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date: 2017-05-09 00:00:00
tags: Aufsatz
title: Technikkonzept von Ernst Kapp
teaser:
<p>Zwar begleiten die technischen Erfindungen den Menschen schon seine ganze Geschichte, angefangen mit einem
Schlagstein, der als Prototyp für einen Hammer diente, über die Dampfmaschine, den Telegrafen, bis zu
Rechenmaschinen und Computern, hat man erst vor kurzem angefangen über die Technik systematisch
nachzudenken. Das mag daran liegen, dass die technische Entwicklung seit der Industrialisierung ganz neue
Maßstäbe angenommen hat. Eines der ersten Werke, das sich ausführlich mit dem Wesen der Technik
beschäftigt, ist wohl „Grundlinien einer Philosophie der Technik“ von Ernst Kapp aus dem Jahre
1877, „sein bis heute als grundlegendes Werk der Technikphilosophie geltendes Buch“.</p>
---
<section>
<h3>Einleitung</h3>
<p>Eines der wichtigsten Merkmale unserer Zeit ist die Technisierung vieler Bereiche unseres alltäglichen
Lebens. „Das technische Zeitalter“ kann man über unsere Tage sagen hören. Als solche ist die
Technik nichts Neues, wenn auch die Technik des letzten Jahrhunderts ganz anderer Art, als das, was man
vorher kannte. Es gibt sie dennoch mehr als hundert Jahre, vielleicht gab es sie schon immer. Vielleicht
ist die Fähigkeit aus der Natur Erkenntnisse zu gewinnen und dann anhand derer etwas zu erfinden, etwas
was einen Menschen eigentlich ausmacht.</p>
<p>Desto interessanter wird es, über die Technik und Technisierung nachzudenken. Was ist sie nun?
Die Frage nach der Technik ist eine philosophische Frage, weil es vor allem die Philosophie ist, die
nach der Washeit der Dinge und der Möglichkeitsbedingungen fragt: Was ist der Mensch? Was macht einen
Menschen aus? Was ist und warum eigentlich Technik, was macht sie möglich?</p>
<p>Die philosophische Natur ist auch aus der Überlegung einsehbar, dass viele Fragen,
die mit der Technik verbunden sind, gar nicht durch das technische Denken selbst beantwortbar sind, sondern
einer Reflexion bedürfen, die über das Technische hinausgeht. Selbst wenn jemand behaupten würde, dass die
Technik nur aus sich heraus erklärt werden könne und müsse und keine weitere Rechtfertigung oder Würdigung
nötig habe, wäre das eine Behautpung, die die Grenzen des Technischen überschreitet.</p>
<p>Zwar begleiten die technischen Erfindungen den Menschen schon seine ganze Geschichte, angefangen mit einem
Schlagstein, der als Prototyp für einen Hammer diente, über die Dampfmaschine, den Telegrafen, bis zu
Rechenmaschinen und Computern, hat man erst vor kurzem angefangen über die Technik systematisch
nachzudenken. Das mag daran liegen, dass die technische Entwicklung seit der Industrialisierung ganz neue
Maßstäbe angenommen hat. Eines der ersten Werke, das sich ausführlich mit dem Wesen der Technik
beschäftigt, ist wohl „Grundlinien einer Philosophie der Technik“ von Ernst Kapp aus dem Jahre
1877, „sein bis heute als grundlegendes Werk der Technikphilosophie geltendes
Buch“<sup id="cite_ref-1" class="reference"><a href="#cite_note-1">1</a></sup>.</p>
<p>140 Jahre sind seit dem Erscheinen des Buches vergangen und die Entwicklung bleibt nicht stehen. Und überhaupt
ist die rasche Entwicklung eines der wichtigsten Merkmale der heutigen Technisierung. Ältere Leute haben oft
Probleme mit dem Bedienen des Computers oder Handys, weil sie in einem ganz anderen Umfeld aufgewachsen sind und
das „Checken der E-Mails“ und die Abgabe der Steuererklärung online ihnen fremd ist.
Selbst Menschen, die sich beruflich mit den modernen Technologien beschäftigen, können die technische Entwicklung
nicht mehr einholen. In 90er-Jahren gab es noch den Begriff „Webmaster“. Ein Webmaster befasste sich
mit der Entwicklung, Gestaltung, Verwaltung von Websites. Heute wird der Begriff kaum noch verwendet.
Stattdessen gibt es Frontend- und Backend-Programmierer, Designer, SEO-Spezialisten (Search Engine
Optimization &mdash; Suchmaschinenoptimierung), Server-Administratoren.
Man spricht noch vom „Full-stack developer“, darunter wird aber jemand verstanden, der sowohl
die Frontend- als auch Backend-Programmierung macht, es ist jedoch keineswegs der alles könnende Webmaster.
Die Fülle an Technologien und Aufgaben hat zur Spezialisierung und Auskristallisierung neuer Berufsfelder
geführt. Und dieser Prozess fand innerhalb einer Generation statt.</p>
<p>Auf der anderen Seite beschäftigt sich die Philosophie in meinem Verständnis mit den ewigen Fragen.
Die Umstände, der Kenntnisstand ändern sich, aber die Fragen nach dem, was das Sein ist, was die Erkenntnis
zu leisten vermag, wie der Mensch zu handeln hat, bleiben. Es wäre also nicht uninteressant zu schauen,
ob unsere Vorstellung von der Technik sich in hundert Jahren kardinal gewandelt hat, oder ob Kapp zu
Erkenntnissen gelangte, die auch noch für uns und vielleicht unsere Nachfahren nicht von einer bloß
geschichtlichen Bedeutung sind.</p>
<h3>Technik und Kultur</h3>
<div class="epigraph">
<section>
<p>Noch steht die Menschheit in den Kinderschuhen ihrer Kultur oder in den Anfängen der technischen
Gleise, die sich der Geist selbst zu seinem Voranschreiten zu legen
hat.<sup id="cite_ref-2" class="reference"><a href="#cite_note-2">2</a></sup></p>
</section>
</div>
<p>
„Grundlinien einer Philosophie der Technik“ hat noch einen Untertitel: „Zur
Entstehungsgeschichte der Kultur aus neuen Gesichtspunkten“. Die Technik ist also nicht
bloß ein Mittel zum Zweck, sie hat etwas mit der Entstehung der Kultur zu tun. Wenn man bedenkt,
dass die Kultur ein Werk des menschlichen Schaffens ist, ist es auch verständlich, dass die Technik
ein Teil der Kultur ist. Technische Artefakte haben ihre eigene Geschichte und sie haben schon immer
die Lebensweise der Menschen stark beeinflusst. Man denke nur an den Buchdruck, der viel mehr Menschen
den Zugang zu Büchern ermöglichte, dadurch, dass die aufwendige Arbeit des Abschreibens von Maschinen
ersetzt werden konnte. Kapps Überzeugung ist aber, dass die Technik nicht ein Aspekt der Kultur ist,
sondern, dass sie konstituieren für das Entstehen der Kultur ist: „Der Anfang der Herstellung
technischer Gegenstände ist der Begin des Kulturwesens
Mensch.“<sup id="cite_ref-3" class="reference"><a href="#cite_note-3">3</a></sup></p>
<p>Wie ist das zu verstehen? Klaus Kornwachs stellt erstmal fest, dass der Umgang mit der Technik nicht von
der Technik selbst vollständig determiniert ist, sondern dass „verschiedene Nationen und verschiedene
Kulturkreise unterschiedlich mit Technik umgehen und unterschiedliche Techniklinien und
Organisationsformen hervorgebracht und zuweilen auch wieder aufgelöst
haben“<sup id="cite_ref-4" class="reference"><a href="#cite_note-4">4</a></sup></p>
<p>Die Technik wird dadurch ermöglicht, dass der Mensch die Gesetze der Natur sich zunutze machen kann.
Die physikalischen Gesetze sind aber für alle gleich. Wie kommt es, dass verschiedene Zivilisationen
nicht die gleiche Technik bauen oder, dass sie die gleiche Technik nicht auf dieselbe Weise nutzen?
Um diese Frage zu beantworten, macht Kornwachs die Unterscheidung zwischen zwei Arten
technologischer Funktionalität. Die technologische Funktionalität der ersten Art ist diejenige,
„deren physikalische Wirksamkeit und technische Brauchbarkeit invariant gegenüber der
kulturellen Ausprägung der organisatorischen Hülle
sind“<sup id="cite_ref-5" class="reference"><a href="#cite_note-5">5</a></sup>
Als Beispiele nennt Kornwachs Regelkreise, Hebel, Kraftmaschinen
usw.<sup id="cite_ref-6" class="reference"><a href="#cite_note-6">6</a></sup>
Was ist die organisatorische Hülle? „Die organisatorische Hülle einer Technik umfasst alle
Organisationsformen, die notwendig sind, um die Funktionalität eines technischen Artifakts überhaupt ins
Werk setzen zu können.“<sup id="cite_ref-7" class="reference"><a href="#cite_note-7">7</a></sup>
Eben so eine organisatorische Hülle
„konstituiert <em>eine technologische Funktion zweiter Art</em>,
[&hellip;]“<sup id="cite_ref-8" class="reference"><a href="#cite_note-8">8</a></sup>
Kornwachs erklärt diese am Beispiel eines Autos, dessen
„organisatorische Hülle das gesamte System vom Straßenverkehrsnetz über die Proliferationssysteme für
Treibstoff und Ersatzteile bis hin zu den rechtlichen Regelungen, [&hellip;],
[umfasst]“.<sup id="cite_ref-9" class="reference"><a href="#cite_note-9">9</a></sup></p>
<p>Aber nicht nur die organisatorische Hülle regelt, wie die Technik eingesetzt wird; auch die Technik prägt
die organisatorischen Hüllen: „Es ist offenkundig, dass die organisatorische Umgestaltung unserer
Zivilisation durch die Informations- und Kommunikationstechnologien keine dieser organisatorischen
Hüllen umberührt lässt.“<sup id="cite_ref-10" class="reference"><a href="#cite_note-10">10</a></sup></p>
<p>Die Kernthese der „Grundlinien einer Philosophie der Technik“ ist, dass es sich bei
allen technischen Gegenständen um die Projektion menschlicher Organe geht. Selbst wenn der Mensch
keine tiefen Erkenntnisse über den Bau seines Körpers hat, projeziert er ihn unbewusst in die von
gemachten Artefakte, „[i]st demnach der Vorderarm mit zur Faust geballter Hand oder mit deren
Verstärkung durch einen fassbaren Stein der natürliche Hammer, so ist der Stein mit einem Holzstiel
dessen einfachste künstliche
Nachbildung“.<sup id="cite_ref-11" class="reference"><a href="#cite_note-11">11</a></sup> Es ist nicht ungewöhnlich
zwischen der Technik und den menschlichen Organen und zwischen der Funktionsweise der Technik
und derselben des Organismus Analogien zu bilden. Genauso wie den Vorderarm mit zur Faust geballter Hand
kann man mit einem Hammer vergleichen, kann man zum Beispiel den Computer mit dem Gehirn vergleichen, weil
die Computer viele Operationen wie das Rechnen sogar viel effizienter als das menschliche
Gehirn durchüfhren können. Bei Kapp geht es aber nicht nur um Ähnlichkeiten und Analogien. Vielmehr
behauptet er, dass die Menschen ihren Organismus und seine Funktionen in die Technik projizieren, sodass
wenn der Organismus anders aufgebaut wäre, anders funktionieren würde, würde auch die Technik
ganz anders aussehen. Und das beansprucht er für alle technischen Gegenstände
ausnahmslos.<sup id="cite_ref-12" class="reference"><a href="#cite_note-12">12</a></sup></p>
<h3>Selbsterkenntnis</h3>
<p>Die Organprojektion ist nicht nur der Gegenstand der Technikphilosophie, sondern auch der
Erkenntnistheorie. Die Produktion der Artefakte ist Art und Weise, wie der Mensch die Natur
und sich selbst erkennt. Da der Mensch seinen Organismus in die Technik projeziert und die
Technik demzufolge Merkmale dieses Organismus hat, kann er aus der von ihm erschaffenen Technik
sich selbst erkennen. Ein Hammer sieht nicht nur äußerlich dem Arm ähnlich, er hat auch
strukturelle Ähnlichkeiten mit diesem. Ein Hammer besteht aus zwei Teilen: einem Stiel und
einem Kopf. Der untere Teil des Armes besteht genauso aus dem Unterarm, an den die Hand
angeschlossen ist. In der Technik erkennt man dann wieder die Eigenschaften, die man in sie
projeziert hat und erkennt auf diese Weise sich selbst. „Zentrum und Ziel allen Weltgeschehens
ist in Kapps Denken die stetig sich vergrößernde Selbsterkenntnis des Menschen. Die technischen
Artefakte sind Vehikel dieser Selbsterkenntnis:
[&hellip;].“<sup id="cite_ref-13" class="reference"><a href="#cite_note-13">13</a></sup></p>
<p>So wird der Mensch zum „Maß der Dinge“<sup id="cite_ref-14" class="reference"><a href="#cite_note-14">14</a></sup>,
weil alles, was
er in die Welt setzt, aus ihm selbst entsprungen ist. Es gibt auch keine andere Quelle der
Erkenntnis als der Mensch selbst.<sup id="cite_ref-15" class="reference"><a href="#cite_note-15">15</a></sup></p>
<blockquote>
<p>Die Welt der Technik leitet demnach einen Selbstreflexionsprozeß ein, da sie zum einen
bestimmte Entwicklungsstufe des Menschen erfahrbar mache, zum anderen jedoch auch auf das verweise, was den
Menschen möglich sei.<sup id="cite_ref-16" class="reference"><a href="#cite_note-16">16</a></sup></p>
</blockquote>
<p>Eine andere Komponente, die die Seblsterkenntnis kennzeichnet, ist die Sprache, weil „[d]ie Sprache
sagt, welche Dinge sind und was sie sind,
[&hellip;]“<sup id="cite_ref-17" class="reference"><a href="#cite_note-17">17</a></sup>. Und sie ist auch ein
Produkt der Organprojektion. Kapp behauptet, dass die Bezeichnungen für die Gegenstände
aus der Tätigkeit der Organe entstanden seien. So habe das Wort <em>Mühle</em>
seine Wurzel im indoeuropäischen <em>mal</em> oder <em>mar</em>, was soviel wie „mit den Fingern
zerreiben“ oder „mit den Zähnen zermalmen“ bedeutet
habe.<sup id="cite_ref-18" class="reference"><a href="#cite_note-18">18</a></sup></p>
<h3>Terminus „Technik“</h3>
<p>Hier wird es deutlich, dass es Kapp nicht bloß um den Einfluss der Technik auf die Kultur geht, vielmehr
ist die Technik dasjenige, was die gesamte menschliche Kultur bildet. „Die Technik ist das erste
Kulturereignis. Der Anfang der Herstellung technischer Gegenstände ist der Beginn des Kulturwesens
Mensch.“<sup id="cite_ref-19" class="reference"><a href="#cite_note-19">19</a></sup></p>
<p>Um diese These zu verstehen, muss man untersuchen, was Kapp meint, wenn er das Wort
„Technik“ verwendet. Mit der Entwicklung der Technik entwickelt sie auch die
Sprache. Wenn ich heute „Technik“ sage, dann meine ich meistens Computertechnik
oder zumindest irgendeine Maschine, ein Auto, ein Lüftungssystem und dergelichen. Wenn ich über
Werkzeuge in meinem Werkzeugkasten spreche, dann sage ich nicht unbedingt „Technik“
von jenen, es sei denn ich habe elektrische Werkzeuge da, wie ein Elektroschrauber oder eine
Bohrmaschine. Es mag eine Zeit gegeben haben, in der eine Handsäge eine technische
Errungenschaft darstellte. Heute gehört sie aber mehr zur Klasse der Werkzeuge. Das heißt man
unterscheidet meistens in der heutigen Umgangssprache zwischen der Technik und den Werkzeugen.</p>
<p>Es ist überhaupt schwierig, eine Definition der Technik zu entwickeln, die man verwenden könnte,
um zwischen technischen Gegenständen und übrigen zu differenzieren. Ich habe vorher von
den von Menschenhand geschaffenen Gegenständen als von der Technik gesprochen. Aber zählt ein
gemaltes Bild zur Technik? Wohl eher nicht. Es ist Kunst. Ist ein technischer Gegenstand keine Kunst?
Man würde meinen: Nein. Der Ingenieur, der Monate verbracht hat, es zu entwerfen und zu konzepieren,
könnte dem widersprechen. Die Technik hat noch eine weitere Eigenschaft, dass sie einen Nutzen hat.
Allerdings auch die Kunst hat für viele Menschen einen ästhetischen Nutzen. Man kann den
„Begriff“ auf die eine oder andere Weise definieren, aber eine solche Definition wäre
meines Erachtens der Umgangssprache nicht gerecht und würde nicht alle Anwendungsfälle decken.</p>
<p>Wenn man zu diesem Begriff von einer anderen Seite kommt, kann man zwischen zwei Bedeutungen dessen
unterscheiden. Zu einem bezeichnet man Gegenstände als Technik: ein Videorecorder ist Technik, ein
Fernseher ist Technik. Zum anderen spricht man von erlernten Fähigkeiten als von den Techniken. In
diesem Sinne gibt es Maltechniken, Kampftechniken, Lerntechniken und andere Techniken. Der Begriff
hat also noch eine funktionale Seite.</p>
<p>Kapp hat diese Vielfalt des Technischen in seine Philosophie aufgenommen. Es war vorhin davon die
Rede, dass der Mensch seinen Organismus in die Technik projiziert, und bei den ersten Werkzeugen
sieht man gewisse Ähnlichkeit mit den Organen. Aber auch der Umstand, dass die Technik mit einer
Funktion verbunden ist (dass sie eine Fähigkeit bezeichnen kann), ist ihm nicht entgangen.
„An die Stelle der Ähnlichkeit, welche die äußere Gestalt der Organe des Menschen mit deren
gegenständlichen Projekten besitzt, tritt im Fortgang der Entwicklung technischer Gegenstände bis
hin zur Maschine vielmehr die Projektion des organischen
Funktionsbildes, [&hellip;]“<sup id="cite_ref-20" class="reference"><a href="#cite_note-20">20</a></sup>
Man hat versucht Kapps Theorie
zu widerlegen, indem man nach Artefakten gesucht hat, die keine Ähnlichkeiten mit irgendeinem
Organ aufweisen: das Rad<sup id="cite_ref-21" class="reference"><a href="#cite_note-21">21</a></sup> oder das künstliche
Licht<sup id="cite_ref-22" class="reference"><a href="#cite_note-22">22</a></sup>.</p>
<p>Das war auch für Kapp offensichtlich, dass nicht alle Werkzeuge und Maschinen äußere Ähnlichkeiten
aufweisen. Vielmehr entfernt sich die Technik im Prozess ihrer Entwicklung von ihrem
ursprünglichen Vorbild. Kapp spricht zum Beispiel von „vergeistigsten“, die eher
den menschlichen Geist projizieren als seinen Körper. So heißt es von dem Werkzeug der Kommunikation,
der Sprache:</p>
<blockquote>
<p>In der Sprache hört der Unterschied von Kunstwerk und Werkzeug, der sonst durchweg feststeht,
ganz auf. Indem sie erklärt, was sie selbst ist, übt sie gerade das aus, was sie erklären will. Mithin
ist sie das Werkzeug, sich als ihr eigenes Werkzeug zu begreifen, also ein vergeistigstes Werkzeug,
Spitze und Vermittlung zugleich der absoluten Selbstproduktion des
Menschen.<sup id="cite_ref-23" class="reference"><a href="#cite_note-23">23</a></sup></p>
</blockquote>
<p>Die „Spitze“ der Organprojektion sind gar nicht die technischen Artefakte, sondern das
gesamte kulturelle Reichtum, dass der Mensch um sich schafft. Nur ist diese kulturelle Bereicherung
ohne Technik nicht möglich. Außer dass Kapp verschiedene Bedeutungen der Technik in seine Theorie
aufnimmt, breitet er diesen Begriff so weit aus, dass er auf jegliche Errungenschaft das Menschen
angewendet werden kann. Solche Verwendung des Begriffes „Technik“ mag zunächst
befremdend erscheinen, aber sie ist unserer Sprache auch nicht vollkommen fremd, denn wir
instrumentalisieren auch geistige Prozesse und sprechen von der Sprache als dem
<em>Werkzeug</em> der Kommunikation oder der Logik als dem <em>Werkzeug</em> des Denkens.</p>
<h3>Kapps Menschenbild</h3>
<p>Zwar projiziert sich der Mensch immer in die Technik, aber dieser Prozess wird nie abgeschlossen. Es
gibt immer eine unendliche Kluft zwischen der Natur und dem Mechanismus.</p>
<blockquote>
<p>[&hellip;]; der Mechanismus, durch Zusammensetzung von außen zustande gebracht, ist eine „Mache“
der Menschenhand. Der Organismus ist wie die gesamte Welt <em>natura</em>, ein Werdendes, der
Mechanismus ist das gemachte Fertige; dort ist Entwicklung und Leben, hier Komposition und
Lebloses.<sup id="cite_ref-24" class="reference"><a href="#cite_note-24">24</a></sup></p>
</blockquote>
<p>Kapp ist kein Materialist und der Mensch ist für ihn kein rein materielles Wesen. Anstatt von der Materie
und dem Geist zu sprechen, spricht Kapp von der Psychologie und der Physiologie, zwei Gegensätze die die
menschliche Natur in sich vereinigt. Allerdings ist auch keine Trennung dieser zwei Bestandteile möglich.
Man kann auch nicht sagen, dass das eine wichtiger oder wesentlicher wäre als das andere Wäre, wie es zum
Beispiel Descartes sieht<sup id="cite_ref-25" class="reference"><a href="#cite_note-25">25</a></sup>.
Der Mensch ist nur als ein Ganzes möglich und
denkbar: „Psychologie und Physiologie haben lange genug fremd gegen einander getan,
[&hellip;]“<sup id="cite_ref-26" class="reference"><a href="#cite_note-26">26</a></sup>.
Auch das kulturelle Gut und die Technik sind nicht sekundär,
obwohl es auf den ersten Blick scheint, als ob die menschliche Existenz auch ohne diese denkbar wäre,
weil sie erst ein Produkt seiner geistigen Aktivität sind. „Einerseits sollen die natürlichen
Organe das Vorbild aller mechanischen Objekte und Ensembles sein, andererseits lässt sich erst durch
deren Strukturen und Funktionen das Wesen der Organe
erkennen.“<sup id="cite_ref-27" class="reference"><a href="#cite_note-27">27</a></sup></p>
<h3>Kritik</h3>
<p>Ganz am Anfang klingt Kapps Theorie sehr plausibel. Bei einfachen Werkzeugen kann man das sich sehr gut
vorstellen, dass der Mensch seine Organe als Muster für die Werkzeuge benutzt hat. Vor allem, weil die
eigene körperliche Kraft nicht ausgereicht hat, musste man einen Weg finden, zu kompensieren, anders
gesagt, man musste seine natürlichen Organe verlängern und verstärken.</p>
<p>Allerdings mit dem Fortschritt der Technologie wird, wenn die direkte Analogie zwischen dem Organ und
dem Produkt der Menschenhand zu schwanken beginnt, fällt es einem immer schwerer, an die
Organprojektion als eine universelle Theorie zu glauben.</p>
<p>Es liegt in der Natur des Menschen, seine Umwelt immer weiter zu gestalten, und seine Werkzeuge und
Maschinen weiter zu entwickeln. Und auch schwere Maschinen helfen dem Menschen, schwere Arbeiten
auszuführen, die er sonst mit seinen eigenen Organen verrichten sollte. Deswegen können auch sie
als Projektion menschlicher Organe und ihrer Funktionen betrachtet werden. Allerdings wenn Kapp
Beispiele wie „[d]as Netz der Blutgefäße als organisches Vorbild des
Eisenbahnsystems“<sup id="cite_ref-28" class="reference"><a href="#cite_note-28">28</a></sup> einführt,
stellt sich die Frage, wie es zu überprüfen ist. Kapp zwar besteht darauf, dass es nicht bloß das
„Sinnbildliche der Allegorie“ ist, sondern „Sach- und Abbildliche der
Projektion“<sup id="cite_ref-29" class="reference"><a href="#cite_note-29">29</a></sup> und versucht das
argumentativ zu stützen<sup id="cite_ref-30" class="reference"><a href="#cite_note-30">30</a></sup>,
kann seine Argumentation nicht als ein handfester Beweis gelten.</p>
<p>Die Hauptschwäche dieser Theorie ist ihre Überprüfbarkeit. Ich kann höchstens auf bestimmte
Ereignisse oder Artefakte hinweisen und sie zum Vorteile der Theorie deuten, aber meine
Behauptung lässt sich nicht empirisch überpfüfen. Ich kann nur versuchen sie plausibler als
die Alternativen zu machen. Vor allem geschieht die Organprojektion nach Kapp
<em>unbewusst</em> und weist sich erst im Nachhinein als solche aus. Und um den Ursprung und
die Art unbewusster geistiger Vorgänge lässt sich nur spekulieren.</p>
<p>Des Weiteren war Kapp auf die Technik seiner Zeit beschränkt. Er konnte selbstverständlich
nicht voraussehen, welche Herausforderungen die künftige Technik mit sich bringt, und ob die
Theorie entsprechend angepasst werden soll. Der Glaube an den Menschen als ein einzigartiges
Geschöpf der Natur wird immer schwächer. Vielleicht ist er gar nicht so einzigartig, vielleicht
kann man ihn nachbauen, vielleicht kann man das, was in seinem Kopf vorgeht, auf eine Reihe
von Algorithmen reduzieren. Immer mehr Menschen glauben, dass es sehr bald möglich sein wird.
Für Kapp war der Mensch noch der einzige Schöpfer seiner Technik:</p>
<blockquote>
<p>Niemals ist aber bei irgendeiner Maschine die Menschenhand völlig aus dem Spiele; denn auch
da wo ein Teil des Mechanismus sich gänzlich ablöst, wie der Pfeil, die Gewehrkugel, die dem
Schiffbrüchigen die rettende Leine überbringende Rakete, ist die Abweichung nur vorübergehend und
scheinbar.<sup id="cite_ref-31" class="reference"><a href="#cite_note-31">31</a></sup></p>
</blockquote>
<p>Die Technik, die immer menschlicher wird, macht darüber nachdenklich, ob der Mensch diesen Status
für die gesamte Zeit seiner Geschichte behalten kann. Andererseits das Sprechen über die Maschinen,
die man von einem Menschen nicht mehr unterscheiden kann, ist auch nur noch eine Spekulation. Und
es ist meines Erachtens noch zu früh, sie als ein Argument gegen Kapps Ansichten auszuspielen.
Schließlich hat auch die höchste entwickelte Technik ihren Ursprung im Menschen und ist Folge
seiner Leistung, wie es Kapp auch sagt. Das heißt, wenn eine Maschine ohne menschliche
Teilnahme andere Maschinen produzieren kann, so wurde sie so konstruiert, um diese Aufgabe
zu erfüllen. Es wird inzwischen über die Maschinen spekuliert, die auch geistige Leistungen
des Menschen übernehmen können, die zum Beispiel selbst programmieren können, und so andere
Maschinen hervorbringen, die nicht nur nach einem bestimmten Plan konstruiert sind, sondern
tatsächlich neue Technik darstellen. Aber selbst in diesem Fall soll solche Intelligenz erstmal
künstlich geschaffen werden, sie würde ihre Existenz immer noch dem Menschen verdanken. Das ist,
denke ich, die Tatsache, auf die Kapp hinweisen wollte.</p>
<p>Man darf auch nicht vergessen, dass obwohl wir Technik bauen und verwenden, darüber zu
reflektieren, warum wir sie eigentlich brauchen und warum wir so bauen, wie wir sie bauen, keine
einfache Aufgabe ist, die lückenlos gelöst werden kann. Deswegen verdient Kapps
Theorie Aufmerksamkeit als ein möglicher Lösungsansatz.</p>
<h3>Kapps Technikphilosophie in Anwendung auf die nachfolgende Geschichte der Technik</h3>
<p>Das Kapitel, in dem Harald Leinenbach über die Rezeptionsgeschichte der Organprojektionstheorie spricht,
nennt er „Die Grundlienien einer Philosophie der Technik“
„Kapps mystisches Blendwerk“<sup id="cite_ref-32" class="reference"><a href="#cite_note-32">32</a></sup>,
womit er eindeuten will wie das Werk meistens rezepiert wurde.
„Dabei finden sich Erwähnungen der Organprojetionstheorie meist bloß in knappen
Randbemerkungen. Kapps Technikphilosophie ist nirgends aufgenommen, geschweige denn konstruktiv
weitergeführt worden.“<sup id="cite_ref-33" class="reference"><a href="#cite_note-33">33</a></sup>
Als Grund gibt Leinenbach an, dass
Kapp von seinen Gegnern immer misßverstanden wurde, dass man seine Theorie nicht zu Ende denkt, sondern
sich „hauptsächlich am Organprojektionsstatus der technischen
Gegenstände“<sup id="cite_ref-34" class="reference"><a href="#cite_note-34">34</a></sup> aufhält, und
sobald man eine Maschine findet, die äußerlich dem menschlichen Organismus nicht ähnlich ist, hört
man auf und lehnt die Theorie als unzureichend ab. Dazu kommen noch Begriffe wie das Unbewusste, mit
denen Kapp gearbeitet hat.<sup id="cite_ref-35" class="reference"><a href="#cite_note-35">35</a></sup> Besonders in der Zeit, in der die
künstliche Intelligenz entwickelt wird, scheint die Hoffnung zu wachsen, das Unbewusste aus der Welt
zu schaffen, und alles Menschliche ohne Rest technisch reproduzieren zu können.</p>
</section>
<footer>
<ol class="references">
<li id="cite_note-1">
<a class="backlink" href="#cite_ref-1">^</a>
<span>
Harun Maye und Leander Scholz. <i>Einleitung</i>.
In: Ernst Kapp. <i>Grundlinien einer Philosophie der Technik.
Zur Entstehungsgeschichte der Kultur aus neuen Gesichtspunkten</i>.
Hrsg. und komm. von Harun Maye und Leander Scholz.
Hamburg, 2015, S. VIIXLIV, S. VIII.
</span>
</li>
<li id="cite_note-2">
<a class="backlink" href="#cite_ref-2">^</a>
<span>
Ernst Kapp. <i>Grundlinien einer Philosophie der Technik.
Zur Entstehungsgeschichte der Kultur aus neuen Gesichtspunkten</i>.
Hrsg. und komm. von Harun Maye und Leander Scholz. Hamburg, 2015, S. 309.
</span>
</li>
<li id="cite_note-3">
<a class="backlink" href="#cite_ref-3">^</a>
<span>
Harald Leinenbach. <i>Die Körperlichkeit der Technik.
Zur Organprojektionstheorie Ernst Kapps</i>. Essen, 1990, S. 7.
</span>
</li>
<li id="cite_note-4">
<a class="backlink" href="#cite_ref-4">^</a>
<span>
Klaus Kornwachs. <i>Philosophie der Technik. Eine Einführung</i>. München, 2013,
S. 22.
</span>
</li>
<li id="cite_note-5">
<a class="backlink" href="#cite_ref-5">^</a>
<span>Ebd., S. 22.</span>
</li>
<li id="cite_note-6">
<a class="backlink" href="#cite_ref-6">^</a>
<span>Vgl. ebd., S. 22.</span>
</li>
<li id="cite_note-7">
<a class="backlink" href="#cite_ref-7">^</a>
<span>Ebd., S. 23.</span>
</li>
<li id="cite_note-8">
<a class="backlink" href="#cite_ref-8">^</a>
<span>Ebd., S. 23.</span>
</li>
<li id="cite_note-9">
<a class="backlink" href="#cite_ref-9">^</a>
<span>Ebd., S. 23.</span>
</li>
<li id="cite_note-10">
<a class="backlink" href="#cite_ref-10">^</a>
<span>Ebd., S. 23.</span>
</li>
<li id="cite_note-11">
<a class="backlink" href="#cite_ref-11">^</a>
<span>Kapp, <i>Grundlinien einer Philosophie der Technik</i>, S. 52.</span>
</li>
<li id="cite_note-12">
<a class="backlink" href="#cite_ref-12">^</a>
<span>Vgl. Leinenbach, <i>Die Körperlichkeit der Technik</i>, S. 7.</span>
</li>
<li id="cite_note-13">
<a class="backlink" href="#cite_ref-13">^</a>
<span>
Susanne Fohler. <i>Techniktheorien.
Der Platz der Dinge in der Welt des Menschen</i>. München, 2003, S. 36.
</span>
</li>
<li id="cite_note-14">
<a class="backlink" href="#cite_ref-14">^</a>
<span>
Vgl. Kapp, <i>Grundlinien einer Philosophie der Technik</i>, S. 73.
</span>
</li>
<li id="cite_note-15">
<a class="backlink" href="#cite_ref-15">^</a>
<span>
Vgl. ebd., S. 73.
</span>
</li>
<li id="cite_note-16">
<a class="backlink" href="#cite_ref-16">^</a>
<span>
Eduard Korte. <i>Kulturphilosophie und Anthropologie.
Zum geistesgeschichtlichen Hintergrund Ernst Kapps.</i>
Hamburg, 1992, S. 10.
</span>
</li>
<li id="cite_note-17">
<a class="backlink" href="#cite_ref-17">^</a>
<span>
Kapp, <i>Grundlinien einer Philosophie der Technik</i>, S. 60.
</span>
</li>
<li id="cite_note-18">
<a class="backlink" href="#cite_ref-18">^</a>
<span>Vgl. ebd., S. 57f.</span>
</li>
<li id="cite_note-19">
<a class="backlink" href="#cite_ref-19">^</a>
<span>
Leinenbach, <i>Die Körperlichkeit der Technik</i>, S. 7.
</span>
</li>
<li id="cite_note-20">
<a class="backlink" href="#cite_ref-20">^</a>
<span>Ebd., S. 61.</span>
</li>
<li id="cite_note-21">
<a class="backlink" href="#cite_ref-21">^</a>
<span>Vgl. ebd., S. 84&ndash;86.</span>
</li>
<li id="cite_note-22">
<a class="backlink" href="#cite_ref-22">^</a>
<span>Vgl. ebd., S. 88f.</span>
</li>
<li id="cite_note-23">
<a class="backlink" href="#cite_ref-23">^</a>
<span>
Kapp, <i>Grundlinien einer Philosophie der Technik</i>, S. 248.
</span>
</li>
<li id="cite_note-24">
<a class="backlink" href="#cite_ref-24">^</a>
<span>
Ebd., S. 68.
</span>
</li>
<li id="cite_note-25">
<a class="backlink" href="#cite_ref-25">^</a>
<span>
Vgl. Emerich Coreth und Harald Schöndorf.
<i>Philosophie des 17. und 18. Jahrhunderts.</i>
3. Aufl. Stuttgart, Berlin und Köln, 2000, S. 43.
</span>
</li>
<li id="cite_note-26">
<a class="backlink" href="#cite_ref-26">^</a>
<span>
Kapp, <i>Grundlinien einer Philosophie der Technik</i>, S. 19.
</span>
</li>
<li id="cite_note-27">
<a class="backlink" href="#cite_ref-27">^</a>
<span>
Maye und Scholz, "Einleitung", S. XXXV-XXXVI.
</span>
</li>
<li id="cite_note-28">
<a class="backlink" href="#cite_ref-28">^</a>
<span>
Kapp, <i>Grundlinien einer Philosophie der Technik</i>, S. 121.
</span>
</li>
<li id="cite_note-29">
<a class="backlink" href="#cite_ref-29">^</a>
<span>Vgl. ebd., S. 129.</span>
</li>
<li id="cite_note-30">
<a class="backlink" href="#cite_ref-30">^</a>
<span>Vgl. ebd., S. 129&ndash;130.</span>
</li>
<li id="cite_note-31">
<a class="backlink" href="#cite_ref-31">^</a>
<span>Ebd., S. 64f.</span>
</li>
<li id="cite_note-32">
<a class="backlink" href="#cite_ref-32">^</a>
<span>
Leinenbach, <i>Die Körperlichkeit der Technik</i>, S. 60.
</span>
</li>
<li id="cite_note-33">
<a class="backlink" href="#cite_ref-33">^</a>
<span>Ebd., S. 61.</span>
</li>
<li id="cite_note-34">
<a class="backlink" href="#cite_ref-34">^</a>
<span>Ebd., S. 60f.</span>
</li>
<li id="cite_note-35">
<a class="backlink" href="#cite_ref-35">^</a>
<span>Vgl. ebd., S. 64.</span>
</li>
</ol>
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View File

@@ -0,0 +1,349 @@
---
layout: post
date: 2017-05-09 00:00:00
tags: Aufsatz
title: Technikkonzept von Ernst Kapp
teaser:
<p>Zwar begleiten die technischen Erfindungen den Menschen schon seine ganze Geschichte, angefangen mit einem
Schlagstein, der als Prototyp für einen Hammer diente, über die Dampfmaschine, den Telegrafen, bis zu
Rechenmaschinen und Computern, hat man erst vor kurzem angefangen über die Technik systematisch
nachzudenken. Das mag daran liegen, dass die technische Entwicklung seit der Industrialisierung ganz neue
Maßstäbe angenommen hat. Eines der ersten Werke, das sich ausführlich mit dem Wesen der Technik
beschäftigt, ist wohl „Grundlinien einer Philosophie der Technik“ von Ernst Kapp aus dem Jahre
1877, „sein bis heute als grundlegendes Werk der Technikphilosophie geltendes Buch“.</p>
---
\section{Technik als Herausforderung für die Philosophie}
Eines der wichtigsten Merkmale unserer Zeit ist die Technisierung vieler Bereiche unseres alltäglichen
Lebens. „Das technische Zeitalter“ kann man über unsere Tage sagen hören. Als solche ist die
Technik nichts Neues, wenn auch die Technik des letzten Jahrhunderts ganz anderer Art, als das, was man
vorher kannte, ist. Es gibt sie dennoch mehr als hundert Jahre, vielleicht gab es sie schon immer. Vielleicht
ist die Fähigkeit, aus der Natur Erkenntnisse zu gewinnen und dann anhand derer etwas zu erfinden, etwas
was einen Menschen eigentlich ausmacht.
Desto interessanter wird es, über die Technik und Technisierung nachzudenken. Was ist sie nun?
Die Frage nach der Technik ist eine philosophische Frage, weil es vor allem die Philosophie ist, die
nach der Washeit der Dinge und der Möglichkeitsbedingungen fragt: Was ist der Mensch? Was macht einen
Menschen aus? Was ist und warum eigentlich Technik, was macht sie möglich?
Die philosophische Natur ist auch aus der Überlegung einsehbar, dass viele Fragen,
die mit der Technik verbunden sind, gar nicht durch das technische Denken selbst beantwortbar sind, sondern
einer Reflexion bedürfen, die über das Technische hinausgeht. Selbst wenn jemand behaupten würde, dass die
Technik nur aus sich heraus erklärt werden könne und müsse und keine weitere Rechtfertigung oder Würdigung
nötig habe, wäre das eine Behautpung, die die Grenzen des Technischen überschreitet.
Zwar begleiten die technischen Erfindungen den Menschen schon seine ganze Geschichte, angefangen mit einem
Schlagstein, der als Prototyp für einen Hammer diente, über die Dampfmaschine, den Telegrafen, bis zu
Rechenmaschinen und Computern, hat man erst vor kurzem angefangen über die Technik systematisch
nachzudenken. Das mag daran liegen, dass die technische Entwicklung seit der Industrialisierung ganz neue
Maßstäbe angenommen hat. Eines der ersten Werke, das sich ausführlich mit dem Wesen der Technik
beschäftigt, ist wohl „Grundlinien einer Philosophie der Technik“ von Ernst Kapp aus dem Jahre
1877, „sein bis heute als grundlegendes Werk der Technikphilosophie geltendes
Buch“\autocite[VIII]{maye:einleitung-kapp}.
140 Jahre sind seit dem Erscheinen des Buches vergangen und die Entwicklung bleibt nicht stehen. Und überhaupt
ist die rasche Entwicklung eines der wichtigsten Merkmale der heutigen Technisierung. Ältere Leute haben oft
Probleme mit dem Bedienen des Computers oder Handys, weil sie in einem ganz anderen Umfeld aufgewachsen sind und
das „Checken der E-Mails“ und die Abgabe der Steuererklärung online ihnen fremd ist.
Selbst Menschen, die sich beruflich mit den modernen Technologien beschäftigen, können die technische Entwicklung
nicht mehr einholen. In 90er-Jahren gab es noch den Begriff „Webmaster“. Ein Webmaster befasste sich
mit der Entwicklung, Gestaltung, Verwaltung von Websites. Heute wird der Begriff kaum noch verwendet.
Stattdessen gibt es Frontend- und Backend-Programmierer, Designer, SEO-Spezialisten (Search Engine
Optimization --- Suchmaschinenoptimierung), Server-Administratoren.
Man spricht noch vom „Full-stack developer“, darunter wird aber jemand verstanden, der sowohl
die Frontend- als auch Backend-Programmierung macht, es ist jedoch keineswegs der alles könnende Webmaster.
Die Fülle an Technologien und Aufgaben hat zur Spezialisierung und Auskristallisierung neuer Berufsfelder
geführt. Und dieser Prozess fand innerhalb einer Generation statt.
Auf der anderen Seite beschäftigt sich die Philosophie in meinem Verständnis mit den ewigen Fragen.
Die Umstände, der Kenntnisstand ändern sich, aber die Fragen nach dem, was das Sein ist, was die Erkenntnis
zu leisten vermag, wie der Mensch zu handeln hat, bleiben. Es wäre also nicht uninteressant zu schauen,
ob unsere Vorstellung von der Technik sich in hundert Jahren kardinal gewandelt hat, oder ob Kapp zu
Erkenntnissen gelangte, die auch noch für uns und vielleicht unsere Nachfahren nicht von einer bloß
geschichtlichen Bedeutung sind.
Kapp hat sein Werk so aufgebaut, dass er mit primitiven Werkzeugen anfängt und sich dann immer weiter zu
komplexeren Strukturen und Artefakten hocharbeitet. Dabei greift er fast in jedem Kapitel auf ein Produkt
aus der Geschichte der Technik, an dem er versucht, seine These plausibel zu machen. Ich wähle eine ähnliche
Vorgehensweise und werde mich bemühen, spätere Werke der Menschenhand im Lichte Kapps Auffassung des Menschen
und der Technik zu betrachten. Zunächst muss allerdings jene Auffassung kurz dargestellt werden.
\chapter{Technikkonzept von Ernst Kapp}
\epigraph{%
Noch steht die Menschheit in den Kinderschuhen ihrer Kultur oder in den Anfängen der technischen
Gleise, die sich der Geist selbst zu seinem Voranschreiten zu legen hat.\footcite[309]{kapp:technik}
}{}
\section{Technik und Kultur}
„Grundlinien einer Philosophie der Technik“ hat noch einen Untertitel: „Zur
Entstehungsgeschichte der Kultur aus neuen Gesichtspunkten“. Die Technik ist also nicht
bloß ein Mittel zum Zweck, sie hat etwas mit der Entstehung der Kultur zu tun. Wenn man bedenkt,
dass die Kultur ein Werk des menschlichen Schaffens ist, ist es auch verständlich, dass die Technik
ein Teil der Kultur ist. Technische Artefakte haben ihre eigene Geschichte und sie haben schon immer
die Lebensweise der Menschen stark beeinflusst. Man denke nur an den Buchdruck, der viel mehr Menschen
den Zugang zu Büchern ermöglichte, dadurch, dass die aufwendige Arbeit des Abschreibens von Maschinen
ersetzt werden konnte. Kapps Überzeugung ist aber, dass die Technik nicht ein Aspekt der Kultur ist,
sondern, dass sie konstituierend für das Entstehen der Kultur ist: „Der Anfang der Herstellung
technischer Gegenstände ist der Beginn des Kulturwesens Mensch.“\autocite[7]{leinenbach:technik}
Wie ist das zu verstehen? Klaus Kornwachs stellt erstmal fest, dass der Umgang mit der Technik nicht von
der Technik selbst vollständig determiniert ist, sondern dass „verschiedene Nationen und verschiedene
Kulturkreise unterschiedlich mit Technik umgehen und unterschiedliche Techniklinien und
Organisationsformen hervorgebracht und zuweilen auch wieder aufgelöst
haben“\autocite[22]{kornwachs:technik}.
Die Technik wird dadurch ermöglicht, dass der Mensch die Gesetze der Natur sich zunutze machen kann.
Die physikalischen Gesetze sind aber für alle gleich. Wie kommt es, dass verschiedene Zivilisationen
nicht die gleiche Technik bauen oder, dass sie die gleiche Technik nicht auf dieselbe Weise nutzen?
Um diese Frage zu beantworten, macht Kornwachs die Unterscheidung zwischen zwei Arten
technologischer Funktionalität. Die technologische Funktionalität der ersten Art ist diejenige,
„deren physikalische Wirksamkeit und technische Brauchbarkeit invariant gegenüber der
kulturellen Ausprägung der organisatorischen Hülle sind“\autocite[22]{kornwachs:technik}.
Als Beispiele nennt Kornwachs Regelkreise, Hebel, Kraftmaschinen usw.\autocite[Vgl.][22]{kornwachs:technik}
Was ist die organisatorische Hülle? „Die organisatorische Hülle einer Technik umfasst alle
Organisationsformen, die notwendig sind, um die Funktionalität eines technischen Artifakts überhaupt ins
Werk setzen zu können“\autocite[23]{kornwachs:technik}. Eben so eine organisatorische Hülle
„konstituiert \textit{eine technologische Funktion zweiter Art},
[\dots]“\autocite[23]{kornwachs:technik} Kornwachs erklärt diese am Beispiel eines Autos, dessen
„organisatorische Hülle das gesamte System vom Straßenverkehrsnetz über die Proliferationssysteme für
Treibstoff und Ersatzteile bis hin zu den rechtlichen Regelungen, [\dots],
[umfasst]“\autocite[23]{kornwachs:technik}.
Aber nicht nur die organisatorische Hülle regelt, wie die Technik eingesetzt wird; auch die Technik prägt
die organisatorischen Hüllen: „Es ist offenkundig, dass die organisatorische Umgestaltung unserer
Zivilisation durch die Informations- und Kommunikationstechnologien keine dieser organisatorischen
Hüllen unberührt lässt.“\autocite[23]{kornwachs:technik}
Die Kernthese der „Grundlinien einer Philosophie der Technik“ ist, dass es sich bei
allen technischen Gegenständen um die Projektion menschlicher Organe handelt. Selbst wenn der Mensch
keine tiefen Erkenntnisse über den Bau seines Körpers hat, projiziert er ihn unbewusst in die von ihm
gemachten Artefakte, „[i]st demnach der Vorderarm mit zur Faust geballter Hand oder mit deren
Verstärkung durch einen fassbaren Stein der natürliche Hammer, so ist der Stein mit einem Holzstiel
dessen einfachste künstliche Nachbildung“.\autocite[52]{kapp:technik} Es ist nicht ungewöhnlich,
zwischen der Technik und den menschlichen Organen und zwischen der Funktionsweise der Technik
und derselben des Organismus Analogien zu bilden. Genauso wie den Vorderarm mit zur Faust geballter Hand
kann man mit einem Hammer vergleichen, kann man zum Beispiel den Computer mit dem Gehirn vergleichen, weil
die Computer viele Operationen wie das Rechnen sogar viel effizienter als das menschliche
Gehirn durchführen können. Bei Kapp geht es aber nicht nur um Ähnlichkeiten und Analogien. Vielmehr
behauptet er, dass die Menschen ihren Organismus und seine Funktionen in die Technik projizieren, sodass
wenn der Organismus anders aufgebaut wäre, anders funktionieren würde, würde auch die Technik
ganz anders aussehen. Und das beansprucht er für alle technischen Gegenstände
ausnahmslos.\autocite[Vgl.][7]{leinenbach:technik}
\section{Selbsterkenntnis}
Die Organprojektion ist nicht nur der Gegenstand der Technikphilosophie, sondern auch der
Erkenntnistheorie. Die Produktion der Artefakte ist die Art und Weise, wie der Mensch die Natur
und sich selbst erkennt. Da der Mensch seinen Organismus in die Technik projiziert und die
Technik demzufolge Merkmale dieses Organismus hat, kann er aus der von ihm erschaffenen Technik
sich selbst erkennen. Ein Hammer sieht nicht nur äußerlich dem Arm ähnlich, er hat auch
strukturelle Ähnlichkeiten mit diesem. Ein Hammer besteht aus zwei Teilen: einem Stiel und
einem Kopf. Der untere Teil des Armes besteht genauso aus dem Unterarm, an den die Hand
angeschlossen ist. In der Technik erkennt man dann wieder die Eigenschaften, die man in sie
projiziert hat und erkennt auf diese Weise sich selbst. „Zentrum und Ziel allen Weltgeschehens
ist in Kapps Denken die stetig sich vergrößernde Selbsterkenntnis des Menschen. Die technischen
Artefakte sind Vehikel dieser Selbsterkenntnis: [\dots].“\autocite[36]{fohler:techniktheorien}
So wird der Mensch zum „Maß der Dinge“\autocite[Vgl.][73]{kapp:technik}, weil alles, was
er in die Welt setzt, aus ihm selbst entsprungen ist. Es gibt auch keine andere Quelle der
Erkenntnis als der Mensch selbst.\autocite[Vgl.][73]{kapp:technik}
\begin{quote}
Die Welt der Technik leitet demnach einen Selbstreflexionsprozeß ein, da sie zum einen
bestimmte Entwicklungsstufe des Menschen erfahrbar mache, zum anderen jedoch auch auf das verweise, was den
Menschen möglich sei.\autocite[10]{korte:kapp}
\end{quote}
Eine andere Komponente, die die Selbsterkenntnis kennzeichnet, ist die Sprache, weil „[d]ie Sprache
sagt, welche Dinge sind und was sie sind, [\dots]“\autocite[60]{kapp:technik}. Und sie ist auch ein
Produkt der Organprojektion. Kapp behauptet, dass die Bezeichnungen für die Gegenstände
aus der Tätigkeit der Organe entstanden seien. So habe das Wort \textit{Mühle}
seine Wurzel im indoeuropäischen \textit{mal} oder \textit{mar}, was soviel wie „mit den Fingern
zerreiben“ oder „mit den Zähnen zermalmen“ bedeutet
habe.\autocite[Vgl.][57\psq]{kapp:technik}
\section{Terminus „Technik“}
Hier wird es deutlich, dass es Kapp nicht bloß um den Einfluss der Technik auf die Kultur geht, vielmehr
ist die Technik dasjenige, was die gesamte menschliche Kultur bildet. „Die Technik ist das erste
Kulturereignis. Der Anfang der Herstellung technischer Gegenstände ist der Beginn des Kulturwesens
Mensch.“\autocite[7]{leinenbach:technik}
Um diese These zu verstehen, muss man untersuchen, was Kapp meint, wenn er das Wort
„Technik“ verwendet. Mit der Entwicklung der Technik entwickelt sie auch die
Sprache. Wenn ich heute „Technik“ sage, dann meine ich meistens Computertechnik
oder zumindest irgendeine Maschine, ein Auto, ein Lüftungssystem und dergleichen. Wenn ich über
Werkzeuge in meinem Werkzeugkasten spreche, dann sage ich nicht unbedingt „Technik“
von jenen, es sei denn ich habe elektrische Werkzeuge da, wie ein Elektroschrauber oder eine
Bohrmaschine. Es mag eine Zeit gegeben haben, in der eine Handsäge eine technische
Errungenschaft darstellte. Heute gehört sie aber mehr zur Klasse der Werkzeuge. Das heißt man
unterscheidet meistens in der heutigen Umgangssprache zwischen der Technik und den Werkzeugen.
Es ist überhaupt schwierig, eine Definition der Technik zu entwickeln, die man verwenden könnte,
um zwischen technischen Gegenständen und übrigen zu differenzieren. Ich habe vorher von
den von Menschenhand geschaffenen Gegenständen als von der Technik gesprochen. Aber zählt ein
gemaltes Bild zur Technik? Wohl eher nicht. Es ist Kunst. Ist ein technischer Gegenstand keine Kunst?
Man würde meinen: Nein. Der Ingenieur, der Monate verbracht hat, es zu entwerfen und zu konzipieren,
könnte dem widersprechen. Die Technik hat noch eine weitere Eigenschaft, dass sie einen Nutzen hat.
Allerdings auch die Kunst hat für viele Menschen einen ästhetischen Nutzen. Man kann den
„Begriff“ auf die eine oder andere Weise definieren, aber eine solche Definition wäre
meines Erachtens der Umgangssprache nicht gerecht und würde nicht alle Anwendungsfälle decken.
Wenn man zu diesem Begriff von einer anderen Seite kommt, kann man zwischen zwei Bedeutungen dessen
unterscheiden. Zu einem bezeichnet man Gegenstände als Technik: ein Videorecorder ist Technik, ein
Fernseher ist Technik. Zum anderen spricht man von erlernten Fähigkeiten als von den Techniken. In
diesem Sinne gibt es Maltechniken, Kampftechniken, Lerntechniken und andere Techniken. Der Begriff
hat also noch eine funktionale Seite.
Kapp hat diese Vielfalt des Technischen in seine Philosophie aufgenommen. Es war vorhin davon die
Rede, dass der Mensch seinen Organismus in die Technik projiziert, und bei den ersten Werkzeugen
sieht man gewisse Ähnlichkeit mit den Organen. Aber auch der Umstand, dass die Technik mit einer
Funktion verbunden ist (dass sie eine Fähigkeit bezeichnen kann), ist ihm nicht entgangen.
„An die Stelle der Ähnlichkeit, welche die äußere Gestalt der Organe des Menschen mit deren
gegenständlichen Projekten besitzt, tritt im Fortgang der Entwicklung technischer Gegenstände bis
hin zur Maschine vielmehr die Projektion des organischen
Funktionsbildes, [\dots]“\autocite[61]{leinenbach:technik} Man hat versucht Kapps Theorie
zu widerlegen, indem man nach Artefakten gesucht hat, die keine Ähnlichkeiten mit irgendeinem
Organ aufweisen: das Rad\autocite[Vgl.][84--86]{leinenbach:technik} oder das künstliche
Licht\autocite[Vgl.][88\psq]{leinenbach:technik}.
Das war auch für Kapp offensichtlich, dass nicht alle Werkzeuge und Maschinen äußere Ähnlichkeiten
aufweisen. Vielmehr entfernt sich die Technik im Prozess ihrer Entwicklung von ihrem
ursprünglichen Vorbild. Kapp spricht zum Beispiel von „vergeistigten“ Werkzeugen, die eher
den menschlichen Geist projizieren als seinen Körper. So heißt es von dem Werkzeug der Kommunikation,
der Sprache:
\begin{quote}
In der Sprache hört der Unterschied von Kunstwerk und Werkzeug, der sonst durchweg feststeht,
ganz auf. Indem sie erklärt, was sie selbst ist, übt sie gerade das aus, was sie erklären will. Mithin
ist sie das Werkzeug, sich als ihr eigenes Werkzeug zu begreifen, also ein vergeistigtes Werkzeug,
Spitze und Vermittlung zugleich der absoluten Selbstproduktion des Menschen.\autocite[248]{kapp:technik}
\end{quote}
Die „Spitze“ der Organprojektion sind gar nicht die technischen Artefakte, sondern der
gesamte kulturelle Reichtum, den der Mensch um sich schafft. Nur ist diese kulturelle Bereicherung
ohne Technik nicht möglich. Außer dass Kapp verschiedene Bedeutungen der Technik in seine Theorie
aufnimmt, breitet er diesen Begriff so weit aus, dass er auf jegliche Errungenschaft das Menschen
angewendet werden kann. Solche Verwendung des Begriffes „Technik“ mag zunächst
befremdend erscheinen, aber sie ist unserer Sprache auch nicht vollkommen fremd, denn wir
instrumentalisieren auch geistige Prozesse und sprechen von der Sprache als dem
\textit{Werkzeug} der Kommunikation oder der Logik als dem \textit{Werkzeug} des Denkens.
\section{Kapps Menschenbild}
Zwar projiziert sich der Mensch immer in die Technik, aber dieser Prozess wird nie abgeschlossen. Es
gibt immer eine unendliche Kluft zwischen der Natur und dem Mechanismus.
\begin{quote}
[\dots]; der Mechanismus, durch Zusammensetzung von außen zustande gebracht, ist eine „Mache“
der Menschenhand. Der Organismus ist wie die gesamte Welt \textit{natura}, ein Werdendes, der
Mechanismus ist das gemachte Fertige; dort ist Entwicklung und Leben, hier Komposition und
Lebloses.\autocite[68]{kapp:technik}
\end{quote}
Kapp ist kein Materialist und der Mensch ist für ihn kein rein materielles Wesen. Anstatt von der Materie
und dem Geist zu sprechen, spricht Kapp von der Psychologie und der Physiologie, zwei Gegensätze, die die
menschliche Natur in sich vereinigt. Allerdings ist auch keine Trennung dieser zwei Bestandteile möglich.
Man kann auch nicht sagen, dass das eine wichtiger oder wesentlicher wäre als das andere, wie es zum
Beispiel Descartes sieht\footcite[Vgl.][43]{geschichte1718}. Der Mensch ist nur als ein Ganzes möglich und
denkbar: „Psychologie und Physiologie haben lange genug fremd gegen einander getan,
[\dots]“\autocite[19]{kapp:technik}. Auch das kulturelle Gut und die Technik sind nicht sekundär,
obwohl es auf den ersten Blick scheint, als ob die menschliche Existenz auch ohne diese denkbar wäre,
weil sie erst ein Produkt seiner geistigen Aktivität sind. „Einerseits sollen die natürlichen
Organe das Vorbild aller mechanischen Objekte und Ensembles sein, andererseits lässt sich erst durch
deren Strukturen und Funktionen das Wesen der Organe
erkennen.“\autocite[XXXV-XXXVI]{maye:einleitung-kapp}
\section{Kritik}
Ganz am Anfang klingt Kapps Theorie sehr plausibel. Bei einfachen Werkzeugen kann man das sich sehr gut
vorstellen, dass der Mensch seine Organe als Muster für die Werkzeuge benutzt hat. Vor allem, weil die
eigene körperliche Kraft nicht ausgereicht hat, musste man einen Weg finden, zu kompensieren, anders
gesagt, man musste seine natürlichen Organe verlängern und verstärken.
Allerdings mit dem Fortschritt der Technologie, wenn die direkte Analogie zwischen dem Organ und
dem Produkt der Menschenhand zu schwanken beginnt, fällt es einem immer schwerer, an die
Organprojektion als eine universelle Theorie zu glauben.
Es liegt in der Natur des Menschen, seine Umwelt immer weiter zu gestalten, und seine Werkzeuge und
Maschinen weiter zu entwickeln. Und auch schwere Maschinen helfen dem Menschen, schwere Arbeiten
auszuführen, die er sonst mit seinen eigenen Organen verrichten sollte. Deswegen können auch sie
als Projektion menschlicher Organe und ihrer Funktionen betrachtet werden. Allerdings wenn Kapp
Beispiele wie „[d]as Netz der Blutgefäße als organisches Vorbild des
Eisenbahnsystems“\autocite[121]{kapp:technik} einführt, stellt sich die Frage, wie es zu
überprüfen ist. Kapp zwar besteht darauf, dass es nicht bloß das „Sinnbildliche der
Allegorie“ ist, sondern das „Sach- und Abbildliche der
Projektion“\autocite[Vgl.][129]{kapp:technik} und versucht das argumentativ
zu stützen\autocite[Vgl.][129--130]{kapp:technik}, seine Argumentation kann jedoch nicht als ein
handfester Beweis gelten.
Die Hauptschwäche dieser Theorie ist ihre Überprüfbarkeit. Ich kann höchstens auf bestimmte
Ereignisse oder Artefakte hinweisen und sie zum Vorteile der Theorie deuten, aber meine
Behauptung lässt sich nicht empirisch überprüfen. Ich kann nur versuchen sie plausibler als
die Alternativen zu machen. Vor allem geschieht die Organprojektion nach Kapp
\textit{unbewusst} und weist sich erst im Nachhinein als solche aus. Und um den Ursprung und
die Art unbewusster geistiger Vorgänge lässt sich nur spekulieren.
Des Weiteren war Kapp auf die Technik seiner Zeit beschränkt. Er konnte selbstverständlich
nicht voraussehen, welche Herausforderungen die künftige Technik mit sich bringt, und ob die
Theorie entsprechend angepasst werden soll. Der Glaube an den Menschen als ein einzigartiges
Geschöpf der Natur wird immer schwächer. Vielleicht ist er gar nicht so einzigartig, vielleicht
kann man ihn nachbauen, vielleicht kann man das, was in seinem Kopf vorgeht, auf eine Reihe
von Algorithmen reduzieren. Immer mehr Menschen glauben, dass es sehr bald möglich sein wird.
Für Kapp war der Mensch noch der einzige Schöpfer seiner Technik:
\begin{quote}
Niemals ist aber bei irgendeiner Maschine die Menschenhand völlig aus dem Spiele; denn auch
da wo ein Teil des Mechanismus sich gänzlich ablöst, wie der Pfeil, die Gewehrkugel, die dem
Schiffbrüchigen die rettende Leine überbringende Rakete, ist die Abweichung nur vorübergehend und
scheinbar.\autocite[64\psq]{kapp:technik}
\end{quote}
Die Technik, die immer menschlicher wird, macht darüber nachdenklich, ob der Mensch diesen Status
für die gesamte Zeit seiner Geschichte behalten kann. Andererseits das Sprechen über die Maschinen,
die man von einem Menschen nicht mehr unterscheiden kann, ist auch nur noch eine Spekulation. Und
es ist meines Erachtens noch zu früh, sie als ein Argument gegen Kapps Ansichten auszuspielen.
Schließlich hat auch die höchste entwickelte Technik ihren Ursprung im Menschen und ist Folge
seiner Leistung, wie es Kapp auch sagt. Das heißt, wenn eine Maschine ohne menschliche
Teilnahme andere Maschinen produzieren kann, so wurde sie so konstruiert, um diese Aufgabe
zu erfüllen. Es wird inzwischen über die Maschinen spekuliert, die auch geistige Leistungen
des Menschen übernehmen können, die zum Beispiel selbst programmieren können, und so andere
Maschinen hervorbringen, die nicht nur nach einem bestimmten Plan konstruiert sind, sondern
tatsächlich neue Technik darstellen. Aber selbst in diesem Fall soll solche Intelligenz erstmal
künstlich geschaffen werden, sie würde ihre Existenz immer noch dem Menschen verdanken. Das ist,
denke ich, die Tatsache, auf die Kapp hinweisen wollte.
Man darf auch nicht vergessen, dass obwohl wir Technik bauen und verwenden, darüber zu
reflektieren, warum wir sie eigentlich brauchen und warum wir so bauen, wie wir sie bauen, keine
einfache Aufgabe ist, die lückenlos gelöst werden kann. Deswegen verdient Kapps
Theorie Aufmerksamkeit als ein möglicher Lösungsansatz.
\section{Kapps Technikphilosophie in Anwendung auf die nachfolgende Geschichte der Technik}
Das Kapitel, in dem Harald Leinenbach über die Rezeptionsgeschichte der Organprojektionstheorie spricht,
nennt er „Die Grundlinien einer Philosophie der Technik“
„Kapps mystisches Blendwerk“\autocite[60]{leinenbach:technik}, womit er andeuten will,
wie das Werk meistens rezipiert wurde.
„Dabei finden sich Erwähnungen der Organprojetionstheorie meist bloß in knappen
Randbemerkungen. Kapps Technikphilosophie ist nirgends aufgenommen, geschweige denn konstruktiv
weitergeführt worden.“\autocite[61]{leinenbach:technik} Als Grund gibt Leinenbach an, dass
Kapp von seinen Gegnern immer missverstanden wurde, dass man seine Theorie nicht zu Ende denkt, sondern
sich „hauptsächlich am Organprojektionsstatus der technischen
Gegenstände“\autocite[60\psq]{leinenbach:technik} aufhält, und
sobald man eine Maschine findet, die äußerlich dem menschlichen Organismus nicht ähnlich ist, hört
man auf und lehnt die Theorie als unzureichend ab. Dazu kommen noch Begriffe wie das Unbewusste, mit
denen Kapp gearbeitet hat.\autocite[Vgl.][64]{leinenbach:technik} Besonders in der Zeit, in der die
Künstliche Intelligenz entwickelt wird, scheint die Hoffnung zu wachsen, das Unbewusste aus der Welt
zu schaffen, und alles Menschliche ohne Rest technisch reproduzieren zu können.
Im Folgenden möchte ich überlegen, wie Kapp seine Theorie auf die heutige Technik anwenden
würde oder könnte. Eines der Gebiete, dessen Entwicklung für die Moderne unentbehrlich ist, ist die
Computertechnik. Wobei ich für die vorliegende Arbeit einen breit gefächerten Computerbegriff benutzen möchte.
Computer werden immer universeller und können immer mehr Aufgaben ausführen, deswegen sind sie bereits
ein Teil vieler Bereiche unseres Daseins. Sie werden vorprogrammiert, um anhand gegebener Daten bestimmte
Aktionen auszuführen. In diesem Sinne ist nicht nur ein Laptop ein Computer, sondern auch ein Handy;
genauso ist ein Roboter ein komplexer Computer.