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date: 2014-12-22 11:04:00
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tags: Gedicht
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title: Das alte, neu erzählte Märchen
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teaser: |
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Mein Dad schuf neu die alten Märchen:<br>
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von einem sonderbaren Mädchen,<br>
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von ihrem Prinzen und dem Reiche,<br>
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in ihm sind tiefe Honigteiche.
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Von Wesen, die im Walde leben:<br>
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von Spinnen, die dort Schlösser weben,<br>
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von Basilisken und Chimären<br>
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und Satyrn, Hexen, Drachen, Bären.
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Im Reiche gibt es Königsritter<br>
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und armes Fräulein Margareta.<br>
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Erzähltest du ein wahres Märchen<br>
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von jenem wunderbaren Mädchen,
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von ihrem Prinzen und dem Reiche,<br>
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in dem die tiefsten Honigteiche,<br>
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von grünen, zauberhaften Wiesen<br>
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und wilden, grauenvollen Riesen?
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Und was, wenn’s stimmt, was Leute sagen,<br>
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die jedes Märchen hinterfragen?<br>
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Es gibt, sie sagen, keine Ritter<br>
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und keine arme Margareta.
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Wie soll ich denn noch weiter leben,<br>
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wenn alle Sagen langsam sterben?<br>
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Erzähl mir deine neuen Märchen,<br>
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vom allerschönsten Menschen, Gretchen!
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Ich werd’ sie unter Menschen säen,<br>
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Ich pflege sie und schütz’ vor Krähen.<br>
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Man wird sie eines Tages pflücken<br>
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und als den Trank des Lebens schlücken.
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Sag, kann ein Märchen mich berauben,<br>
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da ich an die erzählten nicht mehr glaube?<br>
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Bringst du mir bei, wie ich sie dichte,<br>
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wie ich die Welt des Traumes richte.
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Mein Vater, sag, dass ich noch lebe,<br>
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dass ich nur bloß im Traume schwebe,<br>
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ich werd’ die alte Welt vernichten<br>
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und sie dann neu, ganz neu umdichten!
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Der innere Gehalt mag nietzscheanisch geprägt sein. Die Idee für das Gedicht
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hatte ich schon länger, bis das Lied bzw. Gedicht von Yuri Kukin „Der alte
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Märchendichter“ (russisch Старый сказочник) mich auch auf die richtige Form
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brachte: natürlich das Märchen! Der Stil ist beeinflusst von dem oben genannten
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Lied und Heinrich Heines „Liebste, sollst mir heute sagen“. Ein spezieller Dank
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gilt Jean-Philippe Séraphin, der eine tiefgreifende Rezension geschrieben hat,
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die mir geholfen hat, den Text noch einigermaßen zu verbessern.
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Mein Dad schuf neu die alten Märchen:\\
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von einem sonderbaren Mädchen,\\
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von ihrem Prinzen und dem Reiche,\\
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in ihm sind tiefe Honigteiche.
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Von Wesen, die im Walde leben:\\
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von Spinnen, die dort Schlösser weben,\\
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von Basilisken und Chimären\\
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und Satyrn, Hexen, Drachen, Bären.
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Im Reiche gibt es Königsritter\\
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und armes Fräulein Margareta.\\
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Erzähltest du ein wahres Märchen\\
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von jenem wunderbaren Mädchen,
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von ihrem Prinzen und dem Reiche,\\
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in dem die tiefsten Honigteiche,\\
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von grünen, zauberhaften Wiesen\\
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und wilden, grauenvollen Riesen?
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Und was, wenn’s stimmt, was Leute sagen,\\
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die jedes Märchen hinterfragen?\\
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Es gibt, sie sagen, keine Ritter\\
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und keine arme Margareta.
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Wie soll ich denn noch weiter leben,\\
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wenn alle Sagen langsam sterben?\\
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Erzähl mir deine neuen Märchen,\\
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vom allerschönsten Menschen, Gretchen!
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Ich werd’ sie unter Menschen säen,\\
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Ich pflege sie und schütz’ vor Krähen.\\
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Man wird sie eines Tages pflücken\\
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und als den Trank des Lebens schlücken.
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Sag, kann ein Märchen mich berauben,\\
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da ich an die erzählten nicht mehr glaube?\\
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Bringst du mir bei, wie ich sie dichte,\\
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wie ich die Welt des Traumes richte.
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Mein Vater, sag, dass ich noch lebe,\\
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dass ich nur bloß im Traume schwebe,\\
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ich werd’ die alte Welt vernichten\\
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und sie dann neu, ganz neu umdichten!
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