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date: 2017-03-15 00:00:00
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tags: Aufsatz
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title: Gegenständliche Erkenntnis bei Simon L. Frank
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teaser:
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<p>Die so für den gemeinen Menschen merkwürdige Frage nach der Sicherheit menschlicher
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Erkenntnis wurde im letzten Jahrundert nicht nur durch vielfältige philosophische Spekulationen,
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sondern auch durch die modernen Naturwissenschaften noch stärker verschärft,
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wobei philosophische Spekulationen in gewisser Hinsicht wichtiger sind, weil, wenn die
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Naturwissenschaften mit den Sinnesdaten arbeiten und die Existenz der Außenwelt einfach voraussetzen,
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der Philosoph keine solche Voraussetzungen machen darf. Er steigt eine Ebene tiefer ein und fragt, ob
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es überhaupt möglich ist, solche Sinnesdaten zu gewinnen.</p>
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<p>Unter den zahlreichen Versuchen, dieses erkenntnistheoretische Problem zu entschlüsseln,
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verdient der Lösungsweg, den Simon L. Frank beschritten hat, eine besondere Aufmerksamkeit.</p>
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\section{Einleitung}
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\epigraph{
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Heiße Magister, heiße Doktor gar,\\
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Und ziehe schon an die zehen Jahr'\\
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Herauf, herab und quer und krumm\\
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Meine Schüler an der Nase herum ---\\
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Und sehe, daß wir nichts wissen können!
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}{\textit{Faust I}\\Johann Wolfgang von Goethe\footcite[15]{faust}}
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In der Tat, können wir etwas wissen, etwas erkennen?
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Seit der Entstehung der Menschheit wunderte man sich über die Welt, die einen umgibt. Man fragte sich, wie die Umwelt
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funktioniert, was hinter den natürlichen Ereignissen steht, suchte nach Gesetzmäßigkeiten und legte auf diese Weise den
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ersten Grundstein für das Gebäude der Physik. Dieses Projekt war jedoch anscheinend so komplex, dass manche Philosophen
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sich wenige Jahrhunderte später die Ansicht aneigneten, dass es überhaupt keine Wahrheit, sondern nur Schein und
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Täuschung gebe. Durch Grübelei und Diskutieren gelangte man schließlich zum Zentrum seines Daseins, zu seinem Selbst,
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und stellte sich nun die Frage: „Was bin ich? Habe ich zumindest eine sichere Erkenntnis, dass es mich selbst
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tatsächlich gibt, oder bin ich auch ein bloßer Schein, eine Selbsttäuschung?“
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Die so für den gemeinen Menschen merkwürdige Frage nach der Sicherheit menschlicher Erkenntnis wurde im letzten Jahrundert
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nicht nur durch vielfältige philosophische Spekulationen, sondern auch durch die modernen Naturwissenschaften noch
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stärker verschärft, wobei philosophische Spekulationen in gewisser Hinsicht wichtiger sind, weil, wenn die
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Naturwissenschaften mit den Sinnesdaten arbeiten und die Existenz der Außenwelt einfach voraussetzen, der Philosoph
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keine solche Voraussetzungen machen darf. Er steigt eine Ebene tiefer ein und fragt, ob es überhaupt möglich ist,
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solche Sinnesdaten zu gewinnen.
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Unter den zahlreichen Versuchen, dieses erkenntnistheoretische Problem zu entschlüsseln, verdient der Lösungsweg, den
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Simon L. Frank beschritten hat, eine besondere Aufmerksamkeit. Bevor ich aber zur Darlegung Franks Erkenntnistheorie
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übergehe, möchte ich genauer auf die Frage eingehen: Was ist eigentlich so rätselhaft an unserer Erkenntnis?
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\section{Wie weit geht der Zweifel?}
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Ren\'{e} Descartes, der nach Arthur Schopenhauer „mit Recht für den Vater der neuern
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Philosophie“\footcite[11]{schopenhauer} gilt, wollte bekanntlich vor allem ein festes Fundament für seine Philosophie
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legen.\footcite[23f]{discours} Als erste Regel, die ihn von Abgründen des Nichts-Wissens zu wahren Erkenntnissen
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leiten sollte, war, nichts in sein Wissen aufzunehmen, „als was sich so klar und deutlich darbot, dass
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ich keinen Anlass hatte, es in Zweifel zu ziehen.“\footcite[33]{discours} Die materielle Welt fiel aus dieser
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Kategorie gleich aus: Es könnte ja sein, dass ich sie nur träume, dass es sie aber nicht gibt. Das ist das
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problematische Moment der gegenständlichen Erkenntnis. Sie ist außer uns, aber alles, was wir haben, sind unser Gehirn und
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unsere Sinnesorgane. Wenn sie uns täuschen, dann haben wir ein völlig verkehrtes Weltbild, ohne das jemals zu merken
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oder merken zu können.
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Gibt es aber etwas, was nicht bezweifelt werden kann? Descartes bejaht diese Frage:
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„Aber gleich darauf bemerkte ich, daß, während ich so denken wollte, alles sei falsch, es sich notwendig so verhalten müsse,
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daß ich, der dies dachte, etwas war.“\footcite[57]{discours}
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Nun fühlt man festen Boden unter den Füßen. Wenn ich auch an allem zweifeln kann, dann doch nicht daran, dass es
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mich selbst gibt, dass ich denke und zweifle. Ferner definiert Descartes den Menschen als denkende Substanz,
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\textit{res cogitans}\footcite[Vgl.][43]{geschichte17-18}, die Wladimir Solowjew seinerseits als
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„einen unzweifelhaften Mischling“\footnote{\cite[40]{solowjow}. Zur Kritik Descartes denkender Substanz siehe den
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kompletten ersten Aufsatz aus „Theoretische Philosophie“ im genannten Band.}
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bezeichnet, weil jener dem Subjekt das zuschreibe, was ihm nicht mit Sicherheit gehöre. Alles Reden über das Ich
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ist kein Reden über das Ich, sondern das Reden über \textit{Etwas}. Wenn wir über das Subjekt reden, vergegenständlichen
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wir dieses, machen es zu einem Objekt, was gleichzeitig alle Probleme gegenständlicher Erkenntnis auf das Subjekt
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überträgt. Descartes weist zum Beispiel darauf hin, dass die Gedankenwelt eines Traumes niemals so evident und vollständig
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wie diese der Realität sei.\footcite[Vgl.][69-71]{discours} Wie kann man zu diesem Schluss
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kommen? Man vergleicht das Realitätsbewusstsein mit demjenigen eines Traumes, was allerdings gar nicht in die umgekehrte Richtung
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geht: Im Traum gelten andere Gesetze, die \textit{in diesem Moment} unvergleichbare Evidenz und Vollständigkeit haben.
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Wenn ich also eine zweite Realität annehme und ich nur das Produkt eines Traumes eines Anderen bin, dann sind die
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Gedankengänge meiner Wirklichkeit genauso lächerlich und absurd für die zweite Realität.
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Natürlich gibt es einen Kern, denn ich bin doch etwas (wenn auch nur ein Traumgebild oder ein Produkt der Natur,
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das sich einbildet, etwas frei denken zu können), aber man kann diesen Kern kaum
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benennen.
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Solowjew unterscheidet deswegen zwischen dem reinen und empirischen Subjekt. Jenes ist sicher und
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unerschütterlich, da es uns auf dem unmittelbarsten Wege gegeben ist,
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aber leer (wie ein mathematischer Punkt), dieses erfüllt und bunt, weil es die ganze Persönlichkeit
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enthält, dennoch wackelig und grundlos.\footcite[Vgl.][51]{solowjow} Und so verhält es sich in diesem Model mit allem
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Sein überhaupt.
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Hiermit stehen dem Skeptizismus alle Türe offen, weil, wenn man das Sein radikal und bis zum Ende, als etwas,
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was dem Erkennenden gegenüber steht, denkt, das Maximum, was man mit Sicherheit weiß, ist, dass man
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\textit{in irgendeiner Weise} existiert. Alle anderen Erkenntnisse stehen unter Verdacht, nicht objektiv zu sein.
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Die große Frage wäre also, ob man diese Kluft zwischen dem Subjekt und Objekt überbrücken kann.
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\section{Zwei Hauptaspekte der Erkenntnislehre}
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Das von mir oben geschilderte Problem ist als Transzendenzproblem bekannt. Frank unterteilt es in zwei
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Fragen, wovon eine relativ einfach und in verschiedenen Systemen im Prinzip gelöst, die andere dagegen
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schwieriger sei und oft außer Acht gelassen werde.\footcite[Vgl.][166f]{frank:problem} Einerseits handelt es
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sich darum, zu erklären, wie das Subjekt das gegenständliche Sein, also das Transzendente, wirklich erfassen kann.
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Andererseits stellt sich die Frage: Was bedeutet dieses gegenständliche Sein überhaupt, woher wissen wir, dass es
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etwas von unserem Bewusstsein Unabhängiges, permanent Existierendes gibt?\footcite[Vgl.][168]{frank:problem}
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Es ist kein Zufall, dass Frank im Bezug auf das Transzendenzproblem nicht nur über unser Verhältnis zum Sein spricht,
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sondern auch über das Sein selbst, was streng genommen keine Aufgabe der Erkenntnistheorie ist, sondern die der
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Ontologie. In seinem Aufsatz „Die Krise der modernen Philosophie“ hat Frank darauf hingewiesen, dass Kant
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(und mit ihm die moderne Philosophie) jeder Ontologie eine Erkenntnistheorie vorgeordnet
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sieht.\footcite[Vgl.][48]{frank:krise} Das Erkennen geht ja von uns aus. Wir haben ein gewisses Vermögen, das uns
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ermöglicht, verschiedene Inhalte in uns aufzunehmen. Deswegen ist das Reflektieren über dieses Vermögen das
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Grundlegendste, was es geben kann. Auch wenn wir über das Sein nachdenken, tun wir das vermittels dieses Vermögens.
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Es dreht sich also alles um die Bedingung der Möglichkeit der Erkenntnis und die Wissenschaft, die diese Bedingung
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erforscht, wenn sie tatsächlich gründlich sein will, muss selbst bedingungslos sein, das heißt sich auf keine vorgefasste
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Ontologie stützen.\footcite[Vgl.][48]{frank:krise} Frank mit seinem scharfen Sinn für das
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Sein (und nicht nur für die abstrakte Begrifflichkeit) tritt dieser Einstellung entgegen und dreht das Verhältnis
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von Ontologie und Erkenntnistheorie um: Wird es denn nicht angenommen, dass es einerseits den Erkennenden und
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andererseits das gegenständliche Sein \textit{gibt}? Die Spaltung
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in Objekt und Subjekt ist somit nichts Anderes als eine ontologische Voraussetzung. Die Erkenntnistheorie muss zum
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Bewusstsein kommen, dass sie selbst Ontologie ist und anders gar nicht gedacht werden kann, sie soll „eine offene und
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richtige Ontologie“ sein und „sich von jenem [\dots] fehlerhaften circulus vitiosus befreien, in dem einzelne,
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abgeleitete Daten eines begrenzten Seinsgebiets die logische Grundlage für die Beurteilung des seins im ganzen
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waren.“\footcite[50]{frank:krise}
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Wenn man nun die scheinbare Grenzlinie zwischen dem Subjekt und Objekt aufhebt, gelangt man auch schon zur Lösung
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des ersten Teils des Transzendenzproblems. Das Bewusstsein ist eben nicht etwas in sich Geschlossenes, das auf eine
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unbekannte Weise affiziert wird und nur verzerrte Bilder der Wirklichkeit in sich aufnimmt, sondern es steht
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immer mitten im Sein und richtet seinen Blick auf die Gegenstände. Frank vergleicht den Erkenntnisprozess mit der
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Wirkung einer Lampe, die aus sich selbst „hinausgeht“ und ihr Licht auf die Dinge wirft. Das menschliche Bewusstsein
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ist seinem Wesen nach ein Lichtstrahl, der seine Grenzen transzendiert und so seine Umgebung
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beleuchtet.\footcite[Vgl.][167]{frank:problem}
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\section{Das Transzendente als unmittelbar Gegebenes}
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Frank gibt sich mit dem Erreichten nicht zufrieden und untersucht genauer, soweit es möglich ist, die Seinsstrukturen
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und das Interagieren des menschlichen Bewusstseins mit den anderen Teilaspekten des Seins.
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Am Anfang bin ich durch systematischen Zweifel, der bei der objektiven Wirklichkeit ansetzt und zum Innersten
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des Subjekts führt, zum Ergebnis gelangt, dass es unbedingt etwas geben muss. Man kann nur dieses „Etwas“ nicht
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als res cogitans oder mit einem anderen Begriff bezeichnen, was gleichsam Vergegenständlichung bedeuten würde. Es
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entkommt jeder Definition. Es ist ein Punkt, etwas unendlich Kleines, weil es nichts Definierbares in sich enthält
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und unendlich Großes, weil es nichts außer sich selbst kennt. Man kann auch nicht von Dauer sprechen.
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Die Vergangenheit und die Zukunft sind uns nicht unmittelbar gegeben. Die Zukunft gibt es im Moment noch gar nicht
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und seine Vergangenheit kann man rekonstruiren, auch wenn diese Rekonstruktion nicht im Geringsten der Wahrheit
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entspricht, ohne dabei die Absicht zu lügen zu haben\footnote{Juristen sind so genannte
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\textit{Knallzeugen} bekannt, die vor Gericht in allen Einzelheiten etwas beschreiben können, was sie gar nicht
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gesehen haben, sondern erst im Moment des Ereignisses (beispielsweise eines Autounfalls) darauf aufmerksam geworden
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sind. Die Widersprüchlichkeit seiner Aussagen wird so einem Zeugen nicht
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bewusst. \cite[Vgl.][17]{psyche}}. Es lebt nur in diesem konkreten Moment. Es wäre ein Nichts, wenn es nicht
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ein „Etwas“ wäre, „es ist ein \textit{Sein} schlechthin“\footcite[178]{frank:problem}. Es ist primär und
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unmittelbar evident. Alles Andere, Denken, Bewusstsein, sind im Vergleich dazu sekundär, sie müssen ja erst
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\textit{sein}, also an einem Sein teilhaben. Frank betont nochmal ausdrücklich, dass das Subjekt kein Träger vom
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Sein ist, sondern, dass es das Getragene ist, es haftet selbst am Sein, dass alles in sich
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vereinigt\footcite[Vgl.][178]{frank:problem}.
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Es ist also gelungen, etwas Evidentes, Unleugbares zu finden, und es annähernd zu beschreiben. Es scheint jedoch zu
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sein, dass man an dieser Stelle auch bleiben muss, weil es sich nichts mehr findet, was genauso selbstevident und dem
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Menschen unmittelbar gegeben wäre. Im nächsten Schritt kritisiert Frank aber die Meinung, dass die
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Selbstevidenz, unmittelbare Gegebenheit und Immanenz unbedingt zusammenfallen. Es ist überhaupt ein Merkmal unseres
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Denkens, dass wir ein Ding nie einzeln denken können. Was ist zum Beispiel die Gegenwart? Die Gegenwart wird als eine
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Grenzlinie zwischen Vergangenheit und Zukunft vorgestellt. Genauso kann man nur auf dem Hintergrund dessen, was
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die Gegenwart ist, verstehen, was die Zukunft ist. Dasselbe gilt selbstverständlich auch für die Vergangenheit. Alle
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drei Begriffe stehen
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in einer Relation zueinander und können unabhängig voneinander gar nicht gedacht werden. Wenn es keine Zukunft und
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keine Vergangenheit gegeben hätte, dann hätte man auch keine Vorstellung von der Gegenwart. Wenn man genauer hinschaut,
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dann erblickt man, dass es sich ähnlich auch mit allen anderen Dingen verhält, auch mit räumlichen Gegenständen. Wenn
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ich einen roten Fleck sehe und sage, dass der Fleck rot ist, bringe ich ihn in Beziehung mit allen anderen Gegenständen,
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die vielleicht grün, schwarz oder weiß sind. Wie hätte ich die Röte wahrnehmen können, wenn es keine anderen Farben
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gegeben hätte?\footcite[Vgl.][26f]{ehlen:frank-intro}
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Zu einem Inhalt A kommt notwendig ein anderer Inhalt, non-A, hinzu, der dem A nicht immanent, sondern
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transzendent ist und mit ihm in einer Verbindung steht. Nicht nur Immanentes ist uns evident und unmittelbar gegeben,
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es ist nicht mal das Primäre, weil es nur im Zusammenhang mit dem Transzendenten gedacht werden kann, als Teil eines
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Ganzen, das folglich auch \textit{ist}. Dieses non-A ist kein Gegenstand unserer Erkenntnis in dieser Sekunde,
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weil unser Blick auf den Inhalt A gerichtet ist, non-A ist uns verborgen,
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aber trotzdem als solches gegeben.\footcite[Vgl.][179ff]{frank:problem} Demzufolge kann man auch das
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Sein nicht als einen nur in diesem Moment existierenden, mathematischen Punkt deuten. Dieser Moment setzt einen anderen
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voraus und ein Punkt setzt eine unendliche Seinsfülle voraus, der er zugehört.
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Das ist die Antwort, die Frank auf die zweite Teilfrage des Transzendenzproblems gibt. Es gibt Sein, das nicht
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gegenständlich ist, sondern das eine Einheit vom Subjekt und dem gegenständlichen Sein darstellt. Alles, was ist,
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partizipiert an ihm, wodurch eine Verbindung zwischen den Teilen des Seins, zwischen Subjekt und Objekt
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gewährleistet wird.
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\section{Das mitgedachte Unbekannte}
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Das Moment des Unbekannten, des Verborgenen spielt auch eine große Rolle im Erkenntnisprozess. Frank untersucht ein
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synthetisches Urteil der Form „S ist P“. Wenn S als eine Begriffsbestimmtheit gedacht wird, kann S nach
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dem Widerspruchsprinzip kein P sein, weil S ein S ist. Wenn man „S ist P“ sagt, meint man dann wohl etwas Anderes.
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„Unter S wird aber tatsächlich zweierlei zugleich gedacht: einerseits eine Begriffsbestimmtheit A, die sich eben mit
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der Bestimmtheit B, die das Wesen des Prädikats ausmacht, verbindet [\dots]“.\footcite[170]{frank:problem}
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Andererseits hat unsere Erkenntnis nur Sinn, wenn sie auf etwas Unbekanntes ausgerichtet ist, und es ist, wie es oben
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gezeigt wurde, tatsächlich so, dass das Unbekannte immer mitgedacht wird.
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„Wäre die Realität auf das jeweils Erkannte beschränkt,
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würde fortschreitendes Erkennen darin bestehen, daß ein neuer Wissensinhalt den anderen ablöst. Dieser Vorgang [\dots]
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würde der Dynamik des Erkenntnisvorgangs nicht entsprechen.“\footcite[25]{ehlen:frank-intro} Also muss S auch
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etwas Unbestimmtes enthalten, es ist das überbegriffliche Ganze, in dem wir im Urteil die Bestimmtheit B erkennen.
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Frank schließt daraus, dass die eigentliche Form des Urteils \mbox{AX = B} sei\footcite[Vgl.][171]{frank:problem}.
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Wobei dieses X nicht etwas an sich
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Unerkennbares ist, Frank bezeichnet es mit dem Wort „Bestimmtheitskomplex“\footcite[171]{frank:problem}. Dieser
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Komplex ist unabhängig von uns vorhanden und bestimmt, aber nicht von uns erkannt. Bei der Erkenntnis hat man nicht
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nur mit den Erkenntnisinhalten zu tun, sondern auch mit dem Unbekannten, mit der Inhaltsfülle des Gegenstandes
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selbst. Die Zweieinheit von Subjekt und Prädikat im Urteil kann nicht zufällig sein und ist nicht sekundär,
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weil es dann schwer zu erklären wäre, wie es überhaupt zu dieser Kopula kommt,\footcite[Vgl.][170]{frank:problem}
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muss also im Sein verankert sein und die Einheit vom Gegenstand und dem Erkenntnisinhalt widerspiegeln.
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\section{Intuitive und begriffliche Erkenntnis}
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Die nächste Frage, der Frank sich widmet, ist, wie dieses Abbilden des Gegenstandes, also dieses Gewinnen des
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Erkenntnisinhaltes, überhaupt möglich ist, weil man den Erkenntnisinhalt nicht mit dem Inhalt des Gegenstandes selbst
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verwechseln darf. Unsere Urteile können auch falsch sein. Der Wahrheitswert unserer Erkenntnisse wird auf irgendeine
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Weise am Inhalt des Gegenstandes gemessen. Um ein Abbild zu machen, muss man aber den Gegenstand bereits
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besitzen, was jedoch zufolge hätte,
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dass ein Abbild überflüssig wäre, und wenn man ihn nicht besitzt, dann ist es einfach nicht möglich so ein
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Abbild anzufertigen, weil man das Original nicht hat.\footcite[Vgl.][193]{frank:meta}
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Als Ausgangspunkt nimmt Frank das Schlussprinzip (A $\Rightarrow$ B) und die logische Regel modus ponens
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(A $\Rightarrow$ B; nun ist A, also ist auch B), weil es dem Vorgehen unserer Erkenntnis entspricht:
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Aus einem bereits bekannten A wird B gefolgert. Die Überlegungen, die Frank hier anstellt, sind im Wesentlichen
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ähnlich der Untersuchung des synthetischen Urteils der Form „A ist B“. A ist eben A und kann keine „Informationen“
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über B enthalten, also muss es eine primäre Einheit AB geben, die die Möglichkeit des Schlusses begründet. Die
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Schlussfolgerung darf aber in diesem Fall nicht als eine Summe von A und B gedacht werden, sonst wäre es keine
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wirkliche Schlussfolgerung, sondern die beiden Teile würden uns unmittelbar gegeben. Das Ganze ist in diesem Fall
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viel mehr eine Potenz, sodass die Bestimmtheit A sich zunächst auskristallisiert und danach aus dem vom Ganzen
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gebliebenen Rest B gebildet wird.\footcite[Vgl.][194-197]{frank:meta}
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Da es unendlich viele Bestimmtheiten gibt, muss es einen Bereich geben, der alles Gedachte und Erkennbare überhaupt
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umfasst. Allerdings können die logischen Denkgesetze (Kategorie der Identität und Unterschiedes, der Satz des
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ausgeschlossenen Dritten) nicht als Verbindungsglied zwischen den als fertig gegeben gedachten Bestimmtheiten
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gedacht werden. Das führt zu Tautologien und Widersprüchen. Biespielsweise besagt die Identität, dass
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\mbox{A = A} ist, wobei die Identität das Vorhandensein eines
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zweiten A eigentlich ausschließt. Der Satz des ausgeschlossenen Dritten besagt: Alles Denkbare ist entweder A oder non-A und ein
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Drittes ist nicht gegeben. „Alles Denkbare“ ist aber ein Drittes, weil es sowohl A als auch non-A enthalten
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kann. Und die Möglichkeit dieses Dritten wird im Satz geleugnet. Wäre ein Drittes in der Tat ausgechlossen, wäre der
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Satz gar nicht denkbar, weil „alles Denkbare“ nur eins von beidem wäre.\footcite[Vgl.][198]{frank:meta} Dagegen
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sind die Denkgesetze die Möglichkeitsbedingungen, „auf Grund deren die begriffliche Bestimmtheit überhaupt (also
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ein A und ein non-A) erst entsteht.“\footcite[Vgl.][198f]{frank:meta} So wird alles Denkbare zunächst als eine
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Einheit gedacht (Identitätsprinzip), dann wird von allem Anderen abgehoben (Underschiedsprinzip) so, dass es sich
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„eindeutig als ein »Solches«, ein genau bestimmtes, einzigartiges »Quale«
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konstituiert“\footcite[199]{frank:meta} (Satz des ausgeschlossenen Dritten).
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Hier nähern wir uns einem Gebiet an, das nicht nach logischen Gesetzmäßigkeiten funktoniert, sondern sie erst
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begründet. Dieses Gebiet ist deswegen \textit{metalogisch}. Frank bezeichnet darum die Beziehung zwischen der primären
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Einheit und dem System der Bestimmtheiten als „metalogische Ähnlichkeit“\footcite[200]{frank:meta}, sie haben die
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gleichen Inhalte, aber unterschiedliche Seinsgrade. Aus dem Vorhandensein dieser zwei Ebenen, die das Sein jeweils
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auf eigene Art und Weise abbilden, leitet Frank die Existenz auch einer zweiten Erkenntnisart, ab, der
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intuitiven Erkenntnis, die grundlegend für die begriffliche ist, da die erstere das Material für
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die letztere aus der überbegrifflichen Alleinheit liefert.\footcite[Vgl.][201]{frank:meta}
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Die intuitive Erkenntnis hat das Erlebnis zu ihrem Ansatzpunkt. Das Erlebte ist zunächst ein X, etwas vollkommen
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Unbekanntes und es wird nicht nur durch das Gehalt dieses Erlebnisses bestimmt, sondern dieses Unbekannte wird
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in einem Zusammenhang mit dem Ganzen des Seins erkannt, als dessen Teilmoment, was objektive
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Erkenntnis möglich macht, weil dieses Ganze keine amorphe Masse ist, sondern „konkrete Einheit der
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Mannigfaltigkeit“\footcite[203]{frank:meta}. Die intuitive Erkenntnis dient nicht nur als Grundlage für die
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begriffliche Erkenntnis, sondern sie ist auch dem Gegenstand selbst mehr adäquat, weil
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die Teilaspekte des Seins intuitiv als ein Ganzes gefasst werden, was der Einheit des Seins mehr entspricht. Die
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Entsprechung ist aber wiederum kein Original. Man könnte unsere Erkenntnis (jeder Art) mit einem malerischen Werk
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vergleichen. Man kann eine Gegend sehr gut auf einem Blatt Papier darstellen, die Deminsionen können anhand bestimmter
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Techniken nachgemacht werden, sie sind aber trotzdem nicht da, sondern nur in der Natur selbst. Dazu muss noch gesagt
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werden, dass ein Kunstwerk natürlich zeitlos ist, ihm fehlt der Atem, der die lebendige Natur bis in die letzte Tiefe
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durchdringt.\footcite[Vgl.][210f]{frank:meta}
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Im Gegensatz zur intuitiven Erkenntnisweise hat die begriffliche Erkenntnis einen
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negativen Charakter, weil A durch die Verneinung alles Anderen bestimmt wird, A steht immer in einer Relation zu non-A,
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welches als „der unendliche dunkle Rest“\footcite[205]{frank:meta} übrig bleibt. Eine Bestimmtheit A ist immer
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eine Abspaltung, eine gewisse Verarmung im Vergleich zur primären Einheit „A + non-A“ und trotzdem verliert die
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begriffliche Erkenntnis nicht an Bedeutung. Zwar ist sie relativ „tot“, sie greift Daten aus der Seinsfülle
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heraus und macht sie zu einem starren System, doch ist das
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menschliche Intuitionsvermögen auch nicht im Stande das Sein in seinem ganzen Umfang zu fassen. Beide
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Erkenntnisarten vervollsändigen einander. Die begriffliche Erkenntnis hilft das Sein auseinanderzunehmen und
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auf diese Weise es genauer zu untersuchen. Nur die Kooperation der beiden Erkenntnisarten macht es möglich die
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Mannigfaltigkeit und die Einheit des Seins für den erkennenden Menschen in ein Gleichgewicht zu
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bringen.\footcite[Vgl.][206]{frank:meta}
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\section{Wissendes Erleben}
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Simon Frank hat uns ziemlich nah an das Sein herangeführt (genauer gesagt an die bewusste Schau des Seins). Und doch
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ist dieses Sein vor unseren Augen unbeweglich, grob, blass. Frank führt das Beispiel eines Apfels an, dessen Begriff
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oder das vollkommenste intuitive Erfassen uns jedoch nicht sättigen können.\footcite[Vgl.][210]{frank:meta} Der
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Unterschied zwischen einem Apfel als Gegenstand und einem Begriff ist die „Idealität“, die Frank mit der
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Zeitlosigkeit, die ich bereits kurz angesprochen habe, gleichsetzt. Hier kehren wir wieder zum Anfang, da wo ich
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im Zusammenhang mit dem Zweifel geschrieben habe, dass alles, was zum \textit{Gegenstand} menschliches Denkens (oder
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auch intuitives Anschauens) werden kann, wird vergegenständlicht, „[a]us dem zeitlichen Geschehen wird dadurch
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\textit{eine ewig-unbewegliche Wahrheit}“\footcite[211]{frank:meta}. Das gilt sowohl für abstraktes Denken als auch
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für normales Geschehen. Dieses Zeitlose kann nicht das Primäre sein aus dem einfachen Grund, dass das Zeitlose immer
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in einer Relation mit dem Zeitlichen steht. Das wahre Absolute ist nicht relativ zu etwas, es schließt Relatives ein,
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ohne es aufzulösen. Es kann auch nicht zeitlos sein, sondern überzeitlich. Erst aus dem Überzeitlichen entwickeln sich
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diese zwei Gegensätze: Zeitloses und Zeitliches.\footcite[Vgl.][213]{frank:meta}
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Gibt es eine Möglichkeit den „Apfel des Seins“ nicht nur begrifflich zu erkennen und intutiv anzuschauen, sondern ihn
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auch zu kosten? Jede gegenständliche Erkenntnis ist nur ein Abbild, das deswegen nicht dem Gegenstand selbst
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adäquat ist, sondern höchstens etwas über ihn sagt. Frank wählt für diesen Fall den Begriff
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„cognitio \textit{circa rem}“ anstatt von „cognitio \mbox{\textit{rei}\hspace{0.02cm}“\footcite[217]{frank:meta}.}
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Wenn ein Lebewesen in sich tatsächlich geschlossen wäre, wäre eine wahre Erkenntnis in der Tat nicht möglich, weil man
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sich dann nur mit Abbildungen der Wirklichkeit begnügen sollte. Es wurde jedoch gezeigt, dass der Mensch auf diese
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Weise nicht denkbar ist. Er ist vielmehr --- wie alles andere Seiende auch --- vom Sein durchdrungen. Der Mensch
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geht über sich hinaus, weil in ihm sich das manifistiert, was weit über die Grenzen seines eigenen menschlichen Wesens
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fließt und die ganze Realität mit sich füllt. Die Erfahrung der Manifestation des Seins in uns macht man im Erleben,
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das immer ein wissendes Erleben ist. Frank macht an dieser Stelle eine strenge Unterscheidung zwsichen der dunklen
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Irrationalität des unmittelbaren Lebens und der \textit{über}rationalen Fülle der Lebensintuition, die „helles inneres
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Erleuchten“\footcite[Vgl.][219]{frank:meta} ist.
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In ihm, im Erleben, in dem das Sein sich selbst uns offenbart,
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wurzelt die intuitive Erkenntnis und allein dadurch wird die gegenständliche Erkenntnis möglich.
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\section{Literaturverzeichnis}
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