so nützlich schien, weiter. Der
Lehrling versucht erstmal den Besen und die Geister mit Wörtern zur Ruhe zu
bringen. Wenn das nicht gelingt, greift er zu den Waffen. Dem wird bange. Aber
mit allen seinen Handlungen macht der Lehrling nur schlimmer. Mit der Waffe
kann ein Problem nicht gelöst werden. Und endlich, wenn fast alles mit dem
Wasser voll ist, und es gibt keine andere Chance sich zu retten, versteht der
Lehrling, dass er zu schwach ist, und ruft den Meister. Der alte Hexenmeister
hört ihn im Unterschied zu den Geistern.
Es passiert, dass Lehrlinge um ihre Lehrer klagen, weil sie nicht alles
verstehen können und schließlich gegen sie gehen. Das Gleiche kann in einer
Familie betrachtet werden, wenn man die Eltern für die Lehrer und die Kinder für
die Lehrlinge hält. Zwischen Kindern und Eltern ist eines der häufigsten
Probleme, das sowohl in der russischen als auch in der deutschen Literatur
behandelt wird. Einem fremden Menschen ist oft leichter zuzuhören, als den
Menschen, die in der Nähe von uns sind und die uns sogar lieben, wenn wir das
nicht verstehen.
Die Ebene, auf der die Ballade betrachtet werden kann, kann immer breiter
werden. Das kann ganz persönlich sein, eine Familie. Das kann eine Gesellschaft
sein, wie z.B. Schule, Universität o.Ä. Das kann aber auch geschichtlich auf das
ganze Volk bezogen sein und dann auf die ganze Welt, z.B. französische
Revolution. Damals versuchten ganz viele Menschen zunächst in einem Land, dann
in ganz Europa, auf ihre alten Ideale, alten Traditionen verzichten und nur sich
selbst und ihrer Vernunft zu vertrauen. Egozentrismus ist die Idee der
Aufklärung. Da bringt aber noch lange Zeit nichts, weil nichts in Herzen
verändert ist. Der König und viele Adlige wurden getötet und andere Räuber haben
Macht bekommen aber viele verhungern immer noch. Man muss nach Besserem streben,
aber sehr vorsichtig und ohne Eile, sonst können noch weitere Probleme
entstehen. Das ist die Idee der Ballade.
% Erstelldatum: 19.02.2010

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@@ -0,0 +1,7 @@
---
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date: 2011-10-28 14:00:00
tags: Aufzeichnungen eines Pessimisten
title: Bestraft
---
Meine Geburt ist meine Strafe.

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@@ -0,0 +1,7 @@
---
layout: post
date: 2011-10-22 12:59:00
tags: Aufzeichnungen eines Pessimisten
title: Das hohe weise Alter
---
Jugendlicher Maximalismus, greisenhafte Torheit… wer hat den Scwachsinn ausgedacht?

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@@ -0,0 +1,83 @@
---
layout: post
date: 2007-07-20 05:22:00
tags: Стихотворение
title: Рыжик (Дивеево, 18 июля)
teaser: |
<p>
Средь суетящихся людей<br>
Ваш дерзкий взгляд я заприметил.<br>
Ему взаимностью ответив,<br>
Попал в плен Ваших я очей.
</p>
<p>
Они пронзили душу мне,<br>
И сердце трепетное сжалось<br>
Так, что внезапно показалось:<br>
Пылает лед в кромешной тьме.
</p>
<p>
Вся похоть сердца подлеца<br>
Подвластна женственности вечно;<br>
А Ваше тело безупречно,<br>
И тайной веет от лица.
</p>
<p>
Не смел я оторвать и глаз,<br>
Когда Вы сделали то первой,<br>
Чтоб подойти походкой верной,<br>
Явить ликующий свой глас.
</p>
<p>
Сей встречи грянувшей как гром<br>
Прошли счастливые мгновенья,<br>
Но не терзало грудь сомненья<br>
С заветным в кулаке листом.
</p>
<p>
К чему нежданная мечта?<br>
Волнами рыжими ложится<br>
Заря на небо. Ах, зорница!<br>
Мила…<br>
И снова грезится она…
</p>
---
% Об удивительном мимолетном знакомстве во время экскурсии в Дивеево (село в
% Нижегородской области) при ожидании очереди на одном из имеющихся источников.
% Чудеса там со всеми происходят разные, со мной, видимо, ничего иного случиться
% и не могло. Рассказала, что ее в школе „рыжиком“ дразнили, и она за это всех
% била. Полученным листком с ее адресом я воспользовался, но ответа не получил:
% может, письмо не дошло, может, стихотворение не понравилось.
\textit{Марине Кривцовой}
Средь суетящихся людей\\
Ваш дерзкий взгляд я заприметил.\\
Ему взаимностью ответив,\\
Попал в плен Ваших я очей.
Они пронзили душу мне,\\
И сердце трепетное сжалось\\
Так, что внезапно показалось:\\
Пылает лед в кромешной тьме.
Вся похоть сердца подлеца\\
Подвластна женственности вечно;\\
А Ваше тело безупречно,\\
И тайной веет от лица.
Не смел я оторвать и глаз,\\
Когда Вы сделали то первой,\\
Чтоб подойти походкой верной,\\
Явить ликующий свой глас.
Сей встречи грянувшей как гром\\
Прошли счастливые мгновенья,\\
Но не терзало грудь сомненья\\
С заветным в кулаке листом.
К чему нежданная мечта?\\
Волнами рыжими ложится\\
Заря на небо. Ах, зорница!\\
Мила…\\
И снова грезится она…

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@@ -0,0 +1,51 @@
---
layout: post
date: 2006-10-17 01:00:00
tags: Стихотворение
title: Последняя записка
teaser: |
<p>
Простив, прошу за все прощенья;<br>
За все, что можешь мне простить,<br>
За страстной юности влеченья,<br>
За все, чего не воротить.<br>
Пишу тебе в последний раз…<br>
Прости за сей нескладный сказ.
</p>
---
% Опубликую постепенно все стихотворения, которые я за свою жизнь написал и за
% которые мне не стыдно. Несколько стихов 2004 года еще ждут своей очереди на
% творческую реставрацию.
% Начинается мое собрание с „трилогии“, посвященной Марии Гашковой, на то время
% воспитаннице Регентской школы Тобольской Духовной Семинарии, а ныне регенту
% храмового хора в Красноярске. Повод к написанию достаточно очевидно исходит из
% названия. Первое шестистишие было передано через посредника адресату, а вот
% следующее за ним четверостишие именуется в моем дневнике „Нереализованным
% вариантом“. Ответа мне, кстати, так и не предложили. Только, примерно, через
% месяц поблагодарили ради приличия при случайной встрече.
% Заключительная „Поправка“ писалась годом позже, что, между прочим, видно из
% ее настроения.
\textit{Марии Гашковой}
Простив, прошу за все прощенья;\\
За все, что можешь мне простить,\\
За страстной юности влеченья,\\
За все, чего не воротить.\\
Пишу тебе в последний раз…\\
Прости за сей нескладный сказ.
\subsection{Нереализованный вариант}
Прости за все, прости коль можешь\\
За юность страстную мою.\\
Пусть мне ответа не предложишь,\\
Прости, в последний раз пишу.
\subsection{Поправка (к „Последней записке“) 2007\footnote{8 августа 2007}}
В последний раз тебе пишу,\\
Прости безграмотность прошу.

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@@ -0,0 +1,52 @@
---
layout: post
date: 2004-02-05 05:40:00
tags: Стихотворение
title: Предвидение
teaser: |
<p>
Над крышею дома<br>
Кружит черный ворон,<br>
О судьбе беспощадной предупреждая меня,<br>
Стало быть снова<br>
К родимому крову,<br>
Снова ко мне пришла беда.
</p>
<p>
Печали я полон:<br>
Принес черный ворон<br>
Столь жестокую весть, дал мне горя отпить.<br>
Ехать мне завтра<br>
Родимого брата,<br>
Родного брата на погост хоронить.
</p>
<p>
Может быть завтра,<br>
Прямо как с братом,<br>
Может быть скоро будет со мной;<br>
За жизнь столь лихую, За горесть людскую<br>
Следом за братом уйду на покой.
</p>
---
% Насколько я сейчас помню, было написано незадолго до смерти двоюродной сестры,
% почему позже так и названо.
Над крышею дома\\
Кружит черный ворон,\\
О судьбе беспощадной предупреждая меня,\\
Стало быть снова\\
К родимому крову,\\
Снова ко мне пришла беда.
Печали я полон:\\
Принес черный ворон\\
Столь жестокую весть, дал мне горя отпить.\\
Ехать мне завтра\\
Родимого брата,\\
Родного брата на погост хоронить.
Может быть завтра,\\
Прямо как с братом,\\
Может быть скоро будет со мной;\\
За жизнь столь лихую, За горесть людскую\\
Следом за братом уйду на покой.

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@@ -0,0 +1,65 @@
---
layout: post
date: 2007-01-08 10:11:00
tags: Стихотворение
title: Рождество
teaser: |
<p>
В грехов болоте с головою<br>
Увяз. Тоска, уныние, нет сил.<br>
Не совладать никак с собою,<br>
И жизни бы себя лишил.
</p>
<p>
Но выпал снег, замел печали,<br>
Надеждою на сердце лег.<br>
Год Новый людям даровали!<br>
Покайся — призывает Бог.
</p>
<p>
Зажег звезду Он на Востоке,<br>
Что б ночью к Солнцу нас вела,<br>
Узрели наши чтоб пороки,<br>
Худые мысли все, дела.
</p>
<p>
Смирился, Боже, до вертепа,<br>
До немощи снизшел людской,<br>
Спустил на землю благость Неба,<br>
Явил Свет Истины Собой.
</p>
<p>
Родился в мире Искупитель!<br>
Помилуй, Боже, вновь и вновь,<br>
Открой для нас Свою Обитель.<br>
О, дай нам все познать любовь!
</p>
---
% А за это стихотворение я, соревнуясь и с коллективами, даже получил то ли
% третье, то ли второе место на рождественском концерте в ТДС. Почему-то
% датировано, судя по всему, датой самого концерта.
В грехов болоте с головою\\
Увяз. Тоска, уныние, нет сил.\\
Не совладать никак с собою,\\
И жизни бы себя лишил.
Но выпал снег, замел печали,\\
Надеждою на сердце лег.\\
Год Новый людям даровали!\\
Покайся — призывает Бог.
Зажег звезду Он на Востоке,\\
Что б ночью к Солнцу нас вела,\\
Узрели наши чтоб пороки,\\
Худые мысли все, дела.
Смирился, Боже, до вертепа,\\
До немощи снизшел людской,\\
Спустил на землю благость Неба,\\
Явил Свет Истины Собой.
Родился в мире Искупитель!\\
Помилуй, Боже, вновь и вновь,\\
Открой для нас Свою Обитель.\\
О, дай нам все познать любовь!

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@@ -0,0 +1,23 @@
---
layout: post
date: 2006-10-25 00:00:00
tags: Стихотворение
title: Скажи, насколько безнадежно…
teaser: |
<p>
Скажи, насколько безнадежно<br>
Мое влечение к тебе?<br>
О, если б знала как тревожно<br>
Ответа ждать! и лгать себе…
</p>
---
% Четверостишие была написано для приятеля и отправлено в sms подруге моей
% подруги. Приятель и получатель sms ныне счастливо женаты. Мне вот повезло
% меньше (больше?).
\textit{Веронике Стоговой}
Скажи, насколько безнадежно\\
Мое влечение к тебе?\\
О, если б знала как тревожно\\
Ответа ждать! и лгать себе…

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@@ -0,0 +1,83 @@
---
layout: post
date: 2004-05-06 06:28:00
tags: Стихотворение
title: Просто помолчим (Горит свеча)
teaser: |
<p>
Спит весь город в полумраке.<br>
Тишина.<br>
И сегодня в старом парке<br>
Меня не ждет она.
</p>
<p>
В комнате горит свеча в твою честь.<br>
Сколько я их сжег, уже не счесть.<br>
Давай не будем верить словам чужим<br>
И в этот вечер вдали друг от друга<br>
Помолчим.
</p>
<p>
Февраль засыпал улицу снегом.<br>
Зима.<br>
И не спешить на свиданье,<br>
Пусть без букета, —<br>
Слишком далеко она.
</p>
<p>
В комнате горит свеча за нас.<br>
Надежда будет пока огонь не погас.<br>
Ты меня за жизнь мою здесь,<br>
Дорогая, не кори,<br>
Давай сегодня просто помолчим.
</p>
<p>
День все ближе к закату клонит.<br>
Скукота.<br>
Каждую ночь ко мне приходит<br>
Во сне она.
</p>
<p>
В комнате горит свеча по нашей встрече.<br>
Я снова видел тебя во сне недавече.<br>
Мы, как прежде, в глаза друг другу глядели<br>
И даже слова сказать не посмели.
</p>
---
\textit{Марине Княжевой}
% Еще одно стихотворение c „кривой рифмой“, но просили ничего не менять:
% деваться некуда.
Спит весь город в полумраке.\\
Тишина.\\
И сегодня в старом парке\\
Меня не ждет она.
В комнате горит свеча в твою честь.\\
Сколько я их сжег, уже не счесть.\\
Давай не будем верить словам чужим\\
И в этот вечер вдали друг от друга\\
Помолчим.
Февраль засыпал улицу снегом.\\
Зима.\\
И не спешить на свиданье,\\
Пусть без букета, —\\
Слишком далеко она.
В комнате горит свеча за нас.\\
Надежда будет пока огонь не погас.\\
Ты меня за жизнь мою здесь,\\
Дорогая, не кори,\\
Давай сегодня просто помолчим.
День все ближе к закату клонит.\\
Скукота.\\
Каждую ночь ко мне приходит\\
Во сне она.
В комнате горит свеча по нашей встрече.\\
Я снова видел тебя во сне недавече.\\
Мы, как прежде, в глаза друг другу глядели\\
И даже слова сказать не посмели.

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@@ -0,0 +1,77 @@
---
layout: post
date: 2007-08-08 00:17:00
tags: Стихотворение
title: Фотокарточка
teaser: |
<p>
Фотокарточка в альбоме<br>
разожгла былую страсть —<br>
вспомнил я как в счастья доме<br>
нам жизнь была обоим всласть.
</p>
<p>
От сна восстав желал увидеть<br>
я блеск прекрасных карих глаз,<br>
любовью жизнь хотел насытить,<br>
с тобой судьбы сложить рассказ.
</p>
<p>
Мечтал ласкать твои я губы.<br>
Я каждый час мечтал. Мечтал!<br>
В лобзании сплетались судьбы.<br>
Еще любви такой не знал.
</p>
<p>
Но вот уплыло наше время:<br>
разошлись мы кто куда.<br>
Теперь нести и горя бремя,<br>
разлука вечная беда.
</p>
<p>
С тех пор не видел сна такого,<br>
в котором не было б тебя.<br>
Обнять твои колени снова<br>
хочу. Хочу как никогда!
</p>
<p>
Но ведь пройдет разлуки время!<br>
Как очи карие увижу вновь.<br>
Мы понесем и счастья бремя,<br>
и прошепчу: Моя любовь…
</p>
---
% Тоже просили не менять, а так хотелось…
% (1 мая 2004, Редакция 8.08.2007)
\textit{Марине Княжевой}
Фотокарточка в альбоме\\
разожгла былую страсть —\\
вспомнил я как в счастья доме\\
нам жизнь была обоим всласть.
От сна восстав желал увидеть\\
я блеск прекрасных карих глаз,\\
любовью жизнь хотел насытить,\\
с тобой судьбы сложить рассказ.
Мечтал ласкать твои я губы.\\
Я каждый час мечтал. Мечтал!\\
В лобзании сплетались судьбы.\\
Еще любви такой не знал.
Но вот уплыло наше время:\\
разошлись мы кто куда.\\
Теперь нести и горя бремя,\\
разлука вечная беда.
С тех пор не видел сна такого,\\
в котором не было б тебя.\\
Обнять твои колени снова\\
хочу. Хочу как никогда!
Но ведь пройдет разлуки время!\\
Как очи карие увижу вновь.\\
Мы понесем и счастья бремя,\\
и прошепчу: Моя любовь…\footnote{1 мая 2004}

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@@ -0,0 +1,54 @@
---
layout: post
date: 2007-07-11 05:18:00
tags: Стихотворение
title: Встреча
teaser: |
<p>
Как ясный день после тумана,<br>
Вернулось прошлое мое.<br>
Пьян от весны ли я дурмана,<br>
Иль впрямь знакомое лицо?
</p>
<p>
Твой лучезарный лик развеял<br>
Остаток канувших дождей.<br>
Как долго я в душе лелеял<br>
Тепло зимы ушедших дней!
</p>
<p>
Как долго я забыть пытался,<br>
Что мне казалось, не вернуть.<br>
Ожило все: в любви как клялся,<br>
Как страстно пала мне на грудь!
</p>
<p>
Былой туман воспоминаний<br>
Рассеял взгляд знакомых глаз.<br>
Питья ль вина не знаю граней,<br>
Души огонь ли не погас?
</p>
---
% Сотворено после одного нанесенного мне в Тобольске визита.
\textit{Марине Княжевой}
Как ясный день после тумана,\\
Вернулось прошлое мое.\\
Пьян от весны ли я дурмана,\\
Иль впрямь знакомое лицо?
Твой лучезарный лик развеял\\
Остаток канувших дождей.\\
Как долго я в душе лелеял\\
Тепло зимы ушедших дней!
Как долго я забыть пытался,\\
Что мне казалось, не вернуть.\\
Ожило все: в любви как клялся,\\
Как страстно пала мне на грудь!
Былой туман воспоминаний\\
Рассеял взгляд знакомых глаз.\\
Питья ль вина не знаю граней,\\
Души огонь ли не погас?

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@@ -0,0 +1,27 @@
---
layout: post
date: 2007-07-13 06:48:00
tags: Стихотворение
title: Эсэмэска
teaser: |
<p>
Сонечко, сэрдэнько, ясочка моя, Гануся,<br>
Потерпи еще малек и я к тебе вернуся…
</p>
---
% Следующие три стихотворения были „эсэмэсками“. Я, уехав на каникулы,
% пообещался ежедневно отправлять на ниже частично указанный в посвящении
% номер (чтобы его отгадать, нужно перебрать всего лишь 10000 комбинаций, хотя
% он, кажется, уже не существует) по несколько стихотворных строк. Мой
% энтузиазм на третий день кончился, но вот кое-какое наследие осталось.
% Кроме того следует отметить, что два первых из них методом насилия над собой
% написаны хореем (большинство прочих ямбом). Мой украинский вызван влиением,
% какой уже не помню книги, где речь шла, в том числе и о „Ганне“ с ее мужем,
% который называл ее и „сонечко“, и „сэрденько“, и „моя ясочка“, и поскольку уж
% у меня тоже Ганнуся была…, которой будет еще одно посвящение позже, и о
% котором она к тому же не ведает.
\textit{+7918902xxxx}
Сонечко, сэрдэнько, ясочка моя, Гануся,\\
Потерпи еще малек и я к тебе вернуся…

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@@ -0,0 +1,24 @@
---
layout: post
date: 2007-07-14 05:21:00
tags: Стихотворение
title: Опыт хорея
teaser: |
<p>
Симферополь, Любик — точки, —<br>
Сей отрезок жутко длинный<br>
(Плюс таможня Украины);<br>
Но для Ангелов — цветочки,<br>
Ведь у нас сердца магниты<br>
(Лю́бой страсти монолиты).
</p>
---
% Почему название, было сказано до этого. Расстояние искусственно несколько
% увеличено: (Г)Анна была в Симферополе; а я-то — во Владимирской области.
Симферополь, Любик — точки, —\\
Сей отрезок жутко длинный\\
(Плюс таможня Украины);\\
Но для Ангелов — цветочки,\\
Ведь у нас сердца магниты\\
(Лю́бой страсти монолиты).

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@@ -0,0 +1,27 @@
---
layout: post
date: 2007-07-16 05:18:00
tags: Стихотворение
title: Я весь измучился тобою…
teaser: |
<p>
Я весь измучился тобою,<br>
Земной твоею красотою.<br>
И ад вошел прям в душу мне,<br>
Томлюся дико в том огне.<br>
Бога жизнью проклянул,<br>
За собой тебя втянул.<br>
Нет! Не ты измучила меня,<br>
А плоть похабная моя.
</p>
---
Было отмечено получателем как самое удавшееся из трех в те каникулы отправленных.
Я весь измучился тобою,\\
Земной твоею красотою.\\
И ад вошел прям в душу мне,\\
Томлюся дико в том огне.\\
Бога жизнью проклянул,\\
За собой тебя втянул.\\
Нет! Не ты измучила меня,\\
А плоть похабная моя.

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@@ -0,0 +1,19 @@
---
layout: post
date: 2007-07-24 05:49:00
tags: Стихотворение
title: Каникулы
teaser: |
<p>
Ох, отпуск выдался мне летом!<br>
Между кухней и клозетом…<br>
Чего еще же пожелать?<br>
В ночь — писа́ть,<br>
Под утро — спать.
</p>
---
Ох, отпуск выдался мне летом!\\
Между кухней и клозетом…\\
Чего еще же пожелать?\\
В ночь — писа́ть,\\
Под утро — спать.

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@@ -0,0 +1,96 @@
---
layout: post
date: 2007-08-06 07:31:00
tags: Стихотворение
title: Давай останемся просто друзьями?
teaser: |
<p>
„Давай останемся друзьями?“ -<br>
вот кульминация кина.<br>
Угрозы, просьбы, обещанья.<br>
Да… ты унизился сполна.
</p>
<p>
Пойти бы с горя что ль напиться, —<br>
да года два уже не пил;<br>
иль в Церковь Божью помолиться, —<br>
уйти в молитву нету сил.
</p>
<p>
Вот друг совсем другое дело —<br>
тот всегда готов понять —<br>
сказал: „В пятак ей дал бы смело!“,<br>
иной пустился утешать.
</p>
<p>
„Два пальца в рот“ — кричит тут третий, —<br>
„забудешь все и обо всем!“,<br>
и вся печаль тысячелетий<br>
сбежит по трубам с ветерком…
</p>
<p>
Но я томлюсь советом скромным:<br>
забыть, простить; простить, забыть.<br>
Ах, совесть, скверно быть влюбленным!<br>
Скверней лишь не влюбленным быть.
</p>
---
% Стихотворение, за которое мне когда-то было по-настоящему стыдно, а именно в
% тот момент, когда его, неккуратно оставленное на столе в столовой, нашла одна
% из подразумевавшихся в строках.
\textit{РОиИкО ТПДС\\и другу Шуре}
\subsubsection{I}
„Давай останемся друзьями?“ -\\
вот кульминация кина.\\
Угрозы, просьбы, обещанья.\\
Да… ты унизился сполна.
Пойти бы с горя что ль напиться, —\\
да года два уже не пил;\\
иль в Церковь Божью помолиться, —\\
уйти в молитву нету сил.
Вот друг совсем другое дело —\\
тот всегда готов понять —\\
сказал: „В пятак ей дал бы смело!“,\\
иной пустился утешать.
„Два пальца в рот“ — кричит тут третий, —\\
„забудешь все и обо всем!“,\\
и вся печаль тысячелетий\\
сбежит по трубам с ветерком…
Но я томлюсь советом скромным:\\
забыть, простить; простить, забыть.\\
Ах, совесть, скверно быть влюбленным!\\
Скверней лишь не влюбленным быть.
\subsubsection{II}
Когда захочешь бросить друга,\\
не философствуй о любви,\\
а прямо: „Более не буду\\
с тобой встречаться“ — „Что ж, мир ти“.
И с оскорбленьем не тяни,\\
не мучь бессоницею в ночь.\\
А ушла не приходи,\\
не мучь! Сомненья все прочь!
Себя не чувствуй виноватой,\\
что мне услужливость теперь?\\
Оно ль избавит от утраты?\\
Приветливость что? от потерь?
Мы не останемся друзьями,\\
прошу не лги сама себе.\\
Благословишь ли день свиданья,\\
я прокляну свиданья день.
И не проси забыть, что было,\\
все вспомню я до мелочей.\\
Тем поделюсь, что сердцу мило\\
даже с будущей своей.

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@@ -0,0 +1,84 @@
---
layout: post
date: 2007-08-16 01:00:00
tags: Стихотворение
title: Дневник
teaser: |
<p>
Ах, друг единственный и верный,<br>
содержащий весь мой быт,<br>
прости за то, что сердцем ленным<br>
и ты давным-давно забыт.
</p>
<p>
А помнишь как с тобой делился<br>
всей суетой летящих дней?<br>
Но для себя ли я трудился<br>
или для будущих людей…
</p>
<p>
Боялся я, что прочитает<br>
тебя моя родная мать;<br>
мечтал о том, как мир узнает<br>
души поэта благодать!
</p>
<p>
Прости ж неискренность, лукавство,<br>
что я порою призывал.<br>
Ты знаешь сам: всегда коварство<br>
в душе юнца найдет причал.
</p>
<p>
Когда убить хотел былое,<br>
тебя имел желанье сжечь.<br>
О, если б сделал я такое,<br>
как письма, бросив тебя в печь!?
</p>
<p>
То что бы я, скрипя зубами,<br>
да с удивленьем на лице,<br>
читал, чуть шевеля губами?..<br>
Тебя, жизнь, видел лишь во сне.
</p>
---
Ах, друг единственный и верный,\\
содержащий весь мой быт,\\
прости за то, что сердцем ленным\\
и ты давным-давно забыт.
А помнишь как с тобой делился\\
всей суетой летящих дней?\\
Но для себя ли я трудился\\
или для будущих людей…
Боялся я, что прочитает\\
тебя моя родная мать;\\
мечтал о том, как мир узнает\\
души поэта благодать!
Прости ж неискренность, лукавство,\\
что я порою призывал.\\
Ты знаешь сам: всегда коварство\\
в душе юнца найдет причал.
Когда убить хотел былое,\\
тебя имел желанье сжечь.\\
О, если б сделал я такое,\\
как письма, бросив тебя в печь!?
То что бы я, скрипя зубами,\\
да с удивленьем на лице,\\
читал, чуть шевеля губами?..\\
Тебя, жизнь, видел лишь во сне.
\subsubsection{Мораль}
Писать стихи и мемуары —\\
порыв весенних жизни лет.\\
Стыдишься их иль ищешь славы;\\
с кем спеть, мечта твоя, дуэт?
Учебник по литературе\\
ну, сохранит ли твой портрет,\\
что списан век назад с натуры,\\
как думаешь… хм.., поэт?

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@@ -0,0 +1,85 @@
---
layout: post
date: 2007-08-20 04:58:00
tags: Стихотворение
title: Электричка
teaser: |
<p>
Постой хотя б еще немного,<br>
электропоезд, на пути.<br>
Кто может знать насколько долго<br>
мне вновь с ней речи не вести?
</p>
<p>
Ты уезжаешь на неделю,<br>
я на перроне остаюсь,<br>
но все же дерзостно осмелюсь:<br>
в румянец щек ее вгляжусь,
</p>
<p>
в глаза небесно-голубые<br>
(без лести: к ним идет платок)<br>
и губы алые простые —<br>
ну чем не красочный цветок?
</p>
<p>
Что видно сквозь стекло вагона<br>
со слоем пыли вековым…<br>
Зачем в мгновение с перрона,<br>
как птичка, упорхнула в дым?
</p>
<p>
Да знаю, знаю, что имею<br>
невесту и уже давно.<br>
Но ведь ее я и не клею!<br>
Тогда упреки мне за что?
</p>
<p>
Помашет ручкой ли прощаясь?<br>
Топчусь пред нею как дитя…<br>
И чтобы в жизни не случалось<br>
будет ли ко мне тепла,
</p>
<p>
позволит ль встретить с электрички,<br>
за нею сумки понести;<br>
не как жене, а как сестричке,<br>
свою любовь к ней принести.
</p>
---
\textit{Тобольск-Тюмень}
Постой хотя б еще немного,\\
электропоезд, на пути.\\
Кто может знать насколько долго\\
мне вновь с ней речи не вести?
Ты уезжаешь на неделю,\\
я на перроне остаюсь,\\
но все же дерзостно осмелюсь:\\
в румянец щек ее вгляжусь,
в глаза небесно-голубые\\
(без лести: к ним идет платок)\\
и губы алые простые —\\
ну чем не красочный цветок?
Что видно сквозь стекло вагона\\
со слоем пыли вековым…\\
Зачем в мгновение с перрона,\\
как птичка, упорхнула в дым?
Да знаю, знаю, что имею\\
невесту и уже давно.\\
Но ведь ее я и не клею!\\
Тогда упреки мне за что?
Помашет ручкой ли прощаясь?\\
Топчусь пред нею как дитя…\\
И чтобы в жизни не случалось\\
будет ли ко мне тепла,
позволит ль встретить с электрички,\\
за нею сумки понести;\\
не как жене, а как сестричке,\\
свою любовь к ней принести.

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@@ -0,0 +1,74 @@
---
layout: post
date: 2007-09-22 06:13:00
tags: Стихотворение
title: Я подарю подсохший веник душистых луговых цветов…
teaser: |
<p>
Я подарю подсохший веник<br>
душистых луговых цветов,<br>
который мне не стоил денег,<br>
что первой встречу средь миров.
</p>
<p>
Поляны аромат прелестной<br>
не вем кому как дар отдам,<br>
жене совсем мне неизвестной:<br>
возьмите, передал лес Вам.
</p>
<p>
Я с малых лет в ладах с природой.<br>
Порадуйте ж и Вы теперь<br>
душевной радужной погодой,<br>
откройте в Ваше сердце дверь.
</p>
<p>
На языке любви, дворянства:<br>
Je naime pas du tout Vous, madam, —<br>
что говорю Вам без лукавства,<br>
ибо я не Don Juan;
</p>
<p>
я не того герой романа,<br>
которым средь людей прослыл.<br>
Все слухи живы от обмана.<br>
Простите коль чем оскорбил.
</p>
<p>
Возьмите же букетик скромный,<br>
как первая, кого в пути домой<br>
я встретил. Может в день всеновый<br>
поговоришь хоть <u>ты</u> со мной.
</p>
---
\textit{Мадине}
Я подарю подсохший веник\\
душистых луговых цветов,\\
который мне не стоил денег,\\
что первой встречу средь миров.
Поляны аромат прелестной\\
не вем кому как дар отдам,\\
жене совсем мне неизвестной:\\
возьмите, передал лес Вам.
Я с малых лет в ладах с природой.\\
Порадуйте ж и Вы теперь\\
душевной радужной погодой,\\
откройте в Ваше сердце дверь.
На языке любви, дворянства:\\
Je naime pas du tout Vous, madam,\footnote{Я Вас вовсе не люблю, госпожа (франц.)}\\
что говорю Вам без лукавства,\\
ибо я не Don Juan;
я не того герой романа,\\
которым средь людей прослыл.\\
Все слухи живы от обмана.\\
Простите коль чем оскорбил.
Возьмите же букетик скромный,\\
как первая, кого в пути домой\\
я встретил. Может в день всеновый\\
поговоришь хоть \underline{ты} со мной.

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@@ -0,0 +1,17 @@
---
layout: post
date: 2011-11-27 21:26:00
tags: Aufzeichnungen eines Pessimisten
title: Staatsreligion
teaser: |
<p>
Wie kann derjenige Ostern feiern, der kein durch die Kirche erzogener und
gebildeter Christ ist? Wie kann derjenige den Glauben belachen, der von
Angst ergriffen ist, einen Spiegel zu zerbrechen? Macht mir ein Geschenk zu
Ostern: schenkt mir nichts.
</p>
---
Wie kann derjenige Ostern feiern, der kein durch die Kirche erzogener und
gebildeter Christ ist? Wie kann derjenige den Glauben belachen, der von
Angst ergriffen ist, einen Spiegel zu zerbrechen? Macht mir ein Geschenk zu
Ostern: schenkt mir nichts.

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@@ -0,0 +1,63 @@
---
layout: post
date: 2007-10-30 00:04:00
tags: Стихотворение
title: Навязчивая свобода или любовь по просьбе
teaser: |
<p>
Моей навязчивой свободы<br>
как надоел тяжелый груз!<br>
Когда же прейдет год и<br>
я от любви освобожусь…
</p>
<p>
Любить себя просить коль должен;<br>
просить и слов, и дел, и встреч, —<br>
то что же сердце мне так гложет,<br>
сойдет ль гора такая с плеч?
</p>
<p>
Что называешь ты свободой:<br>
мое ли рабство у тебя?<br>
Хотя б к „моей“ плите надгробной<br>
придешь ли навестить меня?
</p>
<p>
Найдешь хоть часик для помину,<br>
свой победишь ли робкий страх?<br>
Не обижайся, что к обрыву<br>
мой не придет для встречи прах.
</p>
<p>
Не лей молю я соль напрасно —<br>
в земле же заживо сгорю:<br>
гляди как в луже мир прекрасен,<br>
как котик цапает луну.
</p>
---
\textit{Анне Курушкиной}
Моей навязчивой свободы\\
как надоел тяжелый груз!\\
Когда же прейдет год и\\
я от любви освобожусь…
Любить себя просить коль должен;\\
просить и слов, и дел, и встреч, —\\
то что же сердце мне так гложет,\\
сойдет ль гора такая с плеч?
Что называешь ты свободой:\\
мое ли рабство у тебя?\\
Хотя б к „моей“ плите надгробной\\
придешь ли навестить меня?
Найдешь хоть часик для помину,\\
свой победишь ли робкий страх?\\
Не обижайся, что к обрыву\\
мой не придет для встречи прах.
Не лей молю я соль напрасно —\\
в земле же заживо сгорю:\\
гляди как в луже мир прекрасен,\\
как котик цапает луну.

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@@ -0,0 +1,83 @@
---
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date: 2008-12-24 16:33:00
tags: Стихотворение
title: Миф об Орфее и Эвридике
teaser: |
<p>
Несбыточной томясь мечтою,<br>
любовь, умершую, вернуть,<br>
гоним безумною тоскою,<br>
Орфей себя готовит в путь.
</p>
<p>
Не помянув отца гордыни,<br>
прельстившись нимфы красотой,<br>
в Аида мрачные глубины<br>
не взял он и меча с собой.
</p>
<p>
Он песней арфы златострунной,<br>
подмогой муз имея сонм,<br>
сопровождаемый Фортуной,<br>
на Цербера нагнал вмиг сон.
</p>
<p>
Молю, о, сжалься, Персефона!<br>
Тебе ль не знать то, как<br>
невыносимо беспардонно<br>
от солнца взяться в ночи мрак?
</p>
<p>
— Я упрошу о том владыку<br>
с одним условием всего:<br>
Как знак, что любишь Эвридику,<br>
былому не взгляни в лицо.
</p>
<p>
О, малодушие героя!<br>
о, отблеск тленной красоты!<br>
Бога смеялись над тобою,<br>
смотря с Олимпа высоты.
</p>
<p>
Орфея подвиг бесподобный<br>
моей души не вдохновит.<br>
Сын бога шел стезею мертвых…<br>
хотел ли вечно с нею жить?
</p>
---
Несбыточной томясь мечтою,\\
любовь, умершую, вернуть,\\
гоним безумною тоскою,\\
Орфей себя готовит в путь.
Не помянув отца гордыни,\\
прельстившись нимфы красотой,\\
в Аида мрачные глубины\\
не взял он и меча с собой.
Он песней арфы златострунной,\\
подмогой муз имея сонм,\\
сопровождаемый Фортуной,\\
на Цербера нагнал вмиг сон.
Молю, о, сжалься, Персефона!\\
Тебе ль не знать то, как\\
невыносимо беспардонно\\
от солнца взяться в ночи мрак?
— Я упрошу о том владыку\\
с одним условием всего:\\
Как знак, что любишь Эвридику,\\
былому не взгляни в лицо.
О, малодушие героя!\\
о, отблеск тленной красоты!\\
Бога смеялись над тобою,\\
смотря с Олимпа высоты.
Орфея подвиг бесподобный\\
моей души не вдохновит.\\
Сын бога шел стезею мертвых…\\
хотел ли вечно с нею жить?

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@@ -0,0 +1,43 @@
---
layout: post
date: 2009-01-17 09:48:00
tags: Стихотворение
title: Рассекая мглу страданий…
teaser: |
<p>
Рассекая мглу страданий,<br>
маня собой, что век уж спит, —<br>
вот скрипки нежное звучание<br>
вечерним небом жизни мчит.
</p>
<p>
Дари и прочим утешение,<br>
будь светом следующего дня!<br>
Одно безумное волнение,<br>
как страх восстания со дна…
</p>
<p>
И сей ликующей игрою<br>
разбей оковы тишины,<br>
томящей вечною тоскою,<br>
чтоб обновление души<br>
достигло и до нас с тобою.
</p>
---
\textit{Darja V.}
Рассекая мглу страданий,\\
маня собой, что век уж спит, —\\
вот скрипки нежное звучание\\
вечерним небом жизни мчит.
Дари и прочим утешение,\\
будь светом следующего дня!\\
Одно безумное волнение,\\
как страх восстания со дна…
И сей ликующей игрою\\
разбей оковы тишины,\\
томящей вечною тоскою,\\
чтоб обновление души\\
достигло и до нас с тобою.

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@@ -0,0 +1,29 @@
---
layout: post
date: 2009-06-28 05:42:00
tags: Стихотворение
title: Так далеко от родного окна…
teaser: |
<p>
Так далеко от родного окна<br>
воссияла сегодня на небе звезда.<br>
Дотянуться бы только до этой звезды,<br>
с неба сорвать и с собой унести,<br>
никогда не отстать от нее, не уйти.<br>
Чтобы во век неотлучна была<br>
но светом своим моих рук не сожгла.<br>
Как далек самый близкий огонек…
</p>
---
Оно очень старое, валялось где-то и когда-то позже было дописано и переписано.
\textit{Марине Княжевой}
Так далеко от родного окна\\
воссияла сегодня на небе звезда.\\
Дотянуться бы только до этой звезды,\\
с неба сорвать и с собой унести,\\
никогда не отстать от нее, не уйти.\\
Чтобы во век неотлучна была\\
но светом своим моих рук не сожгла.\\
Как далек самый близкий огонек…

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@@ -0,0 +1,72 @@
---
layout: post
date: 2009-07-23 06:05:00
tags: Стихотворение
title: Опять я вижу тень его…
teaser: |
<p>
Опять я вижу тень его,<br>
бродящей по чужим домам<br>
из жажды мира своего,<br>
воссозданного по мечтам.
</p>
<p>
Вот в келью новую зашла,<br>
с надеждою садясь за стол,<br>
раскрыла мертвые уста,<br>
вести что б снова старый спор.
</p>
<p>
И часть гостей уходит тут же.<br>
Хозяин, выслушав сполна,<br>
ведь сам уж жизнью весь измучен,<br>
прочь гонит тень из-за стола.
</p>
<p>
Она идет, пусть неохотно,<br>
пусть обижаяся порой,<br>
все тверже зная: безнадежна<br>
борьба ее с самой собой.
</p>
<p>
Вернется может и назад,<br>
но что заучено давно<br>
не станет молвить невпопад,<br>
доверчиво твердя одно.
</p>
<p>
Владельца тени дни беспечны —<br>
всегда есть в обществе успех.<br>
Вот только выйти как из тени,<br>
забыться как во тьме потех?
</p>
---
Опять я вижу тень его,\\
бродящей по чужим домам\\
из жажды мира своего,\\
воссозданного по мечтам.
Вот в келью новую зашла,\\
с надеждою садясь за стол,\\
раскрыла мертвые уста,\\
вести что б снова старый спор.
И часть гостей уходит тут же.\\
Хозяин, выслушав сполна,\\
ведь сам уж жизнью весь измучен,\\
прочь гонит тень из-за стола.
Она идет, пусть неохотно,\\
пусть обижаяся порой,\\
все тверже зная: безнадежна\\
борьба ее с самой собой.
Вернется может и назад,\\
но что заучено давно\\
не станет молвить невпопад,\\
доверчиво твердя одно.
Владельца тени дни беспечны —\\
всегда есть в обществе успех.\\
Вот только выйти как из тени,\\
забыться как во тьме потех?

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@@ -0,0 +1,76 @@
---
layout: post
date: 2010-08-31 13:36:00
tags: Стихотворение
title: Когда я жаждал избавленья…
teaser: |
<p>
Когда я жаждал избавленья<br>
от повседневной суеты,<br>
предстало предо мной виденье<br>
живей всей тленной красоты.
</p>
<p>
Я видел голый сад бесхозный.<br>
Всходило солнце над главой.<br>
Но небеса вдруг взгляд свой грозный<br>
сменили мокрою слезой.
</p>
<p>
Тогда среди пустыни этой<br>
пророс сквозь землю стебелек,<br>
и тьма в мгновенье стала светом —<br>
зажегся жизни огонек.
</p>
<p>
Так шли года чредою стройной,<br>
пока цветок не начал цвесть,<br>
озаряя силой новой<br>
все, что только в мире есть.
</p>
<p>
Вокруг него под вдохновеньем<br>
природа стала воскресать,<br>
что перестал быть сон виденьем,<br>
что явью стал волшебный сад.
</p>
<p>
Чудесное сие забвенье<br>
боюсь еще раз пережить,<br>
ничто чтоб этого мгновенья<br>
не в силах было бы затмить.
</p>
---
\textit{LW}
Еще один подарок на день рожденья. Дата на несколько дней не правдива.
Когда я жаждал избавленья\\
от повседневной суеты,\\
предстало предо мной виденье\\
живей всей тленной красоты.
Я видел голый сад бесхозный.\\
Всходило солнце над главой.\\
Но небеса вдруг взгляд свой грозный\\
сменили мокрою слезой.
Тогда среди пустыни этой\\
пророс сквозь землю стебелек,\\
и тьма в мгновенье стала светом —\\
зажегся жизни огонек.
Так шли года чредою стройной,\\
пока цветок не начал цвесть,\\
озаряя силой новой\\
все, что только в мире есть.
Вокруг него под вдохновеньем\\
природа стала воскресать,\\
что перестал быть сон виденьем,\\
что явью стал волшебный сад.
Чудесное сие забвенье\\
боюсь еще раз пережить,\\
ничто чтоб этого мгновенья\\
не в силах было бы затмить.

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@@ -0,0 +1,61 @@
---
layout: post
date: 2010-09-29 22:02:00
tags: Стихотворение
title: Что значит жизнь?
teaser: |
<p>
Что значит жизнь?<br>
Толпа людей, идущих стройно нога в ногу.<br>
Какой из одного путей<br>
избрать нам как свою дорогу?
</p>
<p>
Споткнулся некто и упал,<br>
и вмиг другими был затоптан.<br>
Очнулся он и снова встал,<br>
иль в землю был ногами втоптан?
</p>
<p>
То ничего! Зачем не вем<br>
придет другой из неоткуда.<br>
Пусть не другой — такой как все<br>
Вобьется в строй заместо друга.
</p>
<p>
Продолжим дальше так шагать,<br>
Всдыхая дружно в один голос:<br>
„Моя величественная стать,<br>
как в поле одинокий колос.“
</p>
<p>
Слепы от солнца не поймем,<br>
что по проложенному следу<br>
мы все за веком в век идем,<br>
задравши подбородки к небу.
</p>
---
Что значит жизнь?\\
Толпа людей, идущих стройно нога в ногу.\\
Какой из одного путей\\
избрать нам как свою дорогу?
Споткнулся некто и упал,\\
и вмиг другими был затоптан.\\
Очнулся он и снова встал,\\
иль в землю был ногами втоптан?
То ничего! Зачем не вем\\
придет другой из неоткуда.\\
Пусть не другой — такой как все\\
Вобьется в строй заместо друга.
Продолжим дальше так шагать,\\
Всдыхая дружно в один голос:\\
„Моя величественная стать,\\
как в поле одинокий колос.“
Слепы от солнца не поймем,\\
что по проложенному следу\\
мы все за веком в век идем,\\
задравши подбородки к небу.

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@@ -0,0 +1,107 @@
---
layout: post
date: 2011-04-09 08:19:00
tags: Стихотворение
title: Меня обидеть зря стремишься…
teaser: |
<p>
Меня обидеть зря стремишься,<br>
я не подвластен силам зла.<br>
Ты успокойся, ты уймися.<br>
Не сей по ветру зря слова.
</p>
<p>
То, что дурак я бородатый,<br>
открыто было не вчера,<br>
иначе гением объятый,<br>
встречал бы дома вечера.
</p>
<p>
Да, да, теперь уж и не спрячу,<br>
что пьянством горько досаждал,<br>
но вот ведь сам сижу да плачу<br>
прокурен, пьян, прогнил, устал.
</p>
<p>
Не пустишь ныне на порог,<br>
не навестишь при восполеньи<br>
и не ответишь на звонок,<br>
не дашь сопливым наставленья.
</p>
<p>
Оставь, не то одно мне вовсе,<br>
что разжигало нас всегда,<br>
ну или не только это, впрочем…<br>
мне нужно было от тебя.
</p>
<p>
Храня на черный день надежду,<br>
влачишь бездетной дни свои.<br>
Ну а чем я? Чем я утешу?<br>
В семейной жизни нет любви.
</p>
<p>
И все пройдет, бесспорно, знаю;<br>
потом начнется вновь и вновь.<br>
Зато теперь-то понимаю:<br>
не врал, промолвив про любовь.
</p>
<p>
Пусть изначально безнадежна<br>
та дружба глупая была.<br>
Но почему понять так сложно:<br>
не тьма она, а вся светла!
</p>
<p>
Меня обидеть зря стремишься,<br>
я не подвластен силам зла,<br>
через года угомонишься —<br>
ты знаешь, где найти меня.
</p>
---
\textit{Irina Cornies}
Меня обидеть зря стремишься,\\
я не подвластен силам зла.\\
Ты успокойся, ты уймися.\\
Не сей по ветру зря слова.
То, что дурак я бородатый,\\
открыто было не вчера,\\
иначе гением объятый,\\
встречал бы дома вечера.
Да, да, теперь уж и не спрячу,\\
что пьянством горько досаждал,\\
но вот ведь сам сижу да плачу\\
прокурен, пьян, прогнил, устал.
Не пустишь ныне на порог,\\
не навестишь при восполеньи\\
и не ответишь на звонок,\\
не дашь сопливым наставленья.
Оставь, не то одно мне вовсе,\\
что разжигало нас всегда,\\
ну или не только это, впрочем…\\
мне нужно было от тебя.
Храня на черный день надежду,\\
влачишь бездетной дни свои.\\
Ну а чем я? Чем я утешу?\\
В семейной жизни нет любви.
И все пройдет, бесспорно, знаю;\\
потом начнется вновь и вновь.\\
Зато теперь-то понимаю:\\
не врал, промолвив про любовь.
Пусть изначально безнадежна\\
та дружба глупая была.\\
Но почему понять так сложно:\\
не тьма она, а вся светла!
Меня обидеть зря стремишься,\\
я не подвластен силам зла,\\
через года угомонишься —\\
ты знаешь, где найти меня.

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@@ -0,0 +1,130 @@
---
layout: post
date: 2008-08-31 06:00:00
tags: Стихотворение
title: Das Ewig-Männliche
teaser: |
<p>
Ее семье нужна глава,<br>
я не гожусь для этой роли!<br>
Ах, столь обидные слова!<br>
Ох!, сколь доставили мне боли.
</p>
<p>
Сперва ж, подобно дерзкой Шмидт,<br>
меня мой друг обожествляла,<br>
и свечкой, что в груди горит,<br>
во мне аскета разлагала.
</p>
<p>
Чем идеал не украшай —<br>
пусть бьют меня за то мужчины, —<br>
но, что детенышу скотины,<br>
нам титьку мамки всем давай!
</p>
<p>
Хай мнят, что я последний бабник<br>
(познали б как то тяжело);<br>
будь деспот муж или романтик —<br>
без страха правды: все одно.
</p>
<p>
Тогда в чем разница меж ними,<br>
быть может, спросите Вы вдруг?<br>
Икону девственной богини<br>
вторые в ликах чтут подруг.
</p>
<p>
А первые, рабы Аллаха,<br>
не видят в бабе и души.<br>
А сами-то глупцы из праха,<br>
этап творения Земли.
</p>
<p>
Подруга давняя, спаси!<br>
Не уж то нет жестокости?<br>
Фортит всю жизнь мне тряпкой быть?!<br>
Как пост пройдет, начну я пить…
</p>
<p>
Она: должна быть, мол, глава<br>
на плечах у всех своя,<br>
коль не имеет кто такой,<br>
что терзает ум больной?
</p>
<p>
Я больше года сам живу!..<br>
Меня простите, христианки,<br>
но лишь язычницы-крестьянки<br>
душой здоровы… Посему…
</p>
<p>
…Знай же, что Вечная Женственность в веки<br>
в мир наш, Владимир, увы, не придет.<br>
(Рифму сию да простят человеки).<br>
Я уж скорее продолжу свой род.
</p>
---
Добрая пародия и ответ сквозь время Владимиру Соловьеву на его „Das Ewig-Weibliche“.
\epigraph{
Хочу также, чтобы вы знали,\\
что всякому мужу глава\\
Христос, жене глава муж, а\\
Христу глава Бог.
}{\textbf{(1 Кор. XI, 3)}}
\epigraph{
Придет к нам, верно, из Лесбо́са\\
Решенье женского вопроса.
}{\textbf{В. С. Соловьев}}
Ее семье нужна глава,\\
я не гожусь для этой роли!\\
Ах, столь обидные слова!\\
Ох!, сколь доставили мне боли.
Сперва ж, подобно дерзкой Шмидт,\\
меня мой друг обожествляла,\\
и свечкой, что в груди горит,\\
во мне аскета разлагала.
Чем идеал не украшай —\\
пусть бьют меня за то мужчины, —\\
но, что детенышу скотины,\\
нам титьку мамки всем давай!
Хай мнят, что я последний бабник\\
(познали б как то тяжело);\\
будь деспот муж или романтик —\\
без страха правды: все одно.
Тогда в чем разница меж ними,\\
быть может, спросите Вы вдруг?\\
Икону девственной богини\\
вторые в ликах чтут подруг.
А первые, рабы Аллаха,\\
не видят в бабе и души.\\
А сами-то глупцы из праха,\\
этап творения Земли.
Подруга давняя, спаси!\\
Не уж то нет жестокости?\\
Фортит\footnote{От латинского fortūna (судьба)} всю жизнь мне тряпкой быть?!\\
Как пост пройдет, начну я пить…
Она: должна быть, мол, глава\\
на плечах у всех своя,\\
коль не имеет кто такой,\\
что терзает ум больной?
Я больше года сам живу!..\\
Меня простите, христианки,\\
но лишь язычницы-крестьянки\\
душой здоровы… Посему…
…Знай же, что Вечная Женственность в веки\\
в мир наш, Владимир, увы, не придет.\\
(Рифму сию да простят человеки).\\
Я уж скорее продолжу свой род.

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date: 2012-01-06 09:40:00
tags: Стихотворение
title: Хвалебное пение женщине средних лет
teaser: |
<p>
Скучна, беспомощна, ничтожна<br>
двадцатилетних красота,<br>
пуста, искусственна и ложна,<br>
забвенна завтра навсегда.
</p>
<p>
В лихом кругу студенток юных<br>
сижу безмерно тих и сух.<br>
Как перетянутые струны,<br>
столь рано поседевший дух.
</p>
<p>
В глаза, уставшие от жизни,<br>
смотрю, как в утренний туман.<br>
Движенье губ — тень укоризны,<br>
тяжелый вздох — след давних ран.
</p>
<p>
Бесзлобно над строкой смеется:<br>
у ней есть сын — ровесник мой.<br>
А сердце бьется, снова бьется, сильнее бьется..,<br>
не зная даже возраст свой.
</p>
---
Скучна, беспомощна, ничтожна\\
двадцатилетних красота,\\
пуста, искусственна и ложна,\\
забвенна завтра навсегда.
В лихом кругу студенток юных\\
сижу безмерно тих и сух.\\
Как перетянутые струны,\\
столь рано поседевший дух.
В глаза, уставшие от жизни,\\
смотрю, как в утренний туман.\\
Движенье губ — тень укоризны,\\
тяжелый вздох — след давних ран.
Бесзлобно над строкой смеется:\\
у ней есть сын — ровесник мой.\\
А сердце бьется, снова бьется, сильнее бьется..,\\
не зная даже возраст свой.

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@@ -0,0 +1,9 @@
---
layout: post
date: 2012-01-29 21:38:00
tags: Aufzeichnungen eines Pessimisten
title: Das Gesagte und das Gehörte
---
\emph{Das Gesagte:} Gehen wir einen Kaffee trinken?
\emph{Das Gehörte:} Ja, ich werde deine Frau.

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@@ -0,0 +1,21 @@
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layout: post
date: 2012-02-09 03:27:00
tags: Стихотворение
title: Желанней женщин лишь вино...
teaser: |
<p>
Желанней женщин лишь вино,<br>
лишь рифмой связываю речь.<br>
Очаг семейный все равно<br>
мне не заменит в холод печь.
</p>
---
Навеяно гамбургскими морозами и не только ими.
Желанней женщин лишь вино,\\
лишь рифмой связываю речь.\\
Очаг семейный все равно\\
мне не заменит в холод печь.\footnote{Как двусмысленно получилось-то…
Позволю себе сделать небольшое грамматическое пояснение: „очаг“ является
подлежащим, „печь“ — прямым дополнением.}

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@@ -0,0 +1,9 @@
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layout: post
date: 2012-02-10 23:33:00
tags: Aufzeichnungen eines Pessimisten
title: LTO
---
\emph{Sapientia Sciurus:} Was hast du am Valentinstag vor?
\emph{Ich:} Ich werde mich verlieben.

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@@ -0,0 +1,12 @@
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date: 2012-03-18 18:14:00
tags: Aufzeichnungen eines Pessimisten
title: Zur Kindererziehung
---
Wir verstehen, dass unsere Eltern Recht hatten, wenn es schon zu spät ist.
Genauso geschah Sapientia Sciurus. Als sie noch klein war und Ärger gemacht hatte,
hat ihre Mutter zu ihr gesagt: „Ich bin so müde von dir! Warum bist du nicht als
kleines Kind gestorben!“ Sapientia wurde damals beleidigt und erst jetzt versteht
sie ihre Mutter und stellt sich jeden Tag dieselbe Frage: „Warum bin ich nicht als
kleines Kind gestorben?“

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@@ -0,0 +1,43 @@
---
layout: post
date: 2012-05-16 01:09:00
tags: Gedicht
title: Geboren sein ist keine Tugend
teaser: |
<p>
Gelebt zu haben ist nichts wert,<br>
geboren sein ist keine Tugend.<br>
Gekommen gestern auf die Welt<br>
beweint man morgen seine Jugend.
</p>
<p>
Du schaffst mit eignen Geisteskräften<br>
das Dasein heute wieder neu.<br>
Am achten Tage werd allmächtig,<br>
nur bleib gekrümmten Wegen treu!
</p>
<p>
Gepriesnes Menschentöchterlein,<br>
gesegnet sei dein jeder Schritt!<br>
Verzeih des Dichters armen Reim<br>
und seinen ersten Auftritt.
</p>
---
Der holden Muse.
\textit{Julia Marie Gramlich}
Gelebt zu haben ist nichts wert,\\
geboren sein ist keine Tugend.\\
Gekommen gestern auf die Welt\\
beweint man morgen seine Jugend.
Du schaffst mit eignen Geisteskräften\\
das Dasein heute wieder neu.\\
Am achten Tage werd allmächtig,\\
nur bleib gekrümmten Wegen treu!
Gepriesnes Menschentöchterlein,\\
gesegnet sei dein jeder Schritt!\\
Verzeih des Dichters armen Reim\\
und seinen ersten Auftritt.

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@@ -0,0 +1,12 @@
---
layout: post
date: 2012-06-09 21:51:00
tags: Aufzeichnungen eines Pessimisten
title: Eure Perlen sollt ihr nicht vor die Säue werfen
---
\emph{Sapientia Sciurus:} Es gibt Menschen, die man vermeiden sollte. Wenn
man viel mit psychisch Kranken zu tun hat, kann man selbst bald krank werden.
Mein verstorbener Vater war so, ich weiß, wie das ist.
\emph{Ich:} Du weißt, wie das ist, mit so einem Menschen zu leben. Du hast aber
keine Ahnung davon, wie das ist, so ein Mensch zu sein.

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@@ -0,0 +1,19 @@
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layout: post
date: 2012-07-17 21:32:00
tags: Gedicht
title: Abschied
teaser: |
<p>
Die Liebe ist wie Staub vergänglich,<br>
ich fühle mich erschöpft und krank.<br>
Wem nun gehört die Schuld letztendlich<br>
und der BH im Kleiderschrank?
</p>
---
\textit{Gewidmet dem Besitzer}
Die Liebe ist wie Staub vergänglich,\\
ich fühle mich erschöpft und krank.\\
Wem nun gehört die Schuld letztendlich\\
und der BH im Kleiderschrank?

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@@ -0,0 +1,19 @@
---
layout: post
date: 2012-07-17 22:07:00
tags: Стихотворение
title: Расставание
teaser: |
<p>
Уехала, побыв немного.<br>
Мой обратился мир во мглу.<br>
Остались грусть, тоска, тревога;<br>
прокладки, лифчик на шкафу.
</p>
---
\textit{Владельцу}
Уехала, побыв немного.\\
Мой обратился мир во мглу.\\
Остались грусть, тоска, тревога;\\
прокладки, лифчик на шкафу.

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@@ -0,0 +1,9 @@
---
layout: post
date: 2012-08-05 18:09:00
tags: Aufzeichnungen eines Pessimisten
title: Am Scheideweg
---
\emph{Sapientia Sciurus:} Alkohol ist keine Lösung!
\emph{Ich:} Nüchternheit ebenfalls nicht.

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@@ -0,0 +1,69 @@
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layout: post
date: 2012-08-16 22:10:00
tags: Стихотворение
title: Во мраке дня, во свете ночи…
teaser: |
<p>
Во мраке дня, во свете ночи<br>
заточены под камень стен,<br>
от возведенья перемен<br>
не знавших. Если бы короче<br>
пусть на мгновение одно<br>
предстало древнее сукно.
</p>
<p>
Пространство тесностью налито.<br>
Часы настенные стоят:<br>
покой нарушить не хотят, —<br>
обрушится ненаровито<br>
зелено-желтый потолок,<br>
раздайся неуклюжий слог.
</p>
<p>
Была ли где входная дверь?<br>
Не можно было здесь родиться?!<br>
Как два звена цепи влачиться,<br>
что тащит в век бездомный зверь.<br>
Нет окон. Бледно-синий свет<br>
во все концы струит рассвет.
</p>
<p>
Когда нас страх зажал в углу,<br>
вонзилась в кожу мне до боли —<br>
легли печатью на полу<br>
хладные капли первой крови.<br>
Век на двоих свой доживать,<br>
не лгать, не думать, не стяжать.
</p>
---
Еще в ранней стадии написания одной из моих уважаемых рецензоров было
причислено к сюрреализму. В любом случае это нечто новое для меня в плане стиля.
Во мраке дня, во свете ночи\\
заточены под камень стен,\\
от возведенья перемен\\
не знавших. Если бы короче\\
пусть на мгновение одно\\
предстало древнее сукно.
Пространство тесностью налито.\\
Часы настенные стоят:\\
покой нарушить не хотят, —\\
обрушится ненаровито\\
зелено-желтый потолок,\\
раздайся неуклюжий слог.
Была ли где входная дверь?\\
Не можно было здесь родиться?!\\
Как два звена цепи влачиться,\\
что тащит в век бездомный зверь.\\
Нет окон. Бледно-синий свет\\
во все концы струит рассвет.
Когда нас страх зажал в углу,\\
вонзилась в кожу мне до боли —\\
легли печатью на полу\\
хладные капли первой крови.\\
Век на двоих свой доживать,\\
не лгать, не думать, не стяжать.

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@@ -0,0 +1,39 @@
---
layout: post
date: 2012-10-08 07:16:00
tags: Стихотворение
title: Когда-то я берег здоровье…
teaser: |
<p>
Когда-то я берег здоровье<br>
и окруженьем дорожил.<br>
— Присядьте, ешьте на здоровье.<br>
— Спасибо, уж перекусил.
</p>
<p>
Как ненавижу ярко солнце.<br>
Ни дня жить больше не хочу.<br>
Прикрыл поганый тюль оконце,<br>
соседей дымом отравлю.
</p>
<p>
Давно не радуют рассветы,<br>
давно средь сумерек встаю,<br>
давно грущу под песню эту,<br>
что сам скрипя душой пою.
</p>
---
Когда-то я берег здоровье\\
и окруженьем дорожил.\\
— Присядьте, ешьте на здоровье.\\
— Спасибо, уж перекусил.
Как ненавижу ярко солнце.\\
Ни дня жить больше не хочу.\\
Прикрыл поганый тюль оконце,\\
соседей дымом отравлю.
Давно не радуют рассветы,\\
давно средь сумерек встаю,\\
давно грущу под песню эту,\\
что сам скрипя душой пою.

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@@ -0,0 +1,17 @@
---
layout: post
date: 2012-12-18 07:45:00
tags: Gedicht
title: Kleine Kommunikationstheorie
teaser: |
<p>
Zwei Wörter lassen sich nicht binden,<br>
ein Satz ergibt bloß subjektiven Wert.<br>
Gespräche lassn sich besser singen —<br>
so bleibt Verlust an Sinn verdeckt.
</p>
---
Zwei Wörter lassen sich nicht binden,\\
ein Satz ergibt bloß subjektiven Wert.\\
Gespräche lassn sich besser singen —\\
so bleibt Verlust an Sinn verdeckt.

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@@ -0,0 +1,8 @@
---
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date: 2013-04-29 21:44:00
tags: Aufzeichnungen eines Pessimisten
title: Das dunkle Wissenschaftsalter
---
Gestern war die Philosophie die Magd der Theologie, heute hat man für die Kunst
und Mystik das Wort „Geisteswissenschaft“ ausgedacht.

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@@ -0,0 +1,259 @@
---
layout: post
date: 2013-05-25 06:16:00
tags: Aufsatz
title: Dubitō ergō nōn esse possim
teaser: |
<p>
Seit der Entstehung der Menschheit wunderte man sich über die Welt, die einen
umgibt. Man fragte sich, wie die Umwelt funktioniert, was hinter den natürlichen
Ereignissen steht, suchte nach Gesetzmäßigkeiten und legte auf diese Weise den
ersten Grundstein für das Gebäude der Physik. Dieses Projekt war jedoch
anscheinend so komplex, dass manche Philosophen sich wenige Jahrhunderte später
die Ansicht aneigneten, dass es überhaupt keine Wahrheit sondern nur Schein und
Täuschung gebe. Durch Grübelei und Diskutieren gelangte man schließlich zum
Zentrum seines Daseins, zu seinem Selbst, und stellte sich nun die Frage: „Was
bin ich? Habe ich zumindest eine sichere Erkenntnis, dass es mich selbst
tatsächlich gibt, oder bin ich auch ein bloßer Schein, eine Selbsttäuschung?“
</p>
---
\subsection{Der Heimweg ins Reich des Selbst}
\epigraph{Nosce te ipsum.}{\textbf{Oraculum Delphis}}
Seit der Entstehung der Menschheit wunderte man sich über die Welt, die einen
umgibt. Man fragte sich, wie die Umwelt funktioniert, was hinter den natürlichen
Ereignissen steht, suchte nach Gesetzmäßigkeiten und legte auf diese Weise den
ersten Grundstein für das Gebäude der Physik. Dieses Projekt war jedoch
anscheinend so komplex, dass manche Philosophen sich wenige Jahrhunderte später
die Ansicht aneigneten, dass es überhaupt keine Wahrheit sondern nur Schein und
Täuschung gebe. Durch Grübelei und Diskutieren gelangte man schließlich zum
Zentrum seines Daseins, zu seinem Selbst, und stellte sich nun die Frage: „Was
bin ich? Habe ich zumindest eine sichere Erkenntnis, dass es mich selbst
tatsächlich gibt, oder bin ich auch ein bloßer Schein, eine Selbsttäuschung?“
Die so für den gemeinen Menschen merkwürdige Frage nach dem eigenen Sein
wurde schon so oft gestellt, obwohl nichts sicherer zu sein scheint, als, dass
es mich, wie ich mich empfinde, tatsächlich gibt. „Sei du selbst!“ hört man oft.
Was soll ich sein? Immer wieder versuchen die Philosophen auf diese Frage eine
Antwort zu geben, abstrahieren sich von ihren Vorgängern, um ihre Fehler nicht
zu erben und versuchen ihr System komplett und vollständig vom Anfang an
aufzubauen.
René Descartes erhob den Anspruch, das menschliche Denken auf einen festen
Boden zu stellen. 1637 veröffentlichte er den „Discours de la Méthode“, wo er
unter Anderem das Thema, was der Mensch ist und was der Mensch nicht ist,
behandelt. Wie gründlich und sicher der von ihm gelegte Weg ist, möchte ich im
Folgenden einer Prüfung unterziehen.
\subsection{Kritik an Descartes' Grundsatz}
\subsubsection{Die heimatlose Seele}
\epigraph{%
„Danach prüfte ich mit Aufmerksamkeit, was ich
war, und sah, daß ich so tun konnte, als ob ich keinen Körper hätte und es weder
eine Welt noch einen Ort gäbe, an dem ich mich befand\@. [\dots] Deshalb ist dieses
Ich, d.h.\ die Seele, durch die ich das bin, was ich bin, vollkommen
unterschieden vom Körper [\dots].“
}{}
Der Leib sei kein notwendiger Bestandteil des Menschen, da die Seele (die
eigentliche Substanz, das Denkende) von keinem materiellen Ding
abhänge.\footcite[59]{discours} Mein Vorstellungsvermögen
reicht weder aus, um eine Seele, noch überhaupt etwas Nicht-Materielles
vorzustellen. Descartes verwechselt einen Begriff mit einer Vorstellung. Man hat
einen Begriff der Seele, aber keine Vorstellung davon, man hat einen Begriff der
Unendlichkeit, aber keine Vorstellung des Unendlichen,\footnote{Übrigens
entspringen die bekannten Paradoxa Zenos von Elea daraus, z.B. jenes, dass ein
Stab in zwei Teile getrennt werden kann, einer dieser Teile noch in zwei und so
ad infinitum. Es gibt folglich einen Begriff vom Unendlichen (unendlichen Teilen
in diesem Beispiel), mit dem man jedoch nichts anfangen kann, weil keine
Vorstellung gegeben ist. Wo das Fehlen der Vorstellung mit einem vorhandenen
Begriff zusammenstößt, entsteht ein Parodoxon (eine Antinomie bei Kant).}
einen Gottesbegriff, aber keine Vorstellung von Gott. Deswegen werden die
Gespenster in den Filmen zwar nicht als Menschen dargestellt, aber als
einigermaßen materielle Wesen, die man entweder sieht oder hört oder auf eine
andere Weise spürt (etwas Anderes ist gar nicht vorstellbar); deswegen gibt es
kirchliche Ikonen und Pilgerfahrten, weil man etwas Übersinnliches kaum verehren
kann.
\subsubsection{Meine Gedanken sind meine Gäste}
\epigraph{%
„Daraus erkannte ich, daß ich eine
Substanz war, deren ganzes Wesen oder deren ganze Natur nur darin bestand, zu
denken [\dots].“
}{}
Descartes definiert den Menschen als \textit{res
cogitans},\footcite[Vgl.][14--16]{principia} die Wladimir Solowjow
seinerseits als „cartesianisch[en]
Bastard“\footcite[115]{solowjow8} bezeichnet, weil jener dem
Subjekt das zuschreibe, was ihm nicht mit Sicherheit gehöre. Kein Mensch hat
sich jemals mit seinen Gedanken identifiziert, was schon aus dem Sprachgebrauch
zu sehen ist: eine Idee \textit{haben}, \textit{to have} an idea (englisch),
\textit{avoir} une idée (französisch), \textit{иметь} идею (russisch) --- und
ähnlichen Ausdrücken, wie mir ist \textit{etwas eingefallen}, mir ist \textit{ein
Gedanke gekommen}.
Andererseits haben viele Menschen ein Gewissen. Wie oft bereut ein
Erwachsener, dass er seinen Eltern Unrecht getan hat, indem er ihnen falsche
Motive unterstellte. Ich bereue also Gedanken, die ich hatte, als ob sie mir
fremd gewesen wären. Auf dasselbe läuft die christliche Patrologie hinaus:
„denn es fordert von dir der Herr, daß du über dich selbst zürnest und gegen
deinen Sinn kämpfest, nicht übereinstimmest und liebäugelst mit den Gedanken
\textit{der Bosheit}.“\footcite[17]{makarius}[Eigene
Hervorhebung] Folglich kann man sehr wohl glauben, dass, was nach Descartes
den Menschen ausmacht, das Denken, nicht das Subjekt selbst ist, sondern,
zumindest teilweise, von außen kommt (von Gott oder dem Teufel zum Exempel).
\subsection{Die Traumwelt oder die Welt des Traumes}
\epigraph{%
Die Nacht, die wir in tiefem Schlummer sehen,\\
Ein Engel schuf sie hier aus diesem Stein,\\
Und weil sie schläft, muss sie lebendig sein,\\
Geh, wecke sie, sie wird dir Rede stehen.}{\textbf{Giovanni Strozzi auf die „la Notte“ von Michelangelo}}
Descartes behauptet, dass die Gedankenwelt eines Traumes niemals so evident
und vollständig wie diese der Realität
sei.\footcite[Vgl.][69 f]{discours} Wie kann man zu diesem Schluss
kommen? Man vergleicht das Realitätsbewusstsein mit demjenigen eines Traumes,
was allerdings gar nicht in die umgekehrte Richtung geht: Im Traum gelten andere
Gesetze, die \textit{in diesem Moment} unvergleichbare Evidenz und
Vollständigkeit haben. Wenn ich also eine zweite Realität annehme und ich nur
das Produkt eines Traumes eines Marsianers bin, dann sind die Gedankengänge
meiner Wirklichkeit genauso lächerlich und absurd für die zweite Realität.
Die zweite Bedingung für die Vergleichbarkeit zweier Welten (Schlaf- und
Wachzustandes) ist die Zeit, da man momentanes Bewusstseinsgut mit einem in der
Vergangenheit liegenden Traum vergleicht. „Aber was ist eigentlich diese Summe
des Vergangenen? Liegt sie in meiner Hosentasche oder befindet sie sich auf
meinem Konto in der Bank? Sie existiert doch nur in dieser Minute, bloß als eine
Erinnerung, d.h.\ ein Bewusstseinszustand, ungetrennt davon, was ich nun
empfinde, und es ist selbstverständlich, dass im Fall einer Illusion des
Bewusstseins, sie auch eine Illusion des Gedächtnisses beinhaltet:
[\dots]“\footcite[121]{solowjow8} Warum, wenn unsere Sinnesorgane
uns keine objektive Darstellung des Raumes liefern, soll ich annehmen, dass die
Zeit nicht auch so ein Betrug ist.
Man kann seine Vergangenheit ganz leicht und schnell rekonstruiren, auch wenn
diese Rekonstruktion nicht im Geringsten der Wahrheit entspricht, ohne dabei
die Absicht zu lügen zu haben. Juristen sind so genannte \textit{Knallzeugen}
bekannt. „Der Knallzeuge funktioniert so: Es hat sich ein Autounfall ereignet,
zwei Fahrzeuge sind auf einer Kreuzung ineinander gerast; nun gilt es
herauszufinden, wer die Schuld trägt. Glücklicherweise existiert ein Zeuge, der
vor Gericht den Unfallhergang in allen Einzelheiten beschreiben kann\@. [\dots]
[D]er erfahrene Richter hat das Kinn in die Hand gestützt, hört dem Zeugen
aufmerksam zu und stellt schließlich die Frage, die man ihm im Referendariat
beigebracht hat: Und wie sind Sie auf das Unfallgeschehen aufmerksam geworden?
Der Zeuge antwortet: Als es so schrecklich knallte, habe ich mich
umgedreht.‘“\footcite[17]{psyche} Der Zeuge erzählte, was er
gar nicht gesehen hatte, wobei er selbst von seiner Geschichte so überzeugt war,
dass er die Widersprüchlichkeit seiner Aussagen gar nicht bemerkte. Umso mehr
kann ich daran glauben, dass ich ein seine Seminararbeit schreibender
Philosophiestudent bin, der sich ganz deutlich an sein Abitur erinnern kann,
auch wenn ein Marsianer von mir erst seit zwei Minuten
träumt.\footcite[Vgl.][121]{solowjow8}
\subsection{Auf den Kredit Gottes\footcite[Vgl.][13]{schopenhauer}}
\epigraph{%
„Denn erstens ist sogar das, was ich soeben als Regel angenommen habe --- nämlich
daß alle die Dinge, die wir sehr klar und sehr deutlich verstehen, wahr sind ---,
nur sicher, weil es Gott gibt oder er existiert und er ein vollkommenes Sein ist
und alles, was es in uns gibt, von ihm herkommt.“
}{}
Den nächsten Schritt, den Descartes tut, um die wirkliche Existenz von
\textit{res cogitans} und \textit{res
extensa}\footcite[Vgl.][14--16]{principia} zu rechtfertigen, ist
der Gottesbeweis, wobei bereits Schopenhauer bemerkte, dass dieser Vorgang
selbst „freilich wunderlich“ ist: „[\dots] es ist der umgekehrte kosmologische
[von der Existenz der Welt auf einen Urheber schließende]
Beweis.“\footcite[13]{schopenhauer} Der Autor des Discours'
schließt vom Vorhandensein des Begriffes der Vollkommenheit bei dem selbst
unvolkommenen Menschen auf die Existenz eines vollkommenen Wesens. Diese
Vollkommenheit muss bei Descartes das Gute bedeuten, weil er aus ihr den Schluss
zieht, dass die Außenwelt wirklich ist, weil dieses Wesen uns anscheinend nicht
betrügen darf. Es stellt sich allerdings die Frage, was „gut“ bedeutet. Der
Begriff des Guten ist in uns gelegt, aber er hat keine übermenschliche Bedeutung.
Es könnte eine Welt geben, wo der Mord als gut betrachtet wird, aus dem Grund,
dass das oberste Wesen dies als etwas Gutes definiert und in uns legt. Man kann
also von unserem Begriff der Vollkommenheit beziehungsweise des Guten nicht auf
die Begrifflichkeit des Schöpfers schließen, der selbst diese Begriffe
definierte und definieren kann. Unser Schöpfer könnte ein Dämon sein, der um uns
herum eine Illusion erschuf und uns glauben ließ, dass er ein vollkommen gutes
Wesen sei (also von meiner Sicht dessen, was gut ist).
Außerdem widerspricht sich Descartes, wenn er behauptet, dass man von der
Vorstellbarkeit der Vollkommenheit auf einen volkommenen Gott schließen
kann\footcite[Vgl.][59--63]{discours} und an einer anderen Stelle
schreibt, dass man von der Vorstellbarkeit einer Chimäre nicht auf ihre Existenz
schließen darf\footcite[Vgl.][69]{discours} (zwar ist
offensichtlich, dass er im letzten Fall eine bildliche Anschauung meint, aber
zumindest kann ich mir eine Chimäre anhand meines Anschauungsvermögens leichter
als Gott vorstellen, von dem ich nichts Sicheres sagen kann).
Einen anderen treffenden Einwand bringt Schopenhauer: „Hiebei läßt er
überdies sich nun eigentlich noch einen bedeutenden \textit{circulus vitiosus}
[Zirkelschluß] zu Schulden kommen. Er beweist nämlich die objektive Realität der
Gegenstände aller unserer anschaulichen Vorstellungen aus dem Daseyn Gottes, als
ihres Urhebers, dessen Wahrhaftigkeit nicht zuläßt, daß er uns täusche: das
Daseyn Gottes selbst aber beweist er aus der uns angeborenen Vorstellung, die
wir von ihm, als dem allervollkommensten Wesen angeblich
hätten.“\footcite[91]{schopenhauer} --- und macht einen
angemessenen Schluss, indem er einen von Descartes' Landesleute zitiert: „Il
commence par douter de tout, et finit par tout croire [Er fängt damit an, daß er
alles bezweifelt, und hört damit auf, daß er alles
glaubt] [\dots].“\footcite[91]{schopenhauer}
\subsection{Das Ich und seine Subjekte}
Man könne an seinem eigenen Dasein nicht zweifeln, behauptet der Autor, was
allein der Tatsache widrig ist, dass man daran tatsächlich zweifelt. Was man
nicht behaupten kann, ist, dass man an etwas nicht zweifeln kann, woran man
schon Jahrtausende lang und bis in unsere Tage erfolgreich zweifelt und was
daher verständlicherweise nicht so einfach zu leugnen
ist.\footcite[Vgl.][109]{solowjow8} Andererseits muss man
Descartes Recht geben, dass es etwas gibt, was ich nicht bezweifeln kann, weil,
wenn ich sage: „Ich bezweifle etwas“, identifiziere ich mich doch mit einem
\textit{Ich}. Ganz unabhängig davon, ob ich jetzt träume oder wach bin, ist mir
etwas bewusst, was meinerseits als Ich bezeichnet wird. Dieses Ich empfindet
sich als ein Subjekt, eine Form, deren Inhalt zweifelhaft ist.
Folglich muss die cartesianische denkende Substanz in zwei Teile
ausdifferenziert werden, wobei ich auf Solowjows Termini zurückgreifen möchte
und den einen Teil als reines (phänomenologisches) Subjekt und den anderen als
psychisches (empirisches) Subjekt bezeichnen. Jenes ist sicher und
unerschütterlich, da es uns auf dem unmittelbarsten Wege gegeben ist, aber leer,
dieses erfüllt und bunt, weil es die ganze Persönlichkeit enthält, dennoch
wackelig und grundlos.\footcite[Vgl.][123]{solowjow8}
\subsection{Ego cogito ergo sum sed quis ego sum?}
\epigraph{„Cartesius gilt mit Recht für den Vater der neuern Philosophie [\dots].“}
{\textbf{Arthur Schopenhauer\footcite[13]{schopenhauer}}}
Das große Verdienst Descartes' ist, dass er die spätere Philosophie auf den
Weg hinwies, auf dem man nicht von eingebildeten Pseudo-Wahrheiten lebt, sondern
konstruktiv zweifelt, um einen Fortschritt der philosophischen Forschung zu
ermöglichen, ohne dabei in der Sackgasse des Skeptizismus zu enden. Einmal auf
diesen Weg getreten wollte er ihn unglücklicherweise selber nicht zu Ende gehen.
Allein daran, dass seine Schriften immer noch Aufregung, Nachdenken und
Diskussionen in der philosophierenden Welt hervorrufen, kann man ersehen, wie
unentbehrlich seine Erbe an das Moderne ist.
Nun ist das reine Ich menschlicher Erkenntnis unzugänglich. Man ist nur fähig
reflexiv über das empirische Ich --- über seinen Charakter und die Summe psychischer
Zustände --- die einen zum Individuum machen, nachzudenken. Das reine Ich macht in
dieser Hinsicht dieselben Schwierigkeiten, wie der Versuch, die eigenen Ohren
ohne einen Spiegel zu betrachten. Bin ich eine willensfreie Persönlichkeit?,
eine Puppe im Theater eines mir fremden Wesens?, ein Splitter, der eigentlich
mit einer Gottheit zusammen, die zugleich die Welt ist, und die aus nur ihr
bekannten Gründen plötzlich ihre Harmonie und ihr Gleichgewicht verlor, ein
Ganzes bildet?, ein armer und einsamer Knecht seines Schicksals, der sich
einbildet, dass er etwas sieht, hört, mit jemandem spricht?, das zufällige
Produkt der blinden Natur, die kein einziges Gramm Geist
enthält?

View File

@@ -0,0 +1,256 @@
---
layout: post
date: 2013-06-02 15:27:00
tags: Aufsatz
title: Ein Sklave der Freiheit
teaser: |
<p>
Georg Wilhelm Friedrich Hegel versteht dagegen das Recht als das Dasein der
Idee der Freiheit, die ihrerseits existenziell für das menschliche Wesen ist.
Diese Idee wird nicht wie die ewige Pest von Eltern zu ihren Kindern
weitergegeben, sondern vielmehr werden immer mehr ihrer Momente vom Geist
aufgenommen und verwirklicht, sie ist die Einheit von Begriff und
Wirklichkeit, die der Begriff sich selbst gibt. Die Freiheit, die die
Substanz des Rechts darstellt, wird von Hegel nicht als etwas Schlechtes,
Gesetzloses, Anarchisches verstanden, sondern als etwas moralisch
Positives, sodass man auf höheren Entfaltungsstufen des Geistes von einem
vollkommeneren Recht reden kann.
</p>
---
\subsection{Begriff des Rechts in Hegels Rechtsphilosophie}
\epigraph{%
Es erben sich Gesetz und Rechte\\
Wie eine ewge Krankheit fort,\\
Sie schleppen von Geschlecht sich zum Geschlechte\\
Und rücken sacht von Ort zu Ort.\\
Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage;\\
Weh dir, dass du ein Enkel bist!\\
Vom Rechte, das mit uns geboren ist,\\
Von dem ist leider! nie die Frage.}{\textbf{Johann Wolfgang von Goethe\footcite[55]{faust}}}
Johann Wolfgang von Goethe legt diese Worte dem Teufel in den Mund, der einen
Schüler belehrt. Man spricht davon, dass klassische Dichter wie Goethe immer
aktuell bleiben oder sogar mit der Zeit an Aktualität gewinnen. Ist es so?
Goethes Zeitgenosse, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, versteht dagegen das Recht
als das Dasein der Idee der Freiheit, die ihrerseits existenziell für das
menschliche Wesen ist. Diese Idee wird nicht wie die ewige Pest von Eltern zu
ihren Kindern weitergegeben, sondern vielmehr werden immer mehr ihrer Momente
vom Geist aufgenommen und verwirklicht, sie ist die Einheit von Begriff und
Wirklichkeit, die der Begriff sich selbst
gibt\footcite[Vgl.][234 f]{schnaedelbach}. So befindet sich auch das Recht
im permanenten Progress, denn „[j]ede Stufe der Enwticklung der Idee der
Freiheit hat ihr eigentümliches
Recht [\dots]“\footcite[43]{grund}. Die Freiheit, die die
Substanz des Rechts darstellt, wird von Hegel nicht als etwas Schlechtes,
Gesetzloses, Anarchisches verstanden, sondern als etwas moralisch
Positives\footcite[Vgl.][40 f]{thought}, sodass man auf höheren
Entfaltungsstufen des Geistes von einem vollkommeneren Recht reden kann.
Der Mensch geht einen dornigen Weg in der Geschichte, reinigt sein
Menschenbild. Es ist kaum zu bestreiten, dass ein Bürger eines modernen
Rechtsstaates, rechtstheoretisch gesehen, freier als zuvor ist; aber was ist
jenes Recht, das uns diese Freiheit gibt: Ist es ein Segen, wie es Hegel
beschreibt, oder doch eine beständig anschwellende Bürde, wie es der als Faust
verkleidete Mephisto behaupten würde? Im Folgenden wird mich die Frage
beschäftigen, inwiefern das Rechtssystem eines Staates das Wohlergehen seiner
Bürger widerspiegelt; ob ein höheres Recht sich im immer menschlicher werdenden
Menschen spürbar macht.
\subsection{Wie ist die Entwicklung in der Geschichte möglich?}
Der erste Punkt, der in diesem Zusammenhang von Belang ist, ist, wie Hegel
denkt, die Verbindung zwischen dem staatlichen Recht und den Bürgern dieses
Staates herstellen zu können. Es ist bei Hegel so, dass das Recht zu einem
bestimmten Zeitpunkt die Entwicklungsstufe des Volksgeistes darstellt. Es sei
deswegen gar nicht möglich, dass irgendein Mensch seine Zeit überholt. Als
Beispiel erwähnt Hegel den platonischen Staat und behauptet, dass er kein
Vorbild in alle Ewigkeit, sondern nur „die Natur der griechischen
Sittlichkeit“\footcite[Vgl.][13]{grund} jener Zeit sei. Ein noch
besseres Beispiel wäre, dass Hegel zwar den Anspruch erhebt, nicht über einen
konkreten Staat bzw.\ ein politisches System zu
schreiben,\footcite[Vgl.][15]{grund} seinem Vorhaben selbst aber
nicht immer treu bleibt. So vertritt er die konstitutionelle Monarchie als die
beste der bekannten Staatsformen, womit man heutzutage nicht unbedingt zufrieden
wäre,\footcite[Vgl.][249 ff]{schnaedelbach} d.h.\ er hielt für etwas
allgemein Vernünftiges und einem Rechtsstaat Unentbehrliches, was bloß der
Tradition seiner Zeit angemessen war.
Vielmehr schreibt Hegel, dass die Philsophie mit ihren Belehrungen immer zu
spät sei, „[a]ls der Gedanke der Welt erscheint sie erst in der Zeit, nachdem
die Wirklichkeit ihren Bildungsprozeß
vollendet [\dots] hat.“\footcite[Vgl.][17]{grund} Es scheint Hegels
Antwort auf die Frage zu sein, wie überhaupt geschichtlicher Fortschritt möglich
ist, wenn der Mensch seiner eigenen Zeit nicht voraus sein kann, dass der Geist,
das freie Bewusstsein und damit das Recht sich unabhängig vom menschlichen
Wollen entwickeln. In der Tat wird das Menschenbild in Europa immer
fortschrittlicher: es gibt keine offizielle Sklaverei, die Hautfarbe entscheidet
nicht über die menschliche Würde und die Eltern haben keine Macht über ihre
Kinder wie über einen Gegenstand. In Deutschland werden diese Ansichten auch
juristisch im Grundgesetz verankert.
Ferner sieht Hegel das Ziel der Philosophie in der Erforschung des
Wirklichen, das auch vernünftig ist.\footcite[Vgl.][15 f]{grund}
Somit ist alles Klagen über den wirklichen Staat unvernünftig. Es gibt jedoch
auch Rückschritte. Was ist mit den Zeiten, die von den meisten Menschen im
Nachhinein als höchst unvernünftig und sogar unmenschlich betrachtet werden, wie
z.B. die des deutschen Nationalsozialismus: musste man dem Staat gehorchen, weil
er wirklich und vernünftig gewesen war? „[\dots] Hegel distinguished between
phenomena that embody a rational structure and those that do
not“\footcite[234]{cambridge}, heißt es bei Kenneth Westphal mit
dem Verweis auf das Vorwort der Philosophie des Rechts. Wann ist dennoch diese
Grenze des Vernünftigen überschritten? Hier stolpern wir über das erste Problem,
was die Entfaltung des Geistes angeht: Es gibt kein wirkliches Kriterium, um die
jeweilige politische Situation bewerten zu können. Hegel sucht nach dem
Vernünftigen trotzdem im Transzendentalen und setzt damit anstelle der Willkür
seiner unvernünftigen Mitbürger, die ständig über ihren Staat klagen, seine
eigene Willkür.\footnote{Zu demselben Gedanken führt Hegels Plädieren für die
konstitutionelle Monarchie, die ich oben erwähnte.} Da man jedoch, wenn
man die Gegenwart mit der Vergangenheit vergleicht, den Fortschritt feststellen
kann, muss die blinde Menschheit von der Geschichte an der Hand geführt werden,
sie stößt gegen Gegenstände im dunklen Raum und zieht sich blutige Wunden im
Gesicht zu, nähert sich aber immer mehr dem Funken der Freiheit. Doch frage ich
mich: Was ist diese Menschheit in ihren Einzelteilen, wirken die Organen im
Ganzen des Organismus mit?
\subsection{Zusammenhang des Menschenbildes und seiner Verwirklichung}
Die Behandlung dieser Frage beginne ich mit einer kurzen Geschichte. Ich
wurde einmal in Hamburg von einer Gruppe junger Leute angesprochen. Sie seien
von einem Unternehmen angestellt, dessen Auftrag es sei, Jugendlichen aus
schwierigen Verhältnissen zu helfen, ins Berufsleben einzusteigen, und zwar
sollen die Letzteren Zeitschriften austragen. Meine Aufgabe sei es, dabei zu
helfen, sie zu kontrollieren. Dafür sollte ich eine Zeitschrift beantragen; ich
werde regelmäßig ein Formular zugeschickt bekommen, in dem ich einzutragen
hätte, ob ich alle Zeitschriften in dieser Periode erhalten hatte. Meine
Belohnung sei, dass ich die Zeitschrift ein halbes Jahr lang gratis bekäme. Ich
unterzeichnete den Vertrag. Mehrere Wochen danach bekam ich mein erstes Magazin
zusammen mit einem zweijährigen Abonnement, das ich selbstverständlich bezahlen
musste. Die Angelegenheit entpuppte sich also als eine sogenannte „Abofalle“. Da
ist auch klar, warum der Vertrag erst zwei Wochen später zugesandt wurde (damit
ich Angst habe, dass ich nach vierzehn Tagen nicht mehr kündigen kann, was in
der AGB auf der Rückseite des Vertrages klein geschrieben steht). Seitdem
erhielt ich eine Sammlung von Briefen, die mir meine letzte Chance ankündigen,
meine Schulden zu begleichen, bevor ich vor Gericht gezogen werde. Dabei
handelte es sich nicht um einen harmlosen Einzelfall. Auf der Suche nach Hilfe
bin ich weiteren Opfern begegnet. Wir waren mit einer Organisation konfrontiert,
die schon seit Jahren auf verschiedene Weisen, aber immer mit gut ausgesuchten
und bis ins Detail durchdachten Methoden die Menschen betrügt, den naiven
Bürgern das letzte Vertrauen entzieht und Rentner ohne ihre Ersparnisse im Stich
lässt.\footnote{Viel extremer sind die Rechtsstreitigkeiten der letzten Jahre in
der IT-Industrie zwischen großen Unternehmen, wie 2012 zwischen Apple und Samsung
oder Oracle und Google. Ohne weiter auf die Details eingehen zu wollen, muss man
doch feststellen, dass zwar ein an sich ganz gerechtes Anliegen vertreten wurde,
doch bei näherer Betrachtung der Gründe ähnelten die Prozesse doch einem Abzock
des jeweils angeklagten Unternehmens.} Hier kommt die
Schattenseite des modernen Rechts zum Vorschein: Die Freiheit bietet auch
Freiheit für Verbrecher. Wozu muss jemand altmodisch in einer dunklen Gasse auf
seine Opfer stechen und sie berauben, wenn es anhand des vorhandenen
Rechtssystems viel eleganter und sicherer gelingt? Und es geht gar nicht um das
Gesetz, dass in dicken Büchern niedergeschrieben ist und das bloß ausgenutzt
wird, aber an sich ganz angemessen ist, natürlich hätten z.B. die Betrüger in
meinem Fall keine Chance vor Gericht gehabt, wenn ich zum Anwalt gegangen wäre;
es geht um Menschen aus Fleisch und Blut mit ihren Schwächen, Menschen, von
denen nicht jeder Spaß daran hat, nach der Arbeit seine Rechte zu studieren,
Menschen, die um die Freiheit des Rechts fürchten.
Noch ein paar Worte möchte ich zur Freiheit sagen, die Hegel nach dem Recht
innewohnt. Die Würde des Menschen als eines freien Wesens wird immer mehr
ausgeprägt und legitimiert; in einer anderen Hinsicht wird dem Menschen seine
persönliche Freiheit entzogen. Es finden sich immer Menschen, die einen solchen
Fall, wie den, den ich geschildert habe, ungefähr folgendermaßen kommentieren
würden: „Du solltest nicht so dumm sein, du bist selber schuld.“ Welcher Unfug!
Das Vertrauen in andere Menschen wird dabei mit Naivität und Dummheit
gleichgesetzt. Der Mensch wird immer verschlossener, kann nicht mehr frei
handeln: die Anderen umgeben ihn. Wem vertrauen wir? Unseren Nachbarn? Einem neu
geöffneten Online-Shop? Dem Priester? Der Gnade der Politiker? Bankberatern?
Deswegen ist vielleicht der lateinische Satz „homo homini lupus“ zu einem
international bekannten Sprichwort geworden. Hegel sieht Freiheit einseitig,
deswegen ist es so schwer, mit Hegel zu sagen, dass die Sittlichkeit „die Idee
der Freiheit, als das lebendige Gute“\footcite[133]{grund}
sei.\footcite[Vgl.][229 ff]{cambridge0} Wobei ich gar nicht sagen
wollte, dass alles jede Minute schlechter wird. Es wird bloß nicht besser. Mein
Ziel war dieses Paradoxon aufzuzeigen, dass unser Menschenbild immer sauberer
wird, aber andererseits nur im Grundgesetz, nicht in der Seele unseres Nächsten.
Jede Stufe der Entwicklung der Idee der Freiheit hat ihren eigentümlichen
Betrug, ihre moralische Nicht-Freiheit.
\subsection{Zu politischen Systemen}
Karl Popper schreibt auch, dass die politische Freiheit grausam, zu einer
Katastrophe werden kann. Seine Behauptung bekräftigt er unter Anderem damit,
dass der Freiheitskampf Terrorismus auslösen kann.\footcite[Vgl.][171 f]{popper}
„Nein, wir wählen die politische Freiheit nicht, weil sie uns das oder jenes
verspricht. Wir wählen sie, weil sie die einzig menschenwürdige Form des
menschlichen Zusammenlebens möglich macht; [\dots]“\footcite[172]{popper}
Demokratie definiert er als eine Staatsform, in der es möglich sei, die
Regierung ohne Blutvergießen „loszuwerden“. Im Gegensatz dazu steht
Tyrannis.\footcite[Vgl.][168]{popper} Einfachheitshalber werde ich im
Folgenden seine Terminologie verwenden.
Man könnte sich fragen, ob die politische Freiheit tatsächlich so einen hohen
Wert in den Köpfen der Menschen hat, wie ihn ihr Popper und Hegel beimessen, ob
es einen Zusammenhang zwischen dem Menschenbild, Wertesystem und der politischen
Ordnung, politischen Freiheit gibt. Dies kann man es an einem Beispiel aus der
modernen Gesellschaft verdeutlichen. Deutschland wäre eine sehr unpassende
Variante, weil man hier wegen des verlorenen Krieges ein totalitäres Regime noch
ein paar Jahrzehnte verabscheuen wird, anders ist es z.B. in Russland, wo ich
aufgewachsen bin und meine ersten Lebensansichten von der Kultur aufgedrängt
bekommen habe, dem Land der „Helden und Sieger“\footnote{Es ist nicht mein
favorisierter Ausdruck, sondern eher die Volkseinstellung, mit der man oft
konfrontiert wird.}. Popper übertreibt
übermäßig den Wert der Freiheit, weil das Blut in Freiheitskämpfen in seltesten
Fällen für die Freiheit vergoßen wurde. Ein Freiheitskampf innerhalb eines
Landes wird gerne angefangen, wenn es den Menschen an Brot fehlt. Diese
Anmerkung macht auch deutlich, worum es einem in der Geschichte geht. In
Russland zeigt sich daher wegen eines schlecht organisierten Sozialsystems und
starker Korruption, dass man sich von der Freiheit nicht sättigen und nicht
seinen Durst mit ihr stillen kann. Einerseits wollen einige Angehörige der
orthodoxen Kirche, die gewissen Einfluss hat, einen Monarchen, einen orthodoxen
Zaren, andererseits vergöttern viele die Sowjetjunion und selbst solche Tyrannen
wie Stalin. Wie gesagt, Stalin ist kein Tyrann im Sinne Hitlers, nur dank ihm
sei der Sieg im Krieg möglich gewesen und es wird ernsthaft bezweifelt, dass das
moderne demokratische Russland einen derartigen Freiheitskampf gegen fremde
Eroberer aushielte. Jährlich treten die Veteranen am 9.
Mai\footnote{Siegestag im Zweiten Weltkrieg, gesetzlicher Feiertag.} auf und berichten, wieviel
besser es in der Sowjetunion war, weil es Ordnung gegeben habe. Es offenbart
sich eine ganz andere Wahrnehmung des Totalitarismus, die selbst dadurch nicht
verhindert wird, dass es nicht ganz klar ist, ob mehr Menschen im Krieg
gestorben sind oder von der eigenen Regierung hingerichtet wurden.
Aus dem oben angeführten Beispiel kann man ablesen, dass die Menschheit die
Freiheit nicht um der Freiheit willen anstrebt, dass sie keinen unbedingten Wert
hat. Außerdem war Hegel anscheinend der Ansicht, dass ein politisches System
besser als das andere sein kann (sonst wären seine Ausführungen bezüglich der
konstitutionellen Monarchie sinnlos). Aber bei uns herrscht nun Demokratie und
sie ist keine neue Regierungsform, also kann man nicht sagen, dass Hegel von ihr
nichts wusste und sie deswegen nicht bevorzugte. Die westliche Demokratie ist
lediglich besser als die antike, sie stellt aber nichts Neues dar. Eine Tyrannis
ist auch nicht jeder Tyrannis gleich (hier ist das Wort Monarchie angemessener,
weil „Tyrannis“ in der modernen Sprache einen negativen Nachklang hat). Jetzt
kann man darüber nachdenken, ob die Geschichte nicht etwas kreisförmig ist. Die
Regierungsformen ersetzen einander, sie tanzen in einem ewigen Tanz um die
Menschen herum, kommen in einer besseren Gestalt und gehen wieder.
\subsection{Das Menschenbild, das Recht und die Person}
Hegels großes Verdienst ist, dass er in seiner Rechtsphilosophie diese
positive Entwicklung des Begriffs des Menschen, des Menschenbildes aufgespürt
und aufgedeckt hat. Unsere Vorstellung vom Menschen ist vollkommener, die
Menschenbilder früherer Zeiten verletzten in verschiedenen Aspekten eindeutig
die Menschenwürde, waren teilweise unverständlich und \textbf{nicht befreit}.
Dann ist es von Hegel aufgezeigt worden, wie ein Menschenbild im Recht
verankert wird und wie sie einander offenbaren. Allerdings hat Hegel daraus
Schlüsse gezogen, die nicht mehr nachweisbar sind. So unterschied er zwischen
der Sittlichkeit und der Moralität\footcite[Vgl.][215 f]{thought},
wobei sein Plan zu beweisen, dass der Staat an sich sittlich sei, fehlgeschlagen
ist. Er konnte nicht seinen Weg bis zum Ende gehen, seinen Überzeugungen bis zum
Letzten folgen und behauptete von Staaten, die seiner Vorstellung nach doch
unsittlich waren, dass sie unvernünftig seien, wobei das Maß dieser Vernünftigkeit
Hegels eigener Willkür entsprang und keine objektive Einheit darstellt. Man kann die
Sittlichkeit von der Moralität nicht eindeutig trennen. Zum Anderen kann man
weder vom Recht auf die Sittlichkeit bzw.\ Moralität schließen, noch von der
politischen Freiheit auf die praktische, der menschlichen Würde entsprechende
Freiheit. Insofern wird ein menschliches Staatsideal immer mehr im modernen
Staat verkörpert, aber es hat sehr bestreitbaren Einfluss auf die einzelne
Persönlichkeiten, Bürger dieses Staates.

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@@ -0,0 +1,52 @@
---
layout: post
date: 2013-07-05 04:15:00
tags: Gedicht
title: Der Himmel blutet spät am Abend…
teaser: |
<p>
Der Himmel blutet spät am Abend,<br>
das Heer im Schweigen kehrt zurück.<br>
Der Feldherr ruft sich selber tadelnd:<br>
„Es fehlte noch ein kleines Stück!“
</p>
<p>
Der Gegner kann sich auch nicht freuen:<br>
Nur zu beweinen ist der Sieg,<br>
zu viele sind nun zu bereuen,<br>
zu vieles einem stiehlt ein Krieg.
</p>
<p>
Ich habe selbst die Ruh gebrochen,<br>
der erste Schlag ist immer mein.<br>
Ich wollte nicht, dass sie gehorchen,<br>
mein Herz gleichgültig war wien Stein.
</p>
<p>
Ich wollte später mich schon beugen,<br>
mein Volk hätt dann nen weisen Herrn,<br>
der ist den meisten überlegen,<br>
den mag ich selber äußerst gern.
</p>
---
\textit{Katja M. S. B.}
Der Himmel blutet spät am Abend,\\
das Heer im Schweigen kehrt zurück.\\
Der Feldherr ruft sich selber tadelnd:\\
„Es fehlte noch ein kleines Stück!“
Der Gegner kann sich auch nicht freuen:\\
Nur zu beweinen ist der Sieg,\\
zu viele sind nun zu bereuen,\\
zu vieles einem stiehlt ein Krieg.
Ich habe selbst die Ruh gebrochen,\\
der erste Schlag ist immer mein.\\
Ich wollte nicht, dass sie gehorchen,\\
mein Herz gleichgültig war wien Stein.
Ich wollte später mich schon beugen,\\
mein Volk hätt dann nen weisen Herrn,\\
der ist den meisten überlegen,\\
den mag ich selber äußerst gern.

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@@ -0,0 +1,9 @@
---
layout: post
date: 2013-11-14 06:53:00
tags: Aufzeichnungen eines Pessimisten
title: De fortuna
---
\emph{Sapientia Sciurus:} Viel Glück zu deiner Prüfung!
\emph{Ich:} Es ist kein Kartenspiel.

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@@ -0,0 +1,30 @@
---
layout: post
date: 2013-12-28 08:34:00
tags: Gedicht
title: Gute Nacht, mein lieber Schatz!
teaser: |
<p>
Gute Nacht, mein lieber Schatz,<br>
lass mein Stern dich nun bewachen,<br>
deinen Schlaf erholsam machen.<br>
Schlafe schön, mein goldner Schatz!
</p>
<p>
Guten Morgen, lieber Schatz,<br>
siehst du schon die Sohne gähnen?<br>
Sie wird deinen Tag erwärmen,<br>
gibt dir einen heißen Schmatz!
</p>
---
\textit{Katja M. S. B.}
Gute Nacht, mein lieber Schatz,\\
lass mein Stern dich nun bewachen,\\
deinen Schlaf erholsam machen.\\
Schlafe schön, mein goldner Schatz!
Guten Morgen, lieber Schatz,\\
siehst du schon die Sohne gähnen?\\
Sie wird deinen Tag erwärmen,\\
gibt dir einen heißen Schmatz!

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@@ -0,0 +1,17 @@
---
layout: post
date: 2013-12-19 14:38:00
tags: Gedicht
title: Liebste, hast du selber nicht gesagt?
teaser: |
<p>
Liebste, hast du selber nicht gesagt,<br>
wie wunderbar ist Menschenleben,<br>
dass kein Gewitter, kein Erdbeben<br>
es jemals übler, grauer macht?
</p>
---
Liebste, hast du selber nicht gesagt,\\
wie wunderbar ist Menschenleben,\\
dass kein Gewitter, kein Erdbeben\\
es jemals übler, grauer macht?

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@@ -0,0 +1,57 @@
---
layout: post
date: 2013-12-01 14:27:00
tags: Gedicht
title: Weihnachtslied
teaser: |
<p>
Wunder geschieht in der heiligen Nacht:<br>
Oben im Himmel der Stern<br>
leuchtet uns strahlend in göttlicher Pracht,<br>
führt zu der Krippe des Herrn.
</p>
<p>
Halleluja, Ehre dem ewign Sohn!<br>
Halleluja, Erde ist Gottes Thron!
</p>
<p>
Gott, der das Seiende machtvoll bewahrt,<br>
Engel sind ihm unterworfn,<br>
hat seine Gnade dem Mensch offenbart,<br>
gibt ihm das Glück und das Hoffn.
</p>
<p>
Unsere Speise das göttliche Wort,<br>
geistlicher Durst wird gestillt;<br>
Beten zu Christus an jeglichem Ort —<br>
er ist barmherzig und mild.
</p>
<p>
Freut euch ihr Menschen, es juble das Volk!<br>
Alle, die holdselig kamn,<br>
singen dem Kinde das ewige Lob,<br>
preisen für immer sein Namn!
</p>
---
Wunder geschieht in der heiligen Nacht:\\
Oben im Himmel der Stern\\
leuchtet uns strahlend in göttlicher Pracht,\\
führt zu der Krippe des Herrn.
Halleluja, Ehre dem ewign Sohn!\\
Halleluja, Erde ist Gottes Thron!
Gott, der das Seiende machtvoll bewahrt,\\
Engel sind ihm unterworfn,\\
hat seine Gnade dem Mensch offenbart,\\
gibt ihm das Glück und das Hoffn.
Unsere Speise das göttliche Wort,\\
geistlicher Durst wird gestillt;\\
Beten zu Christus an jeglichem Ort —\\
er ist barmherzig und mild.
Freut euch ihr Menschen, es juble das Volk!\\
Alle, die holdselig kamn,\\
singen dem Kinde das ewige Lob,\\
preisen für immer sein Namn!

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@@ -0,0 +1,51 @@
---
layout: post
date: 2014-03-16 20:44:00
tags: Gedicht
title: Meine Liebe, lass uns gehen
teaser: |
<p>
Meine Liebe, lass uns gehen.<br>
Nimm, Liebste, keine Sachen mit.<br>
Was hast du hier noch nicht gesehen,<br>
was eine Freude uns verspricht?</p>
<p>
Es gibt nicht ewig etwas Neues,<br>
das Leben wird wie alles alt,<br>
nichts Ehrliches, nichts Gutes, Treues.<br>
Die Lebensfarben werden kalt.
</p>
<p>
Lass uns endlich ausbrechen,<br>
wir wandern in das neue Land.<br>
Man kennt vielleicht dort kein Verbrechen<br>
und Freude ist zahlreich wie Sand.
</p>
<p>
Wahrscheinlich können wir dort bleiben,<br>
am Feuer, das für immer brennt,<br>
mit Menschen, die uns nicht vertreiben,<br>
wo jeder seine Ziele kennt.
</p>
---
\textit{Babett Heinemann}
Meine Liebe, lass uns gehen.\\
Nimm, Liebste, keine Sachen mit.\\
Was hast du hier noch nicht gesehen,\\
was eine Freude uns verspricht?
Es gibt nicht ewig etwas Neues,\\
das Leben wird wie alles alt,\\
nichts Ehrliches, nichts Gutes, Treues.\\
Die Lebensfarben werden kalt.
Lass uns endlich ausbrechen,\\
wir wandern in das neue Land.\\
Man kennt vielleicht dort kein Verbrechen\\
und Freude ist zahlreich wie Sand.
Wahrscheinlich können wir dort bleiben,\\
am Feuer, das für immer brennt,\\
mit Menschen, die uns nicht vertreiben,\\
wo jeder seine Ziele kennt.

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@@ -0,0 +1,19 @@
---
layout: post
date: 2014-04-22 21:15:00
tags: Gedicht
title: Kleines Dankeschön
teaser: |
<p>
Ich schreib es nieder: Vielen Dank!<br>
Kennt meine Frechheit keine Schranken?<br>
Wie sollt ich mich denn sonst bedanken?<br>
Habe einen schönen Tag!
</p>
---
\textit{LS}
Ich schreib es nieder: Vielen Dank!\\
Kennt meine Frechheit keine Schranken?\\
Wie sollt ich mich denn sonst bedanken?\\
Habe einen schönen Tag!

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@@ -0,0 +1,52 @@
---
layout: post
date: 2014-05-28 22:23:00
tags: Стихотворение
title: Воспоминание
teaser: |
<p>
Одно свое воспоминанье<br>
храню я с ранних-ранних лет.<br>
Оно как в утреннем тумане,<br>
оно - глубокий детства след.
</p>
<p>
Хотя тебя я помню смутно,<br>
твой полон красками портрет.<br>
Сама ты помнишь, как уютен<br>
был этим детям белый свет?
</p>
<p>
Исчезло днесь воспоминанье,<br>
рассеяв утренний туман,<br>
и тоже гордое сиянье,<br>
представ, твой излучает стан.
</p>
<p>
Цвети ж на почве мирозданья,<br>
расти и в силе и красе,<br>
чтоб всяка тень мирских страданий<br>
пропала в утренней росе!
</p>
---
\textit{Двоюродной племяннице Кристе}
Одно свое воспоминанье\\
храню я с ранних-ранних лет.\\
Оно как в утреннем тумане,\\
оно - глубокий детства след.
Хотя тебя я помню смутно,\\
твой полон красками портрет.\\
Сама ты помнишь, как уютен\\
был этим детям белый свет?
Исчезло днесь воспоминанье,\\
рассеяв утренний туман,\\
и тоже гордое сиянье,\\
представ, твой излучает стан.
Цвети ж на почве мирозданья,\\
расти и в силе и красе,\\
чтоб всяка тень мирских страданий\\
пропала в утренней росе!

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@@ -0,0 +1,17 @@
---
layout: post
date: 2014-06-26 13:02:00
tags: Gedicht
title: Hoffnung
teader: |
<p>
Alles ist zu Staub vergangen,<br>
ich hab mein Leben voll versäumt;<br>
großen Menschen muss ich danken:<br>
Ihr habt mich doch noch weggeräumt!
</p>
---
Alles ist zu Staub vergangen,\\
ich hab mein Leben voll versäumt;\\
großen Menschen muss ich danken:\\
Ihr habt mich doch noch weggeräumt!

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@@ -0,0 +1,50 @@
---
layout: post
date: 2014-08-02 18:16:00
tags: Стихотворение
title: Чужие люди
teaser: |
<p>
Я снова привыкаю жить,<br>
в грудь воздух набираю жадно,<br>
ни зги не вижу, но отрадно<br>
хотя б по сути зрячим быть.
</p>
<p>
Судьба, судьба, моя судьба…<br>
А ты все хочешь торговаться?!<br>
И я готов тебе отдаться!<br>
Со мной ты не была скупа!
</p>
<p>
И в этот раз не поскупилась<br>
меня ты по миру пустить,<br>
с людьми чужими слезы лить,<br>
коль водка уж ручьями лилась.
</p>
<p>
Чужие люди! Живы все же!<br>
Среди чужих чужим я свой.<br>
Не торопись, мой друг, постой!<br>
Ты как чужой мне всех дороже.
</p>
---
Я снова привыкаю жить,\\
в грудь воздух набираю жадно,\\
ни зги не вижу, но отрадно\\
хотя б по сути зрячим быть.
Судьба, судьба, моя судьба…\\
А ты все хочешь торговаться?!\\
И я готов тебе отдаться!\\
Со мной ты не была скупа!
И в этот раз не поскупилась\\
меня ты по миру пустить,\\
с людьми чужими слезы лить,\\
коль водка уж ручьями лилась.
Чужие люди! Живы все же!\\
Среди чужих чужим я свой.\\
Не торопись, мой друг, постой!\\
Ты как чужой мне всех дороже.

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@@ -0,0 +1,50 @@
---
layout: post
date: 2014-10-14 10:34:00
tags: Стихотворение
title: Благодарю за этот вечер
teaser: |
<p>
Благодарю за этот вечер!<br>
Он мне подарит завтра день.<br>
С тобой моя пребудет тень.<br>
И верь, что это не пустые речи.
</p>
<p>
Сорвав последнюю завесу,<br>
мы преступили чрез закон,<br>
что людям с детских лет внушен,<br>
но нет закона на повесу.
</p>
<p>
Нельзя растрачивать нам честность:<br>
нам столько тайн дано хранить.<br>
Хрупка серебряная нить,<br>
хранящая в тиши безвестность.
</p>
<p>
Мой милый друг, когда с тобою<br>
мы перестанем быть близки,<br>
средь моря сумрочной тоски<br>
быть может вспомнишь день со мною.
</p>
---
Благодарю за этот вечер!\\
Он мне подарит завтра день.\\
С тобой моя пребудет тень.\\
И верь, что это не пустые речи.
Сорвав последнюю завесу,\\
мы преступили чрез закон,\\
что людям с детских лет внушен,\\
но нет закона на повесу.
Нельзя растрачивать нам честность:\\
нам столько тайн дано хранить.\\
Хрупка серебряная нить,\\
хранящая в тиши безвестность.
Мой милый друг, когда с тобою\\
мы перестанем быть близки,\\
средь моря сумрочной тоски\\
быть может вспомнишь день со мною.

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@@ -0,0 +1,31 @@
---
layout: post
date: 2014-10-04 21:14:00
tags: Übersetzung
title: Gestohlenes Glück
teaser: |
<p>
Ich weiß bis heute selber nicht,<br>
warum mir dies geschehen musste,<br>
aber ich lebe nun wien Dieb,<br>
der eines Glück zu stehlen wusste.
</p>
<p>
Wir schlossen keinen Ehebund;<br>
ich werd ihr trotzdem Rede stehen.<br>
Und dafür gibt es einen Grund:<br>
Sie ist mir wichtiger als Sehen.
</p>
---
Die ersten zwei Strophen aus dem Lied „Gestohlenes Glück“ eines ukrainischen
Sängers, Anatolij Matwijtschuk.
Ich weiß bis heute selber nicht,\\
warum mir dies geschehen musste,\\
aber ich lebe nun wien Dieb,\\
der eines Glück zu stehlen wusste.
Wir schlossen keinen Ehebund;\\
ich werd ihr trotzdem Rede stehen.\\
Und dafür gibt es einen Grund:\\
Sie ist mir wichtiger als Sehen.

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@@ -0,0 +1,29 @@
---
layout: post
date: 2014-10-17 09:44:00
tags: Übersetzung
title: |
W. Wyssozki „Sie sagt: Ich lieb dich nicht“
teaser: |
<p>
Sie sagt: Ich lieb dich nicht.<br>
Er sagt: Es kann nicht sein.<br>
Sie sagt: Ich trinke nicht.<br>
Er sagt: Wir trinken Wein!
</p>
<p>
Die Flaschen wurden weggeräumt.<br>
Das Fenster zu, die Kerzen aus.<br>
Sie sagt zu ihm: Mein lieber Freund…<br>
Er sagt: Ich geh schon mal nach Haus.
</p>
---
Sie sagt: Ich lieb dich nicht.\\
Er sagt: Es kann nicht sein.\\
Sie sagt: Ich trinke nicht.\\
Er sagt: Wir trinken Wein!
Die Flaschen wurden weggeräumt.\\
Das Fenster zu, die Kerzen aus.\\
Sie sagt zu ihm: Mein lieber Freund…\\
Er sagt: Ich geh schon mal nach Haus.

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@@ -0,0 +1,37 @@
---
layout: post
date: 2014-11-11 12:45:00
tags: Gedicht
title: Im Andenken an F. Nietzsche
teaser: |
<p>
Es tut mir leid, still zuzusehen,<br>
wie ganze Welten untergehen,<br>
wie alle Hoffnungen abstürzen<br>
und ihre Herren nicht mehr stützen.
</p>
<p>
Es tut so weh, den Freund zu hassen.<br>
Wie wurde ich im Stich gelassen?<br>
Was war der Grund, mich zu verlassen?
</p>
<p>
Die Welt ist Leid, die Welt ist Schmerz,<br>
im Werden ist ihr dunkles Herz.<br>
Ich weiß, weil ich sie selber sehe:<br>
drei Schwestern: Wille, Wahn und Wehe.
</p>
---
Es tut mir leid, still zuzusehen,\\
wie ganze Welten untergehen,\\
wie alle Hoffnungen abstürzen\\
und ihre Herren nicht mehr stützen.
Es tut so weh, den Freund zu hassen.\\
Wie wurde ich im Stich gelassen?\\
Was war der Grund, mich zu verlassen?
Die Welt ist Leid, die Welt ist Schmerz,\\
im Werden ist ihr dunkles Herz.\\
Ich weiß, weil ich sie selber sehe:\\
drei Schwestern: Wille, Wahn und Wehe.

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date: 2014-12-22 11:04:00
tags: Gedicht
title: Das alte, neu erzählte Märchen
teaser: |
<p>
Mein Dad schuf neu die alten Märchen:<br>
von einem sonderbaren Mädchen,<br>
von ihrem Prinzen und dem Reiche,<br>
in ihm sind tiefe Honigteiche.
</p>
<p>
Von Wesen, die im Walde leben:<br>
von Spinnen, die dort Schlösser weben,<br>
von Basilisken und Chimären<br>
und Satyrn, Hexen, Drachen, Bären.
</p>
<p>
Im Reiche gibt es Königsritter<br>
und armes Fräulein Margareta.<br>
Erzähltest du ein wahres Märchen<br>
von jenem wunderbaren Mädchen,
</p>
<p>
von ihrem Prinzen und dem Reiche,<br>
in dem die tiefsten Honigteiche,<br>
von grünen, zauberhaften Wiesen<br>
und wilden, grauenvollen Riesen?
</p>
<p>
Und was, wenns stimmt, was Leute sagen,<br>
die jedes Märchen hinterfragen?<br>
Es gibt, sie sagen, keine Ritter<br>
und keine arme Margareta.
</p>
<p>
Wie soll ich denn noch weiter leben,<br>
wenn alle Sagen langsam sterben?<br>
Erzähl mir deine neuen Märchen,<br>
vom allerschönsten Menschen, Gretchen!
</p>
<p>
Ich werd sie unter Menschen säen,<br>
Ich pflege sie und schütz vor Krähen.<br>
Man wird sie eines Tages pflücken<br>
und als den Trank des Lebens schlücken.
</p>
<p>
Sag, kann ein Märchen mich berauben,<br>
da ich an die erzählten nicht mehr glaube?<br>
Bringst du mir bei, wie ich sie dichte,<br>
wie ich die Welt des Traumes richte.
</p>
<p>
Mein Vater, sag, dass ich noch lebe,<br>
dass ich nur bloß im Traume schwebe,<br>
ich werd die alte Welt vernichten<br>
und sie dann neu, ganz neu umdichten!
</p>
---
Der innere Gehalt mag nietzscheanisch geprägt sein. Die Idee für das Gedicht
hatte ich schon länger, bis das Lied bzw. Gedicht von Yuri Kukin „Der alte
Märchendichter“ (russisch Старый сказочник) mich auch auf die richtige Form
brachte: natürlich das Märchen! Der Stil ist beeinflusst von dem oben genannten
Lied und Heinrich Heines „Liebste, sollst mir heute sagen“. Ein spezieller Dank
gilt Jean-Philippe Séraphin, der eine tiefgreifende Rezension geschrieben hat,
die mir geholfen hat, den Text noch einigermaßen zu verbessern.
Mein Dad schuf neu die alten Märchen:\\
von einem sonderbaren Mädchen,\\
von ihrem Prinzen und dem Reiche,\\
in ihm sind tiefe Honigteiche.
Von Wesen, die im Walde leben:\\
von Spinnen, die dort Schlösser weben,\\
von Basilisken und Chimären\\
und Satyrn, Hexen, Drachen, Bären.
Im Reiche gibt es Königsritter\\
und armes Fräulein Margareta.\\
Erzähltest du ein wahres Märchen\\
von jenem wunderbaren Mädchen,
von ihrem Prinzen und dem Reiche,\\
in dem die tiefsten Honigteiche,\\
von grünen, zauberhaften Wiesen\\
und wilden, grauenvollen Riesen?
Und was, wenns stimmt, was Leute sagen,\\
die jedes Märchen hinterfragen?\\
Es gibt, sie sagen, keine Ritter\\
und keine arme Margareta.
Wie soll ich denn noch weiter leben,\\
wenn alle Sagen langsam sterben?\\
Erzähl mir deine neuen Märchen,\\
vom allerschönsten Menschen, Gretchen!
Ich werd sie unter Menschen säen,\\
Ich pflege sie und schütz vor Krähen.\\
Man wird sie eines Tages pflücken\\
und als den Trank des Lebens schlücken.
Sag, kann ein Märchen mich berauben,\\
da ich an die erzählten nicht mehr glaube?\\
Bringst du mir bei, wie ich sie dichte,\\
wie ich die Welt des Traumes richte.
Mein Vater, sag, dass ich noch lebe,\\
dass ich nur bloß im Traume schwebe,\\
ich werd die alte Welt vernichten\\
und sie dann neu, ganz neu umdichten!

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layout: post
date: 2015-01-25 05:22:00
tags: Übersetzung
title: Zum 77. Geburtstag von W. Wyssozki
teaser: |
<p>
Wyssozki sang uns mal mit Kraft,<br>
wie's in den Bars und Kirchen.<br>
Dass er nicht mehr gesehen hat,<br>
wie Menschen heute stinken!
</p>
<p>
Ich sag' euch: Sein Zigeunerlied... kann ich ewig hören.<br>
Nichts ist so, so wie es soll! Das kann ich, Freunde, schwören.
</p>
---
Wyssozki sang uns mal mit Kraft,\\
wies in den Bars und Kirchen.\\
Dass er nicht mehr gesehen hat,\\
wie Menschen heute stinken!
Ich sag euch: Sein Zigeunerlied… kann ich ewig hören.\\
Nichts ist so, so wie es soll! Das kann ich, Freunde, schwören.
\textit{Juri Julianowitsch Schewtschuk (DDT)}
Es mag sein, dass ich bei der Übersetzung den Akzent von einer bedauernswerten
Situation zu sehr auf die Menschen verschoben habe, aber sie sind schließlich
das, worum es Wyssozki so oft geht.

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layout: post
date: 2015-04-22 04:06:00
tags: Aufsatz
title: Zur Bedeutung der Kunst bei Friedrich Nietzsche. Teil 1. Die Geburt der Tragödie
teaser: |
<p>
Wie soll man mit einer Welt, aus der Gott ausgetrieben wurde und die Idee
einer sinnvollen Schöpfung erschüttert wurde, zurechtkommen? Wie soll man
das Leben in einer säkularisierten, von jeglichem Sinn befreiten Welt
ertragen, in einer Welt voller Grausamkeit, Demütigung, Verrat und Leid, in
einer Welt, wo alles Leben zum sinnlosen Sterben verurteilt ist? Auf der
Suche nach einer Antwort gelangt Nietzsche zur Kunst. In der Kunst offenbart
sich die menschliche Schaffenskraft, vielleicht kann sie einen wesentlichen
Beitrag zum Leben leisten.
</p>
---
\subsection{Einleitung}
\epigraph{%
[D]ie Kunst ist lang,\\
Und kurz ist unser Leben.}
{\textbf{Faust I\\Johann Wolfgang von Goethe}\footcite[20]{faust}}
Heutzutage wird oft und intensiv über die Fortschritte der Wissenschaft
gesprochen. Vieles, ohne was der moderne Mensch sein Leben nicht mehr vorstellen
kann, verdankt er den wissenschaftlichen Errungenschaften der letzten Zeit. Die
Technik, die entwickelt wird, soll mehr Komfort in die Existenz des modernen
Menschen bringen, sein Leben einfacher, erträglicher machen. Wenn man einen
Blick in die Vergangenheit wirft, kann man sich schwer vorstellen, wie man vor
einiger Zeit ohne Elektrizität und Maschinen leben konnte. Armut und schwere
Arbeiten scheinen das Joch zu sein, unter dem das Leben zum Leid wird. Die
industrielle Entwicklung, Instrumentalisierung der Forschungsergebnisse,
Erschaffung der Maschinen haben dazu verholfen, dass diese Probleme gelöst
wurden und das Leben auf ein anderes Niveau erhoben wurde.
In Friedrich Nietzsches Aufzeichnungen aus den Jahren 18821883 findet sich
ein Satz, der einen wissenschaftlichen Fortschritt zu einem Rückschritt macht:
„Der wissenschaftliche Mensch hat Ein Loos mit dem Seildreher: er spinnt seinen
Faden länger, geht aber dabei selber — rückwärts.“\footcite[105]{nietzsche:fragmente}
Man bekommt den Eindruck, dass diese Aussage der Erfahrung unserer Zeit blind
widerspricht. Wenn man jedoch das menschliche Glück nicht auf einen materiellen
Luxus reduziert und in die Tiefe des menschlichen Seins schaut, wird man
feststellen müssen, dass die eigentliche Problematik des menschlichen Seins von
der Wissenschaft nicht einmal berührt wird. Die Tatsache, dass manche Mitglieder
moderner Gesellschaften psychologische Unterstützung brauchen oder sich sogar
das Leben nehmen, zeigt eine tiefe Verzweiflung dieser Menschen am Leben, die
zwar nicht immer gleich zu sehen ist, über die man aber nicht einfach
hinwegschauen kann. Einem scheint etwas zu fehlen, ein Ziel, für welches man
kämpfen kann. Wissenschaft kann aber diese geistliche Lücke nicht mit Inhalt
füllen. Wissenschaftliche Erkenntnis ist negativer Natur, die erschafft nichts
Neues, sondern strebt an, das Vorhandene, die bereits gegebene Welt, zu
analysieren. Es wird nichts Positives, absolut Neues erschaffen. Was aber ein
Mensch braucht, um seine Existenz als sinnvoll zu erfahren, ist etwas Neues, ein
Lebenssinn, etwas, was nicht in der materiellen Gegebenheit gefunden werden kann.
Was die Sinngebung betrifft, kann man deswegen, wenn auch nicht von einem
Rückschritt sprechen, so doch sagen, dass die Wissenschaft sich in dieser
Hinsicht nicht von der Stelle rührt. Eine solche existenzielle Problemstellung
kann aber philosophisch angegangen werden, da man philosophische Fragestellungen
nicht auf die wissenschaftlichen reduzieren kann. Nietzsche sieht die Versuche,
die seit Kant unternommen werden, Philosophie nur als eine Wissenschaft zu
verstehen, als eine Fehlentwicklung. So nimmt er 1884 Bezug auf die deutsche
Universitätsphilosophie: „Wenn Kant die Philosophie zur Wissenschaft reduzieren
wollte, so war dieser Wille eine deutsche Philisterei: an der mag viel Achtbares
sein, aber gewiß noch mehr zum Lachen.“\footcite[133]{nietzsche:fragmente}
Dieses Verhältnis von der Philosophie und Wissenschaft wird sehr oft auf den
Kopf gestellt: Alles Philosophieren sei ein sinnloses Unternehmen, Philosophie
beschäftige sich mit Fragen, die nicht beantwortet werden können, es gebe seit
mehr als zwei Jahrtausenden keinen Fortschritt. Klaus Kornwachs schreibt:
„Philosophie stellt seit zwei Jahrtausenden Fragen und die Antwortversuche
stellen ihre Geschichte dar.“\footcite[7]{kornwachs:technik}Und die
gestellte Frage ist bereits ein Schritt nach vorne.
Friedrich Nietzsche war sich dieser existenziellen Problematik sehr wohl bewusst,
ihm war es auch klar, dass für die von der Wissenschaft entzauberte Welt die
bisherigen Antwortversuche nicht mehr zufriedenstellend waren. Im Herbst 1881
ruft er aus: „Wie tief-fremd ist uns die durch die Wissenschaft entdeckte
Welt!“\footcite[97]{nietzsche:fragmente} Wie soll man mit einer Welt, aus
der Gott ausgetrieben wurde und die Idee einer sinnvollen Schöpfung erschüttert
wurde, zurechtkommen? Wie soll man das Leben in einer säkularisierten, von
jeglichem Sinn befreiten Welt ertragen, in einer Welt voller Grausamkeit,
Demütigung, Verrat und Leid, in einer Welt, wo alles Leben zum sinnlosen Sterben
verurteilt ist?
Auf der Suche nach einer Antwort gelangt Nietzsche zur Kunst. Er bemüht sich
sogar aus seinem eigenen Leben ein Kunstwerk zu erschaffen: „Der junge Nietzsche,
der auf der inneren Bühne der Tagebücher dem eigenen Leben Bedeutung verleihen
möchte, bewundert jene Genies, die nicht nur nach innen, sondern auch fürs
Publikum zu Darstellern ihres Selbst, zu Autoren des eigenen Lebens werden
konnten.“\footcite[25]{safranski:biographie} In der Kunst offenbart sich
die menschliche Schaffenskraft, vielleicht kann sie einen wesentlichen Beitrag
zum Leben leisten.
Nietzsches Haltung zur Kunst war im Laufe seines Lebens bei weitem nicht
konstant. Er revidierte und entwickelte seine Ansichten weiter. Alles fängt
dennoch mit dem am 2. Januar 1872\footcite[Vgl.][11]{ries:geburt}
erschienenen Buch „Die Geburt der Tragädie aus dem Geiste der Musik“ an, das
„innerhalb seines Gesamtwerkes eine herausragende
Position“\footcite[11]{ries:geburt} einnimmt.
\subsection{Die Geburt der Tragödie}
Im Bezug auf „Die Geburt der Tragödie“ spricht Wiebrecht Ries von der Geburt
Nietzsches Philosophie, die sich in diesem Buch ereignet.\footcite[7]{ries:geburt}
Es ist aber bemerkenswert, dass das kein philosophisches Werk, sondern ein
philologisches ist. Nietzsche wurde früh ohne Promotion und Habilitation als
Professor für klassische Philologie berufen und hatte die Absicht, mit einer
schriftlichen Arbeit zu beweisen, dass er seine Berufung verdient
hat.\footcite[Vgl.][52]{safranski:biographie} Trotzdem scheint Nietzsche sich
mit der Zeit immer mehr der Philosophie zuwenden zu wollen. So bewirbt er sich
vermutlich im Jahre 1871 um Lehrstuhl für Philosophie in
Basel.\footcite[Vgl.][183]{hayman:biographie} Diese innere Spannung, in der
er sich damals befand, spiegelt sicht auch in der „Geburt der Tragödie“ wider.
So, während Ronald Hayman hervorhebt, dass das Werk „unbestritten brillant“ sei,
charakterisiert er es zugleich als „die Mischung von Philosophie und
dichterischen Parodoxon mit der klassischen Philologie“.\footcite[183]{hayman:biographie}
Nicht nur Nietzsches Kritiker heben die Bedeutung der „Geburt der Tragödie“
hervor,\footcite[Vgl.][12]{ries:geburt} sondern auch Nietzsche
selbst kommt in seinen späteren Jahren immer wieder auf sein Erstlingswerk
zurück. 1886 läßt er eine zweite Ausgabe erscheinen, wobei wenn die
ursprüngliche Überschrift „Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“
lautete, die Neuausgabe mit dem Titel „Die Geburt der Tragödie. Oder:
Griechenthum und Pessimismus“ versehen wurde.\footcite[Vgl.][326]{groddeck:geburt-in-ecce}
Außerdem wurde der zweiten Ausgabe noch eine Vorrede, die mit „Versuch der
Selbstkritik“ betitelt wurde, vorangestellt.\footcite[Vgl.][11--22]{nietzsche:geburt}
Eine weitere Reflexion Nietzsches über sein Frühwerk findet man in „Ecce homo“
im Kapitel „Die Geburt der Tragödie“.\footcite[Vgl.][309--315]{nietzsche:ecce-homo}
Unabhängig davon, wie man diese Bezugnahmen Nietzsches auf seine erste Schrift
bewertet, scheint sie für ihn niemals ganz an Bedeutung verloren zu haben.
Wie der Titel des Buches unschwer erraten lässt, handelt es sich um die Geburt
beziehungsweise Entstehung der Tragödie und zwar der griechischen. Nietzsche
greift aus der griechischen Mythologie zwei Gottheiten heraus, die zwei
grundlegende Mächte des Seins symbolisieren, und entwickelt seine Theorie von
dem Aufstieg und Niedergang der attischen Tragödie: „An ihre [der Griechen]
beiden Kunstgottheiten, Apollo und Dionysus, knüpft sich unsere Erkenntnis, dass
in der griechischen Welt ein ungeheurer Gegensatz, nach Ursprung und Zielen,
zwischen Kunst des Bildners, der apollinischen, und der unbildlichen Kunst der
Musik, als der des Dionysus, besteht“.\footcite[25]{nietzsche:geburt}
\subsubsection{Zwei Vorträge über die griechische Tragödie}
„Die Geburt der Tragödie“ ist nicht die erste Arbeit, in der sich Nietzsche mit
dem dort behandleten Themenspektrum auseinandersetzt. 1870 hat Nietzsche zwei
Vortrage in Baseler Museum gehalten: einen am 18. Januar über „Das griechische
Musikdrama“ und den anderen am 1. Februar über „Socrates und die griechische
Tragödie“.\footcite[Vgl.][29 f]{ries:geburt} „In ihnen ist die
Gesamtkonzeption der Tragödienschrift bereits vorgebildet, die Entstehungs- und
Verfallstheorie der Tragödie im Rahmen des Verhältnisses von Kunst und
Kultur.“\footcite[29]{ries:geburt}
Im Vortrag „Das griechische Musikdrama“ entwickelt Nietzsche in Anlehnung an ein
Werk der zeitgenössischen Altphilologie, „Geschichte der griechischen Literatur“
von Karl Otfried Müller, die Auffassung, dass die griechische Tragödie aus dem
Dionysoskult entstanden ist. Dionysische Feste treiben die feiernden Menschen
bis zum Exzess, ins Maßlose, sodass principium individuationis durchbrochen wird
und der Mensch sich als Individuum in der Menge verliert und sich in ihr auflöst.
Wie in einem ekstatischen Rausch glauben die dionysischen Schwärmer, die dieses
Ganze, diese verschmolzene Einheit bilden, dieselben Visionen zu sehen. Am Ende
eines Festes kommt allerdings die Zeit, dass alle wieder ihre alte Gestalt
annehmen. Und für dieses Stadium hatte der Grieche die Tragödie nötig, die das
Ritual war, das den Übergang in die Vereinzelung weniger gefährlich
machte.\footcite[Vgl.][52 f]{safranski:biographie}
Der oben geschilderte Vorgang dionysischer Feste ist die Grundlage oder Urbild
dessen, was im griechischen Musikdrama geschieht. Nietzsche sieht die
Festlichkeit als Bestandteil der Kunst überhaupt, so notiert er 1880:
\begin{quote}
„Einstmals muß die Kunst der Künstler ganz in das
Festebedürfniß der Menschen aufgehen: der einsiedlerische und sein Werk
überhauptausstellende Künstler wird verschwunden sein: sie stehen dann in der
ersten Reihe derer, welche in Bezug auf Freuden und Feste erfinderisch
sind.“\footcite[58]{nietzsche:fragmente}
\end{quote}
Das entscheidende Element des attischen Theaters ist der Chor, der ursprünglich
der Satyrchor war. Während die Helden, die den dionysischen Schwärmern entstammen,
auf der Bühne untergehen, bleibt der Chor immer bestehen, sodass die Helden als
eine Vision des Chors vorgestellt werden. Das Singen des Satyrchors, die Musik,
erzeugt also die Stimmung eines dionysischen Festes, in der die Menschen
miteinander verschmelzen, und auch das Publikum wird von der Gewalt der Musik
verschlungen. Die Protagonisten lösen sich aus dem Chor und, indem sie als
Einzelne auftreten, erzeugen sie „lebende
Dissonanz“,\footcite[Vgl.][54]{safranski:biographie} wonach sie wieder im Chor aufgehen.
Das wesentliche Element der griechischen Tragödie sieht Nietzsche demzufolge in
der Musik. Rüdiger Safranski bemerkt in diesem Zusammenhang, dass die Tragödie
das Verhältnisbvon Musik und Wort symbolisiert: „Das Wort ist Mißverständnissen
und Fehldeutungen preisgegeben, es kommt nicht aus dem Innersten und es reicht
nicht bis dorthin.“\footcite[54]{safranski:biographie} Es ist also
die Musik, die uns die Erkenntnis über die innersten Strukturen der Welt
erschließt und nicht das Wort, nicht der Logos. Der Protagonist, der mit Worten
operiert, geht im singenden Chor auf. Aus diesem Gedanken über die Macht der
Musik über dem Wort fließt unmittelbar die Idee des zweiten Vortrages über
„Socrates und die griechische Tragödie“. Sokrates war bekanntlich derjenige, der
den Menschen den Glauben eingepflanzt hat, dass die Welt intelligibel ist, dass
man die Wirklichkeit rational erkennen und erforschen kann. Die Vorstellung, die
man vom Sein hat, wird viel oberflächlicher, das Unbewusste wird ausgegrenzt,
man taucht nicht mehr in die Seinsabgründe, sondern man begnügt sich mit
ausgedachten Begriffen, die darauf angewendet werden. Der Optimismus bahnt sich
den Weg, die Hoffnung, das die dunklen Lebensmächte sich rational aufhellen und
dann lenken lassen. „Denken und Sein sind keinesfalls dasselbe. Das Denken muß
unfähig sein, dem Sein zu nahen und es zu packen.“\footcite[20]{nietzsche:fragmente}
Diese Vereinfachung des Weltbildes beeinflusst unmittelbar die Tragödie. Sie
wird dem Tod überlassen. Am Ende des Vortrages erwähnt Nietzsche allerdings,
dass die Tragödie wiedergeboren werden kann.\footcite[Vgl.][55 f]{safranski:biographie}
Wenn der erste Vortrag sich noch in Grenzen der damaligen altphilologischen
Forschung bewegt, so ist der zweite, der nahezu vollständig in die „Geburt der
Tragödie“ übernommen wurde,\footcite[Vgl.][30]{ries:geburt} für
die Altphilologie so provokativ, dass Nietzsche sich bemüht, dass sein Lehrer
Friedrich Ritschl, dem er seine erste Professur verdankt,\footcite[Vgl.][137 f]{hayman:biographie}
nichts von dem Vortrag erfährt.\footcite[Vgl.][55]{safranski:biographie}
\subsubsection{Schopenhauer und Wagner}
Aus zwei Vorarbeiten zur „Geburt der Tragödie“ lässt es sich auf zwei Figuren
schließen, deren Einfluss auf die frühen Einsichten Nietzsches, was die Kunst
betrifft, maßgeblich war. Es sind Arthur Schopenhauer und Richard Wagner.
Die zentrale Unterscheidung der nietzscheanischen Metaphysik zwischen dem
Apollinischen und dem Dionysischen geht auf Arthur Schopenhauer zurück, genauer
gesagt auf sein Hauptwerk „Die Welt als Wille und Vorstellung“, das Nietzsche
fast zufällig, vermutlich Ende Oktober 1865, kennenlernte.\footcite[Vgl.][99 f]{hayman:biographie}
Er übernimmt Schopenhauers Ideen, modifiziert sie und formt sie um. Was
Nietzsche das Dionysische nennt, ist der Wille bei Schopenhauer; das Apollinische
ist die Vorstellung.\footcite[Vgl.][17 f]{ries:geburt} Nach
Schopenhauer ist der Wille, genauso wie das dionysische Element bei Nietzsche,
eine absolute Einheit und absolute Negativität, weil er der unvernünftige Grund
der Welt ist, der im ewigen Werden und so die Ursache alles Leidens
ist.\footcite[Vgl.][19]{schulz:function-and-place}Die reinen Formen der
Sinnlichkeit, Raum und Zeit im Zusammenspiel mit der Kategorie der Kausalität
verursachen, dass das Seiende in einzelne Gestalten zerfällt und als eine
objektive Welt vorgestellt wird.\footcite[Vgl.][1]{boening:metaphysics-art-lang}
Daher ist die Bezeichnung „Vorstellung“.
Auch die hohe Schätzung der Kunst und besonders der Musik findet man bei Schopenhauer
wieder. Schopenhauer greift auf den platonischen Begriff der Idee zurück. Die Ideen
sind jedoch nicht in einem ideellen Reich verankert, sondern sie werden in der Kunst
erst erzeugt. So erschafft die Kunst eine andere Welt, die eine gewisse Ruhe vom Werden
aufweist.\footcite[Vgl.][19 f]{schulz:function-and-place} Die Musik nimmt eine Sonderstellung
in diesem Modell ein. Sie rührt an das Wesen des Seins. Sie hat den gleichen Wert
wie die erscheinende Welt selbst. Wenn ein malerisches Kunstwerk „sekundäre“ Qualität
hat, da es nur die Abbildung einer Erscheinung, der Welt, ist, hat die Musik den gleichen
Rang mit der erscheinenden Welt, weil die Musik die Abbildung des Wesens der Welt,
des Willens, selbst ist.\footcite[Vgl.][231]{boening:metaphysics-art-lang} Nietzsche
misst der Musik allerdings noch mehr Bedeutung bei, als dies Schopenhauer tut, denn
sie wird bei dem Ersteren nicht bloß als „Quietiv, sondern \textit{Stimulans}
des Lebens“\footcite[18]{ries:geburt} verstanden.
Seit 1868 kannten Nietzsche und Wagner einander persönlich.\footcite[Vgl.][523]{hayman:biographie}
Schopenhauer war gewissermaßen ein Bindeglied zwischen diesen beiden, da Wagner auch
von der schopenhauerschen Philosophie inspiriert war, und zwar lebenslang, im Gegensatz
zu Nietzsche, der sich mit der Zeit sowohl von Schopenhauer als auch von Wagner distanzierte.\footcite[Vgl.][20]{ries:geburt}
Wenn Nietzsche am Ende seines Vortrages über Sokrates, der die Schuld daran trägt,
dass die griechische Tragödie zugrunde geht, eindeutet, dass die Hoffnung auf die
zweite Geburt oder Wiedergeburt der Tragödie besteht, so verweist er eindeutig auf
Richard Wagner als den, der den Prozess dieser Wiedergeburt in Gang setzen kann.\footcite[Vgl.][56]{safranski:biographie}
Wie die Tragödie aus dem Geiste der Musik geboren werden soll, lässt sich aus Wagners
Konzeption des Gesamtkunstwerkes und der absoluten Musik erklären. Zur Zeit Wagners
wurde die Musik als selbständige Kunstgattung gesehen, was nicht immer der Fall war.
Bis Ende des 18. Jahrhunderts war man oft der Auffassung, dass sie nur eine begleitende
Komponente zum Text darstellt, der Affektäußerung dient und keinen eigenständigen
Wert hat. Deswegen musste sich die instrumentelle Musik, die sich auf keinen Text
stützte, gegen diese Betrachtungsweise wehren, um nicht als sinnlos zu gelten.\footcite[Vgl.][158 f]{bruse:gesamtkunstwerk}
Demzufolge kann man die Tatsache, dass der Musik bei Schopenhauer und Nietzsche eine
herausragende gegenüber den anderen Kunstgattungen Rolle, zukommt, auch als eine Folge
dieses Kampfes innerhalb der Ästhetik ansehen. So hat man eine an sich „bedeutungslose
Tonfolge“ in eine Kunst umgewandelt, die viel tiefgründiger als alle anderen Künste ist:
\begin{quote}
„Im Verhältniß zur Musik ist alle Mittheilung durch
Worte von schamloser Art; das Wort verdünnt und verdummt; das Wort entpersönlicht:
das Wort macht das Ungemeine gemein.“\footcite[219]{nietzsche:fragmente}
\end{quote}
Das Verhältnis zwischen der Musik und dem Wort ist nicht mehr, dass die Musik ohne
Text ihren Wert verliert, sondern dass der Text nur eine mögliche Deutung einer musikalischen Komposition ist.
Wagner hat selber die Instrumentalwerke zunächst dem Drama untergeordnet: Ohne dazugehöriges
Bühnengeschehen verliere die instrumentelle Musik ihre inhaltliche Füllung. Um so
eine von anderen Künsten (beispielsweise Dichtung, szenische Handlung) und vom Gesamtkunstwerk
losgelöste Musik zu bezeichnen, gebrauchte er den Begriff „absolute Musik“. Nachdem
Wagner jedoch Schopenhauers Anhänger wird, ändert er diese Konzeption. Die Musik äußert
jetzt das eigentliche Wesen der Handlung und nicht erst durch diese sinnvoll wird.
Die Idee der absoluten Musik, die bei Nietzsche autonom ist, liegt dionysischer Musik
zugrunde.\footcite[Vgl.][158--160]{bruse:gesamtkunstwerk} Dass die Musik nicht an eine
konkrete Interpretation gebunden ist, zeigt Nietzsche am Beispiel des Volksliedes.
Konstituierendes Element des Volksliedes ist die „ursprüngliche Melodie“, die mit
verschiedenen Texten versehen werden kann. Kein Text kann die „Weltsymbolik“ der Musik
vollständig zum Ausdruck bringen.\footcite[Vgl.][48 f]{nietzsche:geburt}
\begin{quote}
„In der Dichtung des Volksliedes sehen wir also die
Sprache auf das Stärkste angespannt, die Musik nachzuahmen.“\footcite[49]{nietzsche:geburt}
\end{quote}
Das Wort erleidet die Gewalt der Musik und sucht sie nachzuahmen, aber mehr vermag
es nicht. Der Text wird aus der Melodie geboren:
\begin{quote}
„Wer eine Sammlung von Volksliedern z.B. des Knaben
Wunderhorn auf diese Theorie hin ansieht, der wird unzählige Beispiele finden, wie
die fortwährend gebärende Melodie Bilderfunken um sich aussprüht: die in ihrer Buntheit,
ihrem jähen Wechsel, ja ihrem tollen Sichüberstürzen eine dem epischen Scheine und
seinem ruhigen Fortströmen wildfremde Kraft offenbaren.“\footcite[49]{nietzsche:geburt}
\end{quote}
Aus demselben Geiste der Musik, aus dem die Volksdichtung geboren wird, wird auch die attische Tragödie geboren.
\subsubsection{Das Apollinische und das Dionysische}
Schon öfter wurden Apollo und Dionysus erwähnt, auf die Nietzsche als Vertreter zweier
Götterwelten der Griechen greift, die nach Auffassung der Romantik, die „zur Zeit
Nietzsches als kanonisch galt“,\footcite[40]{ries:geburt} in
einem Gegensatz zueinander stehen. Einerseits ist das die olympische, mit der Dichtung
Homers verbundene Religion mit ihren leuchtenden Göttern (Zeus, Apollo, Athene),\footcite[Vgl.][40]{ries:geburt}
andererseits die chthonische, die „eine ältere Schicht der griechischen Religion als
Glauben an die dunkle Mächte der Erdtiefe, wie er in der Dichtung Hesiods sichtbar
wird an den Töchtern der Nacht, den Erinyen, den weiblichen Todesgöttinnen (Kore,
Demeter, Persephone)“,\footcite[40--41]{ries:geburt} ist. Nietzsche
verwendet jedoch die Namen der beiden Götter sehr oft adjektivisch: apollinisch und
dionysisch. Daraus lässt sich schließen, dass jedes dieser Adjektive ein Sammelbegriff
für ein Bündel von Eigenschaften ist. Genauso wie die Griechen selbst sich ihrer Götter
bedient haben, um die mysteriöse, unbekannte Seite der Natur zu entschärfen, indem
man die natürlichen Erscheinungen mythisch erklärt, bedient sich Nietzsche dieser
zwei Göttergestalten, um zwei verschiedene Aspekte des Seins zu beschreiben. Diese
Aspekte stehen in einem Widerstreit miteinander, in welchem sie „durch einen metaphysischen
Wunderakt des hellenischen Willens\footcite[25]{nietzsche:geburt} die attische Tragödie gebären.
Apollo ist für Nietzsche nicht nur bloß der Sonnengott, sondern Nietzsche spielt mit
dem Begriff der Sonne, die scheint, und Apollo wird aus dem scheinenden Gott der Gott
des Scheines. Der Schein hat eine gestaltende Funktion, er bringt die Schönheit der
Formen, die er erzeugt, mit sich.\footcite[Vgl.][26 ff]{nietzsche:geburt} Dieser
freie Umgang mit dem Mythos hat bereits am Anfang des Textes einen Anlass zur Kritik
seitens der Philologen gegeben. So verfasst Dr.\ phil.\ Ulrich von Wilamowitz-Möllendorf
Pamphlet „Zukunftsphilologie!“. Nachdem Nietzsches Freunde, Erwin Rohde und Richard
Wagner, versucht haben, Nietzsches Schrift gegen die Angriffe zu verteidigen, veröffentlicht
Ulrich von Wilamowitz-Möllendorf einen zweiten Teil. Im ersten Teil, im Bezug auf
Apollo als den Gott des schönen Scheins, schreibt er: „es gehörte freilich eine gewaltige
tapferkeit dazu, aus Apollon, der seiner wurzel nach der scheinende ist. (5) auf
dem wege des kalauers den gott des scheins, d.h.\ des scheins des scheins, der
höhern wahrheit des traumes gegenüber der lückenhaft verständlichen tageswirklichkeit
zu machen!“\footcite[34]{zukunftsphilologie}
Dionysus symbolisiert dagegen die entgegengesetzte Kraft. Von Lust und orgiastischen
Trieben gelenkt schafft sie nichts, sondern ist darum bemüht den Schein zu zerstören,
jede Ordnung zunichte zu machen, in den Urzustand einer ungeordneten Einheit zu bringen.\footcite[Vgl.][28 ff]{nietzsche:geburt}
Die eigentliche Äußerung findet das Dionysische in der Musik, wobei Nietzsche wiederum
von der dorischen Musik als von der apollinischen spricht.\footcite[Vgl.][33]{nietzsche:geburt}
K. O. Müller folgend stellt Nietzsche auf diese Weise der dorischen, apollinischen
Musik den dionyischen Dithyrambus entgegen.\footcite[Vgl.][47 f]{ries:geburt}
Dennoch ist die Kunst nur als Produkt dieses Kampfes von Entstehen und Vergehen möglich.
So spricht Nietzsche im Bezug auf das Apollinische und Dionysische vom „Urwiderspruch“.\footcite[Vgl.][70]{nietzsche:geburt}
Des weiteren wendet sich Nietzsche an Euripides mit den Worten: „Und weil du Dionysus
verlassen, so verliess dich auch Apollo“.\footcite[75]{nietzsche:geburt}
Wenn jemand den Einen verlässt, so entkommt ihm auch der Andere.
Man muss auch in Betracht ziehen, dass der junge Nietzsche einen sehr breiten Kunstbegriff
hat. Es sind nicht die physikalischen Gesetze, die die die Welt und alles Leben konstituieren,
vielmehr sind es die beiden Mächte, das Apollinische und Dionysische. „[D]ie Welt
selbst ist nichts als Kunst“.\footcite[183]{nietzsche:fragmente} Indem
Nietzsche die Welt als „sich selbst gebärende[n] Kunstwerk“\footcite[182]{nietzsche:fragmente}beschreibt,
entwirft er eine „Artisten-Metaphyisk“.\footcite[Vgl.][182]{nietzsche:fragmente}
Alles ist in der Welt im Werden, alles kommt und vergeht, jedes Seiende entsteht,
um sich schließlich im Nichts spurlos aufzulösen. Das eigentliche Wesen, der erste
Grund der Welt ist das Leid, der Urschmerz. Dies macht verständlich, warum Nietzsche
im „Versuch einer Selbstkritik“ die Auffassung in Frage stellt, dass der Optimismus
ein Zeichen der Blütezeit ist. Vielmehr war der mit dem Namen Sokrates verbundene
Optimismus und die Hoffnung, die Welt vernünftig erkennen zu können, ein Symptom einer
unheilbaren Krankheit, ein Todeszeichen. Was die Kunst fordert, ist nicht der Optimismus,
sondern der Pessimismus.\footcite[Vgl.][12 f]{nietzsche:geburt} Das Sein selbst
ist also in seinem Innersten untrennbar mit Pessimismus verbunden und das ist das
Faktum, das nicht „das Erspriesslichste“ für den Menschen ist. Nietzsche gibt die
alte Sage wieder, nach der der König Midas den weisen Silen aufsucht, um ihn zu fragen,
was für den Menschen das Allerbeste sei. Der Silen antwortet darauf: „Das Allerbeste
ist für dich gänzlich unerreichbar: nicht geboren zu sein, nicht zu sein, nichts zu
sein. Das Zweitbeste aber ist für dich — bald zu sterben.“\footcite[35]{nietzsche:geburt}
Wie kann man angesichts dieses Grauens noch die menschliche Existenz rechtfertigen?
Wie kann man es ertragen, jeden Morgen die Augen zu öffnen? Das ist der Augenblick,
an dem das Apollinische, „das entzückte Verharren vor einer erdichteten und erträumten
Welt“,\footcite[180]{nietzsche:fragmente} ins Spiel kommt. Um die Wirkung
der Schönheit des Scheins auszudrücken, haben die Griechen die olympischen Götter
erdichtet, „[u]m leben zu können“\footcite[36]{nietzsche:geburt}
mussten die Bewohner des Olymps ins Dasein gerufen werden. „So rechtfertigen die Götter
das Menschenleben, indem sie es selbst leben.“\footcite[36]{nietzsche:geburt}
Außer dem oben erwähnten Gegensatz zwischen der Kunst des Bildners und der der Musik
verwendet Nietzsche noch ein weiteres Gleichnis, um das Wesen des Apollinischen und
des Dionysischen näher zu bestimmen, und zwar spricht er vom Traum und Rausch.\footcite[26]{nietzsche:geburt}
Die Welt, wie sie uns vor unseren Augen erscheint, erscheint eben nur so, an sich
ist sie „eine einzige ununterschiedene Flut“.\footcite[216]{boening:metaphysics-art-lang}
In Dionysus, wie unter der Wirkung des Rausches, taucht der Mensch in die Selbstvergessenheit
ein, die Grenzen des Individuellen verschwimmen immer mehr, bis sie verschwinden.
Auf der anderen Seite dieses Ur-Eine selbst, in dem alles Seiende wurzelt und aus
dem Alles hervorgeht, träumt die Welt durch den Menschen und ist somit selbst der
Grund für die Erscheinung. Das ist der Unterschied zu Schopenhauers System, dem die
Prinzipien des Dionysischen und des Apollinischen entnommen sind. „Für Schopenhauer
bewirken die reinen Formen der Anschauung, Raum und Zeit, als das principium individuationis
die Zerteilung alles für uns Seienden in die Vereinzelung“.\footcite[216]{boening:metaphysics-art-lang}
Es ist also nicht der Wille selbst, wie es bei Nietzsche der Fall ist.\footcite[Vgl.][217]{boening:metaphysics-art-lang}
\subsubsection{Entstehung und Verfall der griechischen Tragödie}
\epigraph{Die tragische Kunst, an beiden Erfahrungen reich, wird
als Versöhnung des Apoll und Dionysos bezeichnet: der Erscheinung wird die tiefste
Bedeutsamkeit geschenkt, durch Dionysos: und diese Erscheinung wird doch verneint
und mit Lust verneint.}
{\textit{Herbst 1885 -- Herbst 1886}\\
\textbf{Friedrich Nietzsche}\footcite[181]{nietzsche:fragmente}}
Nietzsche hat die tragische Kunst als Gegenstand seiner Betrachtung ausgewählt, weil
sie die Tragik des Lebens wiedergibt. Alles Leben dreht sich selbst im ewigen Kreis
von Werden und Vergehen, und es hat ihren Ursprung in der Duplizität des Apollinischen
und Dionysischen genauso wie die griechische Tragödie. Die Griechen konnten die beiden
Gegensätze in der Tragödie vereinigen und miteinander versöhnen.\footcite[Vgl.][56]{ries:geburt}
Die Entstehung der Tragödie ist nicht so wichtig in historischer Hinsicht wie für
die Beschreibung dessen, wie die Kunst überhaupt „geboren“ wird.
Als Vorbild eines Tragödiendichters wählt Nietzsche Archilochus, der uns „durch die
trunknen Ausbrüche seiner Begierde“\footcite[43]{nietzsche:geburt}
erschreckt, er ist also ein dionysischer Dichter. Sein Verdienst ist, dass er das
Volkslied in die Literatur eingeführt hat, wobei das Volkslied dadurch, dass sie als
„ursprüngliche Melodie“ verstanden, eine metaphysische Bedeutung bekommt.\footcite[Vgl.][48 f]{nietzsche:geburt}
Hier folgt Nietzsche Schopenhauer, für den es innerhalb der Musik die Melodie ist, die
als tonaler Zusammenhang dem Willen am nächsten kommt.“\footcite[67]{ries:geburt}
Wie Nietzsche bereits in seinem Vortrag „Die griechische Musikdrama“ erläutert, ist
die attische Tragödie aus dem Chor entstanden und war „nur Chor und nichts als Chor“.\footcite[52]{nietzsche:geburt}
Der Chor ist wiederum ein dionysisches Element, weil Nietzsche ihn „Satyrchor“\footcite[Vgl.][55]{nietzsche:geburt}
bezeichnet, es wurde also vorgestellt, dass er aus den mythischen Wesen, die Dionysus
begleiteten, besteht. Auch das Thema der Tragödie war nichts anderes als Dionysus
und die Darstellung seiner Leiden. Nietzsche erblickt hier aber etwas, was er „metaphysischen
Trost“ nennt, und zwar besteht dieser Trost darin zu sagen, dass das Leben trotz allem
„unzerstörbar mächtig und lustvoll sei“.\footcite[56]{nietzsche:geburt}
Wiebrecht Ries bemerkt dazu, dass der metaphysiche Trost nicht der griechischen Tragödie
entstammt, sondern vielmehr Nietzsches Lebensphilosophie. Nietzsche wendet sich im
Grunde gegen den Pessimismus von Schopenhauer und behauptet das Leben als etwas Lustvolles,
etwas, was gerechtfertigt werden kann.\footcite[Vgl.][70]{ries:geburt}
An der Stelle, an der Nietzsche über das Volkslied spricht, redet er über den Prozess
einer Entladung der Musik in Bildern.\footcite[Vgl.][50]{nietzsche:geburt}
Wie ich bereits erwähnt habe, hat das Bild gegenüber der Musik eine sekundäre Stellung,
einerseits hilft es bei der Deutung der Musik, andererseits ist die Gewalt der Musik,
deren Klang aus dem tiefsten Grund der Welt stammt, so gewaltig, dass sie eine Entladung
im Bild nötig hat, sie muss besänftigt werden.\footcite[Vgl.][67 f]{ries:geburt}
Für Nietzsche wird der Prozess der Entladung in der Tragödie nachvollziehbar: Das
Geschehnis der Tragödie wird in der Handlung entladen. Das ist eine Parallele zu dionysischen
Festen: Am Ende des Festes war genauso die Entladung in der tragischen Handlung vonnöten,
um in das tägliche, individuelle Leben zurückzukehren.
Es ist wichtig anzumerken, dass es eben um ein Geschehnis, genauer gesagt um ein Erlebnis
geht. Es gibt einen Unterschied zwischen dem erzählten, ewigen (zeitlosen) Epos und
der Tragödie als Drama, die erlebt wird. Der Chor sieht die göttlichen, dionysischen
Visionen; die Zuschauer sind keine Zuschauer, sondern Zeugen; die Helden, „alle die
berühmten Figuren der griechischen Bühne Prometheus, Oedipus u.s.w.\ [sind] nur Masken
jenes ursprünglichen Helden Dionysus [\dots]“.\footcite[71]{nietzsche:geburt}
Die Tragödie wird nicht einfach gespielt, sondern immer neu erlebt.\footcite[Vgl.][71--73]{ries:geburt}
Dies erklärt unter Anderem, wieso Nietzsche im „Versuch einer Selbstkritik“ schreibt,
dass „Die Geburt der Tragödie“ ein Buch für die Künstler ist, es ist ja „aus lauter
vorzeitigen übergrünen Selbsterlebnissen“\footcite[13]{nietzsche:geburt}
aufgebaut. Es reicht nicht, etwas über die Kunst zu lesen oder sie zu besprechen.
Allein die Selbsterlebnisse haben das entscheidende Gewicht. Es ist ein Buch, die
für diejenigen geeignet sind, die mit Nietzsche gleichgesinnt sind, „für Künstler
mit dem Nebenhange analytischer und retrospektiver Fähigkeiten“.\footcite[13]{nietzsche:geburt}
Der Verfall der Tragödie fängt mit Euripides an, „der die vernunftgeprägte Weltverhaltung
in der Tragödiendichtung und dann in der Kunst überhaupt — wesenswidrig — zur Herrschaft
gebracht haben soll“.\footcite[238]{boening:metaphysics-art-lang} Während Ulrich
von Wilamowitz-Möllendorff den alleinigen Grund Nietzsches Argumentation gegen Euripides
darin sieht, dass Nietzsche mit einem maßlosen Hass gegen den Dichter, „welcher nächst
Homer dem gesamten altertum teuer und vertraut war“,\footcite[48]{zukunftsphilologie}
erfüllt war, betrachtet W. Ries diese Entgegenstellung eines wahren, dionysischen
Tragikers, Archilochus, und „frevelndes“\footcite[Vgl.][74]{nietzsche:geburt}
Euripides als Teil einer Strategie. Nietzsche zielt damit auf die Gegenwartskritik
ab.\footcite[Vgl.][92]{ries:geburt} Hier kommt „der tiefe Hass gegen
Jetztzeit, Wirklichkeit und moderne Ideen\footcite[21]{nietzsche:geburt}
zum Ausdruck. Die Kritik wird von Nietzsches Zeit auf die Antike projiziert, das idealisierte
sechste Jahrhundert wird hervorgehoben und der Zeit des Verfalls, dem dritten und
vierten Jahrhundert entgegengestellt.\footcite[91 f]{ries:geburt}
Aus dem Euripides spricht weder Dionysus noch Apollo, sondern „ein ganz neugeborner
Dämon, genannt Sokrates“.\footcite[83]{nietzsche:geburt} Im Folgenden
entwickelt Nietzsche das Bild eines theoretischen Menschen, dessen Hauptvertreter
Sokrates ist. Der theoretische Mensch ist auch um die Suche der Wahrheit bemüht, um
das Erkennen des Innersten des Seins, aber er sucht die Wahrheit auf einem ganz anderen
Wege. Anhand eigener Vernunft versucht der Theoretiker die kausalen Zusammenhänge
in der Natur zu erkennen. Er vertieft sich immer weiter in die theoretischen Erkenntnisse
mit dem Glauben (sogar wie Nietzsche sagt von der „Wahnvorstellung“ getrieben), „dass
das Denken, an dem Leitfaden der Causalität, bis in die tiefsten Abgründe des Seins
reiche, und dass das Denken das Sein nicht nur zu erkennen, sondern sogar zu corrigiren
im Stande sei“.\footcite[99]{nietzsche:geburt} Das Eintreten des theoretischen
Menschen in die griechische Kultur kennzeichnet gleichzeitig den Tod der Tragödie
und damit auch den Tod der Kunst überhaupt. Die Wissenschaft sucht auf der Oberfläche,
nur in der apollinischen Erscheinung und reicht nicht bis zum dunklen Grund des Daseins,
der sich einem in der Tragödie offenbart.
Obwohl Nietzsche im „Versuch einer Selbstkritik“ schreibt, dass er „Hoffnungen anknüpfte,
wo Nichts zu hoffen war, wo Alles allzudeutlich auf ein Ende hinwies“,\footcite[20]{nietzsche:geburt}
sah er vor seiner Enttäuschung und dem Bruch mit Wagner in 1876\footcite[Vgl.][379]{safranski:biographie}
ein Potenzial zur Wiedergeburt der Tragödie beziehungsweise zur Auferstehung der Kunst.
Bereits am Anfang schrieb Nietzsche über seine Erfahrung, dass wir bei dem „höchsten
Leben“ der Traumwirklichkeit „doch noch die durchschimmernde Empfindung ihres Scheins
haben“\footcite[26]{nietzsche:geburt} und zur Bekräftigung seiner
Worte auf Schopenhauer verwiesen hat, der behauptete, dass, wenn einem alle Dinge
manchmal als bloße Phantome vorkommen, dies ein Kennzeichen philosophischer Befähigung
ist.\footcite[Vgl.][26 f]{nietzsche:geburt}Eben Schopenhauer, der seinerseits
an Kants Erkenntniskritik anknüpft, trägt der Wiedergeburt der Tragödie und der Kunst
bei, indem er den „metaphysischen Erkenntnisoptimismus“ kritisiert.\footcite[Vgl.][113]{ries:geburt}
Auch in der deutschen Musik, wie etwa „Tristan und Isolde“ von Richard Wagner, lassen
sich die Töne erkennen, die die Ketten der Erscheinung zerreißen und den Menschen
zum finsteren Grund seiner Selbst und der Welt bringen.\footcite[Vgl.][114--116]{ries:geburt}
Bezüglich Wagner findet man bei Nietzsche folgende Aufzeichnung aus dem Jahr 1871:
\begin{quote}
„Ich erkenne die einzige Lebensform in der griechischen:
und betrachte Wagner als den erhabensten Schritt zu deren Wiedergeburt im deutschen
Wesen.“\footcite[24]{nietzsche:fragmente}
\end{quote}
\subsubsection{Zeitgenössische Rezeption}
Was ist von dieser Geschichte der griechischen Tragödie, wie sie von Nietzsche dargelegt
wird, zu halten? Was hatte der Autor im Sinne als er dieses sein erstes Buch schrieb?
Das ist im Grunde ein Werk, das ein philologisches Problem behandelt. Gleichzeitig
wurde oben eine Vielfalt philosophischer Fragestellungen aufgezeigt, die der Autor
untersucht. „Die Geburt der Tragödie“ enthält die Grundzüge der gesamten späteren
Philosophie von Nietzsche. Die Themen, die er in der Tragödienschrift berührt, sind
prägend für sein gesamtes Denken, sie werden wieder aufgegriffen und weiter
entwickelt.\footcite[Vgl.][12]{ries:geburt}
Es stellt sich aber die Frage, ob diese Idealisierung der griechischen Tragödie als
eigentliche Kunst, ihr Verfall und Tod, der philologisch-historischen Realität entspricht,
zumindest dem Wissensstand Nietzsches Zeit. Wilamowitz-Möllendorff hat Nietzsche und
sein Werk „Geburt der Tragödie“ in seinem Aufsatz „Zukunftsphilologie!“ sehr scharf
angegriffen. Nach dem Versuch Wagners, Nietzsche zu verteidigen, hat Wilamowitz-Möllendorff
sogar eine Fortsetzung „Zukunftsphilologie! Zweites Stück\@. eine erwiderung auf die
rettungsversuche für Fr. Nietzsches Geburt der tragödie“ verfasst.\footcite[Siehe][]{streit-um-geburt}
Bereits im Titel des zweiten Aufsatzes stehen die Begriffe, die es deutlich machen,
wie Wilamowitz-Möllendorff als Philologe Nietzsches Werk bewertet. Nietzsche wurde
nicht verteitigt, sondern man versuchte ihn zu „retten“ und er konnte trotz alledem
nicht gerettet werden, weil es nur „Versuche“ waren. Im ersten Teil seiner Auseinandersetzung
mit „Geburt der Tragödie“ wirft Wilamowitz-Möllendorff Nietzsche vor, Winckelmann,
nie gelesen zu haben,\footcite[Vgl.][32]{zukunftsphilologie} Homer nicht zu
kennen,\footcite[Vgl.][35]{zukunftsphilologie} Archilochus und die Geschichte
der griechischen Musik gröblich zu verkennen\footcite[Vgl.][38]{zukunftsphilologie}
und die Tragödie überhaupt, nicht zu kennen.\footcite[Vgl.][46]{zukunftsphilologie}
Wilamowitz-Möllendorff veweist auf Winckelmann, der gezeigt hat, „wie die allgemeinen
regeln wissenschaftlicher kritik auch für die geschichte der kunst, ja für das verständnis
jedes einzelnen kunstwerks nötig seien, [\dots]“.\footcite[32]{zukunftsphilologie}
Und der Ursprung des Missverständnisses zwischen Wilamowitz-Möllendorff und Nietzsche
scheint eben in dieser „Wissenschaftlichkeit“ zu liegen. Wenn man den Text der Tragödienschrift
sich anschaut, wird man feststellen, dass Nietzsche kaum die Quellen angibt, aus denen
er das Material für seine Überlegungen schöpft, oder die Angaben sind sehr ungenau.
An ein paar Stellen wird Schopenhauers „Die Welt als Wille und Vorstellung“ zitiert,
die aber wohl nicht so aussagekräftig für eine philologische Forschung der attischen
Tragödie ist, ansonsten werden einige moderne und antike Autoren erwähnt ohne genauere
Angaben. Die Vernachlässigung der Prinzipien des wissenschaftlichen Arbeitens ist
kaum ein Zufall oder Unaufmerksamkeit Nietzsches. Der Grund liegt meines Erachtens
darin, dass die primäre Zielsetzung beim Schreiben der Arbeit „Die Geburt der Tragödie“
gar nicht eine wissenschaftliche Untersuchung der Entstehung der attischen Tragödie
war. Vielmehr handelt es sich bei diesem Buch um einen modernen Mythos. Warum braucht
man aber in unserer von der Wissenschaft aufgekläre Gesellschaft Mythen? Denn wenn
die Wissenschaft an ihre Grenzen kommt, muss sie in Kunst umschlagen.\footcite[Vgl.][99]{nietzsche:geburt}
Die wichtigsten Fragen des menschlichen Seins berührt die Wissenschaft nicht, sie
stellt sie oft nicht mal auf. Was ist der Sinn dessen, dass es etwas gibt. Um die
Antwort auf diese Frage zu geben, bedarf man eines Mythos, der erzählt, wie die Tragödie
aus dem Geiste der Musik geboren wird und wie diese göttliche Musik der tragischen
Aufführung auf der Bühne des Lebens Sinn verleiht.
Giorgio Colli nimmt Nietzsches philologische Position ernster. Er konstatiert zwar
auch die Tatsache, dass „[d]ie klassische Altertumswissenschaft [\dots] Nietzsches
Konzeption als unwissenschaftlich stillschweigend ignoriert“\footcite[901]{colli:geburt-nachwort}
hat, aber fügt hinzu, dass die Wissenschaft selbst nicht viel mehr auf diesem Gebiet
geleistet hat: „Die überlieferten Fakten sind immer noch die gleichen, dürftigen und
unsicheren.“\footcite[901]{colli:geburt-nachwort} Jedoch auch G. Colli
ist es bewusst, dass „Die Geburt der Tragödie“ „keine historische Interpretation“
der Entstehung und des Verfalls der Tragödie ist, sondern das Werk „eine Interpretation
des gesamten Griechentums“ und „eine philosophische Gesamtschau“ entfaltet.\footcite[Vgl.][902]{colli:geburt-nachwort}

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layout: post
date: 2015-04-23 03:20:00
tags: Aufsatz
title: Zur Bedeutung der Kunst bei Friedrich Nietzsche. Teil 2. Gesellschaftliche Dimension der Kunst
teaser: |
<p>
Die Bedeutung der Kunst endet nicht mit der Frage, welche Position sie im Leben
eines Individuums einnimmt. Nietzsche versucht seinen Kunstbegriff auf größere Menschenmengen
zu beziehen, um damit gesellschaftliche und kulturelle Ereignisse zu erklären, oder
mindestens zu schauen, welche Auswirkung die Kunst oder die einzelnen Künstler auf
die menschliche Gesellschaft und Kultur haben.
</p>
---
Die Bedeutung der Kunst endet nicht mit der Frage, welche Position sie im Leben
eines Individuums einnimmt. Nietzsche versucht seinen Kunstbegriff auf größere Menschenmengen
zu beziehen, um damit gesellschaftliche und kulturelle Ereignisse zu erklären, oder
mindestens zu schauen, welche Auswirkung die Kunst oder die einzelnen Künstler auf
die menschliche Gesellschaft und Kultur haben.
In einer Aufzeichnung von 1885 schreibt Nietzsche Folgendes:
\begin{quote}
„Die mathematischen Physiker können die Klümpchen-Atome
nicht für ihre Wissenschaft brauchen: folglich construiren sie sich eine Kraft-Punkte-Welt,
mit der man rechnen kann. Ganz so, im Groben, haben es die Menschen und alle organischen
Geschöpfe gemacht: nämlich so lange die Welt zurecht gelegt, zurecht gedacht, zurecht
gedichtet, bis sie dieselbe brauchen konnten, bis man mit ihr rechnen
konnte.“\footcite[163]{nietzsche:fragmente}
\end{quote}
Es existiert also keine „objektive Welt“. Die Menschen erdichten ihre eigene Welt,
in der ihnen am Besten zu Mute ist, in der sie leben können und wollen. Und dies ist
genau, das was bereits für den jungen Nietzsche eine menschliche Kultur ausmacht.
Das Dionysische ist das Fundament auf dem die Kulturen entstehen, „der ungeheure Lebensprozess
selbst, und Kulturen sind nichts anderes, als die zerbrechlichen und stets gefährdeten
Versuche, darin eine Zone Lebbarkeit zu schaffen“.\footcite[59]{safranski:biographie}
Im Zusammenhang mit der menschlichen Kultur führt Nietzsche den Krieg als ein dionysisches
Element ein, und dieses Element beinhaltet auch „die Bereitschaft zum lustvollen
Untergang“.\footcite[59]{safranski:biographie} Nietzsche, der selbst im Krieg
einige Wochen als Sanitäter beteiligt war, sieht im Krieg als zerstörerischer
Macht des Dionysus eine positive Potenz, und zwar erwartet er, dass dem
Vernichten das Werden folgt, mit anderen Worten erhofft er eine Erneuerung
der Kultur. Die Grausamkeit des Krieges um der Erneuerung der Kultur willen scheint
übertrieben und grauenvoll zu sein. Daher hat der Krieg eine Umgestaltung durch die
bildende apollinische Kraft nötig.\footcite[Vgl.][58--61]{safranski:biographie} Nietzsche
greift wieder auf das Vorbild der Griechen, die „ein Beispiel dafür, wie diese kriegerische
Grausamkeit sublimiert werden kann durch den Wettkampf, der überall stattfindet, in
der Politik, im gesellschaftlichen Leben, in der Kunst.“\footcite[62]{safranski:biographie}
„Ihr sagt, die gute Sache sei es, die sogar den Krieg heilige? Ich sage: der
Krieg ist es, der jede Sache heiligt!“\footcite[109]{nietzsche:fragmente}
schreibt er im November 1882 -- Februar 1883.
Auch auf der kulturellen Ebene balancieren die zwei grundlegenden Lebensmächte,
das Dionysische und Apollinische, einander aus. Jede Kultur benötigt apollinische
Bilder, um das Leben ertragen zu können, aber es besteht die Gefahr, dass die Kultur
erstarrt und die dionysische Dynamik verliert, und dann muss sich das Dionysische
wieder in den Weltprozess deutlicher einmischen.\footcite[Vgl.][62 f]{safranski:biographie}
Ein anderer Grund, den Krieg als eine unabdingbare Komponente der Entwicklung anzusehen,
besteht darin, dass die Kultur für Nietzsche die oberste Position in der Pyramide
der Menschheitswerke. Alles andere ist ihr untergeordnet: Gelehrsamkeit, Religion,
Staat.\footcite[Vgl.][63]{hayman:biographie}
Kennzeichnend dafür, welche Bedeutung die Kultur hat, ist, wie Nietzsche die Rolle
des Künstlers in einer Gesellschaft einschätzt. So heißt es am Ende 1870 -- April 1871:
\begin{quote}
„Ich würde aus meinem idealen Staate die sogenannten Gebildeten hinaustreiben,
wie Plato die Dichter: dies ist mein Terrorismus.“\footcite[22]{nietzsche:fragmente}
\end{quote}
Die Dichter, die Künstler dürfen keinesfalls aus dem Nietzsches Staat ausgetrieben
werden. Ganz im Gegenteil, für ihr Wohlergehen müssen alle Bedingungen erschaffen
werden. Auch in dieser Hinsicht ist das antike Griechenland ein Vorbild für Nietzsche.
Er verteidigt die damalige Sklaverei als notwendige Bedingung für das Wohl der „höchsten
Exemplaren“ einer Gesellschaft, die ihrerseits den Beitrag zum Aufblühen der Kultur
leisten.\footcite[Vgl.][67]{hayman:biographie} Nietzsche hat keineswegs illusionäre
Vorstellungen bezüglich der Sklaverei, vielmehr lobt er die grausame Ehrlichkeit der
Griechen, die „die letzten Geheimnisse vom Schicksale der Seele und Alles, was sie
über die Erziehung und Läuterung, vor Allem über die unverrückbare Rangordnung und
Werth-Ungleichheit von Mensch und Mensch wußten, sich aus ihren dionysischen Erfahrungen
zu deuten suchten: [&hellip;]“.\footcite[169]{nietzsche:fragmente} Es ist
auch nicht so, dass Nietzsche die Demokratie verachtet, weil sie zu Gleichheit der
Menschen untereinander führt. Er glaubt einfach nicht, dass in einem demokratischen
Staat, das Verhältnis sich ändert. Die demokratische Gleichheit ist für ihn eine Lüge:
\begin{quote}
In neuerer Zeit wird die Welt der Arbeit geadelt, aber das sei Selbstbetrug,
denn an der fundamentalen Ungerechtigkeit der Lebensschicksale, die den einen
die mechanischen Arbeit und den Begabteren das schöpferische Tun zuweist, ändere
auch die \underline{Begriffs-Hallucination} von der \underline{Würde der Arbeit}
nichts."\footcite[68]{safranski:biographie}
\end{quote}
Nietzsche zieht sozusagen die dionysische Wahrheit, die besagt, dass das menschliche
Sein von vornherein ungerecht ist, der apollinischen Einbildung, dass die Demokratie
eine Gerechtigkeit gleicher Menschen garantieren kann, vor. Nietzsche idealisiert
auch die privilegierte Kaste eines derartigen Staates nicht und fragt sich, „[o]b
man nicht ein Recht hat, alle großen Menschen unter die bösen zu rechnen“.\footcite[147]{nietzsche:fragmente}
Nietzsche beschreibt diese Welt als eine „Sich-selber-widersprechendste, und dann
wieder aus der Fülle heimkehrend zum Einfachen, aus dem Spiel der Widersprüche zurück
bis zur Lust des Einklangs, sich selber bejahend noch in dieser Gleichheit seiner
Bahnen und Jahre, sich selber segnend als das, was ewig wiederkommen muß, als ein
Werden, das kein Sattwerden, keinen Überdruß, keine Müdigkeit kennt -: diese meine
dionysische Welt des Ewig-sich-selber-Schaffens, des Ewig-sich-selber-Zerstörens“.\footcite[158]{nietzsche:fragmente}
Als dionysische Welt ist sie in sich absurd und widersprüchlich. Die Vereinigung der
Gegensätze in sich ist auch der Maßstab für die Größe des Künstlers und das ist auch
eben, was ihn „böse“ macht, denn den Tugenden wohnt der Frevel bei, die kreative Kraft
wird durch die zerstörerische vervollständigt. So antwortet Nietzsche auf seine Frage:
\begin{quote}
„[D]ie Größten haben vielleicht auch große Tugenden,
aber gerade dann noch deren Gegensätze. Ich glaube, daß aus dem Vorhandensein der
Gegensätze, und aus deren Gefühle, gerade der große Mensch, der Bogen mit der großen
Spannung, entsteht.“\footcite[147]{nietzsche:fragmente}
\end{quote}
Genauso wie der Krieg ein Aspekt der Kultur ist, ohne den Nietzsche ihre dynamische
Entwicklung sich nicht vorstellen kann, genauso ist die prinzipielle Ungleichheit
und Grausamkeit der Menschen gegenüber einander etwas, worauf die Kultur beruht, und
was sie apollinisch, d.h.\ für den Menschen erträglich zu gestalten sucht. Und so verwendet
Nietzsche dieselben Prinzipien des Dionysischen und des Apollinischen, die er entdeckt
hat, um das kulturelle Leben einer Gesellschaft zu beschreiben.

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@@ -0,0 +1,456 @@
---
layout: post
date: 2015-04-30 11:35:00
tags: Aufsatz
title: Zur Bedeutung der Kunst bei Friedrich Nietzsche. Teil 3. Die Kunst und das Leben
teaser:
<p>
Nietzsche unternimmt einen neuen Versuch, dem Leben, so wie es ist, einen
Sinn zu geben. Es ist keine Rechtfertigung, die auf eine bestimmte Theologie
oder ein Moralsystem stützt, sondern dies ist die Rechtfertigung eines
Künstlers. Nur als ein ästhetisches Phänomen lässt sich das Dasein als
lebenswert erfahren.
</p>
---
\epigraph{Die Kunst und nichts als die Kunst! Sie ist die große Ermöglicherin des Lebens, die große
Verführerin zum Leben, das große Stimulans des Lebens.}
{\textit{Mai -- Juni 1888}\\
\textbf{Friedrich Nietzsche}\footcite[283]{nietzsche:fragmente}}
In der „Geburt der Tragödie“ steht ein bekannter Satz, der oft zitiert wird. Nietzsche
unternimmt einen neuen Versuch, dem Leben, so wie es ist, einen Sinn zu geben. Es ist keine
Rechtfertigung, die auf eine bestimmte Theologie oder ein Moralsystem stützt, sondern
dies ist die Rechtfertigung eines Künstlers. Nur als ein ästhetisches Phänomen lässt
sich das Dasein als lebenswert erfahren.\footcite[Vgl.][47]{nietzsche:geburt}
Alles andere ist hilflos gegen die Weisheit des Silen. 1878 stellt Nietzsche die Moral
der Kunst entgegen und schreibt rückblickend:
\begin{quote}
Damals glaubte ich daß die Welt vom aesthetischen Standpunkt
aus ein Schauspiel und als solches von ihrem Dichter gemeint sei, daß sie aber als
moralisches Phänomen ein Betrug sei: weshalb ich zu dem Schlusse kam, daß nur als
aesthetisches Phänomen die Welt sich rechtfertigen lasse.\footcite[55]{nietzsche:fragmente}
\end{quote}
Nur als Teilnahme am Traum eines göttlichen Wesens kann die menschliche Existenz
gerechtfertigt werden, nur so können die extremen Widersprüche im menschlichen Dasein
erträglich gemacht werden.\footcite[Vgl.][59 ff]{ries:geburt}
Mithilfe der Kunst versucht Nietzsche dem Pessimismus und Nihilismus zu entkommen
und sagen: Das Leben muss bejaht werden! W. Ries nennt die Rechtfertigung des Lebens
bei Nietzsche „die letzte Bastion gegenüber einer Gegenwart […], welche durch
die universale Banalisierung ihrer reduzierten Lebensvollzüge funktionalistisch charakterisiert
werden kann, einer Gegenwart, aus welcher die Götter ebenso endgültig verschwunden
sind wie die griechische Heiterkeit und an deren Trivialität es nichts mehr zu rechtfertigen
gibt.“\footcite[66]{ries:geburt}
\subsubsection{1. Die Kunst als Wahrheit oder die Kunst anstatt der Wahrheit}
Der Grund, warum Nietzsche die alten Ideale wie Religion und Moral als nicht
lebenstauglich verwirft, liegt darin, dass sie ein objektives System von
Urteilen voraussetzen, zum Beispiel einen Gott und ein göttliches Gesetz oder
die Idee des Guten, gegenüber welchen Nietzsche sehr skeptisch ist. Erkenntnistheoretisch
besteht das Problem darin, dass man sie nicht mit voller Sicherheit begründen kann.
Im Fall mit der Religion spielt der Glaube eine enorme Rolle und die Glaubenssätze
können nicht auf die logische Ebene zurückgeführt werden, sonst würde es sich um keine
Religion, sondern um eine Wissenschaft handeln. Im Fall mit der Moral besteht die
Gefahr, dass alle Normen, die als objektiv gültig zu sein scheinen, bloß eine Folge
der kulturellen Entwicklung sind, sodass die Moral sich dann als „eine Summe von
Vorurtheilen“\footcite[67]{nietzsche:fragmente} entlarven lässt. Die
menschliche Entwicklung und die kulturellen Zusammenhänge sind oft dermaßen
kompliziert, dass es sich kaum unterscheiden lässt, was objektiv und was ein
subjektives (oder ein kollektives) Vorurteil ist. Im Sommer 1880 stellt Nietzsche
die Moral der Wissenschaft gegenüber:
\begin{quote}
In den Wissenschaften der speziellsten Art redet man
am bestimmtesten: jeder Begriff ist genau umgrenzt. Am unsichersten wohl in der Moral,
jeder empfindet bei jedem Worte etwas Anderes und je nach Stimmung, hier ist die Erziehung
vernachlässigt, alle Worte haben einen Dunstkreis bald groß bald eng werdend.\footcite[66]{nietzsche:fragmente}
\end{quote}
Auch der moderne Pluralismus lehrt, dass es nicht so einfach ist, eine Religion
oder ein Moralsystem in den Bereich des Absoluten zu erheben.
Volker Gerhardt findet Nietzsches Hervorheben der ästhetischen Seite des Daseins
provokativ und fragt: „Wie weit reicht eigentlich die Provokation des moralischen
Denkens durch die Forderung nach einer ganz und gar ästhetischen Betrachtung des Seins?“\footcite[47]{artisten-metaphysik}
Ist Nietzsches Argumentation ernst gemeint oder will er einfach in jeder Diskussion
Recht behalten, indem er moralische Urteile relativiert und an ihre Stelle ästhetische
Sichtweise erhebt? V. Gerhardt argumentiert, dass es kränkend sei, wenn jemand moralische
Argumente bringt, die von dem Opponenten nicht ernst genommen werden, sodass der Letztere
sich noch berechtigt fühlen könne, seine Untat zu rechtfertigen und zu wiederholen.
Außerdem kann man einen solchen „Künstler“ überhaupt ernst nehmen, wenn „Grausamkeiten
belächelt, fremde Qualen genossen und eigene Pflichten bloß theatralisch genommen
werden“?\footcite[Vgl.][47]{artisten-metaphysik} Darauf kann man zweierlei antworten:
\begin{enumerate}
\item
Innerhalb eines Freundeskreises, einer Kultur oder sogar einer Epoche
würde vielleicht tatsächlich „jeder von uns empört, wenn ein ernstes moralisches Anliegen
durch Hinweis auf ästhetische Reize zurückgewiesen wird“.\footcite[47]{artisten-metaphysik}
Nun wird die Frage nach der Geltung der Moral, nach dem Vorhandensein allgemein gültiger
moralischer Regeln, von Nietzsche viel radikaler gestellt. Ihn interessiert, ob es
prinzipiell eine moralische Gesetzgebung gibt, die dieselbe Gültigkeit wie ein physikalisches
Gesetz hat, das überall auf der Erde in allen Zeiten gültig ist. Nietzsche verneint
die Möglichkeit der Existenz einer moralischen Gesetzgebung.
Wird nicht jeder von
uns empört, wenn ein moralisches Anliegen diametral entgegengesetzt bewertet wird,
aufgrund eines anderen Wertesystems, einer andersartigen Ethikkonzeption oder eines
ungleichen kulturellen Hintergrundes? Lässt es sich in der Tat immer über die moralischen
Urteile streiten? Man denke nur an moralische Konflikte auf einer größeren, politischen,
Ebene zwischen den Ländern, deren moralische Wertesysteme durch eine Jahrhunderte
und Jahrtausende lange Geschichte geprägt sind.
\item „Ästhetisch“ und „theatralisch“
kann nicht einfach mit „frech“, „leichtsinnig“, „gleichgültig“, „egoistisch“ gleichgesetzt
werden. Auf der Bühne des Theaters kann sehr ernst gespielt werden (man denke nur,
welche existenzielle Bedeutung hat nach Nietzsche die griechische Tragödie). Des Weiteren
kann man sehr wohl auf Moralsysteme mit den Maximen wie „Vertraue keinem Menschen“,
„Erreiche dein Ziel um jeden Preis“, „Kümmere dich nur um dich selbst und um die Menschen,
die dir etwas bedeuten“ und so weiter stoßen. Auf der anderen Seite kann man sein
Leben ästhetisch als ein schönes und gutes Kunstwerk gestalten. Die Frage, ob die
Moral oder die Ästhetik mehr Wahres in sich hat, ist theoretischer Natur. Welche Auswirkung
auf das menschliche Handeln die Entscheidung für entweder moralische oder ästhetische
Weltbetrachtung hat, hängt allein von der Lebenseinstellung des Handelnden.
\end{enumerate}
Alles, was „jenseits“, nicht sinnlich ist, will Nietzsche aus der Philosophie verbannen,
und wieder hat hier die Philosophie von der Kunst zu lernen:
\begin{quote}
In der Hauptsache gebe ich den Künstlern mehr Recht
als allen Philosophen bisher: sie verloren die große Spur nicht, auf der das Leben
geht, sie liebten die Dinge dieser Welt, - sie liebten ihre Sinne. Entsinnlichung
zu erstreben: das scheint mir ein Mißverständnisß oder eine Krankheit oder eine Kur,
wo sie nicht eine bloße Heuchelei oder Selbstbetrügerei ist. […] Was gehen
uns die priesterlichen und metaphysischen Verketzerungen der Sinne an!\footcite[154]{nietzsche:fragmente}
\end{quote}
Gegen die christlichen Vorstellungen und philosophische Systeme, die den Leib als
Kerker der Seele betrachten, setzt Nietzsche fort und sagt, dass es sogar „ein Merkmal
der Wohlgerathenheit [ist], wenn Einer gleich Goethen mit immer größerer Lust und
Herzlichkeit an den Dingen der Welt hängt“.\footcite[154]{nietzsche:fragmente}
Zwar nennt er diese Welt, wie oben gesagt, eine Scheinwelt, aber es gibt keine andere.
Wenn Nietzsche darüber spricht, dass wir in einer Scheinwelt leben, so verweist er
nicht auf eine wahre, reale Welt, es existiert keine „Hinterwelt“\footcite[Vgl.][93]{nietzsche:fragmente}
Er will kein Dualist sein und akzeptiert nur die Realität, die er mit seinen Sinnen
wahrnehmen kann, selbst wenn sie eine Täuschung sein soll:
\begin{quote}
Wir finden das Umgekehrte, die Gegenbewegung gegen die
absolute Autorität der Göttin Vernunft überall, wo es tiefere Menschen giebt. Fanatische
Logiker brachten es zu Wege, daß die Welt eine Täuschung ist; und daß nur im Denken
der Weg zum Sein, zum Unbedingten gegeben sei. Dagegen habe ich Vergnügen an der
Welt, wenn sie Täuschung sein sollte; und über den Verstand der Verständigsten hat
man sich immer unter vollständigeren M<enschen> lustig gemacht.\footcite[162]{nietzsche:fragmente}
\end{quote}
\subsubsection{2. Wissenschaft}
Nicht nur Religion und Moral können uns keine Aussage über die Welt, wie sie
an sich ist, und über die Wahrheit geben, auch die Wissenschaft kann es kaum.
Wenn auch Walter Schulz Nietzsche „wissenschaftsgläubig“ nennt,\footcite[Vgl.][19]{schulz:function-and-place}
so hat Nietzsche doch die Wissenschaft zu verschiedenen Zeiten seines Lebens unterschiedlich
bewertet. Ja, die Wissenschaft mag sich auf empirische Daten stützen und deswegen
nicht so subjektiv sein, wie Metaphysik, Religion oder Moral. Es stellt sich allerdings
die Frage, ob die Wissenschaft deswegen einen Anspruch auf die Wahrheit hat.
Besonders gut lässt sich die Berechtigung dieser Frage nachvollziehen, wenn man
einen kurzen Blick auf die moderne Wissenschaftstheorie wirft. Moderne Wissenschaften
geben heutzutage gar nicht vor, die Aussagen über die Wirklichkeit zu treffen, was
vor zwei oder drei Jahrhunderten der Fall war. Die naive Vorstellung, die Wissenschaft
erforsche die Wirklichkeit, ist zwar verbreitet, aber nicht in den wissenschaftlichen
Kreisen selbst. Moderne Wissenschaften basieren auf Theorien, was bedeutet, dass sie
mit von Menschen erschaffe- nen Modellen arbeiten, die helfen, bestimmte Phänomene
zu erklären oder gewisse Berechnungen durchzuführen.
Hatte Nietzsche nicht schon damals Recht, als er die einzig reale für den Menschen
Welt eine Scheinwelt genannt hat, denn wie sonst kann man erklären, dass der Mensch
kein Wissen über die Tatsachen der Welt hat, sondern ledigilich auf die Bildung von
Theorien angewiesen ist? Man kann jetzt die radikale Frage stellen, ob die Wissenschaft
selbst nicht eine „Kunstgattung“ ist. Die Gegenfrage würde lauten: Wenn man die Kunst
braucht, um das Leben umzulügen, es umzudichten und so erträglich zu machen, wozu
braucht man dann die Wissenschaft?
\begin{quote}
Die Bequemlichkeit, Sicherheit, Furchtsamkeit, Faulheit,
Feigheit ist es, was dem Leben den gefährlichen Charakter zu nehmen sucht und alles
organisiren möchte - Tartüfferie der ökonomischen Wissenschaft\footcite[135]{nietzsche:fragmente}
\end{quote}
Wissenschaften bringen Sicherheit ins Leben. Diese Funktion hatten früher die heidnischen
Religionen. Man fühlte sich sicherer, wenn man wusste, dass man nicht der blinden,
gleichgültigen Natur ausgeliefert ist; wenn man wusste, dass eine Götterwelt sich
hinter allen Naturphänomenen verbirgt, die man anbeten kann und so bekam man das Gefühl,
dass man ein gewisses Maß an Kontrolle über die Natur hat. Deswegen schreibt Nietzsche
über die griechische Mythologie, dass die Götter des Olymps „aus tiefster Nöthigung“\footcite[36]{nietzsche:geburt}
geschaffen wurden.
Diese Rolle der Lebensabsicherung hat später die Wissenschaft übernommen. Sie ermöglicht
einerseits Zusammenhänge zwischen den Ereignissen festzustellen und daraus auf die
Naturgesetze zu schließen, und so erscheint die Welt nicht mehr chaotisch, sondern
wird geordnet und als ein nach Gesetzen funktionierendes System vorgestellt. Andererseits
versetzt die Wissenschaft in die Lage, Voraussagen über die Zukunft zu treffen. Aufgrund
der Komplexität der physikalischen Systeme, können alle natürlichen Ereignisse in
so großen Systemen wie unser Universum nicht genau vorhergesehen werden, weshalb,
was die Auswirkung auf den Menschen betrifft, die Vorhersagemöglichkeit der Naturphänomene
analog zu Anbetung der Götter ist, weil beides mehr Sicherheit in den folgenden Tag bringt.
Etwas andere Sicht auf die Wissenschaft bietet eine andere Aufzeichnung von Nietzsche,
die aus der Zeit zwischen dem Herbst 1885 und Herbst 1886 stammt:
\begin{quote}
Man findet in den Dingen nichts wieder als was man nicht
selbst hineingesteckt hat: dies Kinderspiel, von dem ich nicht gering denken möchte,
heißt sich Wissenschaft? […] das Wiederfinden heißt sich Wissenschaft, das
Hineinstecken - Kunst, Religion, Liebe, Stolz.\footcite[188]{nietzsche:fragmente}
\end{quote}
In diesem Modell ist es die schöpferische Kraft des Menschen die, die Welt schafft.
Die Wissenschaft hat zu ihrer Aufgabe die so erschaffene Welt zu analysieren und aus
den gewonnenen Daten ein wissenschaftliches System zu formen. Diesen Gedanken findet
man ebenfalls in der modernen Wissenschaftstheorie wieder, und zwar im Konzept der
Operationalisierung. Das ist ein wichtiges Konzept, das ermöglicht, ein Objekt unter
bestimmte Begriffe zu subsumieren. Operationalisierung sagt uns nichts über die realen
Eigenschaften eines Objektes, es besagt bloß, dass, um einem Objekt einen Begriff
zuzuordnen, eine Messmethode angegeben wieden muss. Ein Beispiel aus der Psychologie
wäre ein Intelligenztest. Empirisches Problem beim Durchführen eines derartigen Tests
ist, dass es nicht klar ist, was Intelligenz eigentlich ist, was genau unter Intelligenz
verstanden wird. Man würde den Begriff „Intelligenz“ operationalisierbar machen, wenn
man eindeutig eingeben würde, wie die Intelligenz zu messen ist (zum Beispiel anhand
eines Tests, der genauso universell für die Messung der Intelligenz ist, wie ein Lineal
für die Messung der Länge). Das hätte das Problem mit der Subjektivität und Begrenztheit
eines Intelligenztests gelöst, man hätte sie messen können und mit den Messwerten
anderer Menschen vergleichen. Dafür, dass der Begriff „Intelligenz“ nun operationalisierbar
wäre, würde man jedoch ein anderes Problem bekommen: Bevor man anfängt etwas zu messen,
muss man definieren, wie es zu messen ist. In dem Fall mit der Intelligenz bedeutet
es, dass man nicht auf die „Idee der Intelligenz“ in einem platonischen Ideenreich
zugreift, die objektiv definiert, was die Intelligenz ist, sondern man legt vorher
selbst fest, was es ist und wie es zu messen gilt. In den Naturwissenschaften ist
es nicht anders: Man misst nicht etwas aus der objektiven Wirklichkeit, sondern nur
das, was man messen will, mit Nietzsche gesagt: Man misst nur das, was man in
die Natur „hineingesteckt“ hat.
Man kann Nietzsches Metaphysik auch auf die Wissenschaft anwenden. Wissenschaft
erscheint in diesem Licht als eine lebensnotwendige Lüge, genauso wie die Welt, die
von ihr erforscht wird.
\subsubsection{3. Pessimismus und Optimismus in der Kunst}
"Nietzsche legt - das Gesamt der geistigen Tätigkeiten durchmusternd - dar, daß Metaphysik, Moral,
Religion und Wissenschaft nur verschiedene Formen der Lüge sind."\footcite[12]{schulz:function-and-place}
Menschen haben aber das innere Streben nach der Wahrheit, sonst hätte man diese Lügen
nicht ausgedacht. Aber auch mit der Kunst steht es nicht viel anders, und Walter Schulz
schreibt an einer anderen Stelle: "Die Kunst lügt um, aber sie umlügen, weil wir sonst
nicht leben können."\footcite[11]{schulz:function-and-place}Und wenn auch die
Welt nur ein Kunstwerk ist, ist auch sie durch und durch lügnerisch. Und wenn man
diese Wahrheit niemals erreichen kann, weil es sie nach Nietzsche nicht gibt, dann
hat kann man sich fragen, was für einen Sinn das Leben überhaupt hat, und ob es ausreicht
sich ästhetisch zu betrügen, wenn man jede Sekunde weiß, dass es nur eine Lüge ist.
Diese Frage ist entscheidend für Nietzsche, weil er sich nicht als Pessimist verstehen
will. Wenn er im „Versuch einer Selbstkritik“ dem Optimismus als dem Zeichen des Verfalls
den Pessimismus gegenüberstellt,\footcite[Vgl.][12 f]{nietzsche:geburt} so
meint er mit dem „Pessimismus“ in diesem Fall etwas anderes. Optimismus, den Nietzsche
zu bekämpfen sucht, ist der Optimismus in der Erkenntnis, sokratische Einstellung,
dass das Sein in seinem Grund vernünftig, geordnet und berechenbar ist. Das ist auch,
was heute oft als „positives Denken“ bekannt ist. Denke positiv, schließe deine geistigen
Augen und merke nicht die Probleme und die Welt um dich herum. Diese Lebenshaltung ist zu „apollinisch“.
Der Gegenbegriff zum Optimismus ist der Pessimismus oder wie Nietzsche sagt „Pessimismus
der Stärke“.\footcite[12]{nietzsche:geburt} Es zeugt von gewisser
Stärke, die Welt in ihrem dionysischen Chaos und ihrer Absurdität anzuerkennen und
trotzdem „Ja“ zum Leben zu sagen. Es gibt aber auch das, was man analog zum „Pessimismus
der Stärke“ „Pessimismus der Schwäche“ nennen könnte. Das ist, wenn man zwar keine
Angst hat, in die Abgründe des Seins zu schauen, aber zu schwach ist, die Welt trotz alledem zu bejahen.
Wie ich oben erwähnte hat Nietzsche die Überschrift der zweiten Ausgabe der „Geburt
der Tragödie aus dem Geiste der Musik“ verändert, das Buch hieß nun „Die Geburt der
Tragödie. Oder: Griechenthum und Pessimismus“. Im „Versuch einer Selbstkritik“ beschreibt
er „Griechentum und das Kunstwerk des Pessimismus“,\footcite[12]{nietzsche:geburt}
wobei die Griechen positiv als Pessimisten beschrieben werden, da Nietzsche sie im
nächsten Satz die „zum Leben verführendste Art der bisherigen Menschen“\footcite[12]{nietzsche:geburt}
nennt. Auch in seiner Aufzeichnung zur „Geburt der Tragödie“ aus dem Herbst 1885 -
Herbst 1886 äußert er sich positiv über die „pessimistische Religion“, die an den
tragischen Mythos gebunden ist: „Ein Verlangen nach dem tragischen Mythus (nach Religion
und zwar pessimistischer Religion) (als einer abschließenden Glocke worin Wachsendes
gedeiht)“.\footcite[181]{nietzsche:fragmente}
In „Ecce homo“, in dem Abschnitt, wo Nietzsche „Die Geburt der Tragödie“ reflektiert,
verdreht er allerdings die ursprüngliche Bedeutung des zweiten Teils der Überschrift
und, um anscheinend seine Opposition gegen den „Pessmismus der Schwäche“ zu betonen,
spricht er von Griechen, die im Gegenteil keinen Pessimismus kannten: „Griechenthum
und Pessimismus: das wäre ein unzweideutigerer Titel gewesen: nämlich als erste Belehrung
darüber, wie die Griechen fertig wurden mit dem Pessimismus, - womit sie ihn überwunden…
Die Tragödie gerade ist der Beweis dafür, dass die Griechen keine Pessimisten
waren: Schopenhauer vergriff sich hier, wie er sich in Allem vergriffen
hat“.\footcite[Vgl.][309]{nietzsche:ecce-homo}
Es gibt „das Kunstwerk des Pessimismus“,\footcite[12]{nietzsche:geburt}
das dem Menschen offenbart, was der Pessimismus der Stärke ist, aber es gibt keine
pessimistische Kunst im Sinne des Pessimismus der Schwäche.
Das Verständnis von Pessimismus ist der Punkt, in dem Nietzsche sich von seinem geistigen
Lehrer Schopenhauer absetzt, wie man es aus dem letzten Zitat aus „Ecce homo“ sieht.
Schopenhauer hat den dunklen, in sich widersprüchlichen Kern des Daseins entdeckt. Nietzsche
geht einen Schritt weiter und behauptet, dass das Dasein zu bejahen ist. 1888 antwortet
Nietzsche auf die Frage „Pessimismus in der Kunst?“, die in der Überschrift seiner
Aufzeichnung steht, folgendermaßen:
\begin{quote}
Kunst ist wesentlich Bejahung, Segnung, Vergöttlichung
des Daseins…\\-: Was bedeutet eine pessimistische Kunst?.. Ist das nicht
eine contradictio? - Ja.\\Schopenhauer irrt, wenn er gewisse Werke der Kunst in
den Dienst des Pessimism stellt. Die Tragödie lehrt nicht Resignation\\-
Die furchtbaren und fragwürdigen Dinge darstellen ist selbst schon ein Instinkt der
Macht und Herrlichkeit am Künstler: er fürchtet sie nicht… Es giebt keine pessimistische
Kunst.. Die Kunst bejaht. Hiob bejaht.\footcite[250]{nietzsche:fragmente}
\end{quote}
\subsubsection{4. Ästhetische Rechtfertigung des Daseins}
Wenn man nach dem Sinn des Lebens fragt, dann fragt man: „Welchen Zweck hat
das Leben?“. Die Möglichkeit einer vernünftigen
Antwort auf diese Frage setzt also voraus, dass es eine Zweckmäßigkeit in der Natur
gibt, dass sie nach einem Prinzip funktioniert. Nun ist der dionysische Grund in dieser
Hinsicht nicht anders als dessen Vorbild, der Wille bei Arthur Schopenhauer, er „hat
kein Ziel und ist kein Prinzip, er begründet nichts, richtet nicht und kann folglich
auch nichts rechtfertigen“.\footcite[55]{artisten-metaphysik} Wenn
die Welt das menschliche Dasein nicht rechtfertigen kann, so kann es nur der Mensch
selbst. Der Mensch projiziert aber sein Bedürfnis nach einem Sinn in die Welt, um
sich von der Last, sein Dasein rechtfertigen zu müssen, zu befreien. Dies führt zur
Entstehung großer Systeme wie die Moral oder Religionen. Wenn man aufhört nach dem
Sinn in der Außenwelt zu suchen, weil die menschliche Erkenntnis nicht zuverlässig
ist, so ist das Einzige, was übrig bleibt, in sich selbst zu suchen, weil man die
Grenzen seiner Selbst nicht sprengen kann.\footcite[Vgl.][55]{artisten-metaphysik}
Da Nietzsche das bis zum Ende konsequent durchdenkt, kommt er zu dem Schluss, dass
die Rechtfertigung des Daseins nur von dem Menschen selbst ausgehen kann, wenn
sie überhaupt möglich sein soll.
Volker Gerhardt setzt den Gedanken über die Rechtfertigung des Lebens fort und
verbindet ihn mit den Bedingungen des menschlichen Handelns. Ein mit Sinn erfülltes
Leben ist die Voraussetzung für das menschliche Handeln, weil, wenn man keinen Grund
zu leben hat, man auch keinen Grund zu handeln hat, woraus folgt, dass es Nietzsche
nicht nur um die theoretische, sondern auch um die praktische Philosophie geht.\footcite[Vgl.][52--54]{artisten-metaphysik}
Deswegen hat die Lösung des Problems, ob das Dasein für den Menschen befriedigend
gerechtfertigt werden kann, weitreichende Konsequenzen für das individuelle und gesellschaftliche
Leben, das aus handelnden Subjekten besteht, obwohl Nietzsche nichts über den möglichen
funktionalen Zusammenhang von ästhetischen und theoretischen (oder praktischen) Einsichten"\footcite[Vgl.][56]{artisten-metaphysik}
sagt.
V. Gerhardt unterscheidet zwischen der Rechtfertigung der Welt und des individuellen
Daseins. Der Mensch als handlungsfähiges Subjekt ist auf die Interaktion mit den anderen
Menschen und der Umwelt angewiesen, das heißt, um das eigene Leben und Handeln als
sinnvoll zu erfahren, muss das menschliche Subjekt sein eigenes Dasein im „Lauf der
Dinge“\footcite[Vgl.][56]{artisten-metaphysik} verstehen. Bei Nietzsche ist
es nicht möglich, weil die Rechtfertigung der Welt und des eigenen Daseins verschmelzen,
es ist schließlich nur der Mensch selbst, der allem Sinn gibt. Man kann also sein
Dasein nicht in den „Lauf der Dinge“ integrieren, sondern nur in seine eigene Einbildung
oder in den vom Zufall gesteuerten Traum eines höheren Wesens. Kann so etwas als „Rechtfertigung“
und „Sinngebung“ gelten, oder wäre es ehrlicher mit dem Schopenhauers Pessimismus zu bleiben?
Dazu muss man sagen, dass, wenn man den Geist aus der Welt vollständig ausklammert,
als etwas, was empirisch nicht nachgewiesen werden kann (und es ist das Ziel Nietzsches,
ohne eine Hinterwelt auszukommen), es keine bessere Lösung gibt. Eine physische, von
den Naturgesetzen gelenkte Welt ist uns genauso fremd wie der absurde Traum des Dionysus.
Wenn wir unser Dasein als ein Glied in der Geschichte der Menschheit verstehen können,
dann nimmt diese Geschichte ihren Anfang im Nichts und sie wird sich am Ende im Nichts
auflösen. Die individuelle Existenz ist in diesem Modell absolut sinnlos, obwohl es
in ein größeres Ganzes eingebaut werden kann. Das Letzte, was dem Menschen bleibt,
sich und seiner Umwelt selbst einen Sinn zu geben. Und da ist man schon wieder bei
Nietzsche. Dass er die Rechtfertigung des Daseins und diejenige der Welt nicht auseinanderhält,
ist ein richtiger Schachzug von ihm: Die Existenz der Welt ist sowieso sinnlos (oder
wird als solche erfahren), wenn es die menschliche Existenz ist.
Ein anderes Argument, das V. Gerhardt bringt, ist, dass die Kunst, die das Leben
rechtfertigen soll, an Voraussetzungen gebunden ist, die sie dann zu erklären
versucht. In einem anderen Artikel, „Nietzsches ästhetische Revolution“ spricht
er von der „Dequalifizierung des Kunstbegriffs“:
\begin{quote}
Erstens geht der Begriff der Kunst dem des Lebens methodisch
voraus. Allein das vorgängige Verständnis der Kunst ermöglicht, wenn überhaupt noch,
das Leben zu verstehen. Alle anderen Modelle, die von den Wissenschaften bereitgestellt
worden sind - bis hin zur mechanischen Erklärung der Lebensprozesse -, hält Nietzsce
für gescheitert. Nur als Analogon der Kunst ist das Leben noch sinnvoll mit den historisch
inzwischen unumgänglich gewordenen Erfahrungen zu
verbinden.\footcite[25]{revolution}
\end{quote}
Aber andererseits wird das Leben oder bestimmte Erfahrungen im Leben vorausgesetzt, weil
„wenig so stark an ein Gegenteil gebunden ist wie gerade die Kunst. Die ästhetische
Erfahrung braucht, um Stimulans zu sein, die Not und die Enge des
Lebens“,\footcite[64]{artisten-metaphysik} weil die Welt uns sich
selbst nicht als ein Kunstwerk präsentiert.\footcite[Vgl.][65]{artisten-metaphysik}
Dazu kommen noch erkenntnistheoretische Voraussetzungen. Nietzsche erklärt die
Erkenntnis mithilfe der Kunst, aber zunächst muss man \textit{erkennen}, was die
Kunst ist.\footcite[Vgl.][65]{artisten-metaphysik}
Aber leider auch in diesem Fall bleibt einem nichts Besseres übrig. Sagen wir,
ich werde anerkennen, dass die theoretische Erkenntnis ist, was die Kunst begründet
und nicht umgekehrt. Was gibt mir aber die Sicherheit, dass meine Erkenntnis keine
Illusion, keine Einbildung ist? Was gibt mir die Sicherheit, dass meine Erkenntnis
nicht an andere Voraussetzungen gebunden ist, zum Beispiel an die Kunst. Woher kann
ich wissen, dass es nicht die Kunst ist, die die Erkenntnis möglich macht? V. Gerhardt
hat recht, dass die logische Erkenntnis und die Logik der Kunst methodisch vorausgehen,
was aber nicht bedeutet, dass sie ihr auch ontologisch übergeordnet sind. Die Natur
der menschlichen Erkenntnis ist so, dass sie immer reflexiv ist. Erst in der Reflexion
kann man die Frage stellen, ob die theoretische Erkenntnis die Kunst begründet oder
umgekehrt. Wenn man überhaupt keine Voraussetzungen machen will, landet man im Skeptizismus,
aus dem man nicht mehr rauskommt.
Wenn Nietzsche alles der Kunst unterordnet und sagt, dass man sein Leben selbst
künstlerisch gestaltet und es so etwas wie Wahrheit nicht gibt, so bleibt er seinem
Wort treu, egal wie absurd es klingen mag. So schreibt er im Sommer 1883:
\begin{quote}
Man sucht das Bild der Welt in der Philosophie, bei
der es uns am freiesten zu Muthe wird; d.h.\ bei der unser mächtigster Trieb sich
frei fühlt zu seiner Thätigkeit. So wird es auch bei mir
stehn!\footcite[111]{nietzsche:fragmente}
\end{quote}
Ist es ein Selbstwiderspruch? Genau. Das ist die naive Ehrlichkeit, die Nietzsches
Schriften kennzeichnet. Er scheint keine Angst zu haben, sich selbst zu widersprechen,
und tat es absichtlich, weil er von dem Sein wusste, das in sich selbst widersprüchlich
ist, weil er es als Solches erlebt hat. Er versuchte diese Widersprüche in sich zu
vereinigen um dem Sein gerecht zu werden.\footcite[Vgl.][187]{ries:geburt}
Es ist nicht so, wie V. Gerhardt behauptet, dass nur die Kunst das Leben oder bestimmte
Lebenserfahrungen voraussetzt, weil die logische Erkenntnis es auch tut, sie ist an
dieselben Bedingungen gebunden. Das Vorhandensein solcher Menschen wie Friedrich Nietzsche
ist gerade der Beweis dafür, dass man im Leben auch Erfahrungen sammeln kann, die
zu einem ästhetischen Weltbild führen und nicht zu einem logischen. V. Gerhardt fragt,
warum die Welt uns nicht als ein Kunstwerk erscheine?\footcite[Vgl.][65]{artisten-metaphysik}
Man kann auch die Gegenfrage stellen: Warum erscheint uns die Welt nicht als ein logisches
System? Warum stellt Philosophie, wie Klaus Kornwachs sagt, seit zwei Jahrtausenden
Fragen, die sie und keine Wissneschaft beantworten kann?\footcite[Vgl.][7]{kornwachs:technik}
Vielleicht, weil die Welt ein Kunstwerk ist, in das wir unsere logischen Denkgesetze
übertragen? Von dem Standpunkt des Lebens betrachtet kann die Welt nicht nur als ein
logisches, sondern auch als ein ästhetisches Werk gedeutet werden.
Das Problem einer ästhetischen Rechtfertigung der Welt bleibt trotzdem sehr schwer
zu lösen. Das endliche Dasein auf der Erde kann Einem sinnvoll erscheinen, weil nur
wenn jemand begrenzte Zeit im Leben hat, man mehr zu erreichen versucht, und sich
mehr um sein Leben kümmert. Für den Anderen kann es umgekehrt zwecklos sein, sich
um etwas zu bemühen, wenn alles eines Tages sowieso untergeht. Aber ist es nicht bereits
eine ästhetische Rechtfertigung, mit der man versucht seinem Leben Sinn zu erteilen,
indem man entweder sein Leben als eine kurze Theateraufführung versteht, oder ein
geistiges Reich erschafft, in dem man ewig leben kann.
Es stellt sich auch die Frage, warum man sein Dasein überhaupt rechtfertigen soll?
Warum muss man das eigentlich in der Kunst umlügen? Man kann in Schopenhauers Pessimismus
Schwäche sehen, weil er nicht stark genug war, das Ekelhafte und Grauenvolle zu beja-
hen. Man kann aber genauso Nietzsches Pessimismus als eine Schwäche interpretieren,
eine Schwäche, sich der Grausamkeit, Sinnlosigkeit und Ausweglosigkeit Gesicht zu
Gesicht zu stellen. Die Antwort auf diese Frage ist auch nicht von der Erfahrung zu
trennen, die der Mensch im Leben macht. Theoretisch wollte Nietzsche die Kunst als
Stimulans des Lebens begreifen. Aber inwieweit ist es möglich für ein Wesen, das nach
der Wahrheit strebt (und Nietzsche strebt auch nach Wahrheit des Dionysus), an eine
Lüge zu glauben, über die man weiß und die man sich sogar selbst ausgedacht hat. Ist
es möglich auch auf der praktischen Ebene sich dermaßen zu belügen, oder ist die Kunst
doch nur ein Quietiv und hilft nur, das Leben etwas zu verschönern, um nicht an der
Wahrheit zu Grunde zu gehen? Es ist also die Frage, ob man eine theoretische Einstellung
zum Leben auch in der Praxis realisieren kann, wo einem so viele Hindernisse im Wege stehen.

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---
layout: post
date: 2015-05-07 18:17:00
tags: Aufsatz
title: Zur Bedeutung der Kunst bei Friedrich Nietzsche. Teil 4. Abschließende Bemerkungen
teaser: |
<p>
Der Welt, aus der die Wissenschaft die Geistigkeit vertrieben hat, die
genauso wie ihr Gott „getötet“ und zu einem physischen Mechanismus gemacht
wurde, schenkt Friedrich Nietzsche ein neues Leben, neue Dynamik, die
Dynamik eines Kunstwerkes, das noch nicht vollendet ist und niemals
vollendet sein wird.
</p>
---
\epigraph{Eigentlich sollte ich einen Kreis von tiefen und zarten
Menschen um mich haben, welche mich etwas vor mir selber schützten und mich auch zu
erheitern wüßten: denn für einen, der solche Dinge denkt, wie ich sie denken muß,
ist die Gefahr immer ganz in der Nähe, daß er sich selber zerstört.}
{\textit{Herbst 1885 -- Frühjahr 1886}\\\textbf{Friedrich Nietzsche}\footcite[170]{nietzsche:fragmente}}
Der Welt, aus der die Wissenschaft die Geistigkeit vertrieben hat, die genauso
wie ihr Gott „getötet“ und zu einem physischen Mechanismus gemacht wurde, schenkt
Friedrich Nietzsche ein neues Leben, neue Dynamik, die Dynamik eines Kunstwerkes,
das noch nicht vollendet ist und niemals vollendet sein wird. Seine Theorie von der
ästhetischen Rechtfertigung des Lebens hat er in die Praxis umgesetzt, er komponierte
sein schriftliches Werk: „Sie hätte singen sollen, diese neue Seele --- und nicht
reden!“,\footcite[15]{nietzsche:geburt} klagt er im „Versuch einer Selbstkritik“
darüber, dass er nicht gewagt hat, in seinem Erstlingswerk „als Dichter“\footcite[15]{nietzsche:geburt}
zu sprechen. Und Wiebrecht Ries bemerkt, dass in der „Zarathustra-Dichtung“ erfüllt
ist, „daß die Rede Musik wird, und dies in gleicher Weise wie der Gedanke Seele wird.“\footcite[138]{ries:geburt}
Nietzsches Leben wurde wie eine Tragödie aus dem Geiste der Musik, die ihn sein Leben
lang inspirierte,\footcite[Vgl.][18]{ries:geburt} geboren.
„Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“ vernichtet Nietzsches Karriere, weil die Behauptungen
wie, dass die Existenz nur eine „Theateraufführung“ im Bewusstsein eines mythischen
Wesens, „provozierend gemeint [sind], aber sie […] einen unbeabsichtigten Zweifel
an der Nüchternheit und Zuverlässigkeit des Autors als humanistischen Gelehrten“\footcite[187]{hayman:biographie}
provozieren. „Die Wahrheit ist häßlich: wir haben die Kunst, damit wir nicht an der
Wahrheit zu Grunde gehn.“,\footcite[279]{nietzsche:fragmente} heißt es 1888.
Dennoch geht er an der dionysischen Wahrheit zu Grunde und erleidet einen Zusammenbruch.\footcite[Vgl.][439]{hayman:biographie}
„Das Finale im Wahnsinn verlieh dem Werk rückwirkend eine dunkle Wahrheit: da war
offenbar jemand ins Geheimnis des Seins so tief eingedrungen, daß er darüber den Verstand
verloren hatte.“\footcite[331]{safranski:biographie} Nietzsches Schwester Elisabeth,
die noch zu Lebenszeiten seines Bruders alle Rechte auf seine Werke bekommen hat,
hat sich nach seinem Zusammenbruch um die Ausgabe seiner Schriften gekümmert\footcite[Vgl.][537 f]{hayman:biographie}
und ein Nietzsche-Archiv eröffnet.\footcite[454]{hayman:biographie} Bereits
1893 war die Nachfrage nach Nietzsches Büchern „sprunghaft angestiegen“.\footcite[454]{hayman:biographie}
Also hat die dionysische Selbstzerstörung eines Philosophie-Künstlers etwas Neues hervorgebracht: sein Werk.

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date: 2015-11-01 21:51:00
tags: Gedicht
title: Niemals hat die Mutter Ruhe…
teaser: |
<p>
Niemals hat die Mutter Ruhe,<br>
die ihre Tochter sah im Grab.<br>
Die Liebeskummer, die ich hab<br>
sei nur unbequem wie neue Schuhe.
</p>
<p>
Ich bedauere Ihrn Verlust sowie,<br>
dass Sie noch nie entbrannten,<br>
nie in 60 Jahren kannten,<br>
was sie ist, die Liebeslust.
</p>
---
Niemals hat die Mutter Ruhe,\\
die ihre Tochter sah im Grab.\\
Die Liebeskummer, die ich hab\\
sei nur unbequem wie neue Schuhe.
Ich bedauere Ihrn Verlust sowie,\\
dass Sie noch nie entbrannten,\\
nie in 60 Jahren kannten,\\
was sie ist, die Liebeslust.

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@@ -0,0 +1,17 @@
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layout: post
date: 2016-03-04 08:29:00
tags: Стихотворение
title: И все же нам с тобою повезло…
teaser: |
<p>
И все же нам с тобою повезло,<br>
мы столько, брат, с тобою отхватили.<br>
Мне так тогда все было все равно.<br>
Да и сейчас мне все равно, как мы прожили.
</p>
---
И все же нам с тобою повезло,\\
мы столько, брат, с тобою отхватили.\\
Мне так тогда все было все равно.\\
Да и сейчас мне все равно, как мы прожили.

View File

@@ -0,0 +1,24 @@
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date: 2016-04-20 21:48:00
tags: Стихотворение
title: Не уж то свет на ней сошелся клином
teaser: |
<p>
Не уж то свет на ней сошелся клином,<br>
или не знаешь чем себя занять?<br>
Вся молодость пройдет ведь мимо…
</p>
<p>
К чертям всю молодость, коль жить невыносимо!<br>
Коль надоело петь мне и играть.<br>
Коль свет и впрямь на ней сошелся клином.
</p>
---
Не уж то свет на ней сошелся клином,\\
или не знаешь чем себя занять?\\
Вся молодость пройдет ведь мимо…
К чертям всю молодость, коль жить невыносимо!\\
Коль надоело петь мне и играть.\\
Коль свет и впрямь на ней сошелся клином.

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date: 2016-08-06 07:31:00
tags: Gedicht
title: Die Nacht in ihrem stillen Schweigen…
teaser: |
<p>
Die Nacht in ihrem stillen Schweigen,<br>
unvergänglich ist dein Stolz.<br>
Ich liebe dich, in blauen Kleidern,<br>
und respektiere deinen Trotz.
</p>
<p>
Lass mich nicht alleine leiden,<br>
ich ahne dein Geheimnis schon.<br>
Mein Geist ist deiner Ehe Sohn.<br>
Du kannst ihn so nicht immer meiden.
</p>
---
Die Nacht in ihrem stillen Schweigen,\\
unvergänglich ist dein Stolz.\\
Ich liebe dich, in blauen Kleidern,\\
und respektiere deinen Trotz.
Lass mich nicht alleine leiden,\\
ich ahne dein Geheimnis schon.\\
Mein Geist ist deiner Ehe Sohn.\\
Du kannst ihn so nicht immer meiden.

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date: 2016-09-21 01:22:00
tags: Gedicht
title: Wenn ich zu einem volksfest gehe…
teaser: |
<p>
Wenn ich zu einem Volksfest gehe,<br>
kann ich immer aufs Neue verstehn,<br>
warum der Mensch mir so verhasst ist,<br>
wie er schreit und wie er frisst.
</p>
---
Wenn ich zu einem Volksfest gehe,\\
kann ich immer aufs Neue verstehn,\\
warum der Mensch mir so verhasst ist,\\
wie er schreit und wie er frisst.

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date: 2016-11-07 16:47:00
tags: Gedicht
title: Herbst
teaser: |
<p>
Alles sehnt sich jetzt nach Ruhe,<br>
Bäume werfn die Blätter ab,<br>
alles, was mit Kraft und Mühe<br>
herrlich, prachtvoll blühte, starb.
</p>
<p>
Die Sonne glüht nun abends müde,<br>
und Vögel suchen ein neus Heim.
</p>
<p>
Als ob die Welt nicht leben würde,<br>
aber nein. Zur Jahreszeit<br>
erholt sie sich von ihrer Bürde,<br>
von des Tages Eitelkeit.
</p>
---
Alles sehnt sich jetzt nach Ruhe,\\
Bäume werfn die Blätter ab,\\
alles, was mit Kraft und Mühe\\
herrlich, prachtvoll blühte, starb.
Die Sonne glüht nun abends müde,\\
und Vögel suchen ein neus Heim.
Als ob die Welt nicht leben würde,\\
aber nein. Zur Jahreszeit\\
erholt sie sich von ihrer Bürde,\\
von des Tages Eitelkeit.

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date: 2016-11-28 09:55:00
tags: Gedicht
title: Ich sah kurz einen auf der Straße...
teaser: |
<p>
Ich sah kurz einen auf der Straße,<br>
ein Ring im Ohr, zwei in der Nase…<br>
Ich will ja nun nicht ängstlich klingen:<br>
Das war gewiss der Herr der Ringe.
</p>
---
Ich sah kurz einen auf der Straße,\\
ein Ring im Ohr, zwei in der Nase…\\
Ich will ja nun nicht ängstlich klingen:\\
Das war gewiss der Herr der Ringe.

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date: 2017-02-09 16:29:00
tags: Стихотворение
title: И вот лежу, и вот мне скучно…
teaser: |
<p>
И вот лежу, и вот мне скучно,<br>
плюю с презреньем в потолок.<br>
И воздух спертый, жестко, скучно.<br>
И ночь пошла на самотек.
</p>
<p>
Как за спиною, слышу шорох:<br>
беседуют отец и мать.<br>
Зима, февраль, мороз под сорок.<br>
Собачий холод! Благодать!
</p>
<p>
Потом друзей мелькают лики,<br>
друзей, и вот уж больше не друзей.<br>
Одной единственной той блики<br>
другой единственной честней.
</p>
<p>
И вот лежу, и сердце ноет,<br>
и ночь за часом час бежит.<br>
Усталость мне глаза прикроет,<br>
и сон земной обворожит.
</p>
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И вот лежу, и вот мне скучно,\\
плюю с презреньем в потолок.\\
И воздух спертый, жестко, скучно.\\
И ночь пошла на самотек.
Как за спиною, слышу шорох:\\
беседуют отец и мать.\\
Зима, февраль, мороз под сорок.\\
Собачий холод! Благодать!
Потом друзей мелькают лики,\\
друзей, и вот уж больше не друзей.\\
Одной единственной той блики\\
другой единственной честней.
И вот лежу, и сердце ноет,\\
и ночь за часом час бежит.\\
Усталость мне глаза прикроет,\\
и сон земной обворожит.

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layout: post
date: 2017-03-15 00:00:00
tags: Aufsatz
title: Gegenständliche Erkenntnis bei Simon L. Frank
teaser:
<p>Die so für den gemeinen Menschen merkwürdige Frage nach der Sicherheit menschlicher
Erkenntnis wurde im letzten Jahrundert nicht nur durch vielfältige philosophische Spekulationen,
sondern auch durch die modernen Naturwissenschaften noch stärker verschärft,
wobei philosophische Spekulationen in gewisser Hinsicht wichtiger sind, weil, wenn die
Naturwissenschaften mit den Sinnesdaten arbeiten und die Existenz der Außenwelt einfach voraussetzen,
der Philosoph keine solche Voraussetzungen machen darf. Er steigt eine Ebene tiefer ein und fragt, ob
es überhaupt möglich ist, solche Sinnesdaten zu gewinnen.</p>
<p>Unter den zahlreichen Versuchen, dieses erkenntnistheoretische Problem zu entschlüsseln,
verdient der Lösungsweg, den Simon L. Frank beschritten hat, eine besondere Aufmerksamkeit.</p>
---
\section{Einleitung}
\epigraph{
Heiße Magister, heiße Doktor gar,\\
Und ziehe schon an die zehen Jahr'\\
Herauf, herab und quer und krumm\\
Meine Schüler an der Nase herum ---\\
Und sehe, daß wir nichts wissen können!
}{\textit{Faust I}\\Johann Wolfgang von Goethe\footcite[15]{faust}}
In der Tat, können wir etwas wissen, etwas erkennen?
Seit der Entstehung der Menschheit wunderte man sich über die Welt, die einen umgibt. Man fragte sich, wie die Umwelt
funktioniert, was hinter den natürlichen Ereignissen steht, suchte nach Gesetzmäßigkeiten und legte auf diese Weise den
ersten Grundstein für das Gebäude der Physik. Dieses Projekt war jedoch anscheinend so komplex, dass manche Philosophen
sich wenige Jahrhunderte später die Ansicht aneigneten, dass es überhaupt keine Wahrheit, sondern nur Schein und
Täuschung gebe. Durch Grübelei und Diskutieren gelangte man schließlich zum Zentrum seines Daseins, zu seinem Selbst,
und stellte sich nun die Frage: „Was bin ich? Habe ich zumindest eine sichere Erkenntnis, dass es mich selbst
tatsächlich gibt, oder bin ich auch ein bloßer Schein, eine Selbsttäuschung?“
Die so für den gemeinen Menschen merkwürdige Frage nach der Sicherheit menschlicher Erkenntnis wurde im letzten Jahrundert
nicht nur durch vielfältige philosophische Spekulationen, sondern auch durch die modernen Naturwissenschaften noch
stärker verschärft, wobei philosophische Spekulationen in gewisser Hinsicht wichtiger sind, weil, wenn die
Naturwissenschaften mit den Sinnesdaten arbeiten und die Existenz der Außenwelt einfach voraussetzen, der Philosoph
keine solche Voraussetzungen machen darf. Er steigt eine Ebene tiefer ein und fragt, ob es überhaupt möglich ist,
solche Sinnesdaten zu gewinnen.
Unter den zahlreichen Versuchen, dieses erkenntnistheoretische Problem zu entschlüsseln, verdient der Lösungsweg, den
Simon L. Frank beschritten hat, eine besondere Aufmerksamkeit. Bevor ich aber zur Darlegung Franks Erkenntnistheorie
übergehe, möchte ich genauer auf die Frage eingehen: Was ist eigentlich so rätselhaft an unserer Erkenntnis?
\section{Wie weit geht der Zweifel?}
Ren\'{e} Descartes, der nach Arthur Schopenhauer „mit Recht für den Vater der neuern
Philosophie“\footcite[11]{schopenhauer} gilt, wollte bekanntlich vor allem ein festes Fundament für seine Philosophie
legen.\footcite[23f]{discours} Als erste Regel, die ihn von Abgründen des Nichts-Wissens zu wahren Erkenntnissen
leiten sollte, war, nichts in sein Wissen aufzunehmen, „als was sich so klar und deutlich darbot, dass
ich keinen Anlass hatte, es in Zweifel zu ziehen.“\footcite[33]{discours} Die materielle Welt fiel aus dieser
Kategorie gleich aus: Es könnte ja sein, dass ich sie nur träume, dass es sie aber nicht gibt. Das ist das
problematische Moment der gegenständlichen Erkenntnis. Sie ist außer uns, aber alles, was wir haben, sind unser Gehirn und
unsere Sinnesorgane. Wenn sie uns täuschen, dann haben wir ein völlig verkehrtes Weltbild, ohne das jemals zu merken
oder merken zu können.
Gibt es aber etwas, was nicht bezweifelt werden kann? Descartes bejaht diese Frage:
„Aber gleich darauf bemerkte ich, daß, während ich so denken wollte, alles sei falsch, es sich notwendig so verhalten müsse,
daß ich, der dies dachte, etwas war.“\footcite[57]{discours}
Nun fühlt man festen Boden unter den Füßen. Wenn ich auch an allem zweifeln kann, dann doch nicht daran, dass es
mich selbst gibt, dass ich denke und zweifle. Ferner definiert Descartes den Menschen als denkende Substanz,
\textit{res cogitans}\footcite[Vgl.][43]{geschichte17-18}, die Wladimir Solowjew seinerseits als
„einen unzweifelhaften Mischling“\footnote{\cite[40]{solowjow}. Zur Kritik Descartes denkender Substanz siehe den
kompletten ersten Aufsatz aus „Theoretische Philosophie“ im genannten Band.}
bezeichnet, weil jener dem Subjekt das zuschreibe, was ihm nicht mit Sicherheit gehöre. Alles Reden über das Ich
ist kein Reden über das Ich, sondern das Reden über \textit{Etwas}. Wenn wir über das Subjekt reden, vergegenständlichen
wir dieses, machen es zu einem Objekt, was gleichzeitig alle Probleme gegenständlicher Erkenntnis auf das Subjekt
überträgt. Descartes weist zum Beispiel darauf hin, dass die Gedankenwelt eines Traumes niemals so evident und vollständig
wie diese der Realität sei.\footcite[Vgl.][69-71]{discours} Wie kann man zu diesem Schluss
kommen? Man vergleicht das Realitätsbewusstsein mit demjenigen eines Traumes, was allerdings gar nicht in die umgekehrte Richtung
geht: Im Traum gelten andere Gesetze, die \textit{in diesem Moment} unvergleichbare Evidenz und Vollständigkeit haben.
Wenn ich also eine zweite Realität annehme und ich nur das Produkt eines Traumes eines Anderen bin, dann sind die
Gedankengänge meiner Wirklichkeit genauso lächerlich und absurd für die zweite Realität.
Natürlich gibt es einen Kern, denn ich bin doch etwas (wenn auch nur ein Traumgebild oder ein Produkt der Natur,
das sich einbildet, etwas frei denken zu können), aber man kann diesen Kern kaum
benennen.
Solowjew unterscheidet deswegen zwischen dem reinen und empirischen Subjekt. Jenes ist sicher und
unerschütterlich, da es uns auf dem unmittelbarsten Wege gegeben ist,
aber leer (wie ein mathematischer Punkt), dieses erfüllt und bunt, weil es die ganze Persönlichkeit
enthält, dennoch wackelig und grundlos.\footcite[Vgl.][51]{solowjow} Und so verhält es sich in diesem Model mit allem
Sein überhaupt.
Hiermit stehen dem Skeptizismus alle Türe offen, weil, wenn man das Sein radikal und bis zum Ende, als etwas,
was dem Erkennenden gegenüber steht, denkt, das Maximum, was man mit Sicherheit weiß, ist, dass man
\textit{in irgendeiner Weise} existiert. Alle anderen Erkenntnisse stehen unter Verdacht, nicht objektiv zu sein.
Die große Frage wäre also, ob man diese Kluft zwischen dem Subjekt und Objekt überbrücken kann.
\section{Zwei Hauptaspekte der Erkenntnislehre}
Das von mir oben geschilderte Problem ist als Transzendenzproblem bekannt. Frank unterteilt es in zwei
Fragen, wovon eine relativ einfach und in verschiedenen Systemen im Prinzip gelöst, die andere dagegen
schwieriger sei und oft außer Acht gelassen werde.\footcite[Vgl.][166f]{frank:problem} Einerseits handelt es
sich darum, zu erklären, wie das Subjekt das gegenständliche Sein, also das Transzendente, wirklich erfassen kann.
Andererseits stellt sich die Frage: Was bedeutet dieses gegenständliche Sein überhaupt, woher wissen wir, dass es
etwas von unserem Bewusstsein Unabhängiges, permanent Existierendes gibt?\footcite[Vgl.][168]{frank:problem}
Es ist kein Zufall, dass Frank im Bezug auf das Transzendenzproblem nicht nur über unser Verhältnis zum Sein spricht,
sondern auch über das Sein selbst, was streng genommen keine Aufgabe der Erkenntnistheorie ist, sondern die der
Ontologie. In seinem Aufsatz „Die Krise der modernen Philosophie“ hat Frank darauf hingewiesen, dass Kant
(und mit ihm die moderne Philosophie) jeder Ontologie eine Erkenntnistheorie vorgeordnet
sieht.\footcite[Vgl.][48]{frank:krise} Das Erkennen geht ja von uns aus. Wir haben ein gewisses Vermögen, das uns
ermöglicht, verschiedene Inhalte in uns aufzunehmen. Deswegen ist das Reflektieren über dieses Vermögen das
Grundlegendste, was es geben kann. Auch wenn wir über das Sein nachdenken, tun wir das vermittels dieses Vermögens.
Es dreht sich also alles um die Bedingung der Möglichkeit der Erkenntnis und die Wissenschaft, die diese Bedingung
erforscht, wenn sie tatsächlich gründlich sein will, muss selbst bedingungslos sein, das heißt sich auf keine vorgefasste
Ontologie stützen.\footcite[Vgl.][48]{frank:krise} Frank mit seinem scharfen Sinn für das
Sein (und nicht nur für die abstrakte Begrifflichkeit) tritt dieser Einstellung entgegen und dreht das Verhältnis
von Ontologie und Erkenntnistheorie um: Wird es denn nicht angenommen, dass es einerseits den Erkennenden und
andererseits das gegenständliche Sein \textit{gibt}? Die Spaltung
in Objekt und Subjekt ist somit nichts Anderes als eine ontologische Voraussetzung. Die Erkenntnistheorie muss zum
Bewusstsein kommen, dass sie selbst Ontologie ist und anders gar nicht gedacht werden kann, sie soll „eine offene und
richtige Ontologie“ sein und „sich von jenem [\dots] fehlerhaften circulus vitiosus befreien, in dem einzelne,
abgeleitete Daten eines begrenzten Seinsgebiets die logische Grundlage für die Beurteilung des seins im ganzen
waren.“\footcite[50]{frank:krise}
Wenn man nun die scheinbare Grenzlinie zwischen dem Subjekt und Objekt aufhebt, gelangt man auch schon zur Lösung
des ersten Teils des Transzendenzproblems. Das Bewusstsein ist eben nicht etwas in sich Geschlossenes, das auf eine
unbekannte Weise affiziert wird und nur verzerrte Bilder der Wirklichkeit in sich aufnimmt, sondern es steht
immer mitten im Sein und richtet seinen Blick auf die Gegenstände. Frank vergleicht den Erkenntnisprozess mit der
Wirkung einer Lampe, die aus sich selbst „hinausgeht“ und ihr Licht auf die Dinge wirft. Das menschliche Bewusstsein
ist seinem Wesen nach ein Lichtstrahl, der seine Grenzen transzendiert und so seine Umgebung
beleuchtet.\footcite[Vgl.][167]{frank:problem}
\section{Das Transzendente als unmittelbar Gegebenes}
Frank gibt sich mit dem Erreichten nicht zufrieden und untersucht genauer, soweit es möglich ist, die Seinsstrukturen
und das Interagieren des menschlichen Bewusstseins mit den anderen Teilaspekten des Seins.
Am Anfang bin ich durch systematischen Zweifel, der bei der objektiven Wirklichkeit ansetzt und zum Innersten
des Subjekts führt, zum Ergebnis gelangt, dass es unbedingt etwas geben muss. Man kann nur dieses „Etwas“ nicht
als res cogitans oder mit einem anderen Begriff bezeichnen, was gleichsam Vergegenständlichung bedeuten würde. Es
entkommt jeder Definition. Es ist ein Punkt, etwas unendlich Kleines, weil es nichts Definierbares in sich enthält
und unendlich Großes, weil es nichts außer sich selbst kennt. Man kann auch nicht von Dauer sprechen.
Die Vergangenheit und die Zukunft sind uns nicht unmittelbar gegeben. Die Zukunft gibt es im Moment noch gar nicht
und seine Vergangenheit kann man rekonstruiren, auch wenn diese Rekonstruktion nicht im Geringsten der Wahrheit
entspricht, ohne dabei die Absicht zu lügen zu haben\footnote{Juristen sind so genannte
\textit{Knallzeugen} bekannt, die vor Gericht in allen Einzelheiten etwas beschreiben können, was sie gar nicht
gesehen haben, sondern erst im Moment des Ereignisses (beispielsweise eines Autounfalls) darauf aufmerksam geworden
sind. Die Widersprüchlichkeit seiner Aussagen wird so einem Zeugen nicht
bewusst. \cite[Vgl.][17]{psyche}}. Es lebt nur in diesem konkreten Moment. Es wäre ein Nichts, wenn es nicht
ein „Etwas“ wäre, „es ist ein \textit{Sein} schlechthin“\footcite[178]{frank:problem}. Es ist primär und
unmittelbar evident. Alles Andere, Denken, Bewusstsein, sind im Vergleich dazu sekundär, sie müssen ja erst
\textit{sein}, also an einem Sein teilhaben. Frank betont nochmal ausdrücklich, dass das Subjekt kein Träger vom
Sein ist, sondern, dass es das Getragene ist, es haftet selbst am Sein, dass alles in sich
vereinigt\footcite[Vgl.][178]{frank:problem}.
Es ist also gelungen, etwas Evidentes, Unleugbares zu finden, und es annähernd zu beschreiben. Es scheint jedoch zu
sein, dass man an dieser Stelle auch bleiben muss, weil es sich nichts mehr findet, was genauso selbstevident und dem
Menschen unmittelbar gegeben wäre. Im nächsten Schritt kritisiert Frank aber die Meinung, dass die
Selbstevidenz, unmittelbare Gegebenheit und Immanenz unbedingt zusammenfallen. Es ist überhaupt ein Merkmal unseres
Denkens, dass wir ein Ding nie einzeln denken können. Was ist zum Beispiel die Gegenwart? Die Gegenwart wird als eine
Grenzlinie zwischen Vergangenheit und Zukunft vorgestellt. Genauso kann man nur auf dem Hintergrund dessen, was
die Gegenwart ist, verstehen, was die Zukunft ist. Dasselbe gilt selbstverständlich auch für die Vergangenheit. Alle
drei Begriffe stehen
in einer Relation zueinander und können unabhängig voneinander gar nicht gedacht werden. Wenn es keine Zukunft und
keine Vergangenheit gegeben hätte, dann hätte man auch keine Vorstellung von der Gegenwart. Wenn man genauer hinschaut,
dann erblickt man, dass es sich ähnlich auch mit allen anderen Dingen verhält, auch mit räumlichen Gegenständen. Wenn
ich einen roten Fleck sehe und sage, dass der Fleck rot ist, bringe ich ihn in Beziehung mit allen anderen Gegenständen,
die vielleicht grün, schwarz oder weiß sind. Wie hätte ich die Röte wahrnehmen können, wenn es keine anderen Farben
gegeben hätte?\footcite[Vgl.][26f]{ehlen:frank-intro}
Zu einem Inhalt A kommt notwendig ein anderer Inhalt, non-A, hinzu, der dem A nicht immanent, sondern
transzendent ist und mit ihm in einer Verbindung steht. Nicht nur Immanentes ist uns evident und unmittelbar gegeben,
es ist nicht mal das Primäre, weil es nur im Zusammenhang mit dem Transzendenten gedacht werden kann, als Teil eines
Ganzen, das folglich auch \textit{ist}. Dieses non-A ist kein Gegenstand unserer Erkenntnis in dieser Sekunde,
weil unser Blick auf den Inhalt A gerichtet ist, non-A ist uns verborgen,
aber trotzdem als solches gegeben.\footcite[Vgl.][179ff]{frank:problem} Demzufolge kann man auch das
Sein nicht als einen nur in diesem Moment existierenden, mathematischen Punkt deuten. Dieser Moment setzt einen anderen
voraus und ein Punkt setzt eine unendliche Seinsfülle voraus, der er zugehört.
Das ist die Antwort, die Frank auf die zweite Teilfrage des Transzendenzproblems gibt. Es gibt Sein, das nicht
gegenständlich ist, sondern das eine Einheit vom Subjekt und dem gegenständlichen Sein darstellt. Alles, was ist,
partizipiert an ihm, wodurch eine Verbindung zwischen den Teilen des Seins, zwischen Subjekt und Objekt
gewährleistet wird.
\section{Das mitgedachte Unbekannte}
Das Moment des Unbekannten, des Verborgenen spielt auch eine große Rolle im Erkenntnisprozess. Frank untersucht ein
synthetisches Urteil der Form „S ist P“. Wenn S als eine Begriffsbestimmtheit gedacht wird, kann S nach
dem Widerspruchsprinzip kein P sein, weil S ein S ist. Wenn man „S ist P“ sagt, meint man dann wohl etwas Anderes.
„Unter S wird aber tatsächlich zweierlei zugleich gedacht: einerseits eine Begriffsbestimmtheit A, die sich eben mit
der Bestimmtheit B, die das Wesen des Prädikats ausmacht, verbindet [\dots]“.\footcite[170]{frank:problem}
Andererseits hat unsere Erkenntnis nur Sinn, wenn sie auf etwas Unbekanntes ausgerichtet ist, und es ist, wie es oben
gezeigt wurde, tatsächlich so, dass das Unbekannte immer mitgedacht wird.
„Wäre die Realität auf das jeweils Erkannte beschränkt,
würde fortschreitendes Erkennen darin bestehen, daß ein neuer Wissensinhalt den anderen ablöst. Dieser Vorgang [\dots]
würde der Dynamik des Erkenntnisvorgangs nicht entsprechen.“\footcite[25]{ehlen:frank-intro} Also muss S auch
etwas Unbestimmtes enthalten, es ist das überbegriffliche Ganze, in dem wir im Urteil die Bestimmtheit B erkennen.
Frank schließt daraus, dass die eigentliche Form des Urteils \mbox{AX = B} sei\footcite[Vgl.][171]{frank:problem}.
Wobei dieses X nicht etwas an sich
Unerkennbares ist, Frank bezeichnet es mit dem Wort „Bestimmtheitskomplex“\footcite[171]{frank:problem}. Dieser
Komplex ist unabhängig von uns vorhanden und bestimmt, aber nicht von uns erkannt. Bei der Erkenntnis hat man nicht
nur mit den Erkenntnisinhalten zu tun, sondern auch mit dem Unbekannten, mit der Inhaltsfülle des Gegenstandes
selbst. Die Zweieinheit von Subjekt und Prädikat im Urteil kann nicht zufällig sein und ist nicht sekundär,
weil es dann schwer zu erklären wäre, wie es überhaupt zu dieser Kopula kommt,\footcite[Vgl.][170]{frank:problem}
muss also im Sein verankert sein und die Einheit vom Gegenstand und dem Erkenntnisinhalt widerspiegeln.
\section{Intuitive und begriffliche Erkenntnis}
Die nächste Frage, der Frank sich widmet, ist, wie dieses Abbilden des Gegenstandes, also dieses Gewinnen des
Erkenntnisinhaltes, überhaupt möglich ist, weil man den Erkenntnisinhalt nicht mit dem Inhalt des Gegenstandes selbst
verwechseln darf. Unsere Urteile können auch falsch sein. Der Wahrheitswert unserer Erkenntnisse wird auf irgendeine
Weise am Inhalt des Gegenstandes gemessen. Um ein Abbild zu machen, muss man aber den Gegenstand bereits
besitzen, was jedoch zufolge hätte,
dass ein Abbild überflüssig wäre, und wenn man ihn nicht besitzt, dann ist es einfach nicht möglich so ein
Abbild anzufertigen, weil man das Original nicht hat.\footcite[Vgl.][193]{frank:meta}
Als Ausgangspunkt nimmt Frank das Schlussprinzip (A $\Rightarrow$ B) und die logische Regel modus ponens
(A $\Rightarrow$ B; nun ist A, also ist auch B), weil es dem Vorgehen unserer Erkenntnis entspricht:
Aus einem bereits bekannten A wird B gefolgert. Die Überlegungen, die Frank hier anstellt, sind im Wesentlichen
ähnlich der Untersuchung des synthetischen Urteils der Form „A ist B“. A ist eben A und kann keine „Informationen“
über B enthalten, also muss es eine primäre Einheit AB geben, die die Möglichkeit des Schlusses begründet. Die
Schlussfolgerung darf aber in diesem Fall nicht als eine Summe von A und B gedacht werden, sonst wäre es keine
wirkliche Schlussfolgerung, sondern die beiden Teile würden uns unmittelbar gegeben. Das Ganze ist in diesem Fall
viel mehr eine Potenz, sodass die Bestimmtheit A sich zunächst auskristallisiert und danach aus dem vom Ganzen
gebliebenen Rest B gebildet wird.\footcite[Vgl.][194-197]{frank:meta}
Da es unendlich viele Bestimmtheiten gibt, muss es einen Bereich geben, der alles Gedachte und Erkennbare überhaupt
umfasst. Allerdings können die logischen Denkgesetze (Kategorie der Identität und Unterschiedes, der Satz des
ausgeschlossenen Dritten) nicht als Verbindungsglied zwischen den als fertig gegeben gedachten Bestimmtheiten
gedacht werden. Das führt zu Tautologien und Widersprüchen. Biespielsweise besagt die Identität, dass
\mbox{A = A} ist, wobei die Identität das Vorhandensein eines
zweiten A eigentlich ausschließt. Der Satz des ausgeschlossenen Dritten besagt: Alles Denkbare ist entweder A oder non-A und ein
Drittes ist nicht gegeben. „Alles Denkbare“ ist aber ein Drittes, weil es sowohl A als auch non-A enthalten
kann. Und die Möglichkeit dieses Dritten wird im Satz geleugnet. Wäre ein Drittes in der Tat ausgechlossen, wäre der
Satz gar nicht denkbar, weil „alles Denkbare“ nur eins von beidem wäre.\footcite[Vgl.][198]{frank:meta} Dagegen
sind die Denkgesetze die Möglichkeitsbedingungen, „auf Grund deren die begriffliche Bestimmtheit überhaupt (also
ein A und ein non-A) erst entsteht.“\footcite[Vgl.][198f]{frank:meta} So wird alles Denkbare zunächst als eine
Einheit gedacht (Identitätsprinzip), dann wird von allem Anderen abgehoben (Underschiedsprinzip) so, dass es sich
„eindeutig als ein »Solches«, ein genau bestimmtes, einzigartiges »Quale«
konstituiert“\footcite[199]{frank:meta} (Satz des ausgeschlossenen Dritten).
Hier nähern wir uns einem Gebiet an, das nicht nach logischen Gesetzmäßigkeiten funktoniert, sondern sie erst
begründet. Dieses Gebiet ist deswegen \textit{metalogisch}. Frank bezeichnet darum die Beziehung zwischen der primären
Einheit und dem System der Bestimmtheiten als „metalogische Ähnlichkeit“\footcite[200]{frank:meta}, sie haben die
gleichen Inhalte, aber unterschiedliche Seinsgrade. Aus dem Vorhandensein dieser zwei Ebenen, die das Sein jeweils
auf eigene Art und Weise abbilden, leitet Frank die Existenz auch einer zweiten Erkenntnisart, ab, der
intuitiven Erkenntnis, die grundlegend für die begriffliche ist, da die erstere das Material für
die letztere aus der überbegrifflichen Alleinheit liefert.\footcite[Vgl.][201]{frank:meta}
Die intuitive Erkenntnis hat das Erlebnis zu ihrem Ansatzpunkt. Das Erlebte ist zunächst ein X, etwas vollkommen
Unbekanntes und es wird nicht nur durch das Gehalt dieses Erlebnisses bestimmt, sondern dieses Unbekannte wird
in einem Zusammenhang mit dem Ganzen des Seins erkannt, als dessen Teilmoment, was objektive
Erkenntnis möglich macht, weil dieses Ganze keine amorphe Masse ist, sondern „konkrete Einheit der
Mannigfaltigkeit“\footcite[203]{frank:meta}. Die intuitive Erkenntnis dient nicht nur als Grundlage für die
begriffliche Erkenntnis, sondern sie ist auch dem Gegenstand selbst mehr adäquat, weil
die Teilaspekte des Seins intuitiv als ein Ganzes gefasst werden, was der Einheit des Seins mehr entspricht. Die
Entsprechung ist aber wiederum kein Original. Man könnte unsere Erkenntnis (jeder Art) mit einem malerischen Werk
vergleichen. Man kann eine Gegend sehr gut auf einem Blatt Papier darstellen, die Deminsionen können anhand bestimmter
Techniken nachgemacht werden, sie sind aber trotzdem nicht da, sondern nur in der Natur selbst. Dazu muss noch gesagt
werden, dass ein Kunstwerk natürlich zeitlos ist, ihm fehlt der Atem, der die lebendige Natur bis in die letzte Tiefe
durchdringt.\footcite[Vgl.][210f]{frank:meta}
Im Gegensatz zur intuitiven Erkenntnisweise hat die begriffliche Erkenntnis einen
negativen Charakter, weil A durch die Verneinung alles Anderen bestimmt wird, A steht immer in einer Relation zu non-A,
welches als „der unendliche dunkle Rest“\footcite[205]{frank:meta} übrig bleibt. Eine Bestimmtheit A ist immer
eine Abspaltung, eine gewisse Verarmung im Vergleich zur primären Einheit „A + non-A“ und trotzdem verliert die
begriffliche Erkenntnis nicht an Bedeutung. Zwar ist sie relativ „tot“, sie greift Daten aus der Seinsfülle
heraus und macht sie zu einem starren System, doch ist das
menschliche Intuitionsvermögen auch nicht im Stande das Sein in seinem ganzen Umfang zu fassen. Beide
Erkenntnisarten vervollsändigen einander. Die begriffliche Erkenntnis hilft das Sein auseinanderzunehmen und
auf diese Weise es genauer zu untersuchen. Nur die Kooperation der beiden Erkenntnisarten macht es möglich die
Mannigfaltigkeit und die Einheit des Seins für den erkennenden Menschen in ein Gleichgewicht zu
bringen.\footcite[Vgl.][206]{frank:meta}
\section{Wissendes Erleben}
Simon Frank hat uns ziemlich nah an das Sein herangeführt (genauer gesagt an die bewusste Schau des Seins). Und doch
ist dieses Sein vor unseren Augen unbeweglich, grob, blass. Frank führt das Beispiel eines Apfels an, dessen Begriff
oder das vollkommenste intuitive Erfassen uns jedoch nicht sättigen können.\footcite[Vgl.][210]{frank:meta} Der
Unterschied zwischen einem Apfel als Gegenstand und einem Begriff ist die „Idealität“, die Frank mit der
Zeitlosigkeit, die ich bereits kurz angesprochen habe, gleichsetzt. Hier kehren wir wieder zum Anfang, da wo ich
im Zusammenhang mit dem Zweifel geschrieben habe, dass alles, was zum \textit{Gegenstand} menschliches Denkens (oder
auch intuitives Anschauens) werden kann, wird vergegenständlicht, „[a]us dem zeitlichen Geschehen wird dadurch
\textit{eine ewig-unbewegliche Wahrheit}\footcite[211]{frank:meta}. Das gilt sowohl für abstraktes Denken als auch
für normales Geschehen. Dieses Zeitlose kann nicht das Primäre sein aus dem einfachen Grund, dass das Zeitlose immer
in einer Relation mit dem Zeitlichen steht. Das wahre Absolute ist nicht relativ zu etwas, es schließt Relatives ein,
ohne es aufzulösen. Es kann auch nicht zeitlos sein, sondern überzeitlich. Erst aus dem Überzeitlichen entwickeln sich
diese zwei Gegensätze: Zeitloses und Zeitliches.\footcite[Vgl.][213]{frank:meta}
Gibt es eine Möglichkeit den „Apfel des Seins“ nicht nur begrifflich zu erkennen und intutiv anzuschauen, sondern ihn
auch zu kosten? Jede gegenständliche Erkenntnis ist nur ein Abbild, das deswegen nicht dem Gegenstand selbst
adäquat ist, sondern höchstens etwas über ihn sagt. Frank wählt für diesen Fall den Begriff
„cognitio \textit{circa rem}“ anstatt von „cognitio \mbox{\textit{rei}\hspace{0.02cm}\footcite[217]{frank:meta}.}
Wenn ein Lebewesen in sich tatsächlich geschlossen wäre, wäre eine wahre Erkenntnis in der Tat nicht möglich, weil man
sich dann nur mit Abbildungen der Wirklichkeit begnügen sollte. Es wurde jedoch gezeigt, dass der Mensch auf diese
Weise nicht denkbar ist. Er ist vielmehr --- wie alles andere Seiende auch --- vom Sein durchdrungen. Der Mensch
geht über sich hinaus, weil in ihm sich das manifistiert, was weit über die Grenzen seines eigenen menschlichen Wesens
fließt und die ganze Realität mit sich füllt. Die Erfahrung der Manifestation des Seins in uns macht man im Erleben,
das immer ein wissendes Erleben ist. Frank macht an dieser Stelle eine strenge Unterscheidung zwsichen der dunklen
Irrationalität des unmittelbaren Lebens und der \textit{über}rationalen Fülle der Lebensintuition, die „helles inneres
Erleuchten“\footcite[Vgl.][219]{frank:meta} ist.
In ihm, im Erleben, in dem das Sein sich selbst uns offenbart,
wurzelt die intuitive Erkenntnis und allein dadurch wird die gegenständliche Erkenntnis möglich.
\section{Literaturverzeichnis}

View File

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---
layout: post
date: 2017-04-12 00:00:00
tags: Aufsatz
title: Herausforderungen der Technikphilosophie
teaser:
<p>Eines der wichtigsten Merkmale unserer Zeit ist die Technisierung vieler Bereiche unseres
alltäglichen Lebens. „Das technische Zeitalter“ kann man über unsere Tage sagen hören.
Doch, was jene Technisierung kennzeichnet, ist nicht so sehr die Technik selbst, sondern
die rasche Entwicklung derjenigen. Als solche ist die Technik nichts Neues, wenn auch
die Technik des letzten Jahrhunderts ganz anderer Art, als das, was man vorher kannte.
Es gibt sie dennoch mehr als hundert Jahre, vielleicht gab es sie schon immer. Vielleicht
ist die Fähigkeit aus der Natur Erkenntnisse zu gewinnen und dann anhand derer etwas
zu erfinden, etwas was einen Menschen eigentlich ausmacht.</p>
<p>Wenn man über das technische Zeitalter spricht, ist diese Aussage nicht unbedingt
wertneutral. Der zügellose technische Fortschritt hatte zur Folge, dass er viel
Aufmerksamkeit in der Gesellschaft auf sich gelenkt hat, worüber man sich auch kaum wundern
kann, weil wir heute in so vielerlei Hinsicht auf die Technik angewiesen sind.</p>
<p>Desto interessanter wird es, über die Technik und Technisierung nachzudenken. Was
ist sie nun? Ist sie etwas Gutes, was uns weiterbringt und uns mehr Macht über die
Natur beschert? Ist sie etwas Schlechtes, was den Menschen jeden Tag immer mehr von
ihr abhängig und hilfslos macht?</p>
---
Eines der wichtigsten Merkmale unserer Zeit ist die Technisierung vieler Bereiche unseres alltäglichen
Lebens. „Das technische Zeitalter“ kann man über unsere Tage sagen hören. Doch, was jene
Technisierung kennzeichnet, ist nicht so sehr die Technik selbst, sondern die rasche Entwicklung
derjenigen. Als solche ist die Technik nichts Neues, wenn auch die Technik des letzten Jahrhunderts
ganz anderer Art, als das, was man vorher kannte. Es gibt sie dennoch mehr als hundert Jahre, vielleicht
gab es sie schon immer. Vielleicht ist die Fähigkeit aus der Natur Erkenntnisse zu gewinnen und dann
anhand derer etwas zu erfinden, etwas was einen Menschen eigentlich ausmacht.
Wenn man über das technische Zeitalter spricht, ist diese Aussage nicht unbedingt wertneutral.
Der zügellose technische Fortschritt hatte zur Folge, dass er viel Aufmerksamkeit in der Gesellschaft
auf sich gelenkt hat, worüber man sich auch kaum wundern kann, weil wir heute in so vielerlei Hinsicht
auf die Technik angewiesen sind.
Desto interessanter wird es, über die Technik und Technisierung nachzudenken. Was ist sie nun?
Ist sie etwas Gutes, was uns weiterbringt und uns mehr Macht über die Natur beschert? Ist sie
etwas Schlechtes, was den Menschen jeden Tag immer mehr von ihr abhängig und hilfslos macht?
Ich habe vorher schon angedeutet, dass die Technik auch als etwas genuin Menschliches verstanden
werden kann. Dann wäre die Frage nach der Technik einer ganz anderen Dimension zuzuordnen. Es
wäre kein bloß moralisches Problem, also ob die Technik gut oder schlecht an sich sein kann, zu welchen
Zwecken sie eingesetzt werden darf und ob jeder Zweck das Mittel rechtfertigt; keine Frage der
politischen Zugehörigkeit oder der persönlichen Einstellung, ob man bestimmte Technologien
befürwortet oder nicht und ob man an den hellen Morgen glaubt oder eher diesbezüglich pessimistisch
ist. Es wäre vielmehr eine philosophische Fragestellung, weil es vor allem die Philosophie ist, die
nach der Washeit der Dinge und der Möglichkeitsbedingungen fragt: Was ist der Mensch? Was macht einen
Menschen aus? Was ist und warum eigentlich Technik, was macht sie möglich?
Die philosophische Natur ist auch aus einer anderen Überlegung einsehbar. Und zwar sind viele Fragen,
die mit der Technik verbunden sind, gar nicht durch das technische Denken selbst beantwortbar, sondern
bedürfen einer Reflexion, die über das Technische hinausgeht. Selbst wenn jemand behaupten würde, dass die
Technik nur aus sich heraus erklärt werden könne und müsse und keine weitere Rechtfertigung oder Würdigung
nötig habe, wäre das eine Behautpung, die die Grenzen des Technischen überschreitet.
Im Folgenden will ich andeuten, welche Fragestellungen und Probleme das Eintreten des Technischen in unser Leben
mit sich bringt. Mir geht es nicht darum, die Antworten auf bestimmte Fragen zu geben, sondern auf die
Spannungsfelder zu verweisen, die sich eröffnen, wenn man über das Technische nachdenkt, und so zu zeigen, dass es
sich dabei eigentlich um Philosophie handelt.
\section{Kunst oder Mittel zum Zweck}
Zunächst stellt sich die Frage nach dem Wesen und dem Ursprung des Technischen. Unter Technik verstehen
wir bestimmte Arten von Menschenwerk, aber was lässt sich über den Status dieses Werks sagen? Hier gibt es
zwei entgegengesetzte Extreme: Man kann die Technik als die Folge des menschlichen zweckrationalen Handelns
, das heißt als Mittel zu einem bestimmten Zweck, oder als ein Kunstwerk verstehen. Das Verständnis von
Technik würde sich dann aus dem zweckrationalen Handeln und der schöpferischen Kraft zusammensetzen, wobei man deren Rolle
unterschiedlich gewichten kann.
Was kann der Zweck der Technik sein? Wenn man einen möglichst allgemeinen Zweck nennen will, der auf möglichst viele
oder im besten Fall auf alle technischen Erfindungen zutrifft, dann würde ich das Bezwingen der Natur vorschlagen.
Die Technik kam in die Welt, um die Bürde der Arbeit leichter zu machen. Man kann vieles schneller und
qualitativ besser erledigen, wenn man passende Instrumente zur Hand hat. Es ging natürlich viel weiter, als nur
eigenes Überleben auf diese Weise zu sichern. Hier tritt der Begriff Luxus in Erscheinung: Man produziert
Gegenstände, die nicht unmittelbar notwendig sind. Es geht dann so weit, dass man im Zusammenhang mit der
Marktwirtschaft vom Produzieren der Bedürfnisse spricht.
Kunst kann man in einer gewissen Hinsicht der Zweckrationalität entgegenstellen. So spricht Kant von
ästhetischen Urteilen als dem Wohlgefallen ohne alles Interesse\autocite[Vgl.][49]{kant:ku}:
„Wir können aber diesen Satz, der von vorzüglicher Erheblichkeit ist, nicht besser erläutern,
als wenn wir dem reinen uninteressierten Wohlgefallen im
Geschmacksurteile dasjenige, was mit Interesse verbunden ist, entgegensetzen [\dots]“\autocite[50]{kant:ku}.
Bei der Einführung der Technik spricht man oft von einer technischen \textit{Erfindung}. Nun, wenn man
nicht gerade ein ideales Reich der Ideen, wo alle technischen Erfindungen bereits realisiert sind,
annimmt\autocite[Vgl.][59f]{ropohl:aufklaerung}, enthält die Technik eine künstliche Dimension, in der
die schöpferische Kraft des Menschen etwas Neues erfindet.
Nun es hat Konsequenzen, ob man die Technik mehr als Mittel zum Zweck oder Kunst versteht. Das Erfinden ist
meines Erachtens ein wichtiger Bestandteil dessen, was die menschliche Freiheit konstituiert, und man versucht
diesen Bereich heute möglichst wenig zu zensieren, sondern es dem Menschen zu überlassen, sich auf seine
eigene Weise auszudrücken. Aber \textit{darf} man auch im technischen Sinne alles erfinden, was man erfinden
\textit{kann}?
\section{Erhöhung der Lebensqualität oder Zerstörung}
Ein Leben ohne technische Geräte im Haushalt ist kaum vorstellbar. Elektrische Geräte, Wasserversorgung,
Computer, Telefone gehören zum Alltag. Selbst die allgemeine Zugänglichkeit der Gegenstände, die wir
normalerweise nicht als Technik bezeichnen würden, wie zum Beispiel Bücher, verdanken wir dem heutigen
Stand der Technik. Nicht anders ist es im beruflichen Umfeld. Auch die moderne Wissenschaft und Forschung
sind von Teilchenbeschleunigern und Supercomputern abhängig.
Technische Erfindungen bringen uns Komfort, erhöhen unsere Leistung, ermöglichen neue Arten von
Kommunikation. Das hat allerdings auch eine andere Seite. Die Möglichkeiten, die die moderne Entwicklung
mit sich bringt, birgt viele Gefahren und versetzt wohl viele Menschen in Schrecken, was aus der
zahlreichen Kritik an der Technik zu sehen ist. Man denke nur an den Kalten Krieg oder an die
Atomkatastrophen der letzten Jahrzehnte: Tschernobyl und Fukushima, die zu vielen Protesten gegen die
Verwendung von Atomenergie geführt haben. Hans Blumenberg spricht in diesem Zusammenhang sogar von der
„Dämonie der Technik“\autocite[Vgl.][11]{blumenberg:schriften-technik}.
Andererseits, wenn man die Entwicklung der Energie verfolgt, so führen Streike und Proteste in der
Gesellschaft nicht zu einem Rückschritt, nicht zur Abweisung der Atomenergie, sondern zur Suche nach
alternativen Lösungen. Man forscht weiter und schaut, ob man andere Energiequellen finden kann, die
die vorhandenen zumindest teilweise ersetzen können, ohne an Leistung zu verlieren. Das heißt, man sehnt
sich nicht nach der „Rückkehr zu Natur“, sondern man sucht
nach \textit{technischen} Lösungen für die \textit{technischen} Probleme. Das kann zu einem Zirkel führen,
aus dem man vielleicht nicht rauskommen kann: Die vorhandene Technik motiviert zu Entwicklung anderer
Alternativen, die mit der Zeit wiederum Schwächen aufweisen, die wieder technisch ausgeglichen werden müssen
und so weiter. Ich denke, man hofft irgendwann ans Ende zu kommen und eine perfekte Lösung zu finden, die keine
beweinenswerten „Nebeneffekte“ hat. Die Frage, die der Mensch sich heute zu stellen hat, ist
natürlich: Wird es denn irgendwann so sein? Oder ist es nur ein Selbstbetrug und eitle Hoffnung?
Die Antwort, die jeder Mensch auf diese Frage gibt, ist von entscheidender Bedeutung für das Verhältnis des
Menschen zur Natur. Und die Frage selbst ist kaum eine wissenschaftliche Frage, sondern
vielmehr eine ethische und philosophische.
Interessant ist, welche radikale Stellung Günter Ropohl nimmt. Er schreibt über ein anderes modernes Problem,
das in dem Verhältnis des Menschen und der Technik und Natur ihren Ursprung hat: das ökologische Problem.
Er sieht die Lösung, wie ich oben beschrieben habe, in der weiteren technischen Entwicklung, die nicht nur
zu einer Ausbeutung der Natur für die Menschenzwecke führt, sondern die Natur unter Schutz mit Hilfe der Technik
nimmt, ganz in dem Sinne des Gartens Eden, den der erste Mensch zu pflegen und zu schützen gehabt habe, und
schreibt Folgendes:
\begin{quote}
Wenn die Gattung Mensch die nunmehr gebotene ökotechnologische Wende nicht vollzieht, wird sie gemäß
ökologischen Prinzipien über kurz oder lang eliminiert werden; dann und nur dann wird es wieder Natur geben.
Wenn jedoch die Menschen die Hege und Pflege des irdischen Ökosystems mit der erforderlichen Konsequenz
vervollkommen, so bedeutet dies nicht mehr und nicht weniger als das Ende der Natur.\autocite[71]{ropohl:aufklaerung}
\end{quote}
\section{Befreieung oder Versklavung}
Der Satz im vorherigen Abschnitt, dass die Technik die Entwicklung weiterer Technik
\textit{motivieren} kann, hat eine interessante Struktur. Die Technik wird hier \textit{personifiziert},
einem unbelebten Gegenstand, einer unbelebten Struktur wird aktives Handeln zugeschrieben. Kann ein Messer
oder ein Handy handeln? Aber das ist eben das, was wir in der letzten Zeit beobachten. Die Technik hat
eine gewisse Autonomie, Eigentendenz.
Die Technik hat schon im Laufe ihrer gesamten Geschichte geholfen, den Menschen von schwerer Arbeit zu
befreien, dem Menschen ein würdiges Dasein zu gewährleisten. Die Folgen davon kann man in heutiger Zeit
gut beobachten. In den entwickelten Ländern müssen relativ wenige Mensche schwere Arbeiten ausführen, vieles
kann von Maschinen teilweise oder vollständig übernommen werden. Und selbst, wenn die Maschine von mehreren
Menschen gesteuert werden muss, ist eine ganze andere Art der Arbeit, als die Tätigkeit selbst auszuführen.
Kann man das aber nicht so hinstellen, dass während der Mensch von schwerer Arbeit befreit wird, er von
seinem Befreier abhängig wird? Und das ist nicht nur in dem Sinne, dass wir Instrumente verwenden, die
unser Leben erleichtern, dass wir gewissermaßen unserer Freiheit beraubt werden. Moderne Gesellschaft kennt
neue Arten von Sucht, wie zum Beispiel Spielsucht. Man hört Beschwerden über die jungen Leute, die die
ganze Zeit nur in ihr Handy starren, und keinerlei „reale“ Kontakte mehr haben (wobei ich
mich einer Meinung enthalten möchte, ob solche Beschwerden gerechtfertigt sind). Aber selbst,
wenn man von der individuellen Ebene absieht, schreibt Hans Blumenberg über „eine spezifische
Eigengesetzlichkeit“ eines Machtmittels wie Atomkraft\autocite[Vgl.][13]{blumenberg:schriften-technik}:
„So wie das technische Gebrauchsprodukt Bedarf zu erzeugen vermag, so schafft das technische Machtmittel
mit eigenartiger Automatie auslösende Situationen.“\autocite[13]{blumenberg:schriften-technik}
Hier stellt sich die Frage, ob ein Messer tatsächlich einen neutralen ethischen Wert hat, und es nur auf den
Menschen ankommt der ihn verwendet, ob er damit nur das Brot schneidet oder noch für andere Zwecke einsetzt,
oder ob ein Messer einen immanenten Wert hat, der zu dessen Benutzung nicht nur für gute Zwecke
herausfordert.
\section{Gleichheit oder Zerspaltung}
Ein weiteres von der Technik verfolgtes Ziel ist, die Kluft zwischen sozialen Schichten der
Gesellschaft geringer zu machen. Technische Mittel ermöglichen es, verschiedene Artefakte für
alle Menschen zugänglich zu machen. Zum Beispiel der Buchdruck hat dazu geführt, dass die
Produktionskosten von Büchern stark gesunken sind, und viel mehr Menschen sich den Kauf von
Büchern erlauben konnten.
Das Beispiel der Bücher ist auch geeignet, wenn man die Bücher als Informationsquelle
betrachtet und zur heutigen digitalen Informationsvermittlung kommt.
Man könnte denken, dass, wenn die Mehrheit der Bevölkerung einen Internetzugang
und einen Computer hat, es allen den gleichen Zugang zu den Informationen automatisch
ermöglichen würde.
Dem kann man entgegenbringen, dass die Quantität noch nichts über die Qualität sagt, denn
ein Internetzugang noch nichts darüber sagt, wie er genutzt wird. Da die Nutzung der digitalen
Medien immer mehr an Bedeutung gewinnt, zum Beispiel, in der Schule und am Arbeitsplatz, kommt
es dazu, dass einige gesellschaftliche Gruppen noch weiter voran kommen, weil sie mit entsprechenden
technischen Mitteln umgehen können, die anderen darauf nicht zugreifen. So wird die Kluft nicht kleiner,
sondern im Gegensatz größer. Dieses Phänomen ist keine Spekulation, sondern wurde durch Studien
bereits vor etwa 20 Jahren entdeckt und immer wieder bestätigt. Es hat den Namen „digitale
Spaltung“ (Digital divide) bekommen.\autocite[Vgl.][206--221]{filipovic:ungleichheit}
\section{Schlussbemerkung}
Mit diesen wenigen Beispielen habe ich zu zeigen versucht, dass die technische Entwicklung unserer Zeit sehr
schwer nur mit einem „Gut“ oder „Schlecht“ bewertet werden kann. Es stehen immer komplexe
Fragen im Hintergrund, die zwei Seiten haben und wo die goldne Mitte nicht unbedingt einfach zu finden
ist.
Viele Probleme, die direkt oder nur indirekt von der Wissenschaft und Technik verursacht wurden, sind
gar keine wissenschaftliche und noch weniger technische Fragen, sondern sie berühren solche Bereiche wie
die der Ethik, der Verantwortung und des menschlichen Selbstverständnisses. Sie haben auch eher wenig
Bedeutung für die Wissenschaft oder Technik, dafür aber für die menschliche Existenz, sowohl auf der
individuellen als auch auf der gesellschaftlichen Ebene.
Das ist der Grund, warum ich denke, dass eine philosophische Reflexion im Bereich der Technik unentbehrlich
ist. Ich denke, es ist verantwortungslos, alles dem natürlichen Lauf der Dinge zu überlassen, ohne sich
zumindest zu fragen, warum es so geschieht, welche Konsequenzen es haben kann und ob man in einer
bestimmten Lage etwas unternehmen soll oder kann. Wieder wäre es äußerst wichtig, dass eine solche philosophische
Reflexion die moderne Entwicklung nicht bloß dämonisiert oder glorifiziert, sondern möglichst gerecht
und ausgeglichen verläuft, weil sie nur so ernst genommen werden kann, was nicht zu vernachlässigen ist, wenn
die Technikkritik nicht in der Luft hängen oder nur deskriptiv bleiben will, sondern auch etwas aktiv
für die Zukunft bewirken will.
\begin{quote}
So wäre es eine wichtige Aufgabe für eine Philosophie der Technik an Schule und Hochschule, den zukünftigen
Ingenieuren und Technikern zeigen zu können, wie Grundlagenforschung, angewandte Forschung und Praxis
zusammenhängen, welche Rolle die Arbeit, die Praxis, die gestaltete Technik, die Muße und die Kunst bei
der Konstitution unseres Selbstverständnisses spielen.\autocite[105]{kornwachs:technik}
\end{quote}

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layout: post
date: 2017-05-26 20:09:00
tags: Gedicht
title: Die Narren sollen weiter lästern…
teaser: |
<p>
Die Narren sollen weiter lästern,<br>
für andre Themen sind sie dumm.<br>
Ich bin zu müde mich zu bessern.<br>
Der Weise schweigt und trinkt sein Rum.
</p>
---
Die Narren sollen weiter lästern,\\
für andre Themen sind sie dumm.\\
Ich bin zu müde mich zu bessern.\\
Der Weise schweigt und trinkt sein Rum.

View File

@@ -0,0 +1,339 @@
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layout: post
date: 2017-05-09 00:00:00
tags: Aufsatz
title: Technikkonzept von Ernst Kapp
teaser:
<p>Zwar begleiten die technischen Erfindungen den Menschen schon seine ganze Geschichte, angefangen mit einem
Schlagstein, der als Prototyp für einen Hammer diente, über die Dampfmaschine, den Telegrafen, bis zu
Rechenmaschinen und Computern, hat man erst vor kurzem angefangen über die Technik systematisch
nachzudenken. Das mag daran liegen, dass die technische Entwicklung seit der Industrialisierung ganz neue
Maßstäbe angenommen hat. Eines der ersten Werke, das sich ausführlich mit dem Wesen der Technik
beschäftigt, ist wohl „Grundlinien einer Philosophie der Technik“ von Ernst Kapp aus dem Jahre
1877, „sein bis heute als grundlegendes Werk der Technikphilosophie geltendes Buch“.</p>
---
\section{Technik als Herausforderung für die Philosophie}
Eines der wichtigsten Merkmale unserer Zeit ist die Technisierung vieler Bereiche unseres alltäglichen
Lebens. „Das technische Zeitalter“ kann man über unsere Tage sagen hören. Als solche ist die
Technik nichts Neues, wenn auch die Technik des letzten Jahrhunderts ganz anderer Art, als das, was man
vorher kannte, ist. Es gibt sie dennoch mehr als hundert Jahre, vielleicht gab es sie schon immer. Vielleicht
ist die Fähigkeit, aus der Natur Erkenntnisse zu gewinnen und dann anhand derer etwas zu erfinden, etwas
was einen Menschen eigentlich ausmacht.
Desto interessanter wird es, über die Technik und Technisierung nachzudenken. Was ist sie nun?
Die Frage nach der Technik ist eine philosophische Frage, weil es vor allem die Philosophie ist, die
nach der Washeit der Dinge und der Möglichkeitsbedingungen fragt: Was ist der Mensch? Was macht einen
Menschen aus? Was ist und warum eigentlich Technik, was macht sie möglich?
Die philosophische Natur ist auch aus der Überlegung einsehbar, dass viele Fragen,
die mit der Technik verbunden sind, gar nicht durch das technische Denken selbst beantwortbar sind, sondern
einer Reflexion bedürfen, die über das Technische hinausgeht. Selbst wenn jemand behaupten würde, dass die
Technik nur aus sich heraus erklärt werden könne und müsse und keine weitere Rechtfertigung oder Würdigung
nötig habe, wäre das eine Behautpung, die die Grenzen des Technischen überschreitet.
Zwar begleiten die technischen Erfindungen den Menschen schon seine ganze Geschichte, angefangen mit einem
Schlagstein, der als Prototyp für einen Hammer diente, über die Dampfmaschine, den Telegrafen, bis zu
Rechenmaschinen und Computern, hat man erst vor kurzem angefangen über die Technik systematisch
nachzudenken. Das mag daran liegen, dass die technische Entwicklung seit der Industrialisierung ganz neue
Maßstäbe angenommen hat. Eines der ersten Werke, das sich ausführlich mit dem Wesen der Technik
beschäftigt, ist wohl „Grundlinien einer Philosophie der Technik“ von Ernst Kapp aus dem Jahre
1877, „sein bis heute als grundlegendes Werk der Technikphilosophie geltendes
Buch“\autocite[VIII]{maye:einleitung-kapp}.
140 Jahre sind seit dem Erscheinen des Buches vergangen und die Entwicklung bleibt nicht stehen. Und überhaupt
ist die rasche Entwicklung eines der wichtigsten Merkmale der heutigen Technisierung. Ältere Leute haben oft
Probleme mit dem Bedienen des Computers oder Handys, weil sie in einem ganz anderen Umfeld aufgewachsen sind und
das „Checken der E-Mails“ und die Abgabe der Steuererklärung online ihnen fremd ist.
Selbst Menschen, die sich beruflich mit den modernen Technologien beschäftigen, können die technische Entwicklung
nicht mehr einholen. In 90er-Jahren gab es noch den Begriff „Webmaster“. Ein Webmaster befasste sich
mit der Entwicklung, Gestaltung, Verwaltung von Websites. Heute wird der Begriff kaum noch verwendet.
Stattdessen gibt es Frontend- und Backend-Programmierer, Designer, SEO-Spezialisten (Search Engine
Optimization --- Suchmaschinenoptimierung), Server-Administratoren.
Man spricht noch vom „Full-stack developer“, darunter wird aber jemand verstanden, der sowohl
die Frontend- als auch Backend-Programmierung macht, es ist jedoch keineswegs der alles könnende Webmaster.
Die Fülle an Technologien und Aufgaben hat zur Spezialisierung und Auskristallisierung neuer Berufsfelder
geführt. Und dieser Prozess fand innerhalb einer Generation statt.
Auf der anderen Seite beschäftigt sich die Philosophie in meinem Verständnis mit den ewigen Fragen.
Die Umstände, der Kenntnisstand ändern sich, aber die Fragen nach dem, was das Sein ist, was die Erkenntnis
zu leisten vermag, wie der Mensch zu handeln hat, bleiben. Es wäre also nicht uninteressant zu schauen,
ob unsere Vorstellung von der Technik sich in hundert Jahren kardinal gewandelt hat, oder ob Kapp zu
Erkenntnissen gelangte, die auch noch für uns und vielleicht unsere Nachfahren nicht von einer bloß
geschichtlichen Bedeutung sind.
Kapp hat sein Werk so aufgebaut, dass er mit primitiven Werkzeugen anfängt und sich dann immer weiter zu
komplexeren Strukturen und Artefakten hocharbeitet. Dabei greift er fast in jedem Kapitel auf ein Produkt
aus der Geschichte der Technik, an dem er versucht, seine These plausibel zu machen. Ich wähle eine ähnliche
Vorgehensweise und werde mich bemühen, spätere Werke der Menschenhand im Lichte Kapps Auffassung des Menschen
und der Technik zu betrachten. Zunächst muss allerdings jene Auffassung kurz dargestellt werden.
\section{Technikkonzept von Ernst Kapp}
\epigraph{%
Noch steht die Menschheit in den Kinderschuhen ihrer Kultur oder in den Anfängen der technischen
Gleise, die sich der Geist selbst zu seinem Voranschreiten zu legen hat.\footcite[309]{kapp:technik}
}{}
\subsection{Technik und Kultur}
„Grundlinien einer Philosophie der Technik“ hat noch einen Untertitel: „Zur
Entstehungsgeschichte der Kultur aus neuen Gesichtspunkten“. Die Technik ist also nicht
bloß ein Mittel zum Zweck, sie hat etwas mit der Entstehung der Kultur zu tun. Wenn man bedenkt,
dass die Kultur ein Werk des menschlichen Schaffens ist, ist es auch verständlich, dass die Technik
ein Teil der Kultur ist. Technische Artefakte haben ihre eigene Geschichte und sie haben schon immer
die Lebensweise der Menschen stark beeinflusst. Man denke nur an den Buchdruck, der viel mehr Menschen
den Zugang zu Büchern ermöglichte, dadurch, dass die aufwendige Arbeit des Abschreibens von Maschinen
ersetzt werden konnte. Kapps Überzeugung ist aber, dass die Technik nicht ein Aspekt der Kultur ist,
sondern, dass sie konstituierend für das Entstehen der Kultur ist: „Der Anfang der Herstellung
technischer Gegenstände ist der Beginn des Kulturwesens Mensch.“\autocite[7]{leinenbach:technik}
Wie ist das zu verstehen? Klaus Kornwachs stellt erstmal fest, dass der Umgang mit der Technik nicht von
der Technik selbst vollständig determiniert ist, sondern dass „verschiedene Nationen und verschiedene
Kulturkreise unterschiedlich mit Technik umgehen und unterschiedliche Techniklinien und
Organisationsformen hervorgebracht und zuweilen auch wieder aufgelöst
haben“\autocite[22]{kornwachs:technik}.
Die Technik wird dadurch ermöglicht, dass der Mensch die Gesetze der Natur sich zunutze machen kann.
Die physikalischen Gesetze sind aber für alle gleich. Wie kommt es, dass verschiedene Zivilisationen
nicht die gleiche Technik bauen oder, dass sie die gleiche Technik nicht auf dieselbe Weise nutzen?
Um diese Frage zu beantworten, macht Kornwachs die Unterscheidung zwischen zwei Arten
technologischer Funktionalität. Die technologische Funktionalität der ersten Art ist diejenige,
„deren physikalische Wirksamkeit und technische Brauchbarkeit invariant gegenüber der
kulturellen Ausprägung der organisatorischen Hülle sind“\autocite[22]{kornwachs:technik}.
Als Beispiele nennt Kornwachs Regelkreise, Hebel, Kraftmaschinen usw.\autocite[Vgl.][22]{kornwachs:technik}
Was ist die organisatorische Hülle? „Die organisatorische Hülle einer Technik umfasst alle
Organisationsformen, die notwendig sind, um die Funktionalität eines technischen Artifakts überhaupt ins
Werk setzen zu können“\autocite[23]{kornwachs:technik}. Eben so eine organisatorische Hülle
„konstituiert \textit{eine technologische Funktion zweiter Art},
[\dots]“\autocite[23]{kornwachs:technik} Kornwachs erklärt diese am Beispiel eines Autos, dessen
„organisatorische Hülle das gesamte System vom Straßenverkehrsnetz über die Proliferationssysteme für
Treibstoff und Ersatzteile bis hin zu den rechtlichen Regelungen, [\dots],
[umfasst]“\autocite[23]{kornwachs:technik}.
Aber nicht nur die organisatorische Hülle regelt, wie die Technik eingesetzt wird; auch die Technik prägt
die organisatorischen Hüllen: „Es ist offenkundig, dass die organisatorische Umgestaltung unserer
Zivilisation durch die Informations- und Kommunikationstechnologien keine dieser organisatorischen
Hüllen unberührt lässt.“\autocite[23]{kornwachs:technik}
Die Kernthese der „Grundlinien einer Philosophie der Technik“ ist, dass es sich bei
allen technischen Gegenständen um die Projektion menschlicher Organe handelt. Selbst wenn der Mensch
keine tiefen Erkenntnisse über den Bau seines Körpers hat, projiziert er ihn unbewusst in die von ihm
gemachten Artefakte, „[i]st demnach der Vorderarm mit zur Faust geballter Hand oder mit deren
Verstärkung durch einen fassbaren Stein der natürliche Hammer, so ist der Stein mit einem Holzstiel
dessen einfachste künstliche Nachbildung“.\autocite[52]{kapp:technik} Es ist nicht ungewöhnlich,
zwischen der Technik und den menschlichen Organen und zwischen der Funktionsweise der Technik
und derselben des Organismus Analogien zu bilden. Genauso wie den Vorderarm mit zur Faust geballter Hand
kann man mit einem Hammer vergleichen, kann man zum Beispiel den Computer mit dem Gehirn vergleichen, weil
die Computer viele Operationen wie das Rechnen sogar viel effizienter als das menschliche
Gehirn durchführen können. Bei Kapp geht es aber nicht nur um Ähnlichkeiten und Analogien. Vielmehr
behauptet er, dass die Menschen ihren Organismus und seine Funktionen in die Technik projizieren, sodass
wenn der Organismus anders aufgebaut wäre, anders funktionieren würde, würde auch die Technik
ganz anders aussehen. Und das beansprucht er für alle technischen Gegenstände
ausnahmslos.\autocite[Vgl.][7]{leinenbach:technik}
\subsection{Selbsterkenntnis}
Die Organprojektion ist nicht nur der Gegenstand der Technikphilosophie, sondern auch der
Erkenntnistheorie. Die Produktion der Artefakte ist die Art und Weise, wie der Mensch die Natur
und sich selbst erkennt. Da der Mensch seinen Organismus in die Technik projiziert und die
Technik demzufolge Merkmale dieses Organismus hat, kann er aus der von ihm erschaffenen Technik
sich selbst erkennen. Ein Hammer sieht nicht nur äußerlich dem Arm ähnlich, er hat auch
strukturelle Ähnlichkeiten mit diesem. Ein Hammer besteht aus zwei Teilen: einem Stiel und
einem Kopf. Der untere Teil des Armes besteht genauso aus dem Unterarm, an den die Hand
angeschlossen ist. In der Technik erkennt man dann wieder die Eigenschaften, die man in sie
projiziert hat und erkennt auf diese Weise sich selbst. „Zentrum und Ziel allen Weltgeschehens
ist in Kapps Denken die stetig sich vergrößernde Selbsterkenntnis des Menschen. Die technischen
Artefakte sind Vehikel dieser Selbsterkenntnis: [\dots].“\autocite[36]{fohler:techniktheorien}
So wird der Mensch zum „Maß der Dinge“\autocite[Vgl.][73]{kapp:technik}, weil alles, was
er in die Welt setzt, aus ihm selbst entsprungen ist. Es gibt auch keine andere Quelle der
Erkenntnis als der Mensch selbst.\autocite[Vgl.][73]{kapp:technik}
\begin{quote}
Die Welt der Technik leitet demnach einen Selbstreflexionsprozeß ein, da sie zum einen
bestimmte Entwicklungsstufe des Menschen erfahrbar mache, zum anderen jedoch auch auf das verweise, was den
Menschen möglich sei.\autocite[10]{korte:kapp}
\end{quote}
Eine andere Komponente, die die Selbsterkenntnis kennzeichnet, ist die Sprache, weil „[d]ie Sprache
sagt, welche Dinge sind und was sie sind, [\dots]“\autocite[60]{kapp:technik}. Und sie ist auch ein
Produkt der Organprojektion. Kapp behauptet, dass die Bezeichnungen für die Gegenstände
aus der Tätigkeit der Organe entstanden seien. So habe das Wort \textit{Mühle}
seine Wurzel im indoeuropäischen \textit{mal} oder \textit{mar}, was soviel wie „mit den Fingern
zerreiben“ oder „mit den Zähnen zermalmen“ bedeutet
habe.\autocite[Vgl.][57\psq]{kapp:technik}
\subsection{Terminus „Technik“}
Hier wird es deutlich, dass es Kapp nicht bloß um den Einfluss der Technik auf die Kultur geht, vielmehr
ist die Technik dasjenige, was die gesamte menschliche Kultur bildet. „Die Technik ist das erste
Kulturereignis. Der Anfang der Herstellung technischer Gegenstände ist der Beginn des Kulturwesens
Mensch.“\autocite[7]{leinenbach:technik}
Um diese These zu verstehen, muss man untersuchen, was Kapp meint, wenn er das Wort
„Technik“ verwendet. Mit der Entwicklung der Technik entwickelt sie auch die
Sprache. Wenn ich heute „Technik“ sage, dann meine ich meistens Computertechnik
oder zumindest irgendeine Maschine, ein Auto, ein Lüftungssystem und dergleichen. Wenn ich über
Werkzeuge in meinem Werkzeugkasten spreche, dann sage ich nicht unbedingt „Technik“
von jenen, es sei denn ich habe elektrische Werkzeuge da, wie ein Elektroschrauber oder eine
Bohrmaschine. Es mag eine Zeit gegeben haben, in der eine Handsäge eine technische
Errungenschaft darstellte. Heute gehört sie aber mehr zur Klasse der Werkzeuge. Das heißt man
unterscheidet meistens in der heutigen Umgangssprache zwischen der Technik und den Werkzeugen.
Es ist überhaupt schwierig, eine Definition der Technik zu entwickeln, die man verwenden könnte,
um zwischen technischen Gegenständen und übrigen zu differenzieren. Ich habe vorher von
den von Menschenhand geschaffenen Gegenständen als von der Technik gesprochen. Aber zählt ein
gemaltes Bild zur Technik? Wohl eher nicht. Es ist Kunst. Ist ein technischer Gegenstand keine Kunst?
Man würde meinen: Nein. Der Ingenieur, der Monate verbracht hat, es zu entwerfen und zu konzipieren,
könnte dem widersprechen. Die Technik hat noch eine weitere Eigenschaft, dass sie einen Nutzen hat.
Allerdings auch die Kunst hat für viele Menschen einen ästhetischen Nutzen. Man kann den
„Begriff“ auf die eine oder andere Weise definieren, aber eine solche Definition wäre
meines Erachtens der Umgangssprache nicht gerecht und würde nicht alle Anwendungsfälle decken.
Wenn man zu diesem Begriff von einer anderen Seite kommt, kann man zwischen zwei Bedeutungen dessen
unterscheiden. Zu einem bezeichnet man Gegenstände als Technik: ein Videorecorder ist Technik, ein
Fernseher ist Technik. Zum anderen spricht man von erlernten Fähigkeiten als von den Techniken. In
diesem Sinne gibt es Maltechniken, Kampftechniken, Lerntechniken und andere Techniken. Der Begriff
hat also noch eine funktionale Seite.
Kapp hat diese Vielfalt des Technischen in seine Philosophie aufgenommen. Es war vorhin davon die
Rede, dass der Mensch seinen Organismus in die Technik projiziert, und bei den ersten Werkzeugen
sieht man gewisse Ähnlichkeit mit den Organen. Aber auch der Umstand, dass die Technik mit einer
Funktion verbunden ist (dass sie eine Fähigkeit bezeichnen kann), ist ihm nicht entgangen.
„An die Stelle der Ähnlichkeit, welche die äußere Gestalt der Organe des Menschen mit deren
gegenständlichen Projekten besitzt, tritt im Fortgang der Entwicklung technischer Gegenstände bis
hin zur Maschine vielmehr die Projektion des organischen
Funktionsbildes, [\dots]“\autocite[61]{leinenbach:technik} Man hat versucht Kapps Theorie
zu widerlegen, indem man nach Artefakten gesucht hat, die keine Ähnlichkeiten mit irgendeinem
Organ aufweisen: das Rad\autocite[Vgl.][84--86]{leinenbach:technik} oder das künstliche
Licht\autocite[Vgl.][88\psq]{leinenbach:technik}.
Das war auch für Kapp offensichtlich, dass nicht alle Werkzeuge und Maschinen äußere Ähnlichkeiten
aufweisen. Vielmehr entfernt sich die Technik im Prozess ihrer Entwicklung von ihrem
ursprünglichen Vorbild. Kapp spricht zum Beispiel von „vergeistigten“ Werkzeugen, die eher
den menschlichen Geist projizieren als seinen Körper. So heißt es von dem Werkzeug der Kommunikation,
der Sprache:
\begin{quote}
In der Sprache hört der Unterschied von Kunstwerk und Werkzeug, der sonst durchweg feststeht,
ganz auf. Indem sie erklärt, was sie selbst ist, übt sie gerade das aus, was sie erklären will. Mithin
ist sie das Werkzeug, sich als ihr eigenes Werkzeug zu begreifen, also ein vergeistigtes Werkzeug,
Spitze und Vermittlung zugleich der absoluten Selbstproduktion des Menschen.\autocite[248]{kapp:technik}
\end{quote}
Die „Spitze“ der Organprojektion sind gar nicht die technischen Artefakte, sondern der
gesamte kulturelle Reichtum, den der Mensch um sich schafft. Nur ist diese kulturelle Bereicherung
ohne Technik nicht möglich. Außer dass Kapp verschiedene Bedeutungen der Technik in seine Theorie
aufnimmt, breitet er diesen Begriff so weit aus, dass er auf jegliche Errungenschaft das Menschen
angewendet werden kann. Solche Verwendung des Begriffes „Technik“ mag zunächst
befremdend erscheinen, aber sie ist unserer Sprache auch nicht vollkommen fremd, denn wir
instrumentalisieren auch geistige Prozesse und sprechen von der Sprache als dem
\textit{Werkzeug} der Kommunikation oder der Logik als dem \textit{Werkzeug} des Denkens.
\subsection{Kapps Menschenbild}
Zwar projiziert sich der Mensch immer in die Technik, aber dieser Prozess wird nie abgeschlossen. Es
gibt immer eine unendliche Kluft zwischen der Natur und dem Mechanismus.
\begin{quote}
[\dots]; der Mechanismus, durch Zusammensetzung von außen zustande gebracht, ist eine „Mache“
der Menschenhand. Der Organismus ist wie die gesamte Welt \textit{natura}, ein Werdendes, der
Mechanismus ist das gemachte Fertige; dort ist Entwicklung und Leben, hier Komposition und
Lebloses.\autocite[68]{kapp:technik}
\end{quote}
Kapp ist kein Materialist und der Mensch ist für ihn kein rein materielles Wesen. Anstatt von der Materie
und dem Geist zu sprechen, spricht Kapp von der Psychologie und der Physiologie, zwei Gegensätze, die die
menschliche Natur in sich vereinigt. Allerdings ist auch keine Trennung dieser zwei Bestandteile möglich.
Man kann auch nicht sagen, dass das eine wichtiger oder wesentlicher wäre als das andere, wie es zum
Beispiel Descartes sieht\footcite[Vgl.][43]{geschichte1718}. Der Mensch ist nur als ein Ganzes möglich und
denkbar: „Psychologie und Physiologie haben lange genug fremd gegen einander getan,
[\dots]“\autocite[19]{kapp:technik}. Auch das kulturelle Gut und die Technik sind nicht sekundär,
obwohl es auf den ersten Blick scheint, als ob die menschliche Existenz auch ohne diese denkbar wäre,
weil sie erst ein Produkt seiner geistigen Aktivität sind. „Einerseits sollen die natürlichen
Organe das Vorbild aller mechanischen Objekte und Ensembles sein, andererseits lässt sich erst durch
deren Strukturen und Funktionen das Wesen der Organe
erkennen.“\autocite[XXXV-XXXVI]{maye:einleitung-kapp}
\subsection{Kritik}
Ganz am Anfang klingt Kapps Theorie sehr plausibel. Bei einfachen Werkzeugen kann man das sich sehr gut
vorstellen, dass der Mensch seine Organe als Muster für die Werkzeuge benutzt hat. Vor allem, weil die
eigene körperliche Kraft nicht ausgereicht hat, musste man einen Weg finden, zu kompensieren, anders
gesagt, man musste seine natürlichen Organe verlängern und verstärken.
Allerdings mit dem Fortschritt der Technologie, wenn die direkte Analogie zwischen dem Organ und
dem Produkt der Menschenhand zu schwanken beginnt, fällt es einem immer schwerer, an die
Organprojektion als eine universelle Theorie zu glauben.
Es liegt in der Natur des Menschen, seine Umwelt immer weiter zu gestalten, und seine Werkzeuge und
Maschinen weiter zu entwickeln. Und auch schwere Maschinen helfen dem Menschen, schwere Arbeiten
auszuführen, die er sonst mit seinen eigenen Organen verrichten sollte. Deswegen können auch sie
als Projektion menschlicher Organe und ihrer Funktionen betrachtet werden. Allerdings wenn Kapp
Beispiele wie „[d]as Netz der Blutgefäße als organisches Vorbild des
Eisenbahnsystems“\autocite[121]{kapp:technik} einführt, stellt sich die Frage, wie es zu
überprüfen ist. Kapp zwar besteht darauf, dass es nicht bloß das „Sinnbildliche der
Allegorie“ ist, sondern das „Sach- und Abbildliche der
Projektion“\autocite[Vgl.][129]{kapp:technik} und versucht das argumentativ
zu stützen\autocite[Vgl.][129--130]{kapp:technik}, seine Argumentation kann jedoch nicht als ein
handfester Beweis gelten.
Die Hauptschwäche dieser Theorie ist ihre Überprüfbarkeit. Ich kann höchstens auf bestimmte
Ereignisse oder Artefakte hinweisen und sie zum Vorteile der Theorie deuten, aber meine
Behauptung lässt sich nicht empirisch überprüfen. Ich kann nur versuchen sie plausibler als
die Alternativen zu machen. Vor allem geschieht die Organprojektion nach Kapp
\textit{unbewusst} und weist sich erst im Nachhinein als solche aus. Und um den Ursprung und
die Art unbewusster geistiger Vorgänge lässt sich nur spekulieren.
Des Weiteren war Kapp auf die Technik seiner Zeit beschränkt. Er konnte selbstverständlich
nicht voraussehen, welche Herausforderungen die künftige Technik mit sich bringt, und ob die
Theorie entsprechend angepasst werden soll. Der Glaube an den Menschen als ein einzigartiges
Geschöpf der Natur wird immer schwächer. Vielleicht ist er gar nicht so einzigartig, vielleicht
kann man ihn nachbauen, vielleicht kann man das, was in seinem Kopf vorgeht, auf eine Reihe
von Algorithmen reduzieren. Immer mehr Menschen glauben, dass es sehr bald möglich sein wird.
Für Kapp war der Mensch noch der einzige Schöpfer seiner Technik:
\begin{quote}
Niemals ist aber bei irgendeiner Maschine die Menschenhand völlig aus dem Spiele; denn auch
da wo ein Teil des Mechanismus sich gänzlich ablöst, wie der Pfeil, die Gewehrkugel, die dem
Schiffbrüchigen die rettende Leine überbringende Rakete, ist die Abweichung nur vorübergehend und
scheinbar.\autocite[64\psq]{kapp:technik}
\end{quote}
Die Technik, die immer menschlicher wird, macht darüber nachdenklich, ob der Mensch diesen Status
für die gesamte Zeit seiner Geschichte behalten kann. Andererseits das Sprechen über die Maschinen,
die man von einem Menschen nicht mehr unterscheiden kann, ist auch nur noch eine Spekulation. Und
es ist meines Erachtens noch zu früh, sie als ein Argument gegen Kapps Ansichten auszuspielen.
Schließlich hat auch die höchste entwickelte Technik ihren Ursprung im Menschen und ist Folge
seiner Leistung, wie es Kapp auch sagt. Das heißt, wenn eine Maschine ohne menschliche
Teilnahme andere Maschinen produzieren kann, so wurde sie so konstruiert, um diese Aufgabe
zu erfüllen. Es wird inzwischen über die Maschinen spekuliert, die auch geistige Leistungen
des Menschen übernehmen können, die zum Beispiel selbst programmieren können, und so andere
Maschinen hervorbringen, die nicht nur nach einem bestimmten Plan konstruiert sind, sondern
tatsächlich neue Technik darstellen. Aber selbst in diesem Fall soll solche Intelligenz erstmal
künstlich geschaffen werden, sie würde ihre Existenz immer noch dem Menschen verdanken. Das ist,
denke ich, die Tatsache, auf die Kapp hinweisen wollte.
Man darf auch nicht vergessen, dass obwohl wir Technik bauen und verwenden, darüber zu
reflektieren, warum wir sie eigentlich brauchen und warum wir so bauen, wie wir sie bauen, keine
einfache Aufgabe ist, die lückenlos gelöst werden kann. Deswegen verdient Kapps
Theorie Aufmerksamkeit als ein möglicher Lösungsansatz.
\subsection{Kapps Technikphilosophie in Anwendung auf die nachfolgende Geschichte der Technik}
Das Kapitel, in dem Harald Leinenbach über die Rezeptionsgeschichte der Organprojektionstheorie spricht,
nennt er „Die Grundlinien einer Philosophie der Technik“
„Kapps mystisches Blendwerk“\autocite[60]{leinenbach:technik}, womit er andeuten will,
wie das Werk meistens rezipiert wurde.
„Dabei finden sich Erwähnungen der Organprojetionstheorie meist bloß in knappen
Randbemerkungen. Kapps Technikphilosophie ist nirgends aufgenommen, geschweige denn konstruktiv
weitergeführt worden.“\autocite[61]{leinenbach:technik} Als Grund gibt Leinenbach an, dass
Kapp von seinen Gegnern immer missverstanden wurde, dass man seine Theorie nicht zu Ende denkt, sondern
sich „hauptsächlich am Organprojektionsstatus der technischen
Gegenstände“\autocite[60\psq]{leinenbach:technik} aufhält, und
sobald man eine Maschine findet, die äußerlich dem menschlichen Organismus nicht ähnlich ist, hört
man auf und lehnt die Theorie als unzureichend ab. Dazu kommen noch Begriffe wie das Unbewusste, mit
denen Kapp gearbeitet hat.\autocite[Vgl.][64]{leinenbach:technik} Besonders in der Zeit, in der die
Künstliche Intelligenz entwickelt wird, scheint die Hoffnung zu wachsen, das Unbewusste aus der Welt
zu schaffen, und alles Menschliche ohne Rest technisch reproduzieren zu können.

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---
layout: post
date: 2017-07-22 19:51:00
tags: Gedicht
title: Du bist von anderen umringt…
teaser: |
<p>
Du bist von anderen umringt;<br>
Ich weiß, mein Weg ist nicht so eben.<br>
Wenn man sich auf ihn begibt,<br>
liegen rum nur laute Scherben.
</p>
<p>
Er führt uns trotzdem zum Altar<br>
und entfernt das letzte Siegel,<br>
dass nichts im All ein Zufall war,<br>
und dass das Sein den Tod besiege.
</p>
---
\textit{Katja M. S. B.}
Du bist von anderen umringt;\\
Ich weiß, mein Weg ist nicht so eben.\\
Wenn man sich auf ihn begibt,\\
liegen rum nur laute Scherben.
Er führt uns trotzdem zum Altar\\
und entfernt das letzte Siegel,\\
dass nichts im All ein Zufall war,\\
und dass das Sein den Tod besiege.

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@@ -0,0 +1,13 @@
---
layout: post
date: 2017-07-01 09:14:00
tags: Gedicht
title: Ehe für alle
teaser: |
<p>
„Ehe für alle!“ - heuchelte der Wind,<br>
wo nämlich Scheidungen in Mode sind.
</p>
---
„Ehe für alle!“ — heuchelte der Wind,\\
wo nämlich Scheidungen in Mode sind.

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@@ -0,0 +1,770 @@
---
layout: post
date: 2017-10-01 00:00:00
tags: Aufsatz
title: Was ist Technik? Eine Auseinandersetzung mit dem Technikkonzept von Ernst Kapp
teaser:
<p>Im vorliegenden Artikel geht es um die Anwendung des Technikkonzepts von Ernst Kapp auf die
heutige Technik. Eines der Gebiete, dessen Entwicklung für die Moderne unentbehrlich ist, ist die
Computertechnik. Wobei ich einen breit gefächerten Computerbegriff benutzen möchte.
Computer werden immer universeller und können immer mehr Aufgaben ausführen, deswegen sind sie bereits
ein Teil vieler Bereiche unseres Daseins. Sie werden vorprogrammiert, um anhand gegebener Daten bestimmte
Aktionen auszuführen. In diesem Sinne ist nicht nur ein Laptop ein Computer, sondern auch ein Handy;
genauso ist ein Roboter ein komplexer Computer.</p>
---
Im vorliegenden Artikel geht es um die Anwendung des Technikkonzepts von Ernst Kapp auf die
heutige Technik. Eines der Gebiete, dessen Entwicklung für die Moderne unentbehrlich ist, ist die
Computertechnik. Wobei ich einen breit gefächerten Computerbegriff benutzen möchte.
Computer werden immer universeller und können immer mehr Aufgaben ausführen, deswegen sind sie bereits
ein Teil vieler Bereiche unseres Daseins. Sie werden vorprogrammiert, um anhand gegebener Daten bestimmte
Aktionen auszuführen. In diesem Sinne ist nicht nur ein Laptop ein Computer, sondern auch ein Handy;
genauso ist ein Roboter ein komplexer Computer.
\section{Datenverarbeitung. Mensch und Maschine}
Ein Computer ist vor allem ein Rechner. Es kommt einem so vor, als ob die Computer ganz
verschiedene Informationsarten verwalten, bearbeiten und speichern können: Text, Musik, Bilder.
\begin{quote}
Trotzdem ist ein Computer ein Gerät, das Probleme durch Berechnungen löst: Er kann nur
diejenigen Sachverhalte „verstehen“, die man in Form von Zahlen und mathematischen
Formeln darstellen kann. Dass es sich dabei heute auch um Bilder, Töne, Animationen, 3-D-Welten
oder Filme handeln kann, liegt einfach an der enormen Rechengeschwindigkeit und Kapazität moderner
Rechner.\autocite[35]{kersken:fachinformatiker}
\end{quote}
Natürlich ist das nicht die grundlegendste Ebene:
der Arbeitsspeicher und Prozessor wissen nichts von den Zahlen und der Arithmetik, aber die Mathematik ist
trotzdem von fundamentaler Bedeutung für die logische Funktionsweise von Programmen.
\subsection{Darstellung der Daten im Computer. Zahlensysteme und das Zählen}
Wenn man einen Text, ein Musikstück oder ein Bild speichern will, werden sie als eine Zahlenfolge
interpretiert, und nicht eine Folge von Buchstaben, Noten oder Farben, wie sie für den Menschen
erscheinen. Ein wichtiger Unterschied zum vom Menschen eingesetzten dezimalen Zahlensystem ist, dass
für das Programmieren der Computer ein binäres Zahlensystem verwendet wird. Für das Rechnen verwenden
wir ein Zahlensystem mit 10 Ziffern, von 0 bis 10, daher der Name „dezimal“. Das binäre
Zahlensystem hat nur 2 Ziffern: 0 und 1, funktioniert aber wie ein dezimales oder jedes andere
Zahlensystem, und lässt sich in jedes andere Zahlensystem übersetzen. Beim Zählen um eine Nummer
größer als 9 zu erzeugen, setzt man sie aus mehreren Ziffern zusammen.
\noindent\begin{tabular}{cccccccccc}
\addlinespace[2em]
\toprule
& \multicolumn{9}{l}{\textbf{Ziffern des Dezimalsystems}} \\
\midrule
0 & 1 & 2 & 3 & 4 & 5 & 6 & 7 & 8 & 9 \\
\bottomrule
\addlinespace
\end{tabular}
\noindent\begin{tabular}{cc}
\addlinespace[2em]
\toprule
& \textbf{Ziffern des Binärsystems} \\
\midrule
0 & 1 \\
\bottomrule
\addlinespace[2em]
\end{tabular}
Im binären Zahlensystem ist es genauso mit dem Unterschied, dass die zusammengesetzten Nummern
bereits nach 1 folgt, weil es keine 2 gibt, so zählt man folgendermaßen: 0, 1, 10, 11, 100, 101, 110,
111 und so weiter. Jeder Zahl in dieser Folge kann man eine dezimale Zahl zuordnen: 0 ist 0, 1 ist 1,
10 ist 2, 11 ist 3, 100 ist 4 und so weiter.
\noindent\begin{tabular}{lcccccccccc}
\addlinespace[2em]
\toprule
& \multicolumn{9}{c}{\textbf{Zuordnung}} \\
\midrule
Dezimal & 0 & 1 & 2 & 3 & 4 & 5 & 6 & 7 & 8 \\
\midrule
Binär & 0 & 1 & 10 & 11 & 100 & 101 & 110 & 111 & 1000 \\
\bottomrule
\toprule
Dezimal & 9 & 10 & 11 & 12 & 13 & 14 & 15 & 16 & 17 \\
\midrule
Binär & 1001 & 1010 & 1011 & 1100 & 1101 & 1110 & 1111 & 10000 & 10001 \\
\bottomrule
\addlinespace[2em]
\end{tabular}
Das dezimale Zahlensystem ist kaum etwas
Eingeborenes, wir hätten auch binär, oktal oder hexadezimal rechnen können, aber die Wahl des
Zahlensystems ist auch nicht zufällig. Kapp argumentiert, dass der Wahl des Zahlensystems die Tatsache
zugrunde liegt, dass Menschen ihre Finger zum Zählen verwendeten und auch bis heute verwenden:
\begin{quote}
Der Ausdruck für die Menge der Maßeinheiten derselben Art, die \textit{Zahl}, wurde, wie noch heute zur
Unterstützung des Zählens geschieht, an den fünf Fingern abgezählt. Das griechische Wort für dieses Zählen
nach Fünfen war \textgreek{πεµπάζειν}, „fünfern“. Die zehn Finger lieferten das Dezimalsystem
und die zehn Finger mit Zugabe der beiden Hände des Duodezimalsystem.\autocite[75]{kapp:technik}
\end{quote}
Das heißt, man hat die Besonderheit seines Organismus verwendet, um sich das Zählen beizubringen. Beim
Entwickeln der Computertechnik hat man auf ein gut vertrautes System zurückgegriffen und es nur
entsprechend modifziert. Die Hardware hat keine Finger, aber dafür elektronische Schaltungen, die zwei
Zustände haben können: „Ein“ und „Aus“, die den beiden Ziffern des binären
Zahlensystems entsprechen. „Die grundlegenden Funktionen, die im Computer stattfinden, lassen
sich sehr leicht als elektrische Schaltpläne darstellen.“\autocite[85]{kersken:fachinformatiker}
\vspace{2em}
\noindent\begin{minipage}{.30\linewidth}
\begin{tabular}{ccc}
\toprule
1 & 2 & Oder \\
\midrule
0 & 0 & 0 \\
\midrule
0 & 1 & 1 \\
\midrule
1 & 0 & 1 \\
\midrule
1 & 1 & 1 \\
\bottomrule
\end{tabular}
\end{minipage}
\begin{minipage}{.65\linewidth}
\centering
\includegraphics[scale=0.5]{/assets/images/was-ist-technik/or.png}
\captionof{figure}[Logisches Oder durch einfache Schalter]{%
Logisches Oder durch einfache Schalter\autocite[86]{kersken:fachinformatiker}
}
\end{minipage}
\vspace{2em}
\noindent\begin{minipage}{.30\linewidth}
\begin{tabular}{ccc}
\toprule
1 & 2 & Und \\
\midrule
0 & 0 & 0 \\
\midrule
0 & 1 & 0 \\
\midrule
1 & 0 & 0 \\
\midrule
1 & 1 & 1 \\
\bottomrule
\end{tabular}
\end{minipage}
\begin{minipage}{.65\linewidth}
\centering
\includegraphics[scale=0.5]{/assets/images/was-ist-technik/and.png}
\captionof{figure}[Logisches Und durch einfache Schalter]{%
Logisches Und durch einfache Schalter\autocite[86]{kersken:fachinformatiker}
}
\end{minipage}
\vspace{2em}
0 und 1 lassen sich also in eine für die Hardware verständliche Sprache übersetzen. Größere Zahlen
bekommt man, wenn man mehrere Nullen und Einsen zusammensetzt, genauso wie man es vom Dezimalsystem kennt.
Es bleibt herauszufinden, wie man andere Informationen umwandeln kann.
Für einen Text ist es relativ einfach. Genauso wie in der Cäsar-Verschlüsselung kann man jedem Zeichen
eine Zahl zuordnen. Es gibt deswegen sogenannte Kodierungen, Tabellen, die die Konvertierung zwischen
den Zahlen und den Zeichen einer Schriftsprache ermöglichen. Eine der ältesten Kodierungen, die aber
für die moderne Verhältnisse oft nicht mehr ausreicht, ist ASCII\@. Sie besteht aus 128 Zeichen, darunter
sind sowohl die Buchstaben des lateinischen Alphabets (groß und klein separat), als auch Satzzeichen
(Punkt, Komma und so weiter), als auch solche wie das Leerzeichen oder der Zeilenumbruch. Da man
sehr bald einsehen musste, dass man vielmehr Zeichen braucht, um nicht englische Texte kodieren
zu können, sind weitere Zeichenkodierungen entstanden wie UTF-8, UTF-16 oder UTF-32, wobei es auch
viele anderen gibt (windows-1251, koi8-r und so weiter).
\noindent\begin{tabular}{cccccccccccccccc}
\addlinespace[2em]
\toprule
\multicolumn{16}{c}{\textbf{ASCII}} \\
\toprule
97 & 98 & 99 & 100 & 101 & 102 & 103 & 104 & 105 & 106 & 107 & 108 & 109 & 110 & 111 & \dots \\
\midrule
0 & 1 & 2 & 3 & 4 & 5 & 6 & 7 & 8 & 9 & \@: & \@; & < & = & > & \dots \\
\bottomrule
\midrule
65 & 66 & 67 & 68 & 69 & 70 & 71 & 72 & 73 & 74 & 75 & 76 & 77 & 78 & 79 & \dots \\
\midrule
A & B & C & D & E & F & G & H & I & J & K & L & M & N & O & \dots \\
\bottomrule
\toprule
97 & 98 & 99 & 100 & 101 & 102 & 103 & 104 & 105 & 106 & 107 & 108 & 109 & 110 & 111 & \dots \\
\midrule
a & b & c & d & e & f & g & h & i & j & k & l & m & n & o & \dots \\
\bottomrule
\addlinespace[2em]
\end{tabular}
Darstellung der Graphik ist recht ähnlich. Zunächst muss man ein Bild in die einzelnen
„Buchstaben“ zerlegen. Im Falle der Graphik nennt man so einen „Buchstaben“
ein \textit{Pixel}. Ein Pixel ist ein Bildpunkt. Die Pixel sind so klein, dass das menschliche
Auge gar nicht merkt, dass ein Bild aus sehr vielen Pixeln zusammengesetzt wird, obwohl vor 30
Jahren auf den alten Bildschirmen das noch zu sehen war. Da jedes Pixel eine eigene Farbe haben
kann, muss jeder Farbe eine Zahl zugeordnet werden, die die jeweilige Farbe repräsentieren würde.
Deswegen gibt es auch hier etwas etwas, was den Kodierungen der Buchstaben entpricht: Farbmodelle.
Eines der am meistverbreiteten ist RGB (\textbf{R}ed, \textbf{G}reen, \textbf{B}lue).
Die Farben entstehen aus Mischung der drei Grundfarben: Rot, Grün und Blau. Jeder der Grundfarben
wird eine Zahl von 0 bis 255 zugeordnet, die der Intensivität der jeweiligen Farbe entspricht. Und
man kann dann im Endeffekt jede Farbe als drei Zahlen jeweils von 0 bis 255 kodieren. Schwarz ist zum
Beispiel [0, 0, 0] (alle Farben fehlen), Rot ist [255, 0, 0] (Rot hat den maximalen Wert, die anderen
Farben sind nicht vorhanden), Gelb: [0, 255, 255] (Rot ist nicht vorhanden, Grün und Blau haben den
maximalen Wert). Auch hier gilt es, dass es noch weitere Farbmodelle gibt, zum Beispiel
\textit{CMYK}.
\noindent\begin{tabular}{ccccc}
\addlinespace[2em]
\toprule
Rot & Grün & Blau & Schwarz & Weiß \\
\midrule
(255, 0, 0) & (0, 255, 0) & (0, 0, 255) & (0, 0, 0) & (255, 255, 255) \\
\bottomrule
\toprule
Gelb & Pink & Dunkelgrün & Orange & Grau \\
\midrule
(0, 255, 255) & (255, 192, 203) & (0, 100, 0) & (255, 165, 0) & (190, 190, 190) \\
\bottomrule
\addlinespace[2em]
\end{tabular}
Die Übersetzung der Informationen, Wahrnehmungen in eine für den Computer verständliche Form (in die
digitale Form) heißt Digitalisierung. Dementsprechend, wenn man ein Ereignis mit einer Digitalkamera
aufnimmt, wird die Aufname digitalisiert.
\begin{quote}
In der Natur liegen alle Informationen zunächst in analoger Form vor: Das Bild, das Sie sehen,
oder der Ton, den Sie hören, besitzt prinzipiell keine kleinste Informationseinheit oder Auflösung.
Mit dieser Art von Informationen kann ein Computer heutiger Bauart nichts anfangen. Die besonderen
Eigenschaften der Elektronik haben dazu geführt, dass Computer digital entworfen wurden.
„Digital“ stammt vom englischen Wort \textit{digit} („Ziffer“); dieses Wort
ist wiederum vom lateinischen \textit{digitus} („Finger“) abgeleitet, da die Finger von
jeher zum Zählen eingesetzt wurden.\autocite[52]{kersken:fachinformatiker}
\end{quote}
Es gibt mindestens einen sprachlichen Zusammenhang zwischen dem Zählen, das nach Kapp eines der Produkte
der Organprojektion ist, und der digitalen Technik. Wenn man aus dem Fenster schaut, zählt man nicht die
einzelnen Farben und unterteilt nicht das Gesehene in die kleinsten Bestandteile. Es ist nicht bekannt, ob
die Natur überhaupt in die kleinsten Bausteine zerlegt werden kann. Es gibt auch eine Reihe von Emergenztheorien,
die behaupten, dass die Natur mehr ist, als die Summe ihrer Teile.
Von der Emergenz spricht man, wenn auf höheren Ebenen der Entwicklung Eigenschaften entstehen, die auf
niedrigieren Ebenen nicht vorhanden waren und die nicht auf etwas noch grundlegenderes reduzierbar sind.
\begin{quote}
Leben etwa ist eine emergente Eigenschaft der Zelle, nicht aber ihrer Moleküle; Bewusstsein ist
eine emergente Eigenschaft von Organismen mit hoch entwickeltem Zentralnervensystem; Freiheit ist eine
emergente Eigenschaft des menschlichen Organismus. Die einfacheren Lebensformen bilden zwar die Grundlage
für die komplexeren; doch mit jedem Zusammenschluss zu einem neuen System entstehen auch qualitativ neue
Eigenschaften, die es bei den vorangehenden Stufen noch nicht gab.“\autocite[93]{kather:leben}
\end{quote}
Wir nehmen solche Systeme als eine Ganzheit wahr. Ein schöner Baum vermittelt uns kein
ästhetisches Gefühl mehr, wenn er in Moleküle oder Atome zerlegt wird. Computer degegen, um solche
Eindrücke verarbeiten und speichern zu können, zerlegen sie sie in Informationseinheiten. Damit das Bild
eines Baumes auf meiner Festplatte gespeichert werden kann, muss es in möglichst kleine Punkte,
von denen jedem eine Farbe zugeordnet wird, zerlegt werden, diese Bildpunkte oder Pixel müssen dann abgezählt
werden und dann können sie gespeichert werden. Deswegen macht die Abstammung des Wortes
„Digitalisierung“ vom „Finger“ als dem Organ, das beim Zählen
Abhilfe schuf, immer noch Sinn: Bei der Digitalisierung werden die Elemente, zum Beispiel eines Bildes,
abgezählt, weil nur eine endliche Anzahl von Elementen aufgenommen werden kann, und dann gespeichert.
Andererseits, obwohl wir unsere Umwelt als eine Ganzheit wahrnehmen, besteht die Natur aus kleineren
Bausteinen. Der menschliche Körper besteht aus Molekülen, Atomen, Elementarteilchen. Und genauso hat
man die Welt der Informationstechnologien aufgebaut. Es gibt immer eine Informationseinheit (ein
Buchstabe, ein Pixel), aus deren Zusammenstellung ein komplexeres Gebilde entsteht (ein Text oder ein
Bild). Wie ein Atom aus Protonen, Neutronen und Elektronen besteht, können auch solche
„Informationseinheiten“ weiter zerlegt werden. Der Buchstabe „A“ des lateinischen
Alphabets hat den ASCII-Code 65. 65 ist größer als 1, ist also nicht direkt repräsentierbar. In der
binären Darstellung enspricht der Zahl 65, die Zahl 0100 0001. 0 oder 1 in dieser Folge heißen ein
\textit{Bit}. Eine Folge aus 8 Bits ist ein \textit{Byte}. Ein Bit ist die kleinste Einheit für den
Computer. Man braucht also ein Byte, um 65 oder „A“ speichern zu können. Und dieses Byte ist
in noch kleinere „Elementarteilchen“, Bits, zerlegbar. Wenn die Technik in der Tat die
unbewusste Projektion des menschlichen Organismus sein soll, dann ist die Art, wie die Verarbeitung der
Daten im Computer abläuft, noch ein Beleg dafür.
Der Organprojektion verdankt man nach Kapp die Fähigkeit zu zählen. Diese Fähigkeit hat dem Menschen
ermöglicht die Welt zu ermessen. Man hat gelernt Gewicht und Abstand zu messen. Mit der Einführung des
Geldes kann man den Reichtum messen. Und heute kann man auch Informationen messen. Für das Messen
des Abstandes wurden Einheiten eingeführt wie Millimeter, Zentimeter, Meter oder Kilometer; für diese
des Gewichtes --- Gramme und Kilogramme. Um die Informationen digital darstellen zu können, müssen
sie auch messbar sein. Die kleinste Informationseinheit ist ein Bit. Mit einem Bit ist nur ein 0 oder
1 darstellbar. Eine Folge aus 8 Bits ist ein Byte. 1000 Bytes (B) sind ein Kilobyte. 1000 Kilobytes (KB)
sind ein Megabyte (MB). Es gibt dann Gigabytes (GB), Terrabytes (TB), Petabytes (PB) und so weiter. Es
gibt auch Masseinheiten die auf Besonderheit der Computer-Technik abgestimmt und vom binären
Zahlensystem abgeleitet sind: 1 Kibibyte (KiB) = 1024 (2$^{10}$) Byte, 1 Mebibyte (MiB) = 1024 KiB und
so weiter. Aber die Grundlage bleibt immer dieselbe: Man hat ein Zahlensystem, das dazu verhilft, die
Information „abzählbar“ zu machen, damit man sie digital verarbeiten kann.
\subsection{Alte Prinzipien im Lichte der neuen Technik}
Maßeinheiten, Zahlen, Zahlensysteme kannte man vor der Elektrotechnik. Mit der Entwicklung der Technik
hat man nur gelernt, sie anders einzusetzen. Das kann einerseits rechtfertigen, dass die
Spekulationen der Technikphilosophie nicht vergänglich sind, dass sie mit dem Fortschritt der Technik
nicht notwendig veraltet werden. Andererseits kann es auch für die Organprojektion sprechen, weil
der eigene Organismus dasjenige ist, was den Menschen durch seine Geschichte begleitet hat, sodass
die Erkenntnisse, die er aus seinem Organismus gewonnen hat, bestehen bleiben und nur erweitert,
korrigiert und neu angewendet werden.
Auch von der Möglichkeit, Texte zu „digitalisieren“, konnte man sehr früh Gebrauch machen,
und zwar im Zusammenhang mit der Kryptographie, das heißt der Verschlüsselung und Entschlüsselung von Daten.
Den Bedarf, Nachrichten verschlüsselt zu verschicken, gibt es wohl mindestens so lange, wie es Kriege gibt.
Eines der ältesten Verschlüsselungsverfahren wird Cäsar zugeschrieben:
\begin{quote}
Julius Caesar is credited with perhaps the oldest known symmetric cipher algorithm. The so-called
\textit{Caesar cipher} --- [\dots] --- assigns each letter, at random, to a number.
This mapping of letters to numbers is the key in this simple algorithm.\autocite[30\psq]{davies:tls}
\end{quote}
Was sich in den letzten Jahren geändert hat, ist, dass die Kryptographie nicht nur für bestimmte Gruppen
(wie die Militär) interessant ist. Wenn man die Website seiner Bank, ein soziales Netzwerk oder seine
Lieblingssuchmaschine besucht, werden die eingegebenen Daten verschlüsselt vor dem Versenden und dann am
anderen Ende, vom Empfänger (der Bank, dem sozialen Netzwerk oder der Suchmaschine), entschlüsselt.
Bei der Cäsar-Verschlüsselung wird jeder Buchstabe eines geordneten Alphabets um mehrere Positionen nach
rechts verschoben. „Verschieben“ heißt, einen Buchstaben mit einem anderen zu ersetzen,
der $n$ Positionen weiter vorkommt. $n$ heißt dann \textit{Schlüssel} (\textit{key}). Zum Beispiel, wenn
jedes Zeichen des Klartextes um 2 Positionen nach rechts verschoben werden muss, wird \textit{A}
zu \textit{C}, \textit{B} zu \textit{D}, \textit{Z} zu \textit{B} usw. Um den Text dann wieder zu
entschlüsseln, muss man die Anzahl der Positionen kennen, um die jedes Zeichen verschoben wurde,
damit man das rückgängig machen kann (also um $n$ \textbf{nach links} verschieben). Dies ist
ein \textit{symmetrischer} Algorithmus, weil für die Verschlüsselung und die Entschlüsselung derselbe
Schlüssel $n$ verwendet wird: Bei der Verschlüsselung muss man um $n$ Positionen nach rechts verschieben,
bei der Entschlüsselung --- um $n$ Positionen nach links.
Symmetrische Kyptographie wird immer noch weit eingesetzt. Wenn auch die modernen Algorithmen (Data Encryption
Standard, Advanced Encryption Standard u.Ä.\autocite[Vgl.][30\psqq]{davies:tls}) etwas komplexer
sind, funktionieren sie sehr ähnlich:
\begin{quote}
With symmetric cryptography algorithms, the same key is used both for encryption and decryption. In some
cases, the algorithm is different, with decryption „undoing“ what encryption did. In other
cases, the algorithm is designed so that the same set of operations, applied twice successively, cycle
back to produce the same result: [\dots].\autocite[30]{davies:tls}
\end{quote}
Das heißt die Computerindustrie hat unsere Denkweise nicht kardinal geändert. Man hat mit der Technik nicht
eine komplett neue Welt erschaffen, sondern man hat nach Wegen gesucht, erpobte Vorgehensweisen auf die neue
Technik anzuwenden. Für die Techniktheorien, wie die von Kapp, kann es bedeuten, dass sie nicht komplett
von der zu jeweiliger Zeit vorhandenen Technik abhängig. Ein vor Jahrtausenden entwickeltes
Verschlüsselungskonzept findet immer noch Anwendung unter ganz anderen Bedingungen. Natürlich kann die
Cäsar-Verschlüsselung nicht mehr eingesetzt werden, sie ist anfällig für die sogenannten
„Brute-Force-Angriffe“: Ausprobieren aller möglichen Kombinationen oder Schlüssel. Für einen
deutschen Text gibt es höchstens 30 Schlüssel, die man ausprobieren soll, um einen Text zu entschlüsseln
(wenn man annimmt, dass das deutsche Alphabet 30 Buchstaben hat). Ein moderner Rechner kann diese Aufgabe
in Sekunden lösen. Deswegen wurden Algorithmen entwickelt, die auch von einem Computer nicht so einfach
rückängig zu machen sind, wenn man den Geheimschlüssel nicht kennt. Sie basieren aber auf derselben Grundlage
und auch die kann man theoretisch durch das Ausprobieren aller möglichen Schlüssel umgehen, nur dass es
auch für leistungstärkste Rechner Jahre und Jahrzehnte in Anspruch nehmen würde, dies durchzuführen.
\subsection{Eric Kandel. „Auf der Suche nach dem Gedächtnis“}
Wenn man eine Stufe tiefer geht und die Computertechnik auf der mechanischen Ebene betrachtet, findet
man noch weitere Argumente für Kapps These.
Bei einer oberflächlichen Betrachtung fällt einem sofort auf, dass die Computer komplexe Maschinen sind,
die aus mehreren Bauteilen bestehen.
\begin{quote}
Die Hardware besteht grundsätzlich aus Zentraleinheit und Peripherie. Zur Zentraleinheit zählen vor
allem der Mikroprozessor, der Arbeitsspeicher (RAM), die verschiedenen Bus- und Anschlusssysteme sowie
das BIOS\@. Zur Peripherie gehören sämtliche Bauteile, die zusätzlich an die Zentraleinheit angeschlossen
werden; sie dienen der Ein- und Ausgabe sowie der dauerhaften Speicherung von
Daten.\autocite[115\psq]{kersken:fachinformatiker}
\end{quote}
Der menschliche Organismus hat auch eine „Peripherie“, zu der die „Bauteile“ gehören,
die der „Ein- und Ausgabe“ dienen. Ein Eingabegerät eines Rechners ist zum Beispiel eine
Tastatur oder Maus. Man tippt etwas ein, die Informationen werden an die Zentraleinheit weitergeleitet
und dort verarbeitet. „Eingabegeräte“ des menschlichen Körpers sind seine Sinnesorgane, unter
anderem seine Augen und Ohren. Man nimmt die Informationen aus der Außenwelt auf und sie werden zu seiner
„Zentraleinheit“ weitergeleitet und dort verarbeitet. Zu Ausgabegeräten zählen
der Bildschirm und die Lautsprecher. Das „Ausgabegerät“ des Menschen ist
beispielsweise sein Mundwerk.
Zur Zentraleinheit gehört der Mikroprozessor (Central Processing Unit, kurz
CPU)\autocite[Vgl.][119]{kersken:fachinformatiker},
„das eigentliche Herzstück des Computers, das für die Ausführung der Programme sowie für die
zentrale Steuerung und Verwaltung der Hardware zuständig
ist.“\autocite[119]{kersken:fachinformatiker} Das, was für die Maschine der Mikroprozessor ist, ist für
den Menschen sein Gehirn: „[\dots] alle Zellen [haben] spezialisierte Funktionen. Leberzellen
beispielsweise führen Verdauungsaktivitäten aus, während Gehirnzellen über bestimmte Mittel verfügen,
Informationen zu verarbeiten und miteinander zu kommunizieren.“\autocite[74]{kandel:gedaechtnis}
Der menschliche Körper besteht also aus verschiedenartigen Zellen, die für bestimmte Aufgaben zuständig
sind. Man kann auch ein ähnliches Aufbaukonzept bei einem Rechner beobachten. Abgesehen vom Mikroprozessor
kann er auch weitere Bestandteile wie die Grafikkarte oder Audiokarte, die zur Peripherie gehören, oder
der Arbeitsspeicher, der ein Teil der Zentreinheit ist, haben.\autocite[Vgl.][120]{kersken:fachinformatiker}
Und diese Bestandteile haben auch ihre spezifischen Funktionen, wie die Video- oder Audioverarbeitung.
Der Mikroprozessor ist allerdings das „Gehirn“ eines Rechners. Man kann sich einen Desktop-PC
ohne eine Grafikkarte (der also nichts auf den Bildschirm ausgeben kann) kaum vorstellen. Es gibt
aber auch die sogenannten Server, Computer, die bestimmte Dienste anbieten. Zum Beispiel, wenn man eine
Webseite besucht, stellt man hinter den Kulissen eine Anfrage zu einem entfernten Computer, auf dem die
Webseiteninhalte gespeichert sind. So ein Computer ist ein Beispiel eines Servers. Und solche
Serversysteme bedürfen oftmals keine Bildschirmausgabe, ihre Aufgabe ist schlicht, die Anfragen der
Benutzer anzunehmen, die richtigen Inhalte entsprechend der Anfrage auszusuchen und sie an den
Besucher der Webseite schicken, damit er sie auf \textit{seinem} Bildschirm sehen kann. Wenn ein
menschliches Organ „defekt“ ist, seine Funktionen nicht mehr vollständig ausführen kann, dann
führt es zu Einschränkungen der Lebensqualität. Daher gibt es blinde und taube Menschen. Wenn einige
Teile eines Computersystems defekt oder nicht vorhanden sind, dann ist seine Funktionalität auch
eingeschränkt, es kann zum Beispiel keinen Ton wiedergeben oder kein Bild ausgeben. Die Art der
Einschränkung ist aber in den beiden Fällen nicht dieselbe. Kapp hat ja immer auf den Unterschied
zwischen dem Organischen und Mechanischen hingewiesen, darauf, dass wir uns „des Andranges solcher
Ansichten erwehren [müssen], welche den redenden, organisch gegliederten Menschen in den Räder- und
Tastenautomat Hübners einsargen möchten“\autocite[101]{kapp:technik}. Hier tritt die Differenz
zwischen dem Organischen und Mechanischen nochmal ans Licht. Ein Organismus ist ein Ganzes, eine Einheit,
die nicht ohne ein Verlust zerlegt werden kann, hier ist das Ganze mehr als die Summe der Teile. Ein
Mensch kann wunderbar ohne eine Lunge auskommen (wenn man eine Lunge im Folge einer Krebskrankheit
verloren hat). Vielleicht muss man auf manche Sportarten in seinem
Leben verzichten, aber wenn man sowieso keinen Sport treibt, kann es für manche Menschen irrelevant
sein. Und trotzdem wird es als eine Einschränkung betrachtet, als etwas, was normalerweise nicht der
Fall sein soll. Ein Mechanismus dagegen ist die Summe der Teile und nicht mehr als das. Er ist
nach einem Plan gebaut, da gibt es nichts Unbekanntes: „Das physikalische Gesetz deckt allerdings
vollkommen den Mechanismus, nicht aber den Organismus, den wir nur insoweit begreifen, wie wir mit
jenem reichen“\autocite[101]{kapp:technik}. Das Fehlen einiger Komponenten in einem Serversystem,
die in einem Desktop-PC vorhanden sind, wird nicht als eine Einschränkung betrachtet, solange der Server
seine Aufgaben erfüllen kann. Das heißt, solange die Technik ihrem unmittelbaren Zweck dienen kann, ist
sie durch das Fehlen einiger Komponente nicht eingeschränkt. Selbst wenn die Audiokarte meines Rechners
kaputtgeht, ist das mehr eine Einschränkung für mich, weil ich keinen Ton habe, als für meinen Rechner.
Wenn zu Kapps Zeiten die Organtransplantation und die Medizin überhaupt den heutigen Stand der Entwicklung
gehabt hätte, würde er bestimmt noch auf Folgendes aufmerksam machen. Wenn ein technisches Gerät
kaputtgeht, kann man es je nach der Art des Defektes reparieren. Wenn ein Kabel reißt, kann man es
meistens löten, sodass es weiterhin seine Funktion erfüllt. Wenn ein Teil komplexer ist, ist es
oft günstiger, dieses Teil einfach auszutauschen. Nun könnte man mit Kapp argumentieren, dass die
Medizin ihre Entstehung dem verdankt, dass der Mensch gesehen hat, dass er von ihm erzeugte Artefakte
reparieren kann, und daraus geschlossen hat, dass es eine Möglichkeit geben muss, auch den Menschen
zu „reparieren“. Und diese Erkenntnis kann sehr alt sein, da sogar so etwas Einfaches wie
ein Hammer kaputtgehen kann. Als man komplexere Maschinen reparieren musste, könnte einem
eingefallen sein, dass man auch den Organismus durch ersetzen der Organe heilen kann. Im
Gebrauchtwarenhandel (e.g.\ eBay) sind seit einiger Zeit Geräte „für Bastler“ zu kaufen, das heißt
kaputte Geräte, denen man aber noch funktionierende Teile entnehmen kann, um ähnliche Modelle wieder
beleben zu können --- die Möglichkeit, die einem Arzt durch das Vorhandensein eines Organspendeausweises
bei einem Verstorbenen eröffnet wird.
Wie aber ein Mensch nicht ohne Gehirn leben kann, kann ein Computer nicht ohne den Mikroprozessor
funktionieren. Eric Kandel, ein Gehirnforscher unserer Zeit, und ein
Nobelpreisträger,\autocite[Vgl.][11--15]{kandel:gedaechtnis} schreibt in seinem Buch
„Auf der Suche nach dem Gedächtnis“ über drei Prinzipien, auf denen die
Biologie der Nervenzelle beruht:
\begin{quote}
Die \textit{Neuronenlehre}
(die Zelltheorie, auf das Gehirn angewandt) besagt, dass die Nervenzelle --- das Neuron --- der
Grundbaustein und die elementare Signaleinheit des Gehirns ist. Die \textit{Ionenhypothese} betrifft
die Informationsübertragung innerhalb der Nervenzelle. Sie beschreibt die Mechanismen, durch die einzelne
Nervenzellen elektrische Signale, so genannte Aktionspotenziale, erzeugen, die sich innerhalb einer
gegebenen Nervenzelle über beträchtliche Entfernungen ausbreiten können. Die \textit{chemische Theorie der
synaptischen Übertragung} befasst sich mit der Informationsübermittlung zwischen Nervenzellen. Sie beschreibt,
wie eine Nervenzelle mit einer anderen kommuniziert, indem sie ein chemisches Signal, einen Neurotransmitter,
freisetzt. Die zweite Zelle erkennt das Signal und reagiert mit einem spezifischen Molekül, dem Rezeptor, an
ihrer äußeren Membran.\autocite[75\psq]{kandel:gedaechtnis}
\end{quote}
Bei jedem dieser drei Prinzipien handelt es sich um die Informationsübertragung. Der menschliche Körper
ist ein komplexes System, dessen Untersysteme anhand von Signalen miteinander kommunizieren. Wenn ich etwas
berühre, führt es zur Erregung einer Nervenzelle, die das Signal an andere Zellen und an das Gehirn
weiterleitet. Funktional ist das derselbe Prozess, den man auch von Computern kennt: Wenn eine Taste
der Tastatur betätigt wird, muss das über eine Kette der Signale dem Mikroprozessor mitgeteilt werden.
Auch der Sprachgebrauch der Neurobiologie verweist auf die Technik:
„[\dots] Nervenzellen [sind] innerhalb bestimmter Bahnen verknüpft, die er [Santiago Ram\'o y Cajal]
neuronale Schaltkreise nannte.“\autocite[81]{kandel:gedaechtnis}
„Schaltkreis“ ist ein Begriff, der aus der Elektrotechnik kommt und jetzt in der
Neurobiologie Anwendung findet. Kapp ist auch zu seiner Zeit auf eine Reihe von Begriffen aufmerksam
geworden, die zunächst zur Beschreibung der Artefakte verwendet wurden, dann aber für die Beschreibung des
Organismus übernommen wurden:
\begin{quote}
Aus der Mechanik wanderten demzufolge zum Zweck physiologischer Bestimmungen eine Anzahl von
Werkzeugnamen nebst ihnen verwandten Bezeichnungen an ihren Ursprung zurück. Daher spielen in der Mechanik
der Skelettbewegungen Ausdrücke wie \textit{Hebel, Scharnier, Schraube, Spirale, Achsen, Bänder,
Schraubenspindel, Schraubenmutter} bei der Beschreibung der Gelenke eine angesehene
Rolle.\autocite[71]{kapp:technik}
\end{quote}
Es ist bemerkenswert, dass Kandel die elektrische Signalübertragung „die Sprache des
Geistes“\autocite[Vgl.][90]{kandel:gedaechtnis} nennt: „ [\dots] sie ist das Mittel,
mit dessen Hilfe sich Nervenzellen, die Bausteine des Gehirns, miteinander über große Entfernungen
verständigen.“\autocite[90]{kandel:gedaechtnis} Das heißt, dass das, was man der
Computertechnik zugrunde gelegt hat, hat man dann in der Gehirnforschung wiedergefunden: Die Signalübertragung der
anhand elektrischer Signale.
Hier endet allerdings die Ähnlichkeit der Funktionsweise nicht. Elektrische Signale werden bei der
Computertechnik nicht einfach weiter, sondern auch nach Bedarf gestoppt. Zum Beispiel wird logisches
Und mit einer Reihenschaltung mit zwei Schaltern realisiert.\autocite[Vgl.][86]{kersken:fachinformatiker}
Wenn einer der Schalter geschlossen ist, wird das Signal gestoppt, was $0 \wedge 1 = 0$ oder
$1 \wedge 0 = 0$ entsprechen würde. Bei den Nervenzellen kann man einen ähnlichen
„Schaltmechanismus“ entdecken:
\begin{quote}
[\dots] nicht alle Nerventätigkeit [ist] erregend (exzitatorisch) [\dots], dass also nicht alle
Nervenzellen ihre präsynaptischen Endigungen dazu benutzen, die nächste Empfängerzelle in der Reihe zu
stimulieren, damit sie die Information weiterleitet. Einige Zellen sind hemmend (inhibitorisch). Sie
verwenden ihre Endungen dazu, die Empfängerzelle an der Weiterleitung der Information zu
hindern.\autocite[87]{kandel:gedaechtnis}
\end{quote}
Des Weiteren kennen auch die Nervenzellen keine „schwächere“ oder „stärkere“
Signale:
\begin{quote}
Adrians Aufzeichnungen in einzelnen Nervenzellen zeigten, dass Aktionspotenziale dem
Alles-oder-Nichts-Gesetz gehorchen: Sobald die Schwelle für die Erzeugung eines Aktionspotenzial erreicht wird,
ist das Signal stets gleich --- in der Amplitude wie in der Form\autocite[94]{kandel:gedaechtnis}
\end{quote}
\subsection{Asymmetrische kryptographische Algorithmen und die Stellung des Menschen}
Manche Anwendungsbereiche profitieren immer noch sehr stark von der ursprünglichen Tätigkeit der Rechner:
dem Rechnen. Ein solcher Bereich ist die Kryptographie. Als nächstes möchte ich einen kryptographischen Algorithmus
darstellen, der seit einigen Jahrzehnten erfolgreich im Internet eingesetzt wird. Mein Ziel dabei wäre, zu
untersuchen, was die „Denkweise“ einer Maschine von der Denkweise eines Menschen unterscheiden
kann. Kapp hat zwar versucht, die
Organprojektion stark zu machen, aber hat trotzdem geglaubt, dass der Mensch nicht vollständig in
eine Maschine projiziert werden kann, dass er immer Anlagen hat, die in der technischen Welt nicht
vorkommen können.
Algorithmen, die mit einem Geheimwort, einem Geheimschlüssel arbeiten (sogenannte symmetrische Verschlüsselung)
sind im Zeitalter des Internets nicht allein verwendbar. Das Problem ist, dass
die beiden Seiten der Kommunikation einen Geheimschlüssel austauschen müssen. Wenn Sie eine E-Mail
verschicken möchten, können Sie sie verschlüsseln, aber Sie müssen den Geheimschlüssel dem Empfänger
mitteilen, damit er Ihre Nachricht auch entschlüsseln und lesen kann. Wenn Sie den Geheimschlüssel zusammen
mit der Nachricht verschicken, dann geht die ganze Sicherheit verloren, weil, dann jeder, der den Zugriff
zu Ihrer Nachricht bekommt, kann sie auch entschlüsseln. Um dieses Problem zu lösen, wurden
„asymmetrische“ kryptographische Verfahren entwickelt. Sie operieren genauso wie
die Cäsar-Verschlüsselung mit den Schlüsseln, aber für die Verschlüsselung und Entschlüsselung werden
verschiedene Schlüssel verwendet (deswegen nennt man sie asymmetrisch). Deren Funktionsweise ist der
der symmetrischen Algorithmen nicht ähnlich, weil ihnen bestimmte Eigenschaften der Zahlen zugrunde liegen.
Streng genommen kann man mit deren Hilfe nur Zahlen verschlüsseln und die Tatsache, dass man
viele Informationen in der Form von Zahlen darstellen kann, macht deren Verwendung überhaupt erst möglich.
„By far the most common public-key algorithm is the „RSA“ algorithm, named after its
inventors Ron \textit{Rivest}, Adi \textit{Shamir}, and Leonard
\textit{Adleman}.“\autocite[91]{davies:tls}
RSA ist relativ simpel. Dessen Sicherheit basiert nicht auf komplexen Formeln, sondern darauf, dass es
mit sehr großen Zahlen operiert wird, sodass selbst die leistungsstärksten Rechner Jahrzehnte brauchen
würden, um auf die richtige Antwort zu kommen, ohne den Geheimschlüssel zu kennen. Und das mit Einbeziehung
der Tatsache, dass die Computer immer schneller werden.
Also für die Verschlüsselung und Entschlüsselung werden zwei Schlüssel verwendet, einen davon nennt man
den öffentlichen Schlüssel (\textit{public key}), den anderen --- den privaten Schlüssel (\textit{private
key}). Der öffentliche Schlüssel heißt so, weil er öffentlich gemacht wird. Das eigentliche
„Geheimwort“ ist der private Schlüssel. Stellen wir uns zwei Personen vor, Max und Sven, und
Max will dem Sven eine E-Mail senden. Dafür muss Sven im Besitz der zwei oben genannten Schlüssel sein.
Den öffentlichen Schlüssel stellt Sven dem Max und jedem anderen zur Verfügung, den privaten kennt nur er.
Max verschlüsselt seine Nachricht mit Svens öffentlichem Schlüssel, verschickt sie, und nur der Besitzer
des privaten Schlüssels, Sven, kann die Nachricht entschlüsseln. Der private Schlüssel wird zu keinem
Zeitpunkt verschickt, der bleibt immer bei Sven. So verschwindet das Problem, das man mit der
symmetrischen Kryptographie hat. Man muss nur zwei Schlüssel generieren können, die die Eigenschaft
besitzen, dass, wenn man mit dem einen etwas verschlüsselt, allein der Besitzer des dazugehörigen
privaten Schlüssels, es entschlüsseln kann.
Was sind diese Schlüssel eigentlich? Jeder davon besteht aus je zwei Zahlen:
$e$ und $n$ --- Öffentlicher Schlüssel.
$d$ und $n$ --- Privater Schlüssel.
Wenn $m$ die Nachicht ist, die verschüsselt werden soll, dann funktioniert es, wie folgt:
\begin{equation}
c = m^e \bmod n
\end{equation}
$c$ ist jetzt die verschlüsselte Nachricht. $e$ und $n$ gehören, wie oben beschrieben, zu dem öffentlichen
Schlüssel. $a \bmod b$ berechnet den Rest der Division $a$ geteilt durch $b$. Bei der Entschlüsselung
bedient man sich derselben Formel, nur $e$ wird mit $d$ (die Komponente des privaten Schlüssels) ersetzt:
\begin{equation}
m = c^d \bmod n
\end{equation}
\subsubsection{Beispiel}
Nehmen wir an, Max will Sven die PIN seiner Bankkarte „1234“ übermitteln. Sven hat Max
seinen öffentlichen Schlüssel mitgeteilt (der aus 2 Zahlen besteht):
\begin{gather*}
e = 79 \\
n = 3337
\end{gather*}
Der private Schlüssel von Sven (den nur er kennt, aber nicht Max) ist:
\begin{gather*}
d = 1019 \\
n = 3337
\end{gather*}
Max berechnet:
\begin{equation*}
1234^{79} \bmod 3337 = 901
\end{equation*}
Sven bekommt $901$ und berechnet:
\begin{equation*}
901^{1019} \bmod 3337 = 1234
\end{equation*}
So kann Sven verschlüsselte Nachrichten empfangen, ohne seinen Geheimschlüssel jemandem mitteilen zu
müssen.\autocite[Vgl.][114\psq]{davies:tls} Wenn wir wissen, dass alle Informationen, mit denen ein Computer
arbeiten kann als Zahlen repräsentierbar sind, kann man diese Vorgehensweise für jede vermittels eines
Computers geschehende Kommunikation verwenden.\footnote{Am Rande erwähnt wird die asymmetrische Kryptographie
nicht zur Verschlüsselung der eigentlichen Nachrichten verwendet, es ist zu langsam, um große Mengen
an Informationen zu verschlüsseln, sondern sie wird nur für das \textit{Key Exchange} verwendet.
Die symmetrischen Algorithmen hatten das Problem, dass beide Kommunikationspartner denselben Schlüssel
teilen müssen. Algorithmen, wie RSA, benutzt man, um den Schlüssel eines symmetrischen Algorithmus dem
anderen Kommunikationspartner zu übermitteln. Danach wird die Kommunikation normalerweise symmetrisch
verschlüsselt.}
In dem Beispiel oben wurden sehr kleine Zahlen verwendet. Aber selbst die Berechnungen mit diesen
Zahlen sind für einen Menschen zu komplex (Das Ergebnis von $901^{1019}$ hat über 3000 Stellen).
\begin{quote}
The security of the system relies on the fact that even if an attacker has access to $e$ and $n$ ---
which he does because they're public --- it's computationally infeasbile for him to compute $d$. For
this to be true, $d$ and $n$ have to be enormous --- at least 512 bit numbers (which is on the order of
$10^{154}$) --- but most public key cryptosystems use even larger numbers. 1,024- or even 2,048-bit numbers are
common.\autocite[92]{davies:tls}
\end{quote}
Eine 512-Bit-Zahl ist eine Zahl bis $2^{512}$, eine 1024-Bit-Zahl --- bis $2^{1024}$, 2048-Bit --- bis $2^{2048}$.
Inzwischen wird oft empfohlen, 4096-Bit-Zahlen zu verwenden.
\subsubsection{Diskreter Logarithmus}
Der Modulus $n$ ist das Produkt zweier großer Zahlen $p$ und $q$:
\begin{gather}
n = pq
\end{gather}
Danach muss man die Exponenten $e$ und $d$ so wählen, dass gilt:
\begin{equation}
{(m^e)}^d \bmod n = m
\end{equation}
Man schafft sich Abhilfe mit der \textit{eulerschen Funktion}:
\begin{equation}
\phi(n) = (p - 1)(q - 1)
\end{equation}
Danach wählt man $e$ und $d$, sodass gilt:
\begin{equation}
e \cdot d \bmod \phi(n) = 1
\end{equation}
\begin{quote}
The security in RSA rests in the difficulty of computing first the private exponent $d$
from the public key $e$ and the modulus $n$ as well as the difficulty in solving the equation $m^x\%n = c$ for
m. This is referred to as the \textit{discrete logarithm} problem. These problems are both strongly
believed (but technically not proven) to be impossible to solve other than by enumerating all possible
combinations.\autocite[130]{davies:tls}
\end{quote}
\subsubsection{Kreativität und Intuition}
Die Tatsache, dass der Algorithmus funktioniert, verdankt also RSA nicht einer Kenntnis, sondern
einer \textit{Unkenntnis}, einem mathematischen Problem, für das man keine Lösung hat, von dem
man \textit{glaubt}, dass es keine Lösung hat; und im Zusammenhang mit der Sicherheit kann man vielleicht auch
sagen, dass man \textit{hofft}, dass man keine Lösung findet.
Menschliches Handeln, zumindest so, wie wir es erleben, basiert nicht nur auf Berechnungen. Der Mensch
kann \textit{hoffen}, \textit{glauben}.
Davies schreibt im Bezug auf die asymmetrische Kryptographie Folgendes: „In general, public-key cryptography
aims to take advantage of problems that computers are inherently bad at [\dots].“\autocite[91]{davies:tls}
Er behauptet, dass die Computer grundsätzlich schlecht im
Lösen einiger mathematischer Probleme sind. Das stößt beim ersten Lesen auf Fragen. Eigentlich sind
die Computer oft viel besser in der Mathematik als die Menschen. \textit{Computer Algebra Systems} (CAS)
sind Programme, die für die Arbeit mit algebraischen Ausdrücken entwickelt sind. Sie können alle möglichen
Berechnungen durchführen und Gleichungen lösen. Aber das Lösen der Gleichungen muss
einem CAS zunächst „beigebracht“ werden, es muss unterstützt sein, das heißt ein gewisser Algorithmus
muss implementiert werden, nach dem die Gleichung gelöst werden kann.
Der Mensch sucht aber nicht nur nach Lösungen gewisser mathematischer Probleme, sondern auch nach Problemen
selbst. Das ist ein kreativer Vorgang. Und bei manchen Problemen bleibt einem nichts anderes übrig, als
sich auf seine Intuition zu verlassen, wie im oben aufgeführten Problem. Man muss auch in Betracht ziehen,
dass man in dem Fall mit RSA viel Vetrauen seiner Intuition schenkt, weil die Wichtigkeit der
Sicherheitssysteme für eine Informationsgesellschaft nicht zu unterschätzen ist. Das heißt man muss fest
davon überzeugt sein, dass das Problem des diskreten Logarithmus zumindest nicht sehr bald gelöst werden
kann.
Man kann im Bezug zu Maschinen nicht von der Kreativität, Intuition, einer Überzugung oder einem Glauben
sprechen. Wir haben sie gebaut, wir wissen, wie sie funktionieren, wir wissen, dass sie nichts glauben.
Selbst wenn wir von der Künstlichen Intelligenz sprechen, von den Maschinen, die selbst lernen, und die so
viel gelernt haben, dass wir nicht mehr nachvollziehen können, wie sich die Maschine die einzelnen Inhalte
beigebracht hat, so wissen wir zumindest, wie der Lernprozess selbst funktioniert, dass er nicht auf der
Intuition, sondern auf der kalten Berechnung basiert.
Nun kann es natürlich sein, dass auch der Mensch nichts weiter als ein Bioroboter ist, der nur glaubt,
dass er etwas glauben, von etwas überzeugt sein kann. Dann kann die Maschine den Stand des Menschen
eines Tages einholen und ihn vielleicht sogar überholen. Das ist wohl das wichtigste und das stärkste
Argument gegen Kapps Menschenbild. Dieses Argument hat allerdings auch problematische Seiten. Es sind
ja die Menschen, die alles mit Bedeutung füllen. Ich kann mir auch nicht sicher sein, ob mein Nachbar
etwas fühlt, hofft oder glaubt, oder ob er nur so tut. Erst wenn ich meinen Mitmenschen als solchen
akzeptiere, schreibe ich ihm Eigenschaften zu, die ich selbst als Mensch zu besitzen glaube. Das
heißt, wenn ein Roboter aus der Zukunft genauso aussieht, sich verhält, spricht wie ein Mensch, ist es
immer noch zu wenig, ihn einem Menschen gleichzusetzen, zumindest, wenn der Mensch für mich nicht auf
die physikalischen Eigenschaften reduzierbar ist.
Eine der Möglichkeiten, diesen Sachverhalt zu verdeutlichen, ist ein Gedankenexperiment, das den
Namen „Chinesisches Zimmer“ bekommen hat, der „als Standardargument der Philosophie
des Geistes und der Künstlichen Intelligenz betrachtet werden“ kann.\autocite[8]{dresler:KI}
Man stellt sich ein Computersystem, das chinesisch verstehen kann, es könnte beispielsweise Fragen
auf Chinesisch beantworten, auf Aufforderungen reagieren und so weiter. So ein Programm würde chinesisch
verstehen ohne es zu verstehen.\autocite[Vgl.][8]{dresler:KI} Und das zweite „Verstehen“ ist
eben in dem Sinne jenes Erlebnisses, das wir als Verstehen kennen, gemeint.
Ich behaupte hiermit nicht, dass dieses Argument den Status des Menschen als eines einzigartigen
Wesens rettet; ich will viel mehr zeigen, dass die Frage nach dem Menschsein nicht durch die Entwicklung
der Technik gelöst oder aufgehoben werden kann.
\section{Würdigung}
Kapps Theorie der Organprojektion ist umstritten. Sie hat ihre Schwächen. Diese Schwächen sind
aber nicht dadurch entstanden, dass die Theorie zu alt für die moderne Technik ist, dass sie überholt
ist. Genauso wie zu Kapps Zeiten stößt sie auch heute auf Kritik. Man kann sie genauso in der heutigen
Zeit vertreten mit Einbeziehung neuer Entwicklungen, neuer Beispiele. In gewisser Hinsicht wird die
Organprojektionstheorie durch den Umstand gestärkt, dass sie nicht auf die Zeit ihrer Entstehung
beschränkt geblieben ist, sondern dass immer neue Tatsachen aufgetaucht sind, die ihrer Unterstützung
dienen können.
Die Mechanisierung schreitet fort. Immer noch ist der Streit laut zwischen denen, die glauben, dass
der Mensch eine Maschine ist, die künstlich nachgebaut werden kann, und denen, die das menschliche
Schaffen dem Schaffen der Natur unterordnen. Wobei die Teilung auf diese zwei Lager ist nicht
so eindeutig. Vielleicht wird man tatsächlich eines Tages im Stande sein, einen Roboter zu bauen,
der sich äußerlich und in dem, wie er handelt, vom Menschen nicht unterscheidet. Aber ist er
deswegen mit einem Menschen gleichzusetzen? Hat der Mensch nicht etwas Immaterielles in sich?
Einen Geist oder eine Seele? Die Antwort auf diese Frage kann unterschiedlich ausfallen. Für
Kapp war der Mensch und die Natur etwas, was von der Technik nie nachgeholt werden kann. Die
Entwicklung der Robotertechnik macht schwieriger zu vertreten. Und trotzdem dünkt es mich, dass man
ihn nie als „nicht aktuell“ abtun kann. Schließlich hat die Frage nach dem Status des
Menschen einiges gemeinsam mit der Gottesfrage. Wenn man als Beispiel das Christentum nimmt, ist es
irrelevant, wie viel von der Natur man physikalisch erklären kann, Gott bleibt jenseits der Natur.
Genauso kann es geglaubt werden, dass ein Teil des Menschen immer jenseits der physikalischen
Welt liegt, oder dass der Körper sogar der „Kerker der Seele“ ist, der das Eigentliche
im Menschen festhält, wie es bei Platon auftaucht\autocite[Vgl.][21]{platon:kratylos}. Die
Entwicklung der Technik beeinflusst die Anthropologie, aber es ist schwierig sich vorzustellen, dass
jene diese überflüssig machen kann.
Die ersten Werkzeuge hatten viele Ähnlichkeiten mit den menschlichen Organen. Komplexere Maschinen
waren immer weniger ähnlich, aber haben den Anfang ihrer Entstehungsgeschichte in den einfachen
Werkzeugen. Es ist aufregend zu sehen, wie die äußerliche Ähnlichkeit jetzt zurückkehrt. Man
baut Roboter, die Hände, Beine, die Struktur eines menschlichen Organismus haben, und die ähnlich
wie Menschen lernfähig sind. Der Unterschied ist, dass laut Kapp der Mensch am Anfang seiner Geschichte
sich unbewusst in seine Werkzeuge projiziert hat. Die Entwicklung der Roboter und der
Künstlichen Intelligenz ist hingegen voll bewusst. Man schaut, wie der Mensch sich entwickelt,
wie er lernt, wie er aufgebaut ist, und versucht das technisch zu reproduzieren. Aber das Streben selbst,
auf diese Weise die Natur zu erklären, sie besser zu verstehen, ist bemerkenswert. Kapp hätte auch
hundert Jahre später kaum weniger Argumente gehabt, um seine Theorie zu verteidigen.

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---
layout: post
date: 2017-12-25 00:00:00
tags: Aufsatz
title: Künstliche Intelligenz. Eine Begriffsklärung
teaser:
<p>Es ist relativ neu, dass man angefangen hat, technischen Artefakten menschliche Eigenschaften zuzuschreiben.
So spricht man heute von „intelligenten“ Maschinen. Es gibt intelligente Menschen, die gebildet,
begabt sind. Die Maschinen, Computer werden programmiert, um einen bestimmten Zweck zu erfüllen, sie arbeiten
nach einem vordefinierten Algorithmus. Bestenfalls kann so ein Algorithmus aktualisiert werden.
Wäre es jedoch vielleicht möglich, ein Programm zu schreiben, das das menschliche Lernvermögen nachbildet
und lernen kann? Es ist tatsächlich möglich und in diesem Fall spricht man von der <em>künstlichen Intelligenz</em>
(<em>Artificial Intelligence</em>) und dem <em>maschinellen Lernen</em> (<em>Machine Learning</em>), von der
Fähigkeit einer Maschine, selbst zu lernen, also den Algorithmus, nach dem sie arbeitet, weiter zu entwickeln
und zu verändern. Das, was eine Maschine auf diese Weise gelernt hat, ist oft so komplex, dass man nicht mehr
sagen kann, wie genau sie das gelernt hat und wie sie zu Ergebnissen kommt, die sie liefert. Ob es ausreichend
ist, von der Intelligenz zu sprechen, im selben Sinne, wie man von der menschlichen Intelligenz spricht, ist
eine schwierige Frage. Selbst die menschliche Intelligenz ist kein eindeutig definierter, ein vager Begriff,
der viele subjektive Merkmale in sich trägt.</p>
---
\section{Einleitung}
Die Technik gibt es seit sehr langem. Der Mensch war schon immer abhängig von seiner Technik und
verdankte ihr seinen kulturellen Aufstieg. Sie erleichterte das Überleben in der Natur, ermöglichte
den Bau der Städte und die Entwicklung der Zivilisationen, half bei der Kriegsführung und der Erforschung
und dem Bewohnen neuer Territorien. Mit der Zeit wurde die Technik immer komplexer: Angefangen mit einfachen
Werkzeugen hat man gelernt, komplexere Maschinen zu bauen. Dies hatte wiederum eine enorme Wirkung auf die
Kultur. Viele schwere Arbeiten konnten auf die Maschinen verlagert werden; die Bildung hat einen neuen
Aufschwung bekommen; Wissenschaften hatten neue Mittel, um Experimente durchzuführen und immer weiter
fortzusrchreiten. Schon sehr lange ist der Mensch von seiner Technik umgeben; Es ist nicht erst gestern
passiert, dass er sich von ihr abhängig gemacht hat und seine Geschichte mit der der
Technik verbunden hat. Was sich aber im Laufe der Zeit gewandelt hat, ist die Art der angesetzten Technik.
Es ist relativ neu, dass man angefangen hat, technischen Artefakten menschliche Eigenschaften zuzuschreiben.
So spricht man heute von „intelligenten“ Maschinen. Es gibt intelligente Menschen, die gebildet,
begabt sind. Die Maschinen, Computer werden programmiert, um einen bestimmten Zweck zu erfüllen, sie arbeiten
nach einem vordefinierten Algorithmus. Bestenfalls kann so ein Algorithmus aktualisiert werden.
Wäre es jedoch vielleicht möglich, ein Programm zu schreiben, das das menschliche Lernvermögen nachbildet
und lernen kann? Es ist tatsächlich möglich und in diesem Fall spricht man von der \textit{künstlichen Intelligenz}
(\textit{Artificial Intelligence}) und dem \textit{maschinellen Lernen} (\textit{Machine Learning}), von der
Fähigkeit einer Maschine, selbst zu lernen, also den Algorithmus, nach dem sie arbeitet, weiter zu entwickeln
und zu verändern. Das, was eine Maschine auf diese Weise gelernt hat, ist oft so komplex, dass man nicht mehr
sagen kann, wie genau sie das gelernt hat und wie sie zu Ergebnissen kommt, die sie liefert. Ob es ausreichend
ist, von der Intelligenz zu sprechen, im selben Sinne, wie man von der menschlichen Intelligenz spricht, ist
eine schwierige Frage. Selbst die menschliche Intelligenz ist kein eindeutig definierter, ein vager Begriff,
der viele subjektive Merkmale in sich trägt.
Dass wir die Programme entwickeln können, die sich selbst „weiterschreiben“, weiterentwickeln
können, birgt viele Möglichkeiten und viele Gefahren in sich. Einerseits können die Maschinen dem Menschen
nicht nur schwere körperliche Arbeit abnehmen, sondern auch einige geistige Tätigkeiten. Zum Beispiel das
Übersetzen von Texten in andere Sprachen kann teilweise von Computern übernommen werden, die ihre
„Sprachkenntnisse“ selbst immer mehr verbessern können. Andererseits, wenn man nicht mehr
versteht, wie genau die von ihm konstruierte Maschine handelt, fühlt man sich bedroht. Es werden auch Stimmen
laut, dass die nächste Stufe der Evolution nicht eine biologische, sondern eine technische Evolution sei und,
dass der Mensch sehr bald vom Werk seiner Hände überholt werde.\autocite[7ff]{kurzweil:menschheit}
Das Ziel dieser Arbeit ist, auf die künstliche Intelligenz und neuronale Netze, nicht nur aus technischer,
sondern auch philosophischer Sicht zu schauen. Wenn wir von der künstlichen Intelligenz sprechen,
verwenden wir viele Begriffe wie Lernen, Lernerfolg, Intelligenz, deren Bedeutung aber nicht immer
klar ist. Und ich finde, dass das, wie wir über die Maschinen sprechen,
viel darüber sagt, wie sich unser eigenes Menschenbild im technischen Zeitalter verändert oder verändert hat.
\section{Maschinelles Lernen}
Maschinelles Lernen ist ein Zweig der künstlichen Intelligenz, in dem es darum geht, einem künstlichen
System das Gewinnen von Wissen zu ermöglichen. Ein auf diese Weise lernendes System kann eine gestellte
Aufgabe nicht nach einem vordefinierten Algorithmus lösen, sondern ist fähig, selbst zu lernen, wie die
Aufgabe zu lösen ist.
Maschinelles Lernen ist sehr vielfältig und hat verschiedene Anwendungen. Es kann grob in zwei große Kategorien
unterteilt werden: überwachtes und unüberwachtes Lernen.
\subsection{Überwachtes Lernen (Supervised Learning)}
Beim überwachten Lernen stehen dem Lernenden eine Menge von Eingaben und den dazugehörigen Ausgaben zur Verfügung.
Das heißt es gibt eine Reihe von Ausgangsituationen und eine Reihe möglicher Antworten beziehungsweise Reaktionen
auf jene Situationen, wobei zwischen den ersteren und den letzteren eine Abhängigkeit vorhanden ist.
Das Ziel des Algorithmus ist jetzt diese Abhängigkeit zu entdecken, sie zu „erlernen“.
\begin{quote}
\textit{Supervised learning} algorithms assume that some variable X is
designated as the target for prediction, explanation, or inference, and that
the values of X in the dataset constitute the „ground truth“ values for
learning.\autocite[154]{danks:ai}
\end{quote}
Zum überwachten Lernen gehört auch das sogenannte \textbf{bestärkende Lernen (Reinforcement Learning)}.
Das ist das Lernen durch „Versuch und Irrtum“. Dem lernenden System steht hier keine Menge
möglicher Ausgaben, sodass der Algorithmus aus vorhandenen Daten lernen könnte, dafür kann es mit seiner
Umgebung interagieren und von dieser „belohnt“ oder „bestraft“ werden. Also der
Algorithmus wird aus der Umgebung bewertet und anhand dieser Bewertung kann er lernen, wie er anhand
einer Eingabe zu der richtigen Ausgabe gelangt.
„The learning algorithms used on reinforcement learning adjusts
the internal neural parameters relying on any qualitative or quantitative information
acquired through the interaction with the system (environment) being mapped, [\dots]“\autocite[27]{silva:ai}
Maschinelles und bestärkendes Lernen wird schon seit längerer Zeit bei Spam-Erkennung verwendet. Als Spam
werden unerwünschte E-Mails, zum Beispiel Werbung, die man nicht bestellt hat, genannt. Es gibt auch einen
Gegenbegriff zum Spam: Ham, also normale E-Mails, die man in seinem E-Mail-Postfach erwartet.
Wie ein Programm lernt, Spam von Ham zu unterscheiden, kann man damit vergleichen, wie es ein Mensch lernt.
Sie bekommen unerwünschte Werbung per Post. Es ist ein Briefumschlag mit einer unpersönlichen Anrede und ein
kleines Heft. Sie blättern es durch und sehen, dass sie daran nicht interessiert sind und schmeißen es weg.
Wenn Sie ein ähnliches Heft nächstes Mal bekommen, blättern Sie vielleicht nochmal durch, um sicher zu sein,
dass es nichts Wichtiges bzw\@. etwas, was Sie abonniert haben, ist. Wenn Sie einige Wochen später nochmal so ein
Heft bekommen, reicht nur ein Blick. Vielleicht haben Sie den Namen desselben Unternehmens oder bekannte
Produktabbildungen oder einen ähnlichen Werbetext gesehen --- Sie schmeißen es, ohne genauer zu schauen, weg.
Sie haben gelernt, dass derartige Hefte mit Werbung keine für Sie hilfreiche Information enthalten.
In vielen Mail-Programmen gibt es inzwischen die Funktion „Als Spam markieren“. Wenn eine E-Mail
als Spam markiert wird, analysiert der Spam-Filter den Inhalt der E-Mail und merkt, wie viele Male jedes Wort
in der Nachricht vorkommt. Dieselbe Analyse macht der Filter für die anderen Nachrichten, die nicht als Spam
markiert wurden. Langsam sammelt sich eine Datenbank mit der Anzahl der Vorkommnisse verschiedener Wörter in
Spam- und Ham-Nachrichten. Anhand dieser Daten kann dann der Filter erkennen, dass bestimmte Wörter nur in
Spam-Mails vorkommen, aber nicht in Ham, und kann ohne die Einmischung des Menschen entscheiden, ob eine E-Mail
unerwünscht ist oder nicht. So ein Verfahren ist natürlich nicht fehlerfrei. Es kommt sowohl dazu, dass Spam durch
so einen Filter unerkannt durchdringen kann, als auch dazu, dass Ham im Spam-Ordner landet. Auf diversen Webseiten
kann man lesen: „Wenn Sie keine E-Mail innerhalb von \textit{X} Stunden erhalten haben, überprüfen Sie Ihren
Spam-Ordner“. Wenn Ham als Spam eingestuft wird, spricht man vom \textit{False-Positive}. Es gibt meistens
wiederum die Funktion, um die Spam-Markierung von der E-Mail zu entfernen. Dadurch kann der Filter neu lernen
und seine Datenbank aktualisieren beziehungsweise anpassen.
Wir haben gesehen, dass eine der Möglichkeiten, Spam zu erkennen, darauf basiert, den Spam-Filter mit der
Umgebung, also mit dem Benutzer, kommunizieren zu lassen. Der Benutzer hat eine Möglichkeit dem Filter mitzuteilen,
ob eine E-Mail Spam oder Ham ist, woraus der Filter lernen kann. Je länger so ein Filter eingesetzt wird und je
mehr er auf diese Weise trainiert wird, desto geringer wird die Wahrscheinlichkeit des False-Positives.
\subsection{Unüberwachtes Lernen (Unsupervised Learning)}
\begin{quote}
\textit{Unsupervised learning} algorithms do not single out any particular
variables as a target or focus, and so aim to provide a general
characterization of the full dataset.\autocite[154]{danks:ai}
\end{quote}
Beim unüberwachten Lernen wird keine bestimmte Ausgabe, kein bestimmter Wert bei der Ausgabe erstrebt, wie es
bei dem überwachten Lernen der Fall ist. Vielmehr geht es darum, eine innere Struktur in den Daten zu entdecken.
Ein Standardbeispiel für unüberwachtes Lernen ist ein soziales Netzwerk. In großen sozialen Netzwerken kann
man sein Interesse oder Desinteresse dadurch zeigen, dass man bestimmte Beitrage positiv markiert
beziehungsweise blockiert. Ein gutes soziales Netzwerk würde, um seinen Nutzern genüge zu tun, die einem
bestimmten Benutzer angezeigten Beiträge zensieren, und ihm nur diejenigen zeigen, die er wahrscheinlich
mag und nicht diejenigen, die er blockieren würde. Aber das Netzwerk weiß nicht im Voraus, dass es
Beiträge zu verschiedenen Themen gibt: Kunst, Politik, Sport und so weiter. Schließlich können immer neue
Themen auftauchen. Das Netzwerk lernt selbst die Beiträge und Benutzer zu klassifizieren. Das Lernen geht
über die Erforschung der Vorlieben einer bestimmten Person hinaus. Nehmen wir an in Profilen zweier Personen
unter „Interessen“ steht, dass sie gern Tennis spielen und beide lesen gerne Nachrichten eines
Sportvereins, der eine eigene Seite im sozialen Netzwerk hat. Wenn eine dritte Person jetzt angibt, dass sie
gern Tennis spielt, hat das soziale Netzwerk den Grund anzunehmen, dass dieser Person auch die Nachrichten
des Sportvereins gefallen werden. Das heißt das Netzwerk lernt aufgrund komplexer Zusammenhänge, dass es bestimmte
Gruppen, Themen- und Interessenbereiche gibt. Es gibt hier keine richtige Antwort, man überwacht nicht alle
registrierten Benutzer und korrigiert das Netzwerk nicht: Nein, dieser Mensch gehört dieser Gruppe nicht. Und
wenn ich einen Beitrag blockiere und markierte, bedeutet es nicht unbedingt, dass ich eine Bewertung abgebe, wie
gut das Netzwerk gelernt hat. Es kann schließlich sein, dass ich heute keine Lust auf meinen Sportverein habe,
sonst aber gerne lese, was er schreibt.
Die Unterteilung in Gruppen, Klassifizierung ist in der Wirklichkeit sehr komplex und unterzieht sich oft der
Möglichkeit, sich auf irgendeine Weise kontrollieren oder bewerten zu lassen. Unüberwachtes Lernen kann hier
Abhilfe schaffen.
\section{Neuronale Netze}
In diesem Abschnitt handelt es sich um eine mögliche Realisierung des maschinellen Lernens und zwar anhand
der neuronalen Netze.
\subsection{Biologisches Vorbild}
Ein „neuronales Netz“, wie der Name raten lässt, ist ein Netz das aus
Neuronen beziehungsweise Nervenzellen besteht. Das Neuron ist kein technischer Begriff, er stammt aus
der Biologie: „[\dots] die Nervenzelle --- das Neuron --- [ist] der Grundbaustein und die elementare
Signaleinheit des Gehirns [\dots]“\autocite[75]{kandel:gedaechtnis} Neuronale Netze haben nicht nur
den Begriff des Neurons aus der Gehirnforschung übernommen, sondern auch einige weitere, und überhaupt
haben sie menschliches Gehirn zu ihrem Vorbild.
Die Nervenzelle besteht aus drei Komponenten: einem Zellkörper mit zwei Arten von Fortsätzen,
Axone und Dendriten.\autocite[Vgl.][79]{kandel:gedaechtnis} Diese Fortsätze der Nervenzelle dienen
der Signal- beziehungsweise der Informationsübertragung:
\begin{quote}
Mit den Dendriten empfängt das Neuron Signale von anderen Nervenzellen, und mit dem Axon sendet es
Informationen an andere Zellen\@. [\dots] Die Axonendigungen eines Neurons kommunizieren mit den
Dendritten eines anderen Neurons nur an speziellen Stellen, die von Sherrington später Synapsen
genannt wurden (von griechisch \textit{s\'{y}napsis} --- „Verbindung“).\autocite[81]{kandel:gedaechtnis}
\end{quote}
Synapsen sind ein weiterer Begriff, der für maschinelles Lernen wichtig ist. Sie verbinden
die Neuronen miteinander und kodieren die bisher gelernten Informationen. In künstlichen sowie in
biologischen neuronalen Netzen sind nicht alle Neuronen miteinander verbunden. Im Falle der biologischen
neuronalen Netze sind „Nervenzellen innerhalb bestimmter Bahnen verknüpft [\dots], die
er [Santiago Ram\'{o}n y Cajal] neuronale Schaltkreise nannte. Signale bewegen sich darin in
vorhersagbaren Mustern.“\autocite[81]{kandel:gedaechtnis} Auch im Gehirn sind die Synapsen für
die Informationsspeicherung und Lernerfahrung verantwortlich, da das Lernen die synaptische Stärke und
dadurch die Kommunikation zwischen Neuronen verändern kann.\autocite[Vgl.][220]{kandel:gedaechtnis}
\subsection{Einschichtiges feedforward-Netz}
In diesem Abschnitt soll die Funktionsweise eines neuronalen Netzes an einem Beispiel erklärt werden.
Nehmen wir an, wir wollen den Zusammenhang zwischen der Anzahl der Stunden, die man mit dem
Lernen und dem Schlafen am Tag vor einer Klausur verbracht hat, und dem Ergebnis der Klausur,
gemessen in Prozent, herausfinden.
Zu unseren Eingabedaten zählen:
\begin{enumerate}
\item Stunden geschlafen.
\item Stunden gelernt.
\end{enumerate}
Basierend auf diesen Daten wollen wir vorhersagen, wie das Ergebnis der Klausur ausfällt. Da wir am Anfang
nicht blind raten wollen, nehmen wir auch an, dass wir eine Testperson zur Verfügung haben, die uns für die
Untersuchung notwendige Parameter und das Endresultat ihrer Klausur mitteilt.
\begin{center}
\begin{tabular}{c c}
(gelernt; geschlafen) & Ergebnis \\
\toprule
(3 Std; 5 Std) & 70\% \\
\bottomrule
\end{tabular}
\end{center}
Diese Daten wollen wir verwenden, um unser neuronales Netz zu „trainieren“, d\@.h\@. es
muss anhand dieser Daten Vorhersagen über einen wahrscheinlichen Verlauf künftiger Klausuren machen können.
Bei unseren Berechnungen wollen wir nicht mit verschiedenen Maßeinheiten arbeiten. Zum Beispiel in unseren
Daten haben wir die Eingabe in \textit{Stunden} und die Ausgabe in \textit{Prozent}, es ist allerdings nicht
möglich Stunden in Prozente zu übersetzen oder umgekehrt. Unser Netz ist aber auch an Maßeinheiten oder an
der Art unserer Daten nicht interessiert, es muss schließlich mögliche Zusammenhänge zwischen den Eingabe-
und Ausgabewerten finden, unabhängig davon, ob es nun Stunden, Prozente, Kilogramme oder Meter sind.
Außerdem soll die Ausgabe $x$ die folgende Bedingung erfüllen soll:
\begin{gather}
\{x \in \mathbb{N} \mid 0 \leq x \leq 100 \}
\end{gather}
Um bessere Ergebnisse zu bekommen, werden wir hauptsächlich mit reellen Zahlen von 0 bis 1 rechnen.
Um das zu erreichen werden die Stunden und die Prozentzahl durch 100 geteilt. Nach diesen Umwandlungen
erhalten wir die folgende Tabelle:
\begin{center}
\caption{table}{\textbf{Normalisiert}}
\begin{tabular}{c c}
(gelernt; geschlafen) & erwartetes Ergebnis \\
\toprule
(0{,}03; 0{,}05) & 0,7 \\
\bottomrule
\end{tabular}
\end{center}
\subsection{Gewichtung}
Unser neuronales Netz wird insgesamt aus drei Schichten bestehen:
\begin{figure}[H]
\centering
\includegraphics{/assets/images/ki-begriffsklaerung/image1.png}
\caption{Einfaches neuronales Netz}\label{fig:empty_network}
\end{figure}
Jede dieser Schichten hat wiederum eins oder mehrere \textit{Neuronen}. Jedes dieser Neuronen kann
Daten speichern (in unserem Fall --- eine Zahl). Die Neuronen sind untereinander mit \textit{Synapsen} verbunden.
Eine Synapse kann wiederum Informationen speichern, i\@.e\@. sie werden auch mit einer Zahl versehen.
Die erste Schicht (Abbildung~\ref{fig:empty_network}, links) ist die Eingabeschicht, sie enthält die
Eingabedaten. Als Eingabe haben wir zwei Werte pro Testlauf: die Anzahl der Stunden, die die Testperson gelernt
und geschlafen hat. Diese zwei Werte sind unseren Eingaben, weil es die Daten sind, auf deren Basis wir eine
Ausgabe erwarten, eine Vorhersage machen wollen. Die Ausgabeschicht ist die letzte Schicht
(Abbildung~\ref{fig:empty_network}, rechts), sie hat nur ein Neuron, das Ergebnis der Klausur, das wir erwarten.
Schließlich in der Mitte ist die verdeckte Schicht. Sie ist verdeckt, weil sie für den Endbenutzer
nicht sichtbar ist, der Endbenutzer gibt schließlich eine Eingabe und bekommt am Ende eine Ausgabe, dazwischen
werden, basierend auf dem, was das neuronale Netz vorher gelernt hat, nur eine Reihe von Berechnungen
durchgeführt.\autocite[Vgl.][22]{silva:ai}
Nun hat unser Netz noch nichts gelernt, wir wollen das erstmal nur trainieren. Für den ersten Lauf müssen
wir deswegen eine Reihe von Parametern \textit{zufällig} wählen.
Erstens brauchen wir die sogenannten \textit{Gewichte}. Gewichte sind Werte, die den Synapsen zugeordnet werden.
Sie bestimmen, welchen Einfluss ein Eingabewert auf das Endergebnis hat. Die Gewichtung repräsentiert,
was das Netz bisher gelernt hat.
In unserem Fall haben wir insgesamt 9 Synapsen, sodass jedes Neuron der Eingabeschicht mit allen Neuronen der
verdeckten Schicht, und jedes Neuron der verdeckte Schicht mit dem Neuron der Ausgabeschicht verbunden werden
kann. Ich versehe diese Synapsen mit den folgenden Werten (von oben nach unten und von links nach rechts):
0.8, 0.4, 0.3, 0.2, 0.9, 0.5, 0.3, 0.5, 0.9. Es gibt erstmal keinen Grund, diese Werte und nicht andere
auszuwählen. Sie sind zufällig gefällt und die einzige Bedingung, die sie erfüllen müssen, ist, dass jeder
dieser Werte im Intervall $\left[ 0, 1 \right]$ liegen soll.
Schließlich müssen wir die Neuronen der Eingabeschicht mit unseren Ausgangsdaten füllen. Unsere Ausgangssituation
graphisch dargestellt ist dann die folgende:
\begin{figure}[H]
\centering
\includegraphics{/assets/images/ki-begriffsklaerung/image2.png}
\caption{Einfaches neuronales Netz}\label{fig:start_network}
\end{figure}
\subsection{Vorwärtspropagation}
Im nächsten Schritt wird die verdeckte Schicht gefüllt. Da wir zwei Neuronen in der Eingabeschicht haben und
jedes davon ist den Neuronen der verdeckten Schicht verbunden ist, führen jeweils zwei Synapsen von der
Eingabeschicht zu einem der Neuronen der verdeckten Schicht. Wir multiplizieren den Wert des Neurones der
Eingabeschicht mit den Gewichten der daraus ausgehenden Synapsen, addieren die Ergebnisse zusammen und schreiben
das Endergebnis in das entsprechende Neuron der mittleren Schicht. Die Werte jedes der Neuronen der
verdeckten Schicht werden also wie folgt berechnet:
\begin{equation}
\begin{split}
0{,}03 \cdot 0{,}8 + 0{,}05 \cdot 0{,}2 = 0{,}034\\
0{,}03 \cdot 0{,}4 + 0{,}05 \cdot 0{,}9 = 0{,}057\\
0{,}03 \cdot 0{,}3 + 0{,}05 \cdot 0{,}5 = 0{,}034
\end{split}\tag{Verdeckte Schicht}
\end{equation}
\begin{figure}[H]
\centering
\includegraphics{/assets/images/ki-begriffsklaerung/image3.png}
\caption{Einfaches neuronales Netz}\label{fig:before_activation}
\end{figure}
\subsection{Aktivierungsfunktion}
Da die Eingabe (die Stunden) nicht im Intervall $\left[ 0, 1 \right]$ liegt, verwenden wir eine
\textit{logistische Aktivierungsfunktion}, deren Wertebereich $f(x) \in \mathbb{R} \mid 0 \leq x \leq 1$ ist:
„The output result produced by the logistic function will always assume real values between zero
and one.“\autocite[15]{silva:ai}
\begin{equation}
f(x) = \frac{1}{1 + e^{-x}} \tag{Aktivierungsfunktion}
\end{equation}
So bekommen wir nach den anschließenden Berechnungen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit eine Zahl zwischen 0 und 1,
die anschließlich mit 100 multipliziert werden kann, um so auf die Prozente zu kommen.
Wir wenden zunächst die Aktivierungsfunktion auf jeden der vorher berechneten Werte an und schreiben
das Ergebnis ebenfalls in die verdeckte Schicht.
\begin{equation}
\begin{split}
f(0{,}034) \approx 0{,}509\\
f(0{,}057) \approx 0{,}514\\
f(0{,}034) \approx 0{,}509
\end{split}
\end{equation}
\begin{figure}[H]
\centering
\includegraphics{/assets/images/ki-begriffsklaerung/image4.png}
\caption{Einfaches neuronales Netz}\label{fig:activation}
\end{figure}
Es bleibt jetzt nur noch dieselbe Berechnung durchzuführen wie mit der Eingabeschicht: Jeder der Werte
der verdeckten Schicht wird mit dem entsprechenden Gewicht multipliziert und alle Ergebnisse werden
anschließend summiert.
\begin{equation}
\begin{split}
0{,}509 \cdot 0{,}3 = 0{,}1527\\
0{,}514 \cdot 0{,}5 = 0{,}257\\
0{,}509 \cdot 0{,}9 = 0{,}4581
\end{split}
\end{equation}
\begin{equation}
\begin{split}
0{,}1527 + 0{,}257 + 0{,}4581 \approx 0{,}87
\end{split}
\end{equation}
Hier ist das komplett ausgefüllte neuronale Netz für unsere Testperson:
\begin{figure}[H]
\centering
\includegraphics{/assets/images/ki-begriffsklaerung/image5.png}
\caption{Einfaches neuronales Netz}\label{fig:complete_network}
\end{figure}
\subsection{Fehlerrückführung}
Man muss einsehen, dass das Resultat, zu dem wir am Ende kamen, absolut zufällig ist.
In fast jeder Berechnung wurden Gewichte verwendet, die am Anfang zufällig ausgewählt wurden.
Das heißt, wenn ich mich für andere Gewichtung entschieden hätte, käme auch etwas anderes dabei
heraus. Und das ist jetzt die Aufgabe, die bevorsteht: die Gewichtung so anzupassen, dass sie
zu einem genaueren Ergebnis führt. Dieser Schritt heißt \textbf{Fehlerrückführung}. Man versucht
hier den Fehler geringer zu machen. In unserem Fall ist das Ergebnis, das wir erwartet haben, 0.7.
Statdessen haben 0.87, was um 0.17 größer als das erwartete Ergebnis. Wenn wir diese Distanz
zwischen dem aktuellen und dem erwarteten Ergebnis geringer machen, \textit{trainieren}
wir das neuronale Netz.
Es gibt mehrere Methoden, die Fehlerrückführung durchzuführen. Die einfachste (und die schlechteste
für die Praxis, weil sie für ein größeres Netz zu viel Zeit in Anspruch nehmen würde) wäre, einige der
Gewichte zu ändern (man kann dafür wiederum andere zufällige Zahlen von 0 bis 1 verwenden), und
alles dann nochmal mit diesen neuen Gewichten berechnet. Wenn man zu einem besseren Ergebnis kommt,
kann man versuchen, die Gewichtung weiter anzupassen, bis das Resultat zufriedenstellend ist. Wenn
das Ergebnis noch schlechter wird, versucht man dasselbe mit anderen Gewichten.
Das heißt, die \textbf{Vorwärtspropagation} und \textbf{Fehlerrückführung} werden mehrmals wiederholt,
bis das Endresultat ausreichend genau ist. Schließlich ist eine Testperson für das Trainieren des
neuronalen Netzes nicht ausreichend. Wenn wir weitere Daten erhalten, können wir sie genauso
einsetzen, und den Endwert mit denselben Gewichten für diese neuen Daten berechnen. Dann können
wir versuchen, die Gewichtung so anzupassen, dass für die beiden Fälle ein genaueres Ergebnis
herauskommt. Dann ziehen wir noch eine dritte Testperson hinzu und so weiter\dots{} Irgendwann haben
wir die Gewichtung so gewählt, dass wir damit rechnen können, dass wenn wir dem Netz neue Daten
übergeben, wir eine gute Einschätzung für die Endnote bekommen. Es ist kaum möglich mit dem oben
aufgeführten Netz. Neuronale Netze sind in der Praxis viel komplexer und haben mehrere verdeckte
Schichten, was genauere Anpassung der Gewichte ermöglicht.
\section{Lernerfolg. Turing-Test}
Im Zusammenhang mit dem maschinellen Lernen sprechen wir vom Lernerfolg. Allerdings wurde es noch nicht
geklärt, was Erfolg in diesem Fall bedeutet.
Um einen gewöhnlichen Einwand gegen den Erfolg der künstlichen Intelligenz zu erläutern, konstruieren
wir ein futuristisches Beispiel, das in einer oder der anderen Form zum Thema vieler Filme der letzten
Jahre geworden ist. Sagen wir, die Menschen haben einen Supercomputer entwickelt, dessen künstliche
Intelligenz dermaßen fortgeschritten ist, dass er selbst weitere Maschinen entwerfen und produzieren kann.
So beginnt eine neue Ära, in der die Maschinen sich selbt ohne die Einmischung des Menschen entwickeln.
Schlussendlich wird der Mensch zu einer überholten, schwachen Spezies, deren Existenz nicht mehr förderlich
für den weiteren technischen Fortschritt ist, sodass der mächtige Supercomputer sich dazu entscheidet,
die menschliche Art auszulöschen. Nun hatte der Supercomputer, der eine solche Macht erlangt hat, alles über
die Wissenschaft und Technik gelernt, was der Mensch je hätte lernen können, und diese Kenntnisse noch
weiter gebracht hat. Man könnte sich aber fragen, ob der Erfolg des Lernens an der Anzahl der Erkenntnisse
gemessen werden kann. In dem aufgeführten Beispiel hat sich die Technik, die der Mensch sich zuhilfe
schuf, hatte gegen den Menschen gewendet und so gegen das moralische Prinzip, nach dem das menschliche
Leben einen Wert an sich hat, verstoßen.
Wenn wir also vom Erfolg sprechen, beziehen wir den Erfolg nicht nur auf die eigentliche Tätigkeit (das
Erwerben von Erkenntnissen), sondern auch auf das Endresultat --- wie die erworbenen Erkenntnisse angewandt
werden. Bei der Bewertung ihrer Anwendung braucht man wiederum eine Ethik, die es ermöglicht, zu beurteilen,
ob die Anwendung richtig oder falsch, gut oder böse ist. Man sieht sofort, wie schnell das Problem des Erfolgs
sehr komplex und unübersichtlich wird. Ich werde deswegen dafür argumentieren, dass der Erfolg des
Lernens nur in dem Sinne des unmittelbaren Erfolgs ohne die Einbeziehung der Konsequenzen verstanden werden
muss. Desweiteren werde ich versuchen den Erfolg anhand des Turing-Tests etwas genauer zu bestimmen.
Alan Turing stand vor einem ähnlichen Problem, als er das, was wir heute Turing-Test nennen, vorgeschlagen
hat. Das Lernen, die Suche nach Gesetzmäßigkeiten und die Anwendung des Gelernten und Erforschten sind
wichtige Aspekte menschlicher Denktätigkeit. Wenn wir davon sprechen, dass die Computer selbstständig
lernen, stellt sich die Frage, ob sie dann auch denken kennen? Um zu sagen, ob die Computer denken
können, muss man dann definieren, was das Denken eigentlich ist und dann schauen, ob diese Definition
auf die Computersysteme angewandt werden kann.
Nun ist es aber alles andere als trivial, eine Definition für das Denken zu finden. Das eigentliche Problem
besteht aber nicht darin, dass eine solche Definition eine schwierige Aufgabe ist, sondern darin, dass
die Angabe einer Definition des Denkens sich sowohl dem Interessenbereich der Technik als auch
dem Interessenbereich der Wissenschaft entzieht. Wir verbinden das Denken mit den Gehirnaktivitäten. Aber
spielt es für einen Gehirnforscher in seiner wissenschaftlichen Forschung eine Rolle, was das Denken ist?
Er kann durchaus eine private Überzeugung haben, dass das, was wir unter dem Denken verstehen, nichts weiter
als die Gehirnaktivität ist, oder, dass das, was wir im Gehirn beobachten, nur auf eine bestimmte Weise
unser Denken repräsentiert. Aber ob er sich für die erste Möglichkeit, oder für die zweite, oder für eine
dritte entscheidet, ist für seine eigentliche wissenschaftliche Forschung von wenig Bedeutung. Auch
umgekehrt: Wenn man eines Tages weiß, dass man jede geistige Aktivität auf Gehirnaktivitäten zurückführen
kann, bedeutet es, dass ich mich ab dann für einen vollständig von den physikalischen Gesetzen
bestimmten Bio-Roboter halte, der keinen eigenen Willen hat?
Es ist ganz natürlich den Gegenständen menschliche Eigenschaften und Aktivitäten zuzurschreiben:
„Der Computer \textit{will} nicht funktionieren“. Natürlich kann es bei einem kaputten
Rechner keine Rede vom Willen sein. Das ist bloß eine Redewendung. Aber wenn die Computer viel
leistungsfähiger werden, passiert die Zuschreibung viel bewusster, wir fangen an, von ihrer Intelligenz,
ihrem Denken oder dem Erfolg ihrer Aktivitäten zu sprechen. Diese Begriffe sind aber in der Sprache sehr
oft ambivalent und werden intuitiv verwendet. Deswegen ist es auch problematisch, sie auf andere
Gegenstände zu übertragen.
Um das höchstproblematische Reden vom Denken im Fall der Computer zu vermeiden, hat Alan Turing
„The Imitation Game“\autocite[433f]{turing:mind} vorgeschlagen. Dieses Imitationsspiel
wird von drei Personen gespielt: einem Mann (A), einer Frau (B) und einem Fragesteller (C), dessen
Geschlecht für das Spiel irrelevant ist. Der Fragesteller kennt die beiden anderen Personen A und B
nicht und befindet sich in einem anderen Raum. Das Ziel des Spiels für den Fragesteller besteht
darin, richtig zu erraten, wer von A und B ein Mann und wer eine Frau ist. Dabei kann der Fragesteller
den übrigen Spielteilnehmern Fragen stellen und Antworten auf seine Fragen bekommen. Die Teilnehmer
kommunizieren miteinander so, dass der Befragende und die Befragten einander weder sehen noch
hören können, zum Beispiel sie könnten einander Texte über das Internet versenden. A und B sind nicht
verpflichtet, ehrliche Antworten auf die Fragen zu geben. Die Aufgabe von A ist, dem Befragenden zu
helfen, B soll ihn im Gegenteil in die Irre führen.\autocite[433f]{turing:mind}
\begin{quote}
We now ask the question, „What will happen when a machine takes the part of A in this
game?“ Will the interrogator decide wrongly as often when the game is played like this
as he does when the game is played between a man and a woman? These questions replace our
original, „Can machines think?“\autocite[434]{turing:mind}
\end{quote}
Das heißt, die Maschine soll die Rolle eines Spielers --- entweder A oder B --- übernehmen. Es gibt
keine Frau, keinen Mann und Fragesteller mehr, sondern einen Menschen, eine Maschine und den
Fragesteller (menschlich). Wenn es für den Fragesteller genauso schwierig ist, ohne einen direkten
Kontakt eine Maschine von einem Menschen zu unterscheiden, wie eine Frau von einem Mann, dann hat
die Maschine den Turing-Test bestanden.
Im Grunde, um den Erfolg des Lernens eines Computersystems zu bewerten, wird hier eine funktionale
Beschreibung verwendet. Anstatt nach der Washeit der Dinge zu fragen: Was ist Denken? Was ist Erfolg?
Können diese Begriffe auf ein Computersystem angewandt werden?, fragt man, ob und wie gut das System
eine bestimmte Funktion ausführen, einen Test bestehen kann. Der Turing-Test scheint mir auch die beste
Methode zu sein, um den Erfolg des Lernes eines Computersystems zu bewerten. Vor allem, weil so ein
funktionaler Test einen Aufschluss darüber gibt, welche Stufe in der Entwicklung der künstlichen
Intelligenz man bereits erreicht hat, und was noch verbessert werden muss, um den Lernerfolg zu
vergrößern. Er gibt auch eine Skala an, von der abgelesen werden kann, ob ein Algorithmus bessere
Ergebnisse liefert als ein anderer. Dies ermöglicht den technischen Fortschritt und die Verbesserung
der Algorithmen. Diese Skala gibt es aber nicht oder sie ist sehr verschwommen, wenn der Lernerfolg eine
ethische Perspektive haben soll.
Was ich hiermit nicht sagen will, ist, dass die Ethik für die Entwicklung der
künstlichen Intelligenz unwichtig ist. Es macht nur wenig Sinn sie in die Definition des Lernerfolgs
eines künstlichen Systems einzubeziehen. Um so ein System weiter zu entwickeln, braucht man eine
technische Definition des Erfolgs, die ermöglicht, die Schwächen dieses Systems aufzuzeigen, an denen
noch gearbeitet werden soll. Eine voreilige Einbeziehung einer ethischen Bewertung würde den Fortschritt
im Bereich der künstlichen Intelligenz unnötig verkomplizieren und verlangsamen. Eine ethische Bewertung
der künstlichen Intelligenz als solchen und dessen, wie sie eingesetzt wird, ist im Gegenteil nützlich
und nötig, um die Möglichkeit einer bösartigen Anwendung deren zu verringern.
Ich meine auch nicht, dass eine ethische Auseinandersetzung der technischen Entwicklung zeitlich
folgen soll. Es kann zu spät sein, sich mit etwas auseinanderzusetzen, was schon da ist. Vielmehr sollen
die Bereiche des Technischen und Ethischen voneinander getrennt sein. Wenn ein Informatiker oder ein
Mathematiker an einem neuen Algorithmus für maschinelles Lernen arbeitet, ist er wahrscheinlich
gar nicht daran interessiert, ein künstliches System zu erschaffen, das ihm ermöglicht, die Welt
zu beherrschen, womöglich ist er nur an seinem Fach interessiert und will sehen, wie weit man die
künstliche Intelligenz bringen kann. Natürlich soll man sich Gedanken darüber machen, was passiert,
wenn man den neuen Algorithmus oder die neue Technologie auf den Markt bringt, das darf aber nicht
der eigentlichen Forschung im Wege stehen.
\section{Dritt- und Erstperson-Perspektive}
Kommen wir auf die Frage „Können die Maschinen denken?“ zurück. Was ist an dieser
Frage so problematisch, sodass Alan Turing sie umzugehen suchte, außer dass der Begriff
„Denken“ schwierig zu definieren ist. Oder warum ist er schwierig zu
definieren? Das Denken für den Menschen ist ein \textit{Erlebnis}, das heißt ich erlebe mich
selbst als ein denkendes Wesen. Ich gehe davon aus, dass auch die anderen Menschen sich als
denkende Wesen erleben, obwohl ich nicht mit Sicherheit sagen kann, wie sich das Denken eines
anderen Menschen für ihn anfühlt, was und wie er denkt. Man denke nur an die Diskussionen, ob
Tiere Freude oder Leiden empfinden können, ob sie denken können. Es ist relativ naheliegend,
dass andere Menschen denken können, aber es ist nicht klar, ob man das von den anderen Lebewesen
behaupten kann. Desto unklarer ist es, wenn man von etwas spricht, was überhaupt kein
Lebewesen ist.
Anstatt der Maschine einen Geist und eine Art Innerlichkeit zuzuschreiben, entwickelt sich aber
die Tendenz, den Menschen mechanisch zu verstehen. Wenn Sören Kierkegaard sagt:
„Der Mensch ist Geist“\autocite[11]{kierkegaard:krankheit}, so heute ist der Mensch immer
öfter sein Gehirn: „In Germany, leading neuroscientists like Wolf Singer and Gerhard
Roth are omnipresent in TV and press. They speak of the brain as if they were talking about a
person.“\autocite[164]{foerster:neuroturn} Kierkegaards Mensch und sein Geist waren nicht bloß
eine immaterielle Substanz, sondern vielmehr eine Synthese „aus Unendlichkeit und Endlichkeit,
aus dem Zeitlichen und dem Ewigen, aus Freiheit und
Notwendigkeit, [\dots]“\autocite[11]{kierkegaard:krankheit} Ob die Beschreibung des Menschen
als Gehirn genauer zutrifft, ist fraglich. Yvonne Förster in ihrem Artikel „Effects of the
Neuro-Turn: The Neural Network as a Paradigm for Human Self-Understanding“ macht darauf
aufmerksam, dass obwohl bei der Erforschung des Gehirns nur die Drittperson-Perspektive in die Betrachtung
einbezogen wird, eine Verschiebung der Terminologie von der Philosophie zu den Neurowissenschaften
stattfindet:
\begin{quote}
While phylosophy works with concepts, experience, reflection, and linguistic
description, neuroscience, on the other hand, uses these philosophical terms within
a third-person framework of observation, imaging techniques, and
measurements.\autocite[163]{foerster:neuroturn}
\end{quote}
Eine Reihe von Begriffen, wie der freie Wille oder das Bewusstsein, für die die Innenperspektive
unentbehrlich ist, werden aus der Drittperson-Perspektive beurteilt und beschrieben.
Doris Nauer spricht auch davon, dass bei der Erforschung geistiger Funktionen
„NaturwissenschaftlerInnen zunehmend die Interpretationsgrenzen rein naturwissenschaftlicher
Forschung überschreiten“.\autocite[35]{nauer:seelsorge}
Außerdem merkt Förster an, dass die Neurowissenschaften keinen direkten Zugang auch zum Gehirn oder den
Neuronen selbst haben, vielmehr arbeiten sie mit Modellen:
\begin{quote}
The neural gains its visibility only via technology. The process of making the neural visible is
not a simple representation of something otherwise hidden. Rather it is a production of images by
means imaging techniques. What we get to see is not the inside of our skull, not copies of our
neurons, but reconstructions modeled according to a certain set of rules of computation. The neural
net as we know it from neuroscientific imagery is not a photograph of brain parts. It is deeply
technological mediated.\autocite[172]{foerster:neuroturn}
\end{quote}
Das Selbstverständnis des Menschen und das Verständnis der Maschine und der künstlichen Intelligenz sind
voneinander abhängig. Wenn wir die Maschinen konstruieren, die selbst lernen und vielleicht denken können,
und so den Menschen nachahmen, lernen wir auch etwas über die menschlichen Denkprozesse und dem
Zusammenhang zwischen dem Bewusstsein und dem Gehirn. Andererseits um
zu entscheiden, ob die Maschinen denken oder ein geistiges Leben haben können, ist unser Menschenbild
wichtig, weil es von ihm abhängt, ob sich das, was wir unter dem Menschen verstehen, auf die Maschine
übertragen lässt.
\section{Zum Begriff der Intelligenz}
Eine der Fragen, die sich noch stellen, ob wir im Falle der künstlichen Intelligenz überhaupt von
der \textit{Intelligenz} sprechen kann, wie wir von der menschlichen sprechen. Ich möchte von vornherein
sagen, dass diese Frage nicht eindeutig zu beantworten ist. Von einem Menschen zu sagen, er sei intelligent,
ist nicht dasselbe, wie zu sagen: „Zwei ist eine gerade Zahl“.
Erstens, je nachdem wer das Wort „intelligent“ sagt, kann man darunter unterschiedliche
Eigenschaften meinen. Für einen mag intelligent derjenige sein, der über viele Fachkentnisse in
einem bestimmten Bereich verfügt. Für einen anderen ist es der, der allgemein gebildet ist und nicht
nur in bestimmten Bereichen. Für den dritten spielen die erworbenen Kenntnisse überhaupt eine geringere
Rolle, viel wichtiger, um intelligent zu sein, sei es, schlau zu sein, schnell die Lösungen für die
auftretenden Probleme zu finden.
Zweitens hängt die Antwort auf die Frage, ob man so eine Eigenschaft wie „Intelligenz“
auf eine Maschine übertragen kann, sehr stark von anthropologischen Ansichten der jeweiligen Person.
Ist der Mensch selbst wahrscheinlich nichts weiter als eine Art von der Natur erschaffener Roboter?
In diesem Fall kann wohl auch eine vom Menschen konstruierte Maschine Intelligenz haben. Wenn der Mensch
dagegen ein geistiges Wesen ist, das nicht vollständig durch physikalische Gesetze determeniert ist,
dann ist es qualitativ etwas anderes als eine Maschine und man könnte argumentieren, dass deswegen bestimmte
Eigenschaften wie Intelligenz nur dem Menschen zugeschrieben werden können.
Der Stand der Entwicklung rechtfertigt nicht immer die Anwendung des Begriffes „Intelligenz“
im Bezug auf die Maschinen. Bereits heutige Computer sind in bestimmten Bereichen
intelligenter als die Menschen. Zum Beispiel kann jeder der heutigen Prozessoren (oder CPU,
\textbf{C}entral \textbf{P}rocessing \textbf{U}nit) einfache Berechnungen, wie Multiplizieren,
Dividieren, Addieren oder Substrahieren, vielfach schneller durchführen als ein Mensch. Und diese
Fähigkeit besitzten bereits die Computer der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, als die künstliche
Intelligenz noch nicht so verbreitet war. Schnelles Rechnen kann auch ein Merkmal der Intelligenz sein.
Und doch spricht man von der künstlichen Intelligenz meistens in Bezug auf maschinelles Lernen. Dies zeigt,
dass wenn man von intelligenten Maschinen spricht, meint man eine bestimmte Art von der Intelligenz, und
zwar meint man die Maschinen, die das Können besitzen, nicht nur die einprogrammierten
„Kenntnisse“ anzuwenden, sondern auch neue Erkenntnisse selbstständig zu gewinnen. Das heißt
Intelligenz knüpft hier an die \textit{schöpferische} Kraft des Menschen, an die Kraft etwas neues
zu \textit{erschöpfen}. Natürlich ist es nicht dasselbe wie Erschaffen eines Kunstwerkes oder eines
Musikstückes, weil das, was erkannt wird, schon da ist, es nicht aus Nichts geschaffen wird. Und doch
ist auch das Gewinnen der Erkenntnisse aus der Erfahrung, die vorher nicht waren, ist das Gewinnen von
etwas \textit{neuem}, also ein schöpferischer Vorgang. Und dieser Übergang zwischen einer die Befehle
ausführenden und einer lernenden Maschine ist wohl die Grenze, ab der die Maschinen
\textit{intelligent} werden.
Wie weit die künstliche Intelligenz reicht oder reichen kann, lässt sich noch nicht sagen. Wir haben
noch keine Roboter, die malen, Romane oder Lieder schreiben oder physikalische Gesetze entdecken. Wie
am Beispiel mit dem neuronalen Netz gezeigt wurde, geht es bei maschinellem Lernen um das Erkennen
bestimmter Muster in der Eingabedaten. Falls so ein Muster tatsäschlich erkannt wurde, dann können anhand
dessen auch neue Daten ausgewertet werden. Dem lernenden System geht es nicht um die Forschung oder die
Suche nach der Wahrheit. Und hier ist es nicht mal wichtig, was Wahrheit ist, und ob es sie gibt. Wenn
ein Schriftsteller schreibt, sehnt er oft aus dem tiefsten seines Herzens, seinen Lesern etwas
mitzuteilen, seine Wahrheit zu verkünden. Auch ein Forscher kann von diesem Gefühl bewegt werden,
selbst wenn seine Theorie sich später als falsch erweist, hat er versucht, etwas Wahres zu entdecken.
Ein lernendes System hat überhaupt keinen Sinn für die Wahrheit. Es wurde programmiert, um Muster in
den Daten zu erkennen und das tut es. Wenn ich weiß, wie ein System aufgebaut ist, kann ich es von
vornherein mit manipulierten Daten füttern, sodass es etwas falsch lernt, und es wird sich nicht
betrogen fühlen. Wobei ich zugeben muss, dass es auch einem Menschen passieren kann, dass er sich
auf falsche, falsch ausgewählt Daten, stützt, und deswegen zu inkorrekten Ergebnissen gelangt.
Die Mustererkennung ist wichtig auch für das menschliche Überleben. Allerdings vermag der Mensch auch
abstrakt zu denken. Es gibt zum Beispiel in der Natur keine Zahlen, es gibt nur abzählbare Gegenstände.
Man muss sich von den einzelnen Gegenständen beziehungsweise ihrer endlichen Anzahl abstrahieren können,
um auf die unendliche Menge von natürlichen Zahlen kommen. Diese Fähigkeit zum abstrakten Denken ist etwas,
was den Menschen gegenüber den Maschinen immer noch auszeichnet.
\section{Grenzen der Anwendung von maschinellem Lernen}
Zwar ist die künstliche Intelligenz zum selbstständigen Lernen fähig, ist kein selbstständiges
Lebewesen wie der Mensch, sondern nur ein Instrument unter vielen anderen.
Nehmen wir an, wir wollen quadratische Gleichungen in der Normalform lösen:
\begin{equation}
x^2 + px + q = 0
\end{equation}
Dafür beabsichtigen wir ein Programm zu schreiben, das die 2 Parameter, $p$ und $q$, als
Eingabewerte annimmt und die Gleichung nach $x$ auflöst. Man kann diese Aufgabe durchaus mithilfe der
künstlichen Intelligenz lösen. Wir entwerfen ein neuronales Netz, das zwei Neuronen in der
Eingabeschicht und zwei in der Ausgabeschicht hat. Dann lösen wir einige Tausende solcher Gleichungen
selbst und übergeben die Eingaben und die Lösungen dem Netz, damit es aus diesen Daten lernen kann.
Dann testen wir, ob das Netz nun selbst richtige Antworten produzieren kann. Wenn es nicht der Fall
sein soll, bereiten wir weitere Angaben und Lösungen vor. Irgendwann haben wir das neuronale Netz
ausreichend trainiert, sodass es jetzt selbst solche Gleichungen lösen kann.
Eigentlich wissen wir aber, wie man eine quadratische Gleichung löst. Genauso gut könnten wir den folgenden
Algorithmus in einem Programm implementieren:\autocite[Vgl.][10f]{lothar:math}
\begin{enumerate}
\item Berechne die Diskriminante $D$:
\begin{equation}
D = {(p/2)}^2 - q
\end{equation}
\item Wenn $D \geq 0$ ist, gibt es zwei reelle Lösungen:
\begin{equation}
x_{1/2} = -\frac{p}{2} \pm \sqrt{D}
\end{equation}
\item Wenn $D < 0$ ist, gibt es zwei konjugiert komplexe Lösungen:\autocite[Vgl.][676]{lothar:math}
\begin{equation}
x_{1/2} = -\frac{p}{2} \pm j \cdot \sqrt{\left|D\right|}
\end{equation}
\end{enumerate}
Der Aufwand, dieses Programm, zu schreiben ist viel geringer als die Variante mit der künstlichen
Intelligenz. Was noch viel wichtiger für ein Programm, das mathematische Berechnungen durchführt, ist,
ist, dass wir wissen, dass, wenn der Algorithmus korrekt implementiert ist, er richtige Ergebnisse
liefert. Im Falle des neuronalen Netzes ist es nicht so. Wenn das neuronale Netz komplex genug ist,
können wir nicht mehr nachvollziehen, wie eine bestimmte Berechnung durchgeführt wird, das heißt, wir
können nicht überprüfen, ob der Algorithmus für alle Paare $p$ und $q$ das richtige Ergebnis liefert.
Für die Anwendungsfelder des maschinellen Lernens ist eine solche Genauigkeit auch nicht unbedingt
erforderlich. Wenn ein soziales Netzwerk setzt künstliche Intelligenz ein, um gezielte Werbung
anzuzeigen, dann ist es durchaus vorteilhaft, wenn die Werbung den Nutzer anspricht, aber es ist immer
noch zulässig, wenn die Wahl der Werbung nicht optimal ist. Es genügt, wenn die Werbung
\textit{interessant genug} für den Nutzer ist, oder dass ein gewisser Profit durch sie erreicht wird.
Künstliche Intelligenz ist keine universelle Lösung für alle Probleme. Sie ist sehr nützlich für
die Auswertung von großen Mengen an Daten und für die Suche nach Mustern in diesen, aber ist noch
nicht fähig abstrakte, e\@.g\@. mathematische Probleme zu lösen.
\section{Fazit}
Über viele Fragen lässt es heute nur spekulieren. Können die Maschinen alle Tätigkeiten ausüben, die
die Menschen ausüben? Sind sie eine neue Evolutionsstufe, sodass sie die Menschen eines Tages
verdrängen und überflüssig machen? Oder werden die Maschinen und Menschen weiterhin friedlich
coexistieren? Einige Autoren versuchen bereits diese Fragen zu beantworten. Ich wage heute noch nicht,
auf sie eine Antwort zu geben. Schließlich ist die Entwicklung der Wissenschaft und der Technik
auch von einer Reihe von sozialen, politischen und wirtschaflichen Faktoren mitbestimmt.
Künstliche Intelligenz und Maschinelles Lernen ist ein junges Konzept, dem viel Aufmerksamkeit von
verschiedenen Siten geschenkt wird. Die Technik und Informatik sind daran interessiert, weil es ermöglicht
neue, selbst „denkende“ Programme zu schreiben; Naturwissenschaften hoffen durch künstliche
auch die menschliche Intelligenz besser zu verstehen; man sieht auch Potenzial, den Menschen noch mehr
vom Last der Arbeit zu befreien, aber man warnt auch vor den Gefahren der Verselbständigung der
Computertechnik oder deren Missbrauch. Naturwissenschaftliche Forschung hatte schon fatale Folgen, sie
ermöglichte zum Beispiel eines Tages die Erschaffung der Atomwaffen, was vielen unschuldigen Menschen
ihr Leben kostete. Doch sie hat auch einen soliden Beitrag zur modernen Medizin und Technik geleistet,
auf die wir uns jeden Tag verlassen. Um die künstliche Intelligenz scheint es ähnlich zu stehen: Es ist
ein kontroverses Thema.

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---
layout: post
date: 2019-08-14 19:36:00
tags: Gedicht
title: Das Licht erlischt…
teaser: |
<p>
Das Licht erlischt, die Stimmen sinken,<br>
die Dunkelheit verschlingt den Saal.<br>
Die Töne fangen an zu ringen<br>
und durch die Reihen fließt ein Strahl.
</p>
<p>
Ein Mädchen steht mit spröden Lippen<br>
und kontrolliert die Gäste bald.<br>
Es dreht nur schnell die zweite Kippe.<br>
Der Abend draußen ist windig, kalt.
</p>
<p>
Den Saal betritt ein kühner Künstler,<br>
der nun sein langes Lied beginnt.<br>
Das Stück ist anfangs trist und düster,<br>
damit das Glück am Schluss gewinnt.
</p>
<p>
Das Mädchen rollt jetzt schon die dritte<br>
und grübelt über etwas nach;<br>
Sei dies die Arbeit und die Sitten,<br>
sei dies die Hoffnung, die zerbrach.
</p>
---
\textit{Ra}
Das Licht erlischt, die Stimmen sinken,\\
die Dunkelheit verschlingt den Saal.\\
Die Töne fangen an zu ringen\\
und durch die Reihen fließt ein Strahl.
Ein Mädchen steht mit spröden Lippen\\
und kontrolliert die Gäste bald.\\
Es dreht nur schnell die zweite Kippe.\\
Der Abend draußen ist windig, kalt.
Den Saal betritt ein kühner Künstler,\\
der nun sein langes Lied beginnt.\\
Das Stück ist anfangs trist und düster,\\
damit das Glück am Schluss gewinnt.
Das Mädchen rollt jetzt schon die dritte\\
und grübelt über etwas nach;\\
Sei dies die Arbeit und die Sitten,\\
sei dies die Hoffnung, die zerbrach.

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@@ -0,0 +1,41 @@
---
layout: post
date: 2020-03-13 15:09:00
tags: Gedicht
title: Kleines Mädchen
teaser: |
<p>
Du, kleine Wölfin, blickst einsam und öde;<br>
Auch ich war mal früher ein trüber Selbstmörder,<br>
lag auch mit'm Rasierer in blutiger Wanne<br>
und atmete schweigend mein Marihuana.
</p>
<p>
Du siehest, wie friedlich die Kühe dort weiden,<br>
kristallene Berge im Nebel sich weiten.<br>
Wir richten die Säulen, verschieben die Grenzen.<br>
O, kleine Wölfin mit Blick voll Entsetzen.
</p>
<p>
Versinke in Träumen, schlaf süß und gelassen.<br>
Dein Elternhaus steht nunmehr wüst und verlassen,<br>
mit Dornen verwachsen die Gräber und Platten.<br>
O, kleine Wölfin mit Blick eines Schattens.
</p>
---
Du, kleine Wölfin, blickst einsam und öde;\\
Auch ich war mal früher ein trüber Selbstmörder,\\
lag auch mit'm Rasierer in blutiger Wanne\\
und atmete schweigend mein Marihuana.
Du siehest, wie friedlich die Kühe dort weiden,\\
kristallene Berge im Nebel sich weiten.\\
Wir richten die Säulen, verschieben die Grenzen.\\
O, kleine Wölfin mit Blick voll Entsetzen.
Versinke in Träumen, schlaf süß und gelassen.\\
Dein Elternhaus steht nunmehr wüst und verlassen,\\
mit Dornen verwachsen die Gräber und Platten.\\
O, kleine Wölfin mit Blick eines Schattens.
\textit{(Frei übersetzt nach гр. Крематорий "Маленькая девочка")}

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@@ -0,0 +1,17 @@
---
layout: post
date: 2020-05-02 22:28:00
tags: Gedicht
title: Medizin
teaser: |
<p>
Ich kam zum Arzt mit meinen Schmerzen.<br>
Er sieht mich an und sagt vom Herzen:<br>
Schlägt der Tod Euch noch nicht nieder,<br>
kommt in einem Monat wieder.
</p>
---
Ich kam zum Arzt mit meinen Schmerzen.\\
Er sieht mich an und sagt vom Herzen:\\
Schlägt der Tod Euch noch nicht nieder,\\
kommt in einem Monat wieder.

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@@ -0,0 +1,32 @@
---
layout: post
date: 2005-04-24 21:48:00
tags: Стихотворение
title: Тучей солнце затянуло
teaser: |
<p>
Тучей солнце затянуло,<br>
Помрачнело все вокруг.<br>
Только солнышко блеснуло<br>
И потухло снова вдруг.
</p>
<p>
Туча с каждою минутой —<br>
Все черней, черней, черней…<br>
Небо все покрылось смутой,<br>
Мороз на улице сильней.<br>
Вот дождь пошел<br>
И легче стало: воздух мягче и свежей.
</p>
---
Тучей солнце затянуло,\\
Помрачнело все вокруг.\\
Только солнышко блеснуло\\
И потухло снова вдруг.
Туча с каждою минутой —\\
Все черней, черней, черней…\\
Небо все покрылось смутой,\\
Мороз на улице сильней.\\
Вот дождь пошел\\
И легче стало: воздух мягче и свежей.

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@@ -0,0 +1,59 @@
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layout: post
date: 2021-01-18 08:09:45
tags: Aufzeichnungen eines Pessimisten
title: Schuld
teaser: |
<p>Der ästhetische Mensch kennt keine Schuld, weil er sein Leben seinen
Leidenschaften allein widmet, ohne Rücksicht auf etwas anderes zu nehmen. Er
bereut nichts, fühlt sich nicht schuldig. In den von Victor Eremita
herausgegebenen Papieren findet sich die Ansicht, dass die Schuld dem
Individualismus entspringt. Ein Individuum kann nicht mehr sein Schicksal,
seinen Stamm und dessen Götter für sein Leid verantwortlich machen. Das
Individuum ist alleine seines Glückes Schmied. Diese Verantwortung, alles
unter Kontrolle zu haben, ist kaum zu ertragen. Das Religiöse bringt Erlösung
und befreit mittels eines Ritus von der individuellen Schuld.</p>
---
Der ästhetische Mensch kennt keine Schuld, weil er sein Leben seinen
Leidenschaften allein widmet, ohne Rücksicht auf etwas anderes zu nehmen. Er
bereut nichts, fühlt sich nicht schuldig. In den von Victor Eremita
herausgegebenen Papieren findet sich die Ansicht, dass die Schuld dem
Individualismus entspringt. Ein Individuum kann nicht mehr sein Schicksal,
seinen Stamm und dessen Götter für sein Leid verantwortlich machen. Das
Individuum ist alleine seines Glückes Schmied. Diese Verantwortung, alles
unter Kontrolle zu haben, ist kaum zu ertragen. Das Religiöse bringt Erlösung
und befreit mittels eines Ritus von der individuellen Schuld.
Nietzsche stellt dieses Verhältnis vom Ästethischen und Religiösen auf den
Kopf und sagt, dass die Schuld erst durch das Religiöse in die Welt kommt.
„Nur aesthetisch giebt es eine Rechtfertigung der Welt. Gründlicher
Verdacht gegen die Moral (sie gehört mit in die Erscheinungswelt).“
(Friedrich Nietzsche. Kritische Studienausgabe, 2 [110], Zur „Geburt der Tragödie“).
Dem modernen Menschen ist das Religiöse genauso fremd wie das Ästhetische,
deswegen steckt er zwischen diesen 2 Stadien, im Ethischen: sei ein treuer
Freund, ein guter Familienmensch, ein rechtschaffener Bürger. Aber kein
Mensch ist unfehlbar. Und man verschuldet sich immer mehr und schämt sich
dafür, was er getan oder nicht getan hat.
Eine neue Weisheit lehrt, dass wir an unserem Leid selbst schuld sind,
weil wir falsch denken. So versuchen wir richtig zu denken
und unser Leid unter Bergen eingeprägter Parolen zu vergraben: „Hauptsache
glücklich sein“, „weniger denken“, „sei du selbst“, „denke positiv“.
Das moderne Ethische hat keine Begründung, keinen Halt. Es ist einfach da,
ab dem Moment, in dem unsere Mutter uns verbietet, Finger in eine
Steckdose zu stecken, bis zum Moment, in dem wir unsere krankhaften Augen
eines Morgens vor Scham und Schmerzen nicht mehr öffnen können. Dieses Herumirren
im Ozean des Ethischen haben wir irrtümlicherweise als Freiheit oder freie
Entfaltung bezeichnet. So sind wir entweder daran schuld, dass wir keine
rechtschaffenen Bürger, guten Nachbarn, treuen Ehegatten sind, daran, dass wir
nicht normal sind; oder eben daran, dass wir rechtschaffene Bürger, gute
Nachbarn, treue Ehegatten sind, daran, dass wir normal sind (denn wir seien dann
offensichtlich nicht wir selbst, sondern wir spielen eine Gesellschaftsrolle).
„Heirate, du wirst es bereuen; heirate nicht, du wirst es auch bereuen;
entweder du heiratest oder du heiratest nicht, du bereust beides.“
(„Entweder-Oder“, Sören Kierkegaard). So versucht der Mensch
glücklich zu sein und scheitert, und fühlt sich deswegen schuldig, weil
die wahre Glückseligkeit nach Plato unabhängig von allen äußeren Faktoren
sei, und verzweifelt daran, dass er nicht stark genug sei, glücklich zu sein.

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@@ -0,0 +1,24 @@
---
layout: post
date: 2021-08-18 11:00:00
tags: Übersetzung
title: Ein Witz über die Corona-Politik und die bevorstehenden Wahlen
teaser: |
<p>Lenin und Stalin treffen sich im Jahre 1923.</p>
---
Lenin und Stalin treffen sich im Jahre 1923.
\textbf{Stalin:} Genosse Lenin, die Partei ist sehr besorgt um Ihre Gesundheit. Wie geht
es Ihnen?
\textbf{Lenin:} Es geht mir, Genosse Stalin, übelst schlecht. Dr\@. Obuch sagt, dass ich
wahrscheinlich bald sterben würde. Ich weiß nicht, mein Freund, wem ich die
Macht übergeben soll.
\textbf{Stalin:} Ich denke, mir, Genosse Lenin.
\textbf{Lenin:} Ich befürchte, Genosse Stalin, dass das Volk Ihnen nicht folgen wird.
\textbf{Stalin:} Dann wird es Ihnen folgen, Wladimir Iljitsch.
\textbf{Quelle:} Городок.

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@@ -0,0 +1,17 @@
---
layout: post
date: 2021-10-07 09:00:00
tags: Gedicht
title: Bist du einer unter Netten?
teaser: |
<p>
Bist du einer unter Netten?<br>
rauchst Elektrozigaretten,<br>
isst Sojafleisch, trinkst Kindersekt?<br>
Ist gar nichts echt, was dir noch schmeckt?
</p>
---
Bist du einer unter Netten?\\
rauchst Elektrozigaretten,\\
isst Sojafleisch, trinkst Kindersekt?\\
Ist gar nichts echt, was dir noch schmeckt?

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@@ -0,0 +1,17 @@
---
layout: post
date: 2023-05-12 20:36:00
tags: Gedicht
title: Oh Gott im Himmel, gib mir Kraft
teaser: |
<p>
Oh Gott im Himmel, gib mir Kraft,<br>
gelass'n auf Dummheit zu erwidern.<br>
Mein Zorn wird Dummheit auch nicht mindern.<br>
Es kommt, dass sie sich bald entlarvt.
</p>
---
Oh Gott im Himmel, gib mir Kraft,\\
gelass'n auf Dummheit zu erwidern.\\
Mein Zorn wird Dummheit auch nicht mindern.\\
Es kommt, dass sie sich bald entlarvt.

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@@ -0,0 +1,25 @@
---
layout: post
date: 2023-12-10 13:10:00
tags: Стихотворение
title: Когда умолкнут ночью стены…
---
Когда вконец умолкнут стены,\\
над комнатой нависнет ночь,\\
ты тишину не дай гнать прочь\\
теченью мыслей сокровенных.
Прислушайся, как сердце дышит,\\
как всякий дышит в нем предмет.\\
И ничего в сем мире нет,\\
что грусть твою сейчас не слышит.
Воспрянет тишина живая\\
из пепла мертвой тишины,\\
что взял ее в свои ты сны,\\
во век тебе не забывая.
Во мраке ли, в мятежной ль буре\\
ланитою к тебе прильнет,\\
теплом и миром обовьет,\\
покажет свет за абажуром.

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@@ -0,0 +1,272 @@
---
layout: post
date: 2024-09-03 20:45:00
tags: Aufsatz
title: Anna
teaser: |
<p>
Im nächsten Zug, in dem ich meine Fahrt fortführte, befand sich
eine Gruppe der Menschen, die untereinander gemischt Russisch und
Ukrainisch gesprochen haben. Als wir uns der Haltestelle näherten,
haben sie sich überlegt, wie sie den Rollstuhl eines ihrer Kollegen
durch den engen Gang im Zug zur Tür durchbringen können.
</p>
<p>
»Was ist mit ihm geschehen? Unfall? etwas anderes?«, fragte ein
Einheimischer ein Mädchen aus der Gruppe.
</p>
<p>»Ich weiß es nicht.«</p>
<p>»Seid ihr nicht alle zusammen?«</p>
<p>
»Oh nein, wir haben uns erst hier getroffen. Ja, ich glaube, es war ein Unfall.«
</p>
---
\epigraph{
Manche wilde Frühlingspflanze\\
kann ein Gärtner tief verpflanzen.\\
Kann auch Blumen ins Wasser stecken,\\
und sie werden bald verwelken.
}{}
»Entschuldigung, Gunzenhausen.« Anna sieht mich hoffnungsvoll an und
zeigt in die Richtung der Bahngleise.
Ich bin etwas verwirrt, weil ich den Ort, den sie sucht, nicht kenne,
und mir überlege, wie ich ihr helfen kann.
»Gunzenhausen.«, wiederholt sie nochmal.
Die Bahnsteigtreppe steigt eine andere Frau hoch. Anna hat inzwischen
verstanden, dass mit mir nichts zu gewinnen ist, und wechselt zu dieser
Frau, die sie auf die Anzeigetafel über dem Gleis verweist, und sagt, dass es der Zug
sei, den sie nehmen wolle. Aber der Zug kommt erst in 40 Minuten. Anna
versucht der Frau etwas zu erklären. Ich höre einige russiche Wörter,
die sie versehentlich in deutsche Sätze einbaut. Vielleicht kann ich mit ihr
Russisch sprechen und herausfinden, was sie genau sucht. Das mache ich auch.
Sie sieht, dass ich mein Handy in der Hand habe, weil ich kurz davor nachgesehen habe,
welche Verbindungen es noch gibt, die mich meinem Zielort näher bringen, und fragt,
ob sie mein Handy nutzen darf, um eine andere Fahrmöglichkeit nach Gunzenhausen
zu finden. Ich gebe ihr mein Handy und bedanke mich vor der anderen Frau, die
immer noch auf dem Bahnsteig steht und uns ansieht, ohne uns zu verstehen, und
sage ihr, dass ich Anna helfen werde.
»Kein Problem.«, verabschiedet sich die Frau und geht weiter.
Wir bleiben allein. Leider finden wir keine anderen Züge als den, den die
Anzeigetafel ankündigt. Anna findet keine Worte, um ihren Unmut zu beschreiben:
»Oh nein, das kann doch nicht wahr sein! In Gunzenhausen wartet ein
Taxi auf mich um 19:10. Mein Zug hat sich verspätet, deswegen
habe ich die Anschlussverbindung verpasst, und jetzt werde ich erst eine Stunde
später in Gunzenhausen ankommen als geplant. Ich hätte von dort noch
weiterfahren müssen. Unglaublich!«
»Ich wollte auch diesen Zug erwischen, du würdest dann aber auf halbem Weg
aussteigen und ich hätte bis zum Ende der Strecke fahren müssen. Und jetzt
wird meine Heimfahrt mindestens 2 Stunden länger dauern.«, sage ich ihr mit
einem müden Lächeln im Gesicht, um ihr das Gefühl zu vermitteln, dass sie nicht
allein in ihrer Lage ist.
Sie erwidert mein Lächeln und gibt mir die erste Möglichkeit, sie
genauer anzuschauen. Sie ist mir bereits im unterirdischen Gleisübergang
aufgefallen. Ich lief hinter ihr. Sie hat ein junges, gutwilliges Gesicht,
das nicht zu erkennen gibt, dass sie sich gerade Sorgen macht. Ihre hellgrünen
Augen spiegeln die Stimmung dieses hellen, sonnigen und heißen Tages wider.
Die blonden, lockigen Haare reichen knapp bis an ihre Schultern. Der linke,
dünne Träger ihres schneeweißen Kleides ist heruntergerutscht, sodass Annas linke
Schulter, ob in Eile oder mit Absicht, nackt ist.
»Man kann sich auf die Deutshce Bahn nicht verlassen, wenn man irgendwo
pünktlich ankommen will. So ist es überall in Deutschland die letzten
Jahre.«, setze ich fort.
»Krass, unglaublich. Was soll dieser Unfug, ich will in die Ukraine
zurück.«
Wir gehen etwas weiter entlang des Bahnsteiges und entfernen uns von
der Treppe. Sie beschwert sich weiter, dass sie jetzt womöglich durch
einen Wald nach Hause laufen müsse, weil sie ihr Taxi verpassen werde. Ich
bin auch besorgt, weil ich mir nicht mehr sicher bin, ob ich heute noch
nach Hause komme.
»Du bist aus der Ukraine also?«, frage ich sicherheitshalber.
»Ja.«, bestätigt sie.
»Darf ich fragen, wie du heißt?«
»Anna.«
»Ich bin Eugen.«
»Freut mich.«
»Freut mich auch. Wie lange bist in Deutschland?«
»Seit der Krieg ausgebrochen ist. Wie lange ist das her… 2 Jahre schon.
Wo kommst du her?«
»Aus Russland, aus dem hohen Norden.« sage ich, »Ich bin ein Russlanddeutscher,
also ich habe sowohl deutsche als auch russische Vorfahren, und
lebe schon länger in Deutschland.«, ergänze ich meine Antwort, als ob ich mich dafür
rechtfertigen würde, dass ich in Russland aufgewachsen bin.
In der Zwischenzeit kommt ein langer Güterzug mit ein paar leeren Waggons auf
dem Gleis gegenüber an und bleibt stehen.
»Vielleicht können wir fragen, wohin der Güterzug fährt, vielleicht kann er uns
mitnehmen, falls er in dieselbe Richtung fährt?«, wundert sich Anna laut.
Ich lache und sage, dass ich an sich nicht so abenteuerfreudig bin,
aber hörte, dass Jelzin in seiner Jugend so manchmal gereist haben soll.
Meine Anmerkung bringt Lächeln auf ihr Gesicht, das weiterhin nur
Zuversichtlichkeit ausstrahlt. Wir machen uns auf den Weg zum Kopf
des Güterzuges.
Während wir jetzt mehr sprechen, höre ich nun auch ihre ukrainische
Mundart deutlicher und mutmaße, dass sie aus der Westukraine stammt.
Bald rührt sich auch der Güterzug und wir verstehen, dass auch aus
dieser Idee nichts wird, und kehren zurück.
»Ich will nach Hause, in die Ukraine.«, wiederholt sie, »Es gibt hier
nichts, was wir nicht haben. Wenn du einen beliebigen Ukrainer fragst,
ob er etwas in Deutschland bewundert, etwas, was er in seiner Heimat
vermisste, so etwas gibt es nicht.«
Tatsächlich ist ein fremdes Land manchmal wie ein Wunder, wo alles blüht
und gedeiht, wo es alles im Übermaß gibt, und es den Menschen an nichts fehlt.
Aber gelegentlich erlebst du einen Abend, an dem du auf einer U-Bahn-Station
aussteigst und alles dir Angst macht.
Die Menschen sind merkwürdig gekleidet und werfen böse Blicke in deine Richtung.
Du gehst zitternd an ihnen vorbei, schaust nach unten, auf den schmutzigen
Boden, und befürchtest, dass sie dich ansprechen. Dein Herz beginnt zu rasen
und du fragst dich, ob es nur ein Alptraum ist, oder, ob alles davor ein Traum
war.
Anna unterbricht meinen Versuch, mich in ihre Gefühle einzufühlen:
»Ich bin schon beinahe zurückgegangen, aber dann fiel eine Rakete auf ein
Kinderkrankenhaus. Hast du davon gehört?«
Ich nicke.
»Das ist nicht weit von meinem Zuhause entfernt. Teile vom Krankenhaus
sind gestürzt, und Menschen haben sich in eine Schlange gestellt, und
räumten selbst die Steine, um den Weg freizulegen und andere zu retten.«
»Ja, bei großen Überschwemmungen kommen auch hier Leute aus ganz
Deutschland, um zu helfen, weil die Regierung nicht rechtzeitig
reagiert.«, sage ich, um hinzuweisen, dass Menschen in Not überall
gleich handeln.
»Siehst du? auf wen soll man warten?«, stellt sie die rhetorische Frage.
»Du bist aus Kiew?«
»Ja. Ich frage immer ganz besorgt meine Mutter, wie sie dort mit meinem
kleinen Bruder lebt. Aber meine Mutter schenkt dem Geschehen nicht mehr
so viel Aufmerksamkeit. „Als ob ständig Motorräder durch den Himmel
fahren würden“«, zitiert sie ihre Mutter lachend, »Es gibt verschiedene
Stufen von Alarm-Signalen. Bei stärkerem Beschuss gehen Menschen in den
Keller und kommen danach zurück.«
Menschen leben ihr Leben weiter. Auch unter grausamen Bedingungen. Es
gibt nur weniges, woran sich der Mensch nicht gewöhnt. Der Rest geht in
den Alltag über. Ich erinnerte mich an Berichte aus der Ostukraine aus
der Zeit des Bürgerkrieges, bevor die russische Armee einmarschiert
ist. Wohngebiete unter Beschuss, aber Menschen stehen jeden Tag auf,
Erwachsene gehen zur Arbeit, Kinder --- zur Schule.
Ich höre Anna aufmerksam und mit Interesse zu und vermeide Beurteilungen und
Suche nach Schuldigen. Auch Anna scheint dieses Themengebiet nicht anfassen zu
wollen. Es ist möglicherweise die Angst, dass es unser Gespräch in
einen sinnlosen Streit verwandeln würde. Bei näherem Betrachten, welche
Rolle spielt das? Ich bin am bewaffneten Konflikt zwischen Russland und
der Ukraine nicht Schuld. Sie ist es auch nicht. Sie hat nur Heimweh
und will ihr Leben zurück haben.
»Kannst du vielleicht den Taxi-Dienst anrufen und fragen, ob die Fahrt
verschoben werden kann?«, hat Anna mich gebeten.
Sie hat die Telefonnummer des Taxi-Unternehmens rausgesucht. Ich habe mehrmals
versucht, konnte aber niemanden erreichen. Während ich wartete,
dass jemand ans Telefon geht, haben wir angefangen über unser Alter zu
sprechen. Ich bin fast 15 Jahre älter als sie.
»Du siehst 7 Jahre jünger aus als du bist.«, sagt sie mir, nachdem ich
ihr Alter beim zweiten Versuch richtig raten konnte.
»Eltern sagen öfters, dass wir für sie immer klein, immer Kinder
bleiben. Aber auch sie bleiben in meiner Erinnerung im selben Alter,
vielleicht 40--50 Jahre alt, im Alter, in dem ich sie als Kind kannte.«
Ich erzähle das und gebe mir dabei die Mühe, nicht zu ernst zu sein,
weil ich nicht weiß, ob sie meine Aussage absurd findet oder das ähnlich
wie ich empfindet. »Vielleicht altern wir heutzutage nicht so schnell,
weil das Leben nicht mehr so hart ist.«
»Ich habe einen Freund, 25 Jahre alt. Er ist, naja…«, sie macht eine kurze
Pause, »er hat militärischen Hintergrund. Er ist plötzlich und
rasch viel älter geworden, machte den Eindruck, sehr erschöpft zu sein.«
Es gibt eine andere Dimension des Alterns. Man hört gelegentlich, dass
manch ein Mensch einfach nicht erwachsen wird. Nur sein Körper wird
älter. Aber auch hier gibt es Unterschiede. Die einen handeln kindisch,
die anderen haben die Seele eines Kindes; eine Seele, die verzeihen
kann, die keine Angst hat zu vertrauen und zu lieben. Hat Christus
nicht gesagt, dass das Himmelreich den Kindern gehört?
Und es gibt Menschen, die alt geboren werden. Schon in frühen Jahren
lernen sie, dass alles Weltliche vergeht, dass jede Freundschaft und
jede große Liebe ein Ende haben. Dass man sich auf die Worte seines
Gegenübers niemals verlassen kann, denn süße Worte wie Zucker auf der
Zunge zergehen und nur einen Nachgeschmack aus unreinen Absichten
hinterlassen.
»Wann ist der Krieg schon endlich zu Ende?«, sagt Anna traurig.
»In der Tat. Kriege enden leider nicht. Kaum endet der eine, beginnt
irgendwo ein anderer. Sie sind die treuesten Begleiter der
Menschengeschichte, genauso wie Krankheiten und Hunger.«
»Ich habe gehört, dass der Krieg bald endet. Aber manche sagen, dass, wenn
er endet, in 10 Jahren ein neuer beginnt. Die anderen behaupten
wiederum, dass es zu einem dritten Weltkrieg kommt.«
Ich habe nicht verstanden, ob nach 10 Jahren der Ukraine-Konflikt sich erneut
entfachen soll, oder, ob sie allgemein Kriege meint. Im letzteren Falle wären
10 Jahre sehr großzügig. »Die Lage ist weltweit sehr angespannt, und es gibt
mehrere Regionen, wo es jederzeit zu bewaffneten Auseinandersetzungen kommen
kann, die wiederum das Potenzial haben, die halbe Welt in Brand zu setzen.«
Abgehobene Wahrheiten, die Frage nach dem Übel in der Welt und die globale
geopolitische Lage scheinen sie nicht des Atems zu berauben. Sie wolle nach Kiew.
Ab einem bestimmten Moment lief die Zeit schneller. Wir
mussten uns immer wieder ein neues Gesprächsthema überlegen, und
Themenwechsel wurde immer wieder von größeren Pausen begleitet. Dann
kam schon der Zug, auf den wir sehnsüchtig gewartet haben. Anna konnte
ihr Handy aufladen und ihre Bekannte kontaktieren, die sie mit Auto von
Bahnhof abholen sollten. Das hat sich also geregelt.
Im Zug sprachen wir über unsere Berufe und Freizeitbeschäftigungen,
über Kleidergeschäfte und Technik, über dies und jenes.
Als die Zeit kam, haben wir uns voneinander verabschiedet und einander eine
gute Wieterfahrt gewünscht, und sie stieg aus. Ich blieb sitzen und schaute nicht
zur Tür zurück.
Im nächsten Zug, in dem ich meine Fahrt fortführte, befand sich
eine Gruppe der Menschen, die untereinander gemischt Russisch und
Ukrainisch gesprochen haben. Als wir uns der Haltestelle näherten,
haben sie sich überlegt, wie sie den Rollstuhl eines ihrer Kollegen
durch den engen Gang im Zug zur Tür durchbringen können.
»Was ist mit ihm geschehen? Unfall? etwas anderes?«, fragte ein
Einheimischer ein Mädchen aus der Gruppe.
»Ich weiß es nicht.«
»Seid ihr nicht alle zusammen?«
»Oh nein, wir haben uns erst hier getroffen. Ja, ich glaube, es war ein Unfall.«

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layout: post
date: 2025-07-04 01:00:00
tags: Gedicht
title: Die Kindheit ist für immer fort…
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Die Kindheit ist für immer fort.\\
Der Mensch versucht zurückzufinden\\
zu jener Zeit, an jenen Ort,\\
die ihn mit seinem Selbst verbinden.
Er läuft alleine durch den Park:\\
Sein altes Heim erwacht aus Steinen,\\
und seine Stadt, die sich verbarg,\\
die er durchlief auf zweien Beinen.
Als ob in einem Geistersee,\\
da, zwischen trüben Straßenlichtern\\
kann er die alten Freunde seh'n\\
in ihm wildfremdesten Gesichtern.
Das Kind ist da und niemals fort,\\
im Menschengeiste tief verborgen.\\
Zu jeder Zeit, an jedem Ort\\
erkennt er sich in ihm geborgen.